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Der Fluch der alten Dame

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05.09.2018
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Der Fluch der alten Dame

Ein Blick aus dem Fenster offenbarte, es musste warm sein da draußen. Die füllige Kastanie spendete einen üppigen Schatten, doch vereinzelnde Sonnenstrahlen fanden immer wieder den Weg auf ihre Bettdecke. Die Klimaanlage surrte verträumt vor sich hin und sie fror. Ihr war nicht wirklich kalt, doch die stete Kühle, ausgehend von ihrem Körper, machte sich auch an diesem Tag bemerkbar. Sie zählte abermals die Löcher in der leicht vergilbten Deckenverkleidung und betrachtete ausgiebig den Feuermelder, welcher alle paar Sekunden seine Funktionstüchtigkeit durch ein dezentes rotes Aufblinken verriet. Von der Eingangstür aus gesehen waren es 15 Löcher bis zum Rauchmelder. Vom Fenster aus waren es 17 Löcher. Das ärgerte sie maßlos, wieso hat man das Gerät denn bloß nicht mittig anbringen können?

Wie lange sie schon in diesem Zimmer war, das wusste sie nicht. Vielleicht ein paar Wochen, oder waren es gar Monate oder vielleicht schon Jahre? Zeit spielte in ihrem Zustand schon lange keine Rolle mehr und die quälende Gewissheit, nicht einmal mehr ein Gefühl für Jahr und Tag zu haben machte ihr in dieser Stunde besonders zu schaffen. Wann war eigentlich Maria mit den Kindern zuletzt zu Besuch? Ein flüchtiger Blick auf den Nachttisch mit seiner leeren Blumenvase ließ nichts gutes vermuten. Oder hatten sie ihr dieses Mal einfach nur keine Blume mitgebracht, sondern etwas anderes? Sie erinnerte sich nicht. Sie liebte Tulpen, schon seit sie ein kleines Mädchen war. Im Krieg schienen die bunten Farben und die wohlriechenden Blüten eines der wenigen Zeichen zu sein, dass die Welt doch schön sein konnte. Und was war mit ihren Enkeln? Lena, Christian und der kleine, wie hieß er noch? Er hatte eine faszinierende Ähnlichkeit zu Siegfried, ihrem Ehemann, den sie kurz vor Ende des Krieges erst so richtig kennenlernte. Der kleine Junge musste kurz vor der Einschulung stehen, oder war er vielleicht bereits ein Schulkind? Er lächelte immer so verschmitzt und schien sein Babyspeck noch immer nicht ganz verloren zu haben. Und dann war da ja noch Ben, ihr Sohn, welcher kurz nach Maria das Licht der Welt erblickte. Er besuchte sie überhaupt nicht, so schien ihr. Vor einigen Jahren zog er in eine ferne Stadt, irgendetwas mit „K“, vielleicht Köln oder Koblenz, oder war es diese andere Stadt im hohen Norden? Sie konnte sich noch so sehr bemühen, es fiel ihr nicht mehr ein und ein klares Bild seines Gesichts wollte sich vor ihrem inneren Auge mittlerweile auch nicht mehr einstellen.

Maria und Ben waren Wunschkinder. Sie hatte ihren Siegfried schon gekannt, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie beide wuchsen in einem kleinen Dorf in Oberfranken auf und irgendwann waren sie nicht mehr einfach nur Spielgefährten, sondern sie entdeckten die Liebe zu- und miteinander. Sie erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen an sein markantes Kinn, den etwas ungepflegten Drei-Tage-Bart, die ausladenden Wangenknochen und das Funkeln in seinen Augen. Dazu dieses spitzbübische Lächeln, welches aus dem stattlichen Kerl gelegentlich einen kleinen frechen Jungen werden ließ. Siegfried hatte stets ein paar Kilo zu viel, welche ihn aber niemals dick, sondern immer nur stattlich werden ließen. Bei ihrem ersten richtigen Rendezvous in einem der wenigen noch geöffneten Cafés kurz vor Ende des Krieges trug er ein blau-weiß gestreiftes Hemd, welches sie immer wieder an einen Matrosen erinnerte, welche sie im Grunde nur aus der Zeitung kannte. Siegfried war die einzige Liebes ihres Lebens, daran erinnerte sie sich noch zu gut, doch wann hatte sie ihn das letzte Mal gesehen? Besuchte er sie überhaupt noch? War er vielleicht auch irgendwo in einem Pflegeheim und konnte sie gar nicht besuchen? Beim Blick auf das Porträtfoto auf ihrem Nachttisch kam die ernüchternde Erinnerung zurück: „Gestorben am 24.09.2008“ stand darunter. Sie seufzte, hatte sie doch tatsächlich diesen Tag vergessen. Wie lange musste das Jahr 2008 wohl her sein? Welches Jahr hatten wir heute? Gedanken über Gedanken, doch es wollte ihr einfach nicht einfallen. Es war ernüchternd zu wissen, dass gewisse Dinge ihres Verstandes und auch ihres Gedächtnisses sie mittlerweile im Stich gelassen hatten.

Ein kurzes, festes Klopfen an der Tür, dann trat er herein. Ihn hatte sie nicht vergessen, kam er doch jeden Tag vorbei, dieser dicke, aufgedunsene Osteuropäer mit dem grässlichen Grinsen. „Hallo Frau Schneider, ich machen Ihnen sauber.“ murmelte er vor sich hin, während er die Tür von innen schloss. Sie hasste diese Prozedur, schien sie ihr doch auch noch das letzte Stück Würde zu nehmen. Er zog ihre Decke weg und seine wulstigen, rauen Finger umschlossen ihren Knöchel so, dass es beinahe schmerzte. Dann spürte sie auch schon den feuchten, abgeriebenen Waschlappen, welcher sich seinen Weg über ihre Beine, bis hin zu ihren intimsten Zonen bahnte. Das lauwarme Wasser verschaffte ihrer leichten Unterkühlung keine Linderung und sie hoffte wie jeden Tag, dass diese schreckliche Behandlung bald ein Ende nehmen würde. Ein kräftiger Ruck überkam sie und schon lag sie auf dem Bauch. Ihr Bettlaken nahm die Feuchtigkeit ihrer Haut dankend auf und dieser unbarmherzige Pfleger rieb ihr kräftig mit dem Lappen über den Rücken. Bald musste es vorbei sein, dachte sie sich zu erinnern. Eine Träne floss ihre rechte Wange herab und verschwand in ihrem Kopfkissen. Kurz darauf lag sie wieder auf dem Rücken und der Pfleger war verschwunden. Musste dieses würdelose Verfahren denn wirklich sein? Womit hatte sie das nur verdient? Und wann genau war der Tag, an dem sie von einer rüstigen Seniorin zu einem Pflegefall wurde? Sie wusste es nicht.

Sie erkämpfte sich den Weg zurück in die Erinnerungen, die ihr noch klar erschienen, doch genießen konnte sie sie kaum nach dieser alltäglichen Demütigung. Einmal, als Siegfried beruflich für einige Wochen in die USA flog und sie gerade mit Maria schwanger gewesen sein musste, ohne es jedoch bereits zu wissen, gab es da noch Thomas. Er war etwas jünger als Siegfried und hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen. Alleine in ihrer kleinen Wohnung war sie zu dieser Zeit dankbar um jede Aufmerksamkeit, die ihr der sportliche und stets gut duftende Mann zu Teil kommen ließ. Sie trafen sich nur einige wenige Male und Siegfried hatte nie etwas davon erfahren. Sie wusste bis heute nicht, ob sie diese Treffen bereuen sollte, aber tatsächlich dachte sie noch oft an Thomas, beinahe so oft wie an ihren Ehemann.

Erneut ging die Türe auf und ein Mann mit Gehhilfe, weißem Vollbart und ebenso weißem, aber vollem Haupthaar, sowie einer dezenten Brille kam herein. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. „Hier, bitte Ilse, Deine Schokolade. Heute wie gewünscht mit Haselnüssen. Also, bis morgen dann!“ Und schon war er wieder verschwunden. Was hatte das zu bedeuten? Wer war dieser Mann und wieso brachte er ihr Schokolade? Ein kurzer Blick in den Abfalleimer verriet ihr, dass sie offenbar in der letzten Zeit schon mal eine Tafel verspeist haben musste, allerdings Vollmilch. Es schien nur eine kurze Eingebung zu sein, kein einziger klarer Gedanke und erst recht kein klares Bild, offenbar schien sie dieser alte Mann bereits öfter besucht und ihr etwas mitgebracht zu haben. Doch von ihrer Nussallergie wussten nur die wenigsten und schon wurden ihre Gedanken klarer. Diese stete Einsamkeit in ihrem Zimmer, oder war es doch eher ein Verlies? Sie wusste nicht mehr, wann sie diesen Raum das letzte Mal hatte verlassen können, dazu diese Behandlungen von den Pflegern, ja, es mussten wohl mehrere sein, wenngleich sie sich nur an den Dicken erinnern konnte. Und dann noch die ständige Ungewissheit, was eigentlich genau mit ihr los sei. Letztendlich die traurige Gewissheit, dass ihr nichts mehr blieb, als auf den Tod zu warten.

Sie raffte sich auf und mit zitternder Hand nahm sie die Tafel Schokolade zu sich, öffnete die Verpackung, streifte die Aluminiumfolie vorsichtig ab und brach sich ein paar Teile herunter. Sie steckte drei oder viel Teile auf einmal in den Mund und genoss, wie die Mischung aus Milch und Kakao langsam zerfloss und ihren gesamten Mundraum einhüllte. Dann nahm sie sich das Glas Wasser vom Nachttisch, spülte die Haselnussstückchen in einem Rutsch herunter und legte sich wieder auf den Rücken. Erneut bahnte sich eine Träne ihren Weg über ihre faltigen Wangen, doch es fühlte sich nicht nach Trauer an, eher nach Erlösung und einem Stück Genugtuung. Es dauerte nicht lange und ihre Kehle zog sich langsam aber stetig zu, sie spürte wie ihr die Luft wegblieb und eine verwirrende Kombination aus Panik und Ungeduld überkam sie. Die Äderchen in ihrem Gesicht schienen beinahe zu platzen, ihr wurde mehr als warm, zum ersten Mal seit vielleicht langer, langer Zeit.

Jetzt bekam sie überhaupt keine Luft mehr, ihr Röcheln wich, ihr Magen zog sich zusammen und verkrampfte, mit einem letzten Schluchzen entwich das Leben aus ihrem Körper, jetzt war es also alles bald vorbei? Ein letzter klarer Gedanke überkam sie: „Thomas! Ihr kleinster Enkel hieß ebenfalls Thomas!“. Sie lächelte und schloss ihre Augen ein letztes Mal.

 

Hallo @EffJay84 und willkommen hier.

Ich habe deine Anmerkungen und das Vorlesealter gelöscht. Unter den entsprechenden Eingabefenstern steht genau, was dort hinein zu schreiben ist und was nicht.

Es wäre schön, wenn du noch mindestens ein Stichwort/Genre zur Geschichte angibst, dann ist dein Text auch für Leser auffindbar, die nach speziellen Genres suchen.
Dazu einfach ganz oben auf das Bleistift-Symbol klicken und bis zu drei Tags vergeben.

Wünsche dir viel Spaß hier.

Viele Grüße, GoMusic

 

Hallo @EffJay84 und willkommen hier.

Ich habe deine Anmerkungen und das Vorlesealter gelöscht. Unter den entsprechenden Eingabefenstern steht genau, was dort hinein zu schreiben ist und was nicht.

Es wäre schön, wenn du noch mindestens ein Stichwort/Genre zur Geschichte angibst, dann ist dein Text auch für Leser auffindbar, die nach speziellen Genres suchen.
Dazu einfach ganz oben auf das Bleistift-Symbol klicken und bis zu drei Tags vergeben.

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Viele Grüße, GoMusic


Hallo, bei den Tags bekomme ich Fehlermeldungen, die sie mich nicht abspeichern lassen. Beim Versuch als Tag beispielsweise "Dame" anzugeben, erhalte ich die Meldung "you may not create new tags". Bei anderen Versuchen das gleiche Problem. Ich fühle mich technisch überfordert ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, bei den Tags bekomme ich Fehlermeldungen, die sie mich nicht abspeichern lassen. Beim Versuch als Tag beispielsweise "Dame" anzugeben, erhalte ich die Meldung "you may not create new tags". Bei anderen Versuchen das gleiche Problem. Ich fühle mich technisch überfordert ;)

Hallo,

Oh, da haben wir womöglich ein Problem. Normalerweise sollten da nur bereits vorhandene Stichworte ausgewählt werden können wie Krimi, Fantasy etc.
Ich gebe das weiter.
Mittlerweile ist ja schon Alltag ausgewählt. Das sollte passen.

Gruß, GoMusic

 

Hallo,

Oh, da haben wir womöglich ein Problem. Normalerweise sollten da nur bereits vorhandene Stichworte ausgewählt werden können wie Krimi, Fantasy etc.
Ich gebe das weiter.
Mitlerweile ist ja schon Alltag ausgewählt. Das sollte passen.

Gruß, GoMusic


"Alltag" ist tatsächlich meiner Rechtschreibkorrektur am Smartphone geschuldet beim nochmaligen Versuch "Alter" einzugeben (was übrigens auch als Vorauswahl verfügbar war) und war so nicht geplant. Aber gut, lassen wir das mal so stehen :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @EffJay84,

willkommen bei den Wortkriegern. Ich kenne das auch: Man ist dazu geneigt, erst einmal den Ort zu beschreiben. Du hast einige schöne Bilder in deiner Geschichte. Da frage ich mich: Warum setzt du die Kastanie, die Deckenverkleidung und den Feuermelder an den Anfang? Dein Text lebt ja von interessanten Bildern und Gedanken, schließlich ist die Handlung nicht weltbewegend. Daher würde ich etwas mitreißenderes an den Anfang setzen.

Wie lange sie schon in diesem Zimmer war, das wusste sie nicht. Vielleicht ein paar Wochen, oder waren es gar Monate oder vielleicht schon Jahre?
Davon abgesehen, dass ich das zweite vielleicht als zu viel empfinde, wäre dieser Satz als Einstieg schon eher interessant. Du solltest darauf achten, dass du die Beobachtungen des Protagonisten auch an Aktionen koppelst. Im Moment könnte man die meisten Sätze wahllos durcheinanderwürfeln - und es würde nichts an der Handlung ändern. Mir ist klar, dass der Alltag dieser Dame wirklich langweilig ist. Aber den Teil mit der Kastanie beispielsweise hätte zumindest beim Blumengiessen passieren können. Die zwei besten Stellen sind meiner Meinung nach die Beschreibung Siegfrieds und das Erscheinen des dicken Osteuropäers.
Deine Geschichte hat außerdem zu viele Details, da würde ich mich auf die interessanten beschränken. Die Sätze sind teilweise zu lang, da würden mehr Punkte nicht schaden. Und der rote Faden fehlt. In dem Moment, wo man beim Ende angekommen ist, hat man schon wieder vergessen, wer Thomas ist - du überschüttest den Leser ja geradezu mit Informationen. All das soll dich nicht entmutigen. Denn ich glaube, du kannst schöne Bilder entstehen lassen. Nur fehlt dir der Fokus, du schreibst zu sehr von der Leber weg - das ist zumindest mein Eindruck.

Mit freundlichen Grüßen,
Niklas

 

Hallo Niklas,

vielen Dank für Deine ausführliche Kritik. Ich nehme sie tatsächlich an und werde versuchen, Deine Anmerkungen und Anregungen in Zukunft zu berücksichtigen. Ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob es hier gängige Praxis ist, eine Geschichte per "Bearbeiten" entsprechend umzuschreiben, aber ich würde darauf lieber verzichten und das Original so stehen lassen. Aber wie gesagt, gerne lasse ich mich von Meinungen und Kritiken für die Zukunft inspirieren. Vielen Dank nochmals :)

 

Ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob es hier gängige Praxis ist, eine Geschichte per "Bearbeiten" entsprechend umzuschreiben, aber ich würde darauf lieber verzichten und das Original so stehen lassen.
Doch, das ist hier Praxis. Wortkrieger ist kein Forum zum Veröffentlichen von in Stein gemeißelten Texten, sondern eine Textwerkstatt, wo man gemeinsam an Texten arbeitet. Wenn du dich umsiehst, wirst du das auch feststellen ?

Gruß, GoMusic

 


Alles klar, ich habe verstanden. Dann hab ich ja schon eine Aufgabe für morgen ;)

 

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