Was ist neu

Der Hummer und die Frau

Mitglied
Beitritt
28.11.2002
Beiträge
11

Der Hummer und die Frau

Ihr Mantel war einer von jenen, die Gefahr laufen, einen neuen Anstrich zu bekommen, wenn man den falschen Leuten begegnet. Mir gefiel es zwar auch nicht, dass Tiere für ein Kleidungsstück ihr Leben lassen müssen und ihr Fleisch nicht einmal auf unseren Tellern landet, wodurch das eigene Gewissen beruhigt wäre, doch dies behielt ich für mich. Vielmehr half ich ihr den toten Leopardenpelz abzulegen, um ihn der viel zu freundlichen Garderobendame zu übergeben. Ich hätte mir einen Cheep ausleihen sollen und ein wenig herumfahren. Die Chance so viele schöne, vom Aussterben bedrohten Tiere zu sehen, würde sich so schnell nicht mehr ergeben. Dass ich eigentlich kein Tierschützer war und nur deshalb so dachte, da es als schick galt, wenn man sich für bemitleidende Kreaturen einsetzt, die Grünen wählt, Kefir trinkt, die Biographie vom Dalai Lama auswendig kann und an Silvester keine Raketen abschießt, damit ein Mensch in Afrika, den du sowieso nicht kennst, Brot hat, wurde mir erst sehr viel später bewusst.
“Ich liebe diesen Pelz!”, sagte sie fast so, als wollte sie sich von ihm verabschieden. Wahrscheinlich hatte sie sogar ein Photo von ihm im Portemonnaie...
“Er steht dir äußerst gut!”, antwortete ich, während ich ihr den Stuhl zurückschob. Ihr blumig, süßes Parfum stieg mir in die Nase. Ich mochte es nicht. Dies sagte ich natürlich auch nicht.
Ich sah sie an und bemerkte wie schön sie war, so wie sie vor mir saß. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden. Ihr kleiner Leberfleck unter ihrem rechten Auge passte äußerst gut zu ihrer Brille, welche im selben Farbton war, wie ihre Lippen, die in einem magischen Rot erstrahlten.
Ob die Amerikanisierung bei uns nun gut ist oder nicht, sei dahin gestellt. Jedenfalls stand schon ein Krug mit Wasser auf unserem Tisch, was, bei näherer Betrachtung, doch nicht so schlecht war. Und einen Burger hatte ich auch schon gegessen. Das musste ich mir eingestehen.
Sie goss sich bereits das zweite Glas ein. Ein kleiner Kuss blieb auf dem Glas zurück, als wenn er sagen wollte: “Warte! Ich fliege gleich zu dir!” Sofort hasste ich mich für diesen Satz, den ich gerade gedacht hatte.
“Wie bitte?”, ich hatte sie nicht verstanden. Sich selbst zu hassen, kann wahnsinnig ablenken.
“Der Hummer soll hier ganz gut sein.”, sagte sie, ohne den Blick von der Karte zu nehmen, welche so teure Speisen führte, dass ein afrikanischer Bäcker sehr viel Brot dafür backen müsste.
“Brot statt Hummer?”, lachte ich sie an. Sie verstand nicht. Um die peinliche Situation zu überspielen, rief ich den Kellner mit meiner üblichen Gelassenheit zu uns und bestellte zwei dieser Krabbeltierchen. Der Kellner sagte dann noch etwas von, man könne sich ja erst über den Wein einig werden, bevor ich das Essen bestelle. Ich schickte ihn mit einem selbstsicheren “Nicht bei uns!” wieder weg und holte ihn sogleich wieder zurück, als ich ihre Stimme von der Seite hörte, die sagte: “Ach, ich hätte schon gern ein Gläschen.” Gedanklich zählte ich schon mal die Peinlichkeiten zusammen, um ungefähr abschätzen zu können, wann der Abend für mich gelaufen sein würde.
“Du musst den Nussknacker benutzen!”, meinte sie, als wir die roten Hummer vor uns liegen hatten, die zuvor blau oder so waren, bevor sie lebend in kochendes Wasser geworfen wurden. Ich dachte kurz an meinen Jahresbeitrag von Greenpeace und machte mich ans Werk. “Du musst den Panzer damit aufknacken!” Als wenn ich das nicht wüsste. “Danke, ich hatte mich schon gefragt, wofür hier ein NUSSknacker liegt, hahaha!” Dumme Kuh!
Wer schon mal versucht hat, einen Hummer zu essen, weiß, wie kompliziert das ist. Man rutscht schon mal gerne bei dem Versuch ab, den Brustpanzer zu zerbrechen. Es ist also nicht so ungewöhnlich, wie manche behaupten, wenn sich das gefüllte Weinglas über dem Tisch und dem Kleid des Gegenübers ergießt.
“Ähm, ja... Tut mir leid, hähä!” Ich versuchte mit dem kostenlosen Wasser und dem Hummerlätzchen das Gröbste zu beseitigen. Die Situation aufzulockern, schien mir das Richtige zu sein: “Schade, dass du deinen Mantel nicht angehabt hast, haha!”
Mit diesem Satz konnte ich wohl ein gemütliches Abklingen des Abends vergessen. Ein Hummerarm nach dem anderen verschwand in der Innentasche meines Blazers und der Rest des Weines ergoss sich wohltemperiert meinen Rücken hinunter. Der Zeitpunkt schrie nach einer Äußerung: “Dein Parfum stinkt nach Pferdepisse, mit Verlaub, dein Lippenstift ist potthässlich; und weißt du eigentlich wie viele Leoparden für diesen Scheißmantel sterben mussten?”
“DER IST AUS KUNSTFELL!”, schrie sie mich an und goss mir den Krug Wasser über den Kopf. Es war eine Genugtuung, zu wissen, dass ich es nicht bezahlen musste.
“Ich kann Hummer nicht ausstehen, aber du musstest ihn ja bestellen.” Ich fragte nicht nach. Die Antwort wusste ich schon im Voraus. “Ich habe nur gesagt, der Hummer soll hier ganz gut sein, nicht dass ich einen möchte.”, würde sie sagen.
“Was an deinem Gesicht das Schönste ist, ist dein Leberleck. UND DER IST GROß, SCHWARZ UND HÄSSLICH!”, sagte ich, bevor ich einen Schmerz in der unteren, der für den Mann am Wichtigsten Zone verspürte. “Scheißkerl!”, sagte sie noch zum Abschied, während mir, zusammengekauert auf dem Boden, bewusst wurde, dass sich die Tage häuften, an denen ich mich fragte, warum ich mit dieser Frau verheiratet bin.

 

Hallo Existence!

Also wenn ich so meine Eltern und meinen Bekanntenkreis betrachte, dann ist meine Geschichte noch harmlos. Da kennen manche nicht auf Anhieb die Augenfarbe des Partners. Klingt traurig, ist aber leider wirklich so. Stell dir die Situation in dem Restaurant wie ein Neuanfang des Paares vor. Nach einem großen Streit oder nach einer Zeit des Auseinanderlebens. Ich ahnte schon, dass genau dieser Kritikpunkt kommen würde. Tja, und was das Genre angeht... Ich war mir echt nicht mehr sicher in welcher Rubrik ich meine Kg veröffentlichen sollte. Satire, Humor, Gesellschaft? Bei der Wahl war ich überfordert.
Wie dem auch sei; danke für die Kritik

MudDYhill

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom