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Der Elfmeter

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15.12.2001
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Der Elfmeter

Der Elfmeter

Ilja Rank

Wie mir das Herz rast.
Ich nehme kaum noch etwas wahr von den bestimmt fünfzigtausend Zuschauern die in unmittelbarer Nähe um mich herum ihre unterschiedlichen Gefühle zum Ausdruck bringen. Zum einen Vorfreude, ausgedrückt durch Jubel, Klatschen und Anfeuerung, auf der anderen Seite Entsetzen, Pfiffe und Stille der Fassungslosigkeit über das, was gleich passieren wird. Mir scheint es, als sei mein Blickfeld nur noch eng begrenzt. Ich sehe viele blaue Fahnen im Publikum schwenken, doch sie scheinen in eine große blaue Wand zu verschwimmen. Auch sehe ich die vielen Werbetafeln davor, die für verschiedene Biersorten, Kühlschränke und vieles mehr zu werben versuchen, doch im Moment denke ich nicht im geringsten an Bier, oder wie ich es kühlen könnte.
Noch vor einigen Sekunden spielte sich vor mir ein Szenario ab, welches einer kleinen Schlacht aus dem Mittelalter gleich gekommen wäre, wenn ich nicht wüsste, dass ich mich auf einem Fußballfeld befände. Nach dem Pfiff des Schiedsrichters stürmten Spieler in rot gekleideten Hemden und weißen Hosen auf den Schiedsrichter zu.
"Du blinde Sau, das war doch nie ein Elfer!“, schrie die Nummer 4 der Mannschaft, derjenige, welcher für das ganze Schlamassel verantwortlich war. Nun ja, er kam aber wohl leider ein Bruchteil einer Sekunde zu spät, und dann war es passiert.
Andere Spieler seiner Mannschaft versuchten nun auch den Schiedsrichter zu bedrängen. Der Spieler mit der Nummer 8, seiner Binde nach zu urteilen wohl der Mannschaftskapitän, versuchte noch seine Mitspieler ein bisschen aufzuhalten, um dann selbst sich dem Schiedsrichter zu widmen. Doch relativ schnell wurde den Spielern bewusst, dass an dieser Entscheidung wohl nichts mehr zu ändern ist und sie zogen sich wiederwillig aus dem Sechzehnmeterraum zurück.
"Das ist die allergrößte Frechheit die ich je gesehen habe“, sagt noch die Nummer 5 im vorbeigehen, wohl eher zu sich selbst als zu mir.
Nun liegt alles an mir.
Meine Aufregung wird nun noch größer, als ich den Ball auf mich zurollen sehe. Der Torhüter der Roten hat ihn mir mit einem Gesichtsausdruck zugerollt welcher ausdrückt: den machst du eh nicht rein!
Wenn das alles nur nicht so schwierig wäre. Wenn wir gewinnen würden, und das täten wir wohl auch wenn ich treffe, so kurz vor Schluss, dann wären wir zum ersten mal überhaupt Meister. Aber wenn ich treffe, steigt die gegnerische Mannschaft ab. Ein Punkt würde ihnen reichen. Und das liegt nun in meinen Händen, oder besser gesagt in meinem rechten Fuß.
"Elfmeter verschossen, die Nerven lagen blank, Meisterschaft ade!“
Ich sehe schon die Zeilen der morgigen Presse vor meinem geistigen Auge. Soll ich nun doch lieber kneifen und den Ball einem Mitspieler geben? Aber was stünde wohl dann morgen in der Zeitung? Aber ist das denn wirklich so wichtig?
"Elfmeter in der Schlussminute, endlich Meister!“
Diese Schlagzeile würde ich nur zu gerne sehen und mein Name würde in die Geschichte des Vereins eingehen.
Nur noch Sekunden trennen mich von Himmel und Hölle.
"Komm, den machst du rein“, hör ich noch hinter mir.
"Du Flasche triffst ja nicht mal den Ball“, aus einer anderen Richtung.
Ich nehme den Ball auf und fühle, wie das Kunstleder des Balles durch meine Hände in Stromschlägen durch meinen Körper zu schießen scheint. Ich atme tief durch und sehe zum Himmel hoch. Langsam bewege ich mich auf den magischen Punkt zu. Noch drei Meter. Zwei. Ich stocke. Meine Hände beginnen zu zittern. Ich schaue mich leicht um und sehe in die Gesichter der verschiedenen Spieler um mich herum. Auch hier vermischt sich Entsetzen mit Vorfreude. Einige haben sich auch von mir abgewandt und halten die Hände vor ihr Gesicht.
"Nun reiß dich mal zusammen!“, denke ich.
Der letzte Schritt. Ich lege den Ball auf den runden weißen Punkt direkt vor mir und genau elf Meter vor dem gegnerischen Tor. Ich richte mich wieder auf gehe die verdammten drei Schritte wieder zurück. Im Stadion wird es unheimlich ruhig, als ob jemand auf einer Feier gegen ein Glas geschlagen hat um eine Rede zu halten.
Plötzlich durchschneidet ein greller Pfiff diese Stille.
Nun läuft es mir kalt den Rücken runter und die Nackenhaare richten sich auf. Wohin soll ich den Ball denn nur schießen? Links ins untere Eck oder doch eher rechts oben? Treffe ich überhaupt das Tor, oder freut sich einer der Zuschauer darüber den Ball des Klassenerhalts in den Händen zu halten.
Ich denke nur noch: "Rechts unten!“
Meine Muskel wollen erst gar nicht das ausführen was ich nun machen will, doch ich kämpfe dagegen an.
Noch drei Meter
zwei
ein
Schuss!

Zitat aus der Tageszeitung, nächste Tag:
"Ich habe mich gleich für die linke untere Ecke entschieden. Ich wusste doch, dass der Torwart dort seine schwache Seite hat. Wenn ich eins kann, dann sind es Elfmeter!
Keiner ist so Nervenstark bei uns wie ich!“

Ich freue mich über die Meisterschaft, doch gegen diesen Gegner werden wir nächstes Jahr nicht spielen. Das macht mich auch ein bisschen traurig.

 

Interessante geschichte, mir kam die Zeit auch wie eine Ewigkeit vor, bis der Elfmeter endlich geschossen wurde. Ich wuerde jedoch den letzten Absatz weglassen, denn nur mit dem Zitat aus der Zeitung sorgst du fuer einen pointierten Schluss. Dass sich der Spieler ueber die Meisterschaft freut und die andere Mannschaft bemitleidet ergibt sich aus dem vorher entstandenen Konflikt.

ciao,
lil_wismo

 

Hi Lil,
danke für deine Kritik.
Ich glaube jeder, der schon mal einen Elfer geschossen hat, kennt das Gefühl. Vielleicht nicht unbedingt vor 50000 Zuschauern.
Mit der letzten Zeile magst du vielleicht recht haben. Sie sollte zur Abrundung dienen.
Schöne Grüße!

 

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