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Der galaktische Turm zu Babel
In Gedenken an Stanislaw Lem – in Anlehnung an seine DIALOGE
„Das will mir nicht in den Sinn, Polonius. Endlich sind wir auf eine Intelligenz aus den Tiefen des Raumes gestoßen und Du, lieber Freund erklärst mir, dass wir von diesen Wesen keine Früchte vom Baume der Erkenntnis zu erwarten haben.
Plagt Dich Furcht, es könnten verbotene Früchte sein, die uns zum Naschen serviert werden? Oder zweifelst Du an der Freigebigkeit unserer stellaren Nachbarn? Denn wie sonst muss ich es deuten, dass Du einerseits behauptest, dass wir ihnen technologisch um Jahrtausende nachhinken, andererseits einen nennenswerten Erkenntniszuwachs keinesfalls zu erwarten haben.“
„Tja, Hylas, dass ist eine vertrackte Sache. Siehe, jede Information die von einem Sender zu einem Empfänger wandern soll bedarf eines ihm adäquaten Übertragungsmechanismuses. Es wird Dich nicht überraschen, dass die Sprachen derer wir uns zur Informationsübermittlung bedienen, nur einen begrenzten Inhalt abbilden können.
Zwar sind die semantischen Sprachen überaus variabel, finden aber ihre Grenzen in der Kapazität von Sender und Empfänger. Eine Information, deren Sendung Deine Lebenszeit überschreitet, ist für Dich vollkommen wertlos.
Deshalb müssen menschliche Sprachen geradezu gestaucht und symbolisch aufgebaut sein.
Denke Dir nur Hylas, Du möchtest mir eine ganz besondere Blume beschreiben, die in Deinem Garten gedeiht. Du nennst mir vielleicht die Farbe der Blüte und die Form der Blätter. Dies ist für mich ausreichend, denn in unserem geistigen Dasein erzeugen diese groben Informationen ein Modell der Blume, die vollkommen hinreichend für unsere Zwecke ist.“
"Ah, ich verstehe worauf Du hinaus willst, Polonius. Natürlich kannst Du Dir anhand meiner Beschreibung eine Blume vorstellen, die der in meinem Garten ähnelt. Die Redundanz im Detail ist für Dich, als Empfänger meiner Botschaft ohne Bedeutung.“
„Genau, denn wenn ich Dich, mein Freund Hylas bitten würde mir Deine Blume, auf die Du so stolz bist exakt zu beschreiben, hindert Dich die Sprache daran.“
„Meinst Du, Polonius? Sicher, es würde enorme Zeit in Anspruch nehmen, Dir jeden Schwung in den Linien der Blattränder aufzusagen. Aber halt, ich verstehe was Du meinst. Selbst wenn ich Winkel für Winkel, Kurve für Kurve und Pigment für Pigment hersagte, fügte es sich doch in Deiner Vorstellung schwerlich zu dem Bilde. Und womöglich, wenn Du mich ärgern willst lieber Freund, ginge Dein Wunsch dahin, auch die molekulare Zellstruktur dieser herrlichen Blume kenne zu lernen. Aber verrate mir doch, was diese Abschweifung mit unserem ursprünglichem Thema zu tun hat.“
„Geduld Hylas, Geduld.
Ich werde Dir die Antworten geben, vielmehr hoffe ich, dass Du selbst den Weg der Erkenntnis beschreiten wirst. Als fleißiger Zeitungsleser solltest Du Einiges über die Sprache der fernen Freunde erfahren haben.“
„In der Tat, Polonius, ich las, dass sie sich einer Sprache bedienen, die auf einem Zeichensatz von 19.450 Buchstaben beruht. Weiterhin ist bekannt, dass sie die Laute etwa achthundert Mal so schnell ausstoßen, wie es bei uns Menschen üblich ist.
Ich gebe zu, dass ein Gespräch mit ihnen für uns so gut wie unmöglich ist. Das aber, lieber Freund bedeutet noch lange nicht, dass mit Fleiß und Ausdauer ihre zu Papier gebrachten Konzepte und Ideen unübersetzbar sind.“
„Ach Hylas, wie schwer ist es, Dir das Denken beizubringen.
Nehmen wir an, Du beherrscht die polnische Sprache ausgezeichnet, ich jedoch verstehe nur ein Dutzend Wörter. Versuche doch einmal mir nun den Energieerhaltungsatz, die Mendelsche Vererbungslehre und die Interpretation eines Gedichtes von Miloz zu erklären.“
„Wir sind also wie Neugeborene, die der Sprache noch unkundig sind, Polonius? Nun denn, dann erlernen wir das Sprechen!“
„Hylas, mein Freund, Du urteilst vorschnell. Du nimmst an, dass es uns möglich ist den fremden Zungenschlag zu erlernen.
Dazu bedarf es zweier Voraussetzungen, die ich Dir nicht nennen möchte, denn ich glaube immer noch an Deinen Verstand. Nur zwei Fragen stelle ich Dir und überlasse es Deiner Intelligenz, die Antworten zu finden.
Kann ein Hund sprechen?
Und was habe wir vor wenigen Augenblicken über die Kapazität herausgefunden?“
„Es kränkt mich, wieder einmal wie ein Schuljunge von Dir belehrt zu werden, Polonius. Die Sache liegt klar, dem Hunde fehlt es an Verständnis, mangels hinreichender Intelligenz und als Kapazitätsgrenze haben wir die Aufnahmefähigkeit, die meines Wissens wenige Bit je Sekunde nicht übersteigt, festgestellt.
Jetzt verstehe ich auch, worauf Du hinzielst. Du bist der Ansicht, dass wir über zu geringe Verarbeitungs- und Aufnahmekapazitäten verfügen, um diese nichtirdische Sprache zu erlernen. Nun gut, aber da Du ja wieder einmal alles zu wissen vorgibst, habe ich zwei Fragen an Dich.
Wie schaffen sie es selbst, ihre Sprache zu erlernen, denn unsere stellaren Freunde leben kaum länger als dreieinhalbtausend Jahre.
Selbst wenn ihr Verstand mehrfach so schnell arbeitet wie der unsere, sollten dann nicht unsere Computer leicht mit dieser Sprache fertig werden?“
„Deine erste Frage zeugt vom Verständnis unseres Themas, die zweite Frage dafür umso weniger, Hylas.
Zur ersten Frage zweierlei. Nach dem was wir vermuten, gab es in der Geschichte ihres Planeten eine Phase der Informationsüberflutung, eine echte Megabitbombe. Durch autoevolutionäre Umgestaltung konnte diese zivilisationsbedrohende Krise, die sich übrigens auf der Erde gerade anzukündigen beginnt, gemeistert werden. Durch gentechnische Veränderungen kommt jedes Kind dort mit einem Basiswort- und Wissensschatz auf die Welt. Dem Umfange nach entspricht dieses Wissen dem, das eine gutgeführte Bibliothek auf der Erde beinhaltet. Ferner kann jedes Elternteil neuerworbenes Wissen bewusstseinsgesteuert in die Kindesgene einspeisen. Damit erspart sich das Kind mühsames und überflüssiges Studium und kann am Beginn der Reife sofort seinen Teil zum produktiven Erkenntnisprozess beitragen.
Deine zweite Frage beantworte ich mit einer Gegenfrage:
Ich habe in meinem Leben niemals Fleisch gegessen. Beschreibe mir doch, lieber Freund wie ein Filetstück vom Schwein schmeckt.“
„Ich verstehe, Polonius. Die Probleme in der Übersetzung sind nur auf eine andere Ebene übertragen. Der Computer übersetzte uns brav die Botschaften, heraus käme jedoch nur ein Lückentext. Aber was ist mit der Mathematik?
„Was soll mit ihr sein?“
Ist sie nicht eine universelle Sprache?“
„Meinst Du, Hylas? Dann frisch ans Werk, lasse uns die Unterhaltung doch in dieser Sprache führen!“
„Polonius, mir dreht sich alles im Kopf. Ich gebe mich Deinem sinnverdrehenden Geredeschwall geschlagen. Für diesmal zumindest. Aber lass uns abschließend darüber nachdenken, was sich aus dem Dilemma des Nichtverstehens für uns Menschen ergibt.
Gehören wir zu den minderbemittelten Psychozooiken in dieser Galaxis? Bleibt uns ein Teil des Denkbaren ewig verschlossen, weil wir es nicht denken können?“
„Wer weiß, Hylas. Vielleicht gibt es eine Gaußsche Glocke der geistigen Fähigkeiten. Aber wo dort unser Platz ist – da tasten wir im Dunkeln. Sicher sind nur zwei Einsichten.
Wir werden nicht umhin kommen, uns selbst autoevolutionär umzugestalten. Wie viel dabei von uns als Mensch verloren gehen wird und wie viel wir gewinnen werden, das ist müßige Spekulation.
Doch auch auf dem Gipfel den unsere neuen Freunde erreicht haben, werden wir nicht stehen bleiben. Denn aus dem Wenigen von dem was wir von ihnen wissen geht hervor, dass sie selbst nach einer höheren Form der Sprache streben.
Wie diese andere Sprache funktioniert, können wir sogar auf der Erde beobachten.“
„Ich ahne es. Du meinst die bewirkende Sprache des Erbcodes. Eine Sprache die durch sich selbst erschafft?“
„Sehr gut, Hylas. Das meinte ich. Eine Sprache, die nicht beschreibend, sondern schaffend wirkt. Und ich denke, wir Menschen haben den Weg zu solcher Sprache schon vor fast zweitausend Jahren eingeschlagen. Letztendlich glaube ich, dass wir einen Satz dieser bewirkenden Sprache schon kennen; wir verstehen es nur noch nicht, ihn richtig zu formulieren.“
„Dann schnell heraus damit, Polonius. Wie lautet dieser bewirkende Satz?“
„Es werde Licht!“