Der ganz normale Wahnsinn
Norbert war ein normaler Mensch, was man halt so unter "normal" versteht. Seine Haut war blass und er war von hagerer Statur. Er lebte in einer 3-Zimmer-Wohnung, hatte ein paar gute Freunde, einen gut bezahlten Job in einer Softwarefirma und damit genug Zeit um seinem Hobby zu frönen. Technik war seine Leidenschaft. In seiner Wohnung fühlte man sich fast wie auf einem Raumschiff. An allen Ecken und Enden hingen Kabel rum und alles war automatisiert und fernsteuerbar. Sein Arbeitsplatz war der eines typischen Programmierers. Es war unaufgeräumt und in der Ecke stand eine Matratze zum übernachten. Wie gesagt, für seine Verhältnisse war er ganz normal.
Sein Unglück begann, als er anfing seine Computer anzuschreien. Das war für ihn sehr ungewöhnlich, denn er hatte ein gutes, fast liebevolles, Verhältnis zu ihnen. Er beschimpfte sie z.B. mit "Dreckskiste" oder "stinkender Scheißhaufen". Solche Vorfälle kamen zuerst selten vor, aber jedesmal wunderte er sich, dass er so etwas getan hatte und entschuldigte sich bei seinen Rechnern. Es kam die Frage in ihm hoch, ob er denn verrückt sei. Das ging dann ein paar Wochen so weiter und diese Beschimpfungen häuften sich. Das ruhige Verhalten, das Norbert normalerweise an den Tag legte wich einem immer aggresiverem Verhalten, was sich auch auf sein Umfeld auswirkte. Er traf sich immer weniger mit seinen Freunden, die Arbeitskollegen mieden ihn und hatten Angst ihn um Rat zu fragen. Das ging sogar so weit, dass er wie ein Bekloppter auf seiner Tastatur herumhämmerte und danach mit der Tastatur einen Rechner kurz und klein schlug. Nach dieser Tat fiel er in eine tiefe Depression, denn er hatte nie gedacht, dass er so etwas je getan hätte. Seine schlimmste Qual war allerdings das Bewusstsein, während er auf den Computer einschlug. Er hatte nämlich genau gewusst, was er tat und dass er das eigentlich nicht machen wollte, aber konnte es nicht stoppen. In seiner depressiven Stimmung kam es immer öfter vor, dass sich seine Aggressionen gegen ihn selbst richteten. Da kam es schon mal vor, dass er mit voller Wucht seinen Kopf mehrmals gegen die Wand schleuderte. Ganz klar, er wurde verrückt. Doch Norbert war sich seiner psychischen Zersetzung vollkommen bewusst und es gibt keinen größeren Schmerz als zu fühlen, wie man sich innerlich auflöst.
Es kam wie es kommen musste. Der Chef konnte die Eskapaden seines Angestellten nicht mehr dulden, auch wenn er der Beste in seinem Fach war. Zuhause drehte Norbert endgültig durch. Er nahm die Axt, die er im Keller gefunden hatte und fing an seine Möbel zu demolieren. Während er wie wild in seiner Wohnung herumrannte und alles zerhackte und alle Kabel rausriß schrie er wie ein Wahnsinniger. Nachdem sich sein Anfall gelegt hatte, nahm er sein Handy und wählte die Nummer der "Klinge Münster", die nicht weit von seinem Zuhause entfernt war. Als er anfing seine Rechner zu beschimpfen, hatte er sich schon einmal überlegt, sich einweisen zu lassen und hatte deshalb diese Nummer vorsichtshalber einprogrammiert um schnellen Zugriff darauf zu haben. Nachdem er aufgelegt hatte, war ein Krankenwagen bereits unterwegs. Das Heimpersonal fand Norbert mit der Axt in der Hand, wie er sie gerade gegen sich selbst richtete. Sie überwältigten ihn und packten ihn in eine warme Zwangsjacke. Während er im Krankenwagen lag und die Beruhigungsmittel anfingen zu wirken, dachte er zu sich, endlich habe ich meine Bestimmung gefunden. Das letzt was von ihm zu hören war, war ein Lachen, bei dem es jedem kalt den Rücken heruntergelaufen wäre.