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Der Kurschatten

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24.11.2007
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Der Kurschatten

Sie waren nach dem Abendessen losgelaufen. Es war der Tisch einunddreißig der Kurklinik im winterlichen Allgäu. In den letzten drei Wochen hatten sie viel Spaß miteinander, drei mal am Tag.
Frühstück, Mittagessen, Abendessen.
Eine witzig, hitzige Atmosphäre ließ die vier Menschen ihre weitere und nähere Umgebung völlig vergessen. Sie waren sich selbst genug.
Hatti der Student der Ökonomie, der sich beim Fußball die Bandscheibe ruiniert hatte und mit unglaublicher Naivität und anerzogener Nettigkeit die beiden Damen am Tisch zu begeistern wusste.
Die Damen – eine groß, schlank, blond ruhig im Wesen, eine Gabi, geschieden von einem Lehrer- mit sichtbaren Bandscheibenproblemen.
Die zweite Dame am Tisch, Ute, um die fünfzig, bebrillt, mit sehr fraulicher Figur, schwarzhaarig, hintergründig, Hausfrau und Ehefrau eines sicher angesehenen, wohlhabenden Unternehmers.
Ute hatte das Selbstverständnis einer Frau, der das Wort Geldsorgen fremd waren, auch sie hatte Probleme mit der Bandscheibe.
Der vierte, männlich, Manfred hatte eine bei Operation vermurkste Hüfte, einen verkürzten Fuß, dessen Länge er aber durch eine Schuherhöhung fast unmerklich ausglich.
Manfred war der rethorische Anführer am Tisch. Er sprühte vor Ideen und Witz, meist war Hatti der Naive, sein Opfer, die Damen amüsierten sich.
Man spürte förmlich das Knistern am Tisch einunddreißig. Oft reichte das Wort „Mahlzeit“ um Gelächter und Hintergründiges zu generieren. Sie verstanden sich!

Das Jägerstüberl, etwa zwanzig Minuten zu Fuß von der Klinik entfernt war das Ziel vom Tisch einunddreißig. Hier gab es einen runden Tisch im Eck hinter der Garderobe und wenn genügend Gäste kamen, dann hing die Garderobe voller Mäntel und Jacken und machte aus dem runden Tisch im Eck ein lauschiges Plätzchen, gemütlich und warm und fast nicht mehr einsehbar.

Die vier tranken Kaiserstühler Wein, einen Weißherbst und der verfehlte seine Wirkung nicht.
Die Stimmung war ausgelassen, unbeschwert, Manfred erzählte Geschichten aus vergangenen Tagen, Hatti quittierte mit offenem Mund und fassungslos. Erneut waren es die Damen am Tisch, die sich bogen vor lachen und nicht mehr beruhigen wollten.

Doch gab es kleine Anzeichen der jeweils persönlichen Interessen und Neigungen. Wer hilft wem in den Mantel und warum?
Wer erweist sich ritterlich in den kleinsten Dingen, hält die Türe auf für wen? Ein leises Hinterfragen .“Na wie geht es heute, besser? Vertrautheiten zu zweit schlichen sich ein, zufällige Berührungen, zuvorkommendes Verhalten, mal da mal dort – Unsicherheiten.
Hatti war neutralisiert, das Problem hatte Manfred. Vom Alter her passte er exakt zwischen die beiden Frauen. Eine, Gabi war vier fünf Jahre jünger, Ute drei vier Jahre älter.
Manfred näherte sich Gabi, unbemerkt aber emotional.– zunächst. Es gab entsprechende Blickkontakte bei Tisch und auch sonst. Gabi begann, Manfred in Schutz zu nehmen, sie dachte für ihn voraus. Ein kleiner suchender Blick von Manfred am Frühstückstisch genügte und Gabi fragte: „Suchst du den Zucker Manfred?“ Später erfolgte dies bereits wortlos. Man hatte den Eindruck, Gabi begann erst dann ihre eigenen Bedürfnisse zu entdecken, wenn bei Manfred alles perfekt organisiert war. Ute, die ältere und erfahrenere hielt sich demonstrativ zurück, registrierte aber alles.
Manfred genoss den herausgehobenen Status der kleinen aber unübersehbaren Aufmerksamkeiten seiner Person gegenüber.

Sie verließen das Jägerstüberl in Hochstimmung. Seit Stunden hatte es geschneit und es schneite immer noch. Die vier bestaunten einen halben Meter Neuschnee, testeten ihr Schuhwerk für den Heimweg. Gabi war wohl die erste, die einen dicken Ballen frischen Schnee Hatti in den Halskragen verfrachtete. Was folgte, war eine wilde Schneeballschlacht. Einer überraschte den anderen, schlich sich an, stopfte soviel Schnee er tragen konnte in den Mantel oder Jackenkragen des anderen.
Ute erwischte Manfred, der ausgerutscht war und wie ein Käfer am Boden zappelte, mit einer vollen Ladung im Gesicht, rannte davon, versuchte es zumindest. Manfred präparierte einen übergroßen Schneeball, suchte Ute im Mondlicht, hetzte ihr nach, reißt sie zu Boden, beide versinken sie im weichen Schnee.
Ute, auf dem Rücken liegend, im Schnee fast versunken, Manfred keuchend über ihr mit nassem Gesicht und Haaren. Genüsslich zerreibt er den weichen Schnee in Utes Gesicht. Er liegt mit seinem ganzen Gewicht, die Beine gespreizt auf diesem weichen Frauenkörper. Ute ist entspannt, keine Geste der Abwehr, kein anziehen ihrer Beine, keine Hand die sich gegen den rüden, männlichen Angriff zur Wehr setzt. Nein, ihre Augen sind geschlossen unter der mit Schneewasser bestandenen Brille, kein Laut. Sie ist ohnmächtig, oder sie genießt diese Situation.
Manfred wird jäh aus dieser Attacke zurückgeholt. Mein Gott, die Frau hat Bandscheibenprobleme und du führst dich hier auf wie ein junger Hengst. „Ist dir etwas passiert, hast du Probleme mit deinem Rücken – ich Idiot!“ Manfred streicht ihr den wässerigen Schnee aus dem Gesicht, springt auf und hilft Ute ebenfalls auf die Beine.
Den Rest des Weges gehen sie zu viert, ruhig und entspannt, der Schnee rieselt unaufhörlich.

Manfred liegt im Bett, den Abend nochmals vor Augen. Er schwört innerlich –ein Viertel Wein weniger, hätte auch genügt.
Er spürt den Frauenkörper unter seinen Lenden, draußen im Schnee, wie weich und innig, wie selbstverständlich sie ihn ertragen und aufgenommen hat. Manfred ist durcheinander, was ist da passiert auf dem Nachhauseweg. Warum liegt sie da mit geschlossenen Augen und vollem Bewusstsein ohne jegliche Abwehr?

Die nächsten Tage verlaufen in Harmonie, man genießt die Allgäuer Winterlandschaft, pflegt die üblichen Flachsereien, Manfred war zwischenzeitlich beim Kaffee in Gabis Zimmer, nachmittags und in allen Ehren.
Er versucht die Schneeballszene in den Bereich der Zufälligkeiten abzuschieben, ja in der Zwischenzeit entwickelte sich eine Art platonische Liebesbeziehung zu Gabi, eine Seelenverwandtschaft auf der Basis der Malerei.
An diesem Abend sitzen die vier beim „Herzerln“, einem Kartenspiel mit Zufälligkeiten und Schnelligkeit im Aufenthaltsraum, die Stimmung ist gelöst.
Sie verlassen gegen elf Uhr den Raum, allgemeine Bettruhe in der Klinik.

Bereits auf dem Gang, nimmt Ute Manfred zur Seite, schaut ihn an, sagt ruhig und gelassen: „Was ist, kommst du heute Nacht auf mein Zimmer?
Diese kühl und ohne jegliche Aufregung gestellte Frage einer nicht mehr ganz jungen Frau aus besten Verhältnissen löste bei Manfred erstmalig Fassungslosigkeit aus. Sein Blick wurde unsicher, er konnte das eben gehörte nicht glauben: „Was ist- kommst du heut Nacht auf mein Zimmer?“ Diese konkrete Frage hing bleischwer für Sekunden zwischen den beiden.


Manfred, ohne die Spur einer Chance hört sich selbst sagen: „Gib mir die Zimmernummer!“ „Das ist die „303 und drei mal klopfen – in zehn Minuten“, die Antwort. Sie holen die anderen ein, auf dem langen Flur.

Also, dann Gute Nacht!

Wie in Trance verabschiedet er sich von der Gruppe, ist in wenigen Augenblicken auf seinem Zimmer.
Manfred steht unter der Dusche, nicht wissend, was mit ihm geschieht. Was machst du da, warum gehst du nicht einfach schlafen. Hast du auch alles richtig verstanden? Die Frau ist irre, gehe nicht! Was ist morgen? Kannst du ihr erklären, warum du kneifst? Ok, du bist schwul, das ginge vielleicht, aber das hättest du auch gleich sagen können, oder?
Kannst du dir selbst erklären, warum du diese Frau aufsuchen willst? Ein „Mensch Ärgere Dich Nicht“ wird sie wohl kaum aufgebaut haben.
Sie will dich! Jetzt, heute, in fünf Minuten! Wie war die Zimmernummer – 303- also dritter Stock. Was ist, wenn die Nachtschwester über den Weg läuft? Überhaupt, wenn sie dich erwischen, dann fliegst du, sie auch, soviel ist sicher.
No risk, no fun – du willst es doch, gib es zu, ein Abenteuer. Bist du ein Mann oder ein Waschlappen? Reiß dich zusammen, wird schon schief gehen.
Manfred, im leichten, blauen Addidas Anzug und Turnschuhen huscht über die mit Nadelfilz ausgelegten langen Flure. Zwei Geschosse höher über die Treppe, den Gang zurück 301, 302, 303. Jetzt gilt es. Was ist wenn, du dich verhört hast, könnte es nicht auch 304 oder 305 gewesen sein. Was sagst du wenn, ein Mann die Türe öffnet, oder eine alte Frau „mordio“ schreit?
Drei vernehmliche, dennoch leise Klopfzeichen, die Tür geht auf, Ute hält den Zeigefinger senkrecht vor ihren Mund, er tritt ein, Ute schließt leise die Türe.
Frischer, großer Blumenstrauß auf dem Sideboard, im silbernen Sektkühler ein Moet Chandon der ganze Raum eine Spielwiese. Das Oberbett ausgebreitet auf dem Teppichboden, vereinzelt liegen Kissen darauf. Das stereotype weiß der Laken abgedeckt mit beigefarbenen, schweren Tagesdecken. Kein Zimmer einer Kuranstalt, eine Liebeshöhle – wie ist das möglich?
Manfred steht im Zimmer, unsicher ist untertrieben. Alles was er sieht trägt eine eindeutige Handschrift, die der bevorstehenden Liebesnacht.
Trotzdem, es fehlt etwas Entscheidendes. Es ist die Geschichte davor, die Geschichte einer Eroberung, egal von wessen Seite. Der Flirt, der subtil vorhanden aber dennoch auf vier Menschen verteilt war, der Weg zur Intimität, er war nie gegangen worden. Wie Schuppen vor den Augen erinnert sich Manfred an die Schneeballschlacht, an das sekundenlange Gefühl, mit dieser Frau vereint zu sein im Schnee, ihre Hingabe, ihr offensichtliches Genießen der entstandenen Situation, ihr Beobachten bei Tisch, ihr Schweigen bei emotionalen Situationen.
Hier hat jemand seine eigene Geschichte, seine eigenen Vorstellungen in Szene gesetzt, unbeirrt und sicher, dass es auch klappen würde.
Manfred begriff. Er hatte eine notwendige, aber im Grunde austauschbare Rolle in diesem Spiel. Ein scheinbar geeignetes, brauchbares Medium in dieser Inszenierung. Er versuchte dieser Rolle gerecht zu werden, machte den Schritt nach vorne, küsste Ute zärtlich auf die geschlossenen Lippen, murmelte Unverständliches. Erneut bemerkte er die Innigkeit zu der Ute fähig war, das gleiche unbeschreibliche, wohlige Gefühl völliger Hingabe brachte sie entgegen, wie nachts im tiefen Schnee liegend. Nichts sperrte sich, nichts wehrte ab, Weichheit der Bewegung, Weichheit der Gesten der leise gestammelten Worte.
Zieh dich aus, bitte ziehe dich aus – du kannst dich hier auf den Boden legen, das Bett- es könnte Knarren. Übrigens, habe keine Sorge, die Nachtschwester wird uns nicht stören, sie weiß Bescheid. Ich bin gleich zurück und bitte lösche das Licht, es macht mir Probleme. Ute verschwand im Bad.
Nackt lag er auf der samtweichen Mohairdecke, darunter das Daunenoberbett, er drehte sich auf den Bauch um seine Erregung zu verbergen. Das Licht hatte er gelöscht und schaute auf den Sektkühler, die Blumen, die Vereinbarung mit der Nachtschwester, Ute hatte nichts dem Zufall überlassen. Sie war sich sicher.
Weiche Fingerspitzen berührten seine empfindlichen Nervenbahnen auf dem Rücken, strichen entlang, kehrten zurück. Sie suchten einander, begannen zu erforschen, zunächst langsam, zärtlich, behutsam- ihre Lippen trafen sich, Ihre Zungen begannen ein Spiel der Willenlosigkeit, wie auch der Willensstärke, unendlich lange. Hände tasteten, suchten, wurden abgewiesen um erneut zu erfahren. Zeit der unglaublichen Glückseligkeit.
Ute hatte gespart, lange Zeit gespart ihre Empfindungen jemandem anzuvertrauen. Es brach aus ihr hervor, ähnlich einem Vulkan und die große Schweigerin begann zu erzählen, zu bitten und zu jammern um zum Schweigen zurückzukehren.
Der Champagner, prickelnd auf der Haut und im Gaumen, ein willkommener Begleiter der verbliebenen drei Nächte.
Manfred ging in Richtung Ausgang. Seine Zeit war vorüber. Im Empfang stand eine glücksstrahlende Ute, untergehakt bei einem Mann, um die sechzig.
Manfred versuchte mit einem schüchternen: „Also dann guten Nachhauseweg“ an den beiden vorbei zu kommen, was Ute verhinderte. „Manfred, das ist mein Mann, der mich jetzt nachhause bringen wird“ zu ihrem Mann gewandt „das ist Manfred, dem ich diesen einzigartigen Erfolg meiner Kur zu verdanken habe. Beide geben sich die Hände!

© Griffel

 

Hallo Griffel,

wenn du deinen Text nicht-fettgedruckt einstellst, bekommst du mehr Leser.

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo Griffel!

Ich habe die fettgedruckte Formatierung geändert, ich seh dafür keine Rechtfertigung. Passagenweise ist das okay, aber bitte nicht die ganze Geschichte.

Liebe Grüße,
strudel

 
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Hallo strudel,
war ein Versehen, bitte um Nachsicht!
Liebe Grüße
GRIFFEL

hallo yours,
war ein Versehen meinerseits. Mein erster Beitrag, ich bitte um Nachsicht!
Horido GRIFFEL

 

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