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Der Koffer

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26.11.2008
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Der Koffer

Der Koffer

Man sah es dem im Platanenschatten eines korsischen Boulevards geparkten Auto an, dass der Kofferraum eine schwere Ladung verbarg. Die Federung der Hinterachse war sichtlich zusammengepresst, der Wagen hing gleichsam nach hinten leicht durch. Daß er in diesem Zustand bereits seit Tagen an Ort und Stelle verharrte, ließen die grau-gelbe Staubschicht und die vielen vergilbten Blätter auf Dach und Motorhaube erkennen.

Bevor man ihn unter den Platanen abgestellt hatte, um sich in das schräg gegenüberliegende Hotel zu begeben, hatte der Wagen samt seiner Last bereits eine respektable Wegstrecke zu Lande und zu Wasser zurückgelegt.-

Der Sohn war mit dem schwer beladenen Koffer zwei Stunden im ICE unterwegs gewesen. In Mannheim hatte er ein Mietauto genommen und den Koffer zu den Eltern in den Odenwald transportiert. Vater und Sohn hatten ihn in gemeinsamer Anstrengung aus dem Mietwagen herausgewuchtet.

Den skeptischen väterlichen Blick hatte der Sohn mit dem klaren Auftrag pariert: "Bitte vergeßt auf keinen Fall, den Koffer mitzubringen! Wir werden ja alle noch viel Spaß damit haben".

Als privilegierter Fahrgast mit Anspruch auf einen Doppelplatz gelangte der Koffer einige Tage später auf die breite Rückbank der in den Urlaub startenden Limousine, angeschnallt versteht sich. Der Familienrat hatte nach längerer Debatte entschieden: "Der Koffer gehört auf den Rücksitz, sonst paßt ja nichts mehr in den Kofferraum".

A propos Koffer! Er war eigentlich kein solcher, sofern man darunter etwas Handliches, Überschaubares, von einer Person Bewegbares verstehen wollte. Es handelte sich vielmehr um eines jener schrankähnlichen Exemplare, die man mit Glück in US-Spezialgeschäften erstehen kann und die vorwiegend von pakistanischen Großfamilien anlässlich ihrer Auswanderung nach Nordamerika benutzt werden.

Dem Volumen entsprach der stabile, breite Griff, der als Ersatzteil mühelos zum Schieben eines Kinderwagens hergehalten hätte. Das ganze stand, nein rollte auf zwei Rädern, die mit dem soliden Fahrwerk eines kleinen Privatjets zu vergleichen waren. Und da ein Koffer, ein schwerer erst recht, des Stehens wegen nicht vier Räder haben darf, andererseits aber im Gleichgewicht mit seinem Inneren verharren können muß, waren parallel zu den zwei Rädern zwei bedrohlich spitz zulaufende, mächtige Sporne aus hartem Kunststoff auf der Unterseite angebracht.


Mit diesem auf der Rückbank festgeschnallten Koffer-Monster waren die Eltern somit weisungsgemäß in den Urlaub gestartet. Der Mitreisende wurde Zeuge einer endlosen Autofahrt über süddeutsche Autobahnen, durch Schweizer Tunnel und ligurische Serpentinen. An der italienischen Westküste - die Autobahn bestand nämlich ausschließlich aus Brücken und Tunneln - gab es abschließend ein die Augen zermürbendes Staccato von Sonnenlicht und schwarzer Finsternis.

Im Hafen von Livorno: das Familientreffen mit dem Sohn. "Habt ihr den Koffer dabei? Toll! Wir freuen uns schon darauf, vor allem auch die Kinder!"

Durchatmen: das federnde Geschaukel hatte vorerst ein Ende, als der Wagen die Rampe der Fähre nach Sardinien mit metallenem Knall enterte, um für sieben Stunden in derem Bauch zu verschwinden.

Auf Sardinien, spät in der Nacht, wiederum Serpentinen ohne Ende. Santa Teresa hieß das Ziel. Aber das war dem Koffer egal. Anders aber die Frage: was geschieht nun mit ihm? Ihn im Freien, auf einem offenen Parkplatz, allen Blicken, womöglich auch Begierden zugänglich, im Auto belassen? Zu gefährlich.

Ihn um Mitternacht ins nahelegene Hotel zu schleifen, die Treppen hochzu-
wuchten, im Zimmer als unüberwindbare Barriere aufzustellen? Auch das wurde mit dem Blick auf die verbleibenden Gepäckberge und physischen Rest-Ressourcen schnell verworfen.

Blieb nur das Versteck im Kofferraum. Dorthin hoben Vater und Sohn den Koffer mit mehrmaligem Ruck, eine Prozedur, die sich in den folgenden zwei Wochen bei jedem der häufigeren Ortswechsel wiederholen sollte – mit der folgenden Ausnahme freilich.

In der Marina von Portisco wurde alles bewegliche Gut samt dem Koffer aus den zwei überfüllten Autos in eine Segelyacht verfrachtet, die unendliche Stauräume aufwies und dank eines vorzüglichen Gleichgewichts im Wasser dennoch nicht in Schieflage geriet.

Die Kinder fragten nach und erhielten die vielversprechende Antwort: "Ein wenig Geduld noch, dann wird der Koffer aufgemacht! Wir müssen uns erst mit dem Boot vertraut machen." Und so schaukelten Jacht und Koffer in den kommenden Stunden weiter, glitten über zahllose Wellchen und Wellen sanft hinweg, an endlosen Postkarten-Bildern vorüber.

Aus den Wellen wurden binnen einiger Stunden kleine Brecher, der Wind geriet zum Sturm namens „Mistral". Die Crew, inzwischen durch die Ankunft der Tochter personell aufgefrischt, wurde von verschiedenen Krankheiten geplagt, so dass im Hafen nur das Nötigste aus dem Bordgepäck herausgezogen wurde. Der Kofferriese blieb unangetastet, allen freudvollen Verheißungen zum Trotz.

Nach sechs Tagen unruhigen Lebens auf dem Wasser kletterte die angeschlagene Crew samt Gepäck und ungeöffnetem Koffer wieder an Land. Während das Erscheinen der Tochter für die Aufnahmekapazität der Yacht kein Problem dargestellt hatte, verhielt es sich bezüglich der Weiterreise im Auto anders.

Der neue Gast hatte sich nämlich die Rückbank mit dem Koffer zu teilen. "Wo soll ich denn da noch Platz finden? Muss der blöde Koffer unbedingt da liegen?" "Muss er".
In der Tat: es gab ja neben den Rädern die erwähnten beiden mächtigen Sporne, die in die Flanke des Fond-Passagiers drückten als gelte es, diesem gleichsam die Sporen zu geben. Im Falle des Fahrers hätte das vielleicht noch einen gewissen Sinn gemacht, für den Fondpassagier aber gestaltete es sich vor allem in den Rechtskurven – und auch von den langgezogenen Serpentinen schien es besonders viele zu geben - zu einem wahren Martyrium.

Das Schicksal schien Einsicht mit dieser verteufelten Lage zu haben, denn das weitere Fortkommen wurde wieder einer Fähre anvertraut. Das bedeutete für alle Freigang auf dem großen Schiff! Nur schade, dass man doch recht schnell von Sardinien nach Korsika gelangt.

Der Anblick des in einer aus dem Meer ragenden Felsenspalte verborgenen Bonifacio lässt die bevorstehende Mühsal ein wenig verblassen. Dann geht es unerbittlich weiter, bis Ajaccio erreicht ist, wo Passagiere und Auto mit Koffer schließlich einige Tage Ruhe finden. Letztere unter den besagten Platanen.

Während die Tage in Ajaccio mit Spaziergängen, Arztbesuchen, Bade- und Gaumenfreuden vergehen, bleibt dem Koffer im Gepäckraum das mediterrane Licht der korsischen Hauptstadt verborgen. Keine Hand hat ihn angerührt.

Vor Antritt der Weiterreise drängen die Kinder: "Wann öffnen wir endlich den großen Koffer? Wir haben uns doch so darauf gefreut!" Mit gespieltem Optimismus antwortet der Vater zögerlich:" Ja, ja... vielleicht kommen wir noch dazu. Das wäre wirklich schön". Der Koffer wird wieder auf die Rückbank geladen und angeschnallt. Weiter gehts.

Am Ende der stundenlangen Fahrt durch das Innere Korsikas (Serpentinen…) winkt vor allem dem Fondpassagier wiederum die Verheißung einer erholsamen, diesmal langen Schiffsreise zum europäischen Festland, nach Toulon. Auto mit Koffer inklusive.

Dort angekommen bezieht man Quartier in einer Hotelanlage und entscheidet risikobereit, wohl auch ein wenig resigniert, den Koffer während der Nacht sichtbar auf der Rückbank zu belassen. Was Wunder: er liegt noch am nächsten Morgen auf der Rückbank des verschlossenen Autos. Offensichtlich war niemand auf die Idee gekommen, nächtens schwerathletische Übungen vorzunehmen.

Und so gelangt der Koffer nach tagelanger Autofahrt wieder in sein Ursprungsland. Zurück in den Odenwald. Zwischenlagerung im Elternhaus, dann gelegentliche Mitnahme des liebgewonnenen Stückes zum Sohn. Der quittiert den Empfang mit den Worten: „Ach wie schade, dass wir das schöne Schlauchboot nicht benutzt haben, wir hätten ja alle darin Platz gefunden“. Der Vater - die Odyssee des Koffer-Fahrgastes und die Mühsal der nautischen Manöver mit der Jacht abwägend und seine Reminiszenzen an das absurde Theater Ionescos und Becketts verdrängend: "Na ja, wir hatten ja mit dem großen Boot genug zu tun".-

 

Hallo Dieter
Willkommen hier bei kg.de.

Reine Pointengeschichten sind immer heikel. Wenn die Pointe nicht sitzt, fällt die ganze Story durch. Leider bietet dein Roadmovie nicht viel an Unterhaltung, da wird der Koffer mal eingeladen, mal umgeladen, die Treppe hochgeschleift, usw.
Und nun? Ich konnte zwei drei Abschnitte weiter scrollen und hatte das Gefühl, nix verpasst zu haben.
Doch, halt, einmal war plötzlich die Tochter da. Aber die war tatsächlich einfach plötzlich da.:D

Und dann kam die Pointe, nun ja, du hast den ganzen Text lang so heftig mit dem Zaunpfahl gewunken, da konnte ja nur ein Klavier, äh Schlauchboot zum Vorschein kommen.

Fazit: Fehlende Charakteren, zu langer Text (oft Wiederholungen), flaue Pointe.

Nix für ungut,
Gruss.dot

 

Also ich sehe das nicht so kritisch... Originelle Geschichte und guter Spannungsbogen! Man geht sprichwörtlich mit dem Koffer auf unbekannte Reise und ist neugierig auf das Ziel. Der Erzählstil ist pfiffig und unterstreicht den humoristischen Charakter der Geschichte. Ich persönlich fand die Pointe gelungen, wenngleich die Geschichte insgesamt sicherlich noch gestrafft werden könnte.
Gruss
silke2972

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dieter,

Grundidee, Pointe und Gestaltung finde ich pfiffig und lustig. Man kann sich vorstellen, wie euer Urlaub war. Und die blauen Flecken an der Hüfte der Tochter sind auch phantasiefähig. Natürlich habe ich wie jeder, der hier was reinschreibt, ein paar Verbesserungsvorschläge für die zweite Version (die angegangen werden sollte):
- in Gesprächen Spannung erzeugen, was im Koffer drin ist
- Es ist nicht klar, warum mit dem Sohn, der ja bei der Fahrt dabei ist, nicht über den Inhalt gesprochen wird. Wäre es nicht besser, er käme nach in den Urlaub statt der Tochter?
- Die Konkurrenz zwischen Koffer und Passagieren immer wieder und schon von Anfang an zum Thema machen: fährt man doch wegen des Koffers schon mal eine Stunde länger und überholt nicht so spritzig. Er sollte also immer wieder nerven.
- Mehr Dialoge statt Erzählerbericht: Parallele, sich ähnlich wiederholende Dialoge: „Was machen wir mit dem Koffer? Erst mal noch nichts. Brauchen wir schon noch“
- Auch am Schluss die Pointe im Dialog. Ich denke, Dialoge machen lebhaft und dramatisieren.
Ich habe übrigens die ganze Zeit geglaubt, dass irgendwas Leckeres zum Essen im Koffer vergammelt, da nicht immer ein Schattenplatz vorhanden ist.

Schreiberlichen Gruß
Woga

 
Zuletzt bearbeitet:

Zwei Fragen zu Gruss.dot:
Kann man Kritik auch selber fintig setzen oder macht's nur Spaß mit der Lanze durch die Mitte?
Wo ist dein Musterbeispiel?
Gruß Woga

 

Hallo Woga,
Deine Vorschläge sind sehr konstruktiv und hilfreich. Besten Dank. Im neuen Jahr werde ich sie bei einer Neubearbeitung berücksichtigen.
Weihnachtliche Grüsse
Dieter

 

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