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- 17.02.2003
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Der kleine Kaktus
Es war wie jeden Morgen: Die Sonne schien, der Himmel leuchtete und der kleine Kaktus machte sich auf den Weg zur Schule. Seine Mutti hatte ihm wie immer Butterbrote und einen Apfel mitgegeben. „Damit du auch immer gesund und schön grün bleibst.“
Was seine Mutti nicht wusste, ihr Sohn ging nicht wirklich gerne zur Schule, denn die meisten seiner Klassenkameraden hänselten ihn. Der Kaktus nämlich war stachlig und im Gegensatz zu den anderen Pflanzenkindern hatte er keine schönen Blätter. So musste er sich Tag für Tag anhören: „Iieh, du siehst aber gar nicht hübsch aus!“, „Du hast Dornen, wir wollen nicht mit dir spielen, du könntest uns verletzen.“ An diesen Tag waren die anderen Kinder ganz besonders grausam zu ihm. Mitten im Mathematikunterricht fing die ganze Klasse an zu lachen, als er eine falsche Antwort gab: „Ha ha, ist der Kaktus doof!“ Der kleine Kaktus sah hilfesuchend zum Lehrer Blumentopf, aber der schüttelte nur den Kopf und rief: „Ruhe, Kinder! Wir müssen heute noch fertig werden!“ Da war der kleine Kaktus ganz traurig und nach der Schule lief er weinend nach Hause: „Mama, warum bin ich so hässlich?“ Die Mutter lachte: „Aber mein Schatz, wie kommst du denn darauf?“ Jetzt brach es aus ihm heraus: „Keiner mag mich, alle sagen, ich bin hässlich und dumm!“, „Hör mir mal zu! Nicht du bist dumm und hässlich, sondern die anderen sind es, wenn sie so etwas sagen. Du bist doch schon ein großer Junge, du machst dir doch na nichts draus.“ Sie strich ihm mütterlich über die Dornen und begann, Essen zu kochen. Der Kleine Kaktus dachte über die Worte nach. Vielleicht hatte seine Mutter recht? Aber sie konnte ja reden, sie war ja nicht tagtäglich dem Spott ausgesetzt. Seufzend machte er sich an die Hausaufgaben.
Als er am nächsten Morgen in die Klasse kam, stand Lehrer Blumentopf schon vorne, neben ihm eine hübsche junge Anemone. „Kinder, setzt euch, ich möchte euch eine neue Mitschülerin vorstellen: Heidi!“ Das Mädchen lächelte und der kleine Kaktus war sofort hin und weg, sie war das bezauberndste Wesen, das ihm je begegnet war. Aber er war auch traurig, denn er wusste, er würde bei ihr bestimmt keine Chance haben.
Heidi lebte sich schnell ein, das fiel ihr nicht schwer. Die Jungs umgarnten sie und selbst Michael Mauerblümchen, der sonst eher schüchtern war, hielt sich immer in ihrer Nähe auf. Nur der kleine Kaktus, er hielt sich von ihr fern, er wollte nicht, dass alle mitbekamen, dass er sie toll fand, er wollte sich nicht blamieren und wieder ausgelacht werden.
Einige Tage später hatte Heidi Geburtstag und lud die ganze Klasse ein, auch den Kaktus. „Was soll der denn da?“, fragte Lilo Lilienthal abfällig. „Der stört nur!“, bemerkte Rosi Rosenberg. Aber die Kommentare der anderen interessierten Heidi nicht, sie ging sogar noch mal persönlich zum Kaktus: „Du kommst doch, oder?“, „Ich würd’ ja gerne, aber...“, „Ach was, kein Aber, du kommst! Lass die anderen nur reden, es ist meine Party und ich lade ein, wen ich will!“
Am Wochenende fand die Feier statt. Einige hatten abgesagt und der Kaktus dachte sich schon, dass es wegen ihm war. „Lass nur!“, rief Heidi, „Dann bleibt mehr Mohnpudding und Baumkuchen für uns.“ Als es ans Geschenkeauspacken ging, bedankte sich Heidi artig bei allen. Die meisten Sachen waren ziemlich teuer. „Ich hab’ auch was für dich.“, reif der kleine Kaktus schüchtern. Die anderen waren erstaunt: „Was, du? Woher hast du denn das Geld?“, „Ich hab’s nicht bezahlt.“, „Was, auch noch ein Dieb?“, „Nicht doch, ich hab ein Gedicht geschrieben!“ Heidis kleine Blütenaugen leuchteten: „Wow, ein Gedicht? Für mich?“, „Ja, es ist nicht so besonders, aber..“, „Zeig her!“ Sie riss ihm das Blatt Papier aus der Hand. Es war ein vierstrophiges Gedicht, indem der kleine Kaktus schilderte, wie er sie fand und warum er sich nie getraut hatte, sie anzusprechen. Heidi war gerührt. Es war zwar kein dichterisches Meisterwerk, aber sie wischte sich vor Rührung eine Träne aus den Blütenäuglein: „Das ist ganz toll und weißt du was? Ich mag dich auch sehr.“, „Echt?“, „Ja, ich dachte nur, du wolltest mit mir nichts zu tun haben, weil du dich immer von mir ferngehalten hast. Ich habe von Anfang an deinen Fleiß bewundert und dass du, obwohl dich die anderen immer ärgern, dich nie mit ihnen geprügelt hast, außerdem mag ich deine grüne Farbe.“ Sie lächelte. Die anderen ringsherum waren erstaunt, doch der kleine Kaktus war überglücklich. Sie fragte: „Willst du mein Freund sein?“ Das war der schönste Abend bisher in seinem Leben.
Zwar wurde der kleine Kaktus nun immer noch in der Schule geärgert, aber das störte ihn nicht mehr, denn er hatte jetzt eine Freundin, die immer zu ihm hielt und das nicht, weil er gut aussah. Später heirateten die beiden und bekamen ganz viele kleine Kaktus-Anemonenkinder, denen sie schon früh die wirklich wichtigen Dinge des Lebens beibrachten