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Der Park
Langsam beginne ich mich zu fragen, ob heute überhaupt noch etwas passieren wird.
„Geduld hat sich schon immer ausgezahlt“, mache ich mir Mut.
Leise husche ich hinter ein Gebüsch und gehe in die Hocke. Von dort habe ich einen guten Blick auf den einsamen Weg am Rande des Stadtparks. Die zerknüllten Pappbecher, die leeren Bierflaschen, die unzähligen Zigarettenkippen und der ganze andere Müll um mich herum ignoriere ich. Plötzlich nehme ich den Geruch feuchter Erde wahr. Er erinnert mich an meine Kindheit, als ich oft stundenlang im Wald hinter unserem Haus „gespielt“ habe und abends vollkommen verdreckt zu einer Mutter gekommen bin. Sie hat mich damals immer ausgeschimpft und mir gesagt ich solle ihr nicht immer so viel Arbeit bereiten. Hätte sie gewusst was ich dort oben im Wald so trieb, die verschmutzen Kleider wären von diesem Moment an ihre geringste Sorge gewesen.
Doch nun bin ich hier im Park. Der Wald von damals ist weit weg und meine Mutter seit vielen Jahren tot, einzig die Gedanken an Früher sind gerade jetzt so nahe wie schon lange nicht mehr. Ich atme tief ein und male mir aus wie schön es sein wird. Inzwischen habe ich viel dazugelernt, bin besser geworden. Und auch heute – da bin ich mir sicher – werde ich nicht versagen, solange ich mich an die goldene Regel halte und jedem Risiko aus dem Weg gehe.
***
„Ich hasse dieses Arschloch. Er ist der mieseste Bastard der mir je untergekommen ist. Kann er sich nicht einmal zurückhalten? Nein, er musste es ja soweit kommen lassen.“
Ich muss die Wut runterschlucken, sonst platzt mir der Schädel. Gerade noch war ich gut gelaunt auf der Party meiner besten Freundin und schon finde ich mich auf der Straße wieder. So wütend, dass ich auf der Stelle jemanden umbringen könnte. Besonders ihn, diesen untreuen Scheisskerl. Und obwohl ich ihn momentan mehr hasse als alles auf dieser Welt, weiß ich, dass ich nicht leicht darüber wegkommen werde. Aus unerklärlichen Gründen will sich eine Hälfte von mir nicht so schnell trennen. Dieses Gefühlchaos ist zum kotzen. Nur in einem Punkt war ich mir einig: Ich wollte weg von hier. Zum Glück habe ich auf der Party nichts getrunken, überhaupt trinke ich eher selten. Das habe ich immer meinem frisch gebackenen Ex-Freund überlassen. Er und seine Kumpel sind in Gegenwart von Alkohol nur schwer zu bremsen und damit hätte ich auch noch kein Problem gehabt – jedenfalls keines über das sich nicht hinwegsehen ließe. Doch was er vorhin abgezogen hat war einfach unbeschreiblich. Ausgerechnet mit dieser Schlampe ... Egal, es ist passiert und ich werde meine Konsequenzen daraus ziehen – endgültig!
In dem Moment kommt ein eiskalter Wind auf. Da ich sowieso schon friere schließe ich meine Jacke bis zum Kragen. Hastig wische ich mir noch ein paar verirrte blonde Strähnen hinter das Ohr und beschleunige meine Schritte. Ich will nur noch Heim und hoffte innständig, dass dieser schreckliche Abend endlich ein Ende nimmt.
***
Meiner Mutter habe ich erzählt ich würde an den Weiher gehen, ein wenig angeln. Doch das stimmte nicht, wie immer habe ich mich in den Wald geschlichen. Vorsichtig schaue ich mich um. Mit akribischer Sorgfalt durchkämmen meine Blicke die Umgebung. Keine Spaziergänger, keine Hundebesitzer auf Abwegen und keine Jäger auf den Hochsitzen, die mit ihren Ferngläsern die größte Gefahr für mich darstellen. Langsam gehe ich weiter, immer ein Auge auf meine Umwelt gerichtet. Plötzlich ein aufgeregtes Rascheln im Laub hinter mir. Ängstlich drehe ich mich und erkenne gerade noch ein Grünspecht der sich eilig durch die Baumkronen davonmacht.
„Nur ein scheiss Vogel. Reiß dich gefälligst zusammen, du bist nicht zum ersten Mal hier“, ermahne ich mich zur Ruhe. Ein paar Schritte noch. Gleich hinter dem umgefallenen Baumstumpf, dessen gespenstisch weit aufgerissenen Wurzeln mich in Empfang nehmen, wartet das Ziel meines Ausflugs.
Vor zwei Monaten war ich das erste Mal hier. Eigentlich wollte ich mir ein geheimes Lager bauen, was man eben als zwölfjähriger im Wald so macht. Doch dann habe ich sie gefunden. Wie sie hierher gekommen ist weiß ich nicht, auch nicht wer es getan hat und warum. Anfangs habe ich nur ihre Hand gesehen. Man sollte meinen, dass einem als Kind so etwas einen riesigen Schrecken einjagt und man schreiend davonrennt. Doch bei mir war das anders. Ich blieb stehen und wurde von einer unergründlichen Neugier gepackt. Nachdem einige Zeit vergangen war, in der ich einfach nur so dastand, begann ich ihren Körper freizulegen. Derjenige der sie hier verstecken wollte, hat sich offensichtlich nicht wirklich Mühe dabei gegeben. Man könnte fast meinen er habe damit gerechnet, dass man sie finden würde. Als ich ihren Kopf von Erde und Ästen befreite, fielen mir sofort bläulich-rote Male an ihrem Hals auf. Auch in meiner Unbedarftheit konnte ich mir zusammenreimen was hier passiert war. Ich hatte also eine tote Frau im Wald gefunden, brutal ermordet und anschließend dilettantisch vergraben. Und auf eine unerklärliche Art und Weise hatte sie mich berührt. Ihre zarte, blasse Haut, ihr kindliches Gesicht – obwohl sie offensichtlich eine Erwachsene sein musste - ihre vollen blonden Haare und ihr makelloser nackter Körper haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Sie konnte noch nicht lange tot sein, sie war kaum entstellt. Und hätte ich sie nicht unter diesen Umständen an diesem Ort gefunden, ich hätte sie für eine schlafende Göttin gehalten.
Nun acht Wochen später komme ich immer noch regelmäßig zu ihr in den Wald. Niemandem habe ich von ihr erzählt und im Gegensatz zu ihrem Mörder gebe ich mir jede Menge Mühe sie beim Verlassen so gut zu verstecken wie es mir meine geringen Kräfte und meine kleinen Hände erlauben. Sie ist mein Schatz. Und obwohl der Lauf der Natur und das Wetter an ihrer Schönheit zehren, so denke ich keine Sekunde daran sie zu verraten. Nicht einmal wenn irgendwann ihre staubigen Knochen das Einzige sein werden, was von ihr übrig ist. Niemals.
***
Ich überquere die große Kreuzung am Rande des Stadtparks. Sie ist jetzt menschenleer und das einzige was an die tägliche Blechlawine erinnert, die in gequälter Behäbigkeit über den Asphalt rollt, sind die Ampeln welche in monotonem Orange vor sich hinblinken. Bis zu meinem Auto sind es nur noch etwa 500 Meter. Wie so oft kam ich etwas zu spät auf die Party – selbstverständlich nur weil ich den weitesten Weg habe und nicht weil meine verdammten Lieblingsschuhe nicht auffindbar waren – und somit musste ich wieder einmal mit einem Parkplatz außerhalb vorlieb nehmen. Doch ich störe mich nur wenig an meinem unfreiwilligen Spaziergang, ich finde ein wenig Frischluft tut meiner gequälten Seele im Moment sogar richtig gut. Nur noch dieses kurze Stück durch den Park und direkt dahinter habe ich mein Auto abgestellt. Es ist mein ganzer Stolz, auch wenn Außenstehende es eher als rot lackiertes Stück Rost bezeichnen würden. Er hat mir schon viele treue Dienste erwiesen und in ihm habe ich auch meinen frisch gebackenen Ex-Freund das erste Mal geküsst. Momentan allerdings steht mir der Sinn nach allem anderen als Küssen. Eigentlich wäre mir jetzt ein schwerer Holzknüppel recht, mit dem ich ihm ein wenig Anstand und Vernunft in seine hohle Rauschbirne kloppe. Ich merke wie erneut die Wut über diesen Hohlkopf in mir hochkocht. Ich erinnere mich an die Worte meiner Mutter, ich solle mich mit starken Emotionen nicht ans Steuer setzen, und versuche mich abzuregen.
Jetzt betrete ich den Park und kurz überkommt mich ein beklemmendes Gefühl. Ebenso schnell wie es gekommen war schwindet es, als ich am Ende des Weges mein Auto erkenne. Wieder erfasst mich ein kühler Wind und reflexartig erhöhe ich ein weiteres Mal mein Lauftempo.
***
Beinahe zwanzig Jahre ist es nun her seit jenem Tag im Wald, an dem ich meine Leidenschaft für das Vergängliche, für die Schönheit des Morbiden oder kurz, meine Liebe für den Tod entdeckt habe. Doch bei mir ist es nicht diese sentimetal-nostalgische Liebe wie sie jene pflegen die auf Friedhöfen spazieren gehen und die moosbewachsenen Grabsteine bewundern. Nein, bei mir ist es die Liebe zum toten Körper. Erst das Sterben, dann der Verfall. Für mich verliert der Mensch nach seinem Tod nicht an Schönheit. Ich kann den Ekel nicht verstehen, den unsere Kultur gegenüber totem Fleisch hat. Das ich mich schon damals in dieser Ansicht von allen anderen deutlich unterschieden habe war mir von Anfang an bewusst und so habe ich mit niemandem darüber gesprochen. Ich hatte angst man würde mich für krank erklären und mich von ihr trennen. Über die Jahre habe ich dann eine ganz besondere Beziehung zu ihr aufgebaut. Auch später, als die anderen Jungs sich ihre ersten Freundinnen gesucht und ihre Sexualität entdeckt haben, bin ich weiterhin in den Wald hinter unserem Dorf gegangen. Mit der Zeit änderten sich auch meine Bedürfnisse. Eines Tages habe ich damit angefangen mit neben ihrem Grad selbst zu befriedigen. Ein Ritual das ich so über zehn Jahre pflegte. Dann kam was ich zu Beginn nicht für möglich gehalten hatte. Die Beziehung fing an mich zu langweilen. Ich brauchte Abwechslung, eine Affäre um den Kick zu erneuern. Doch diese würde ich nicht im Internet, in Datingbörsen und auch nicht im Café an der Ecke finden.
Ich fand sie im Tod junger Frauen.
Anfangs stellte ich mich noch etwas ungeschickt an. Aber ich verbesserte mich, wurde geschickter und erlangte Übung.
Nachdem ich sie getötet hatte, schaffte ich sie in den Wald. Ich wollte vor meiner einzig wahren Liebe keine Geheimnisse haben, darum zeigte ich ihr jede Fremde mit der ich Spaß haben wollte. Anschließend begrub ich die Leichen und widmete mich wieder ihr - vermutlich aus Reue sie betrogen zu haben - bis mich erneut die Langeweile packte. So wie heute.
„Wo ist nur dieser verdammte Autoschlüssel?“
Abrupt reißt mich eine jugendliche Frauenstimme aus meinen Gedanken. Erst kann ich sie gar nicht richtig erkennen, doch als sie näher kommt weiß ich sie ist es. Heute bist du meine Auserwählte. Blond, jung, von bemerkenswert graziler Figur – soweit man das unter ihrer bis zum Kragen hochgezogenen Jacke erkennen kann. Offensichtlich ist sie in Eile und in ihrer Stimme liegt eine unübliche Dosis Wut.
Ich lasse sie noch ein paar Meter auf mich zukommen. Vor Aufregung pocht mein Herz und ich versuche meine Atmung zu kontrollieren, was mir nur schwerlich gelingt. Es ist bestimmt schon neun Monate her seit der Letzten. Ich stelle mir vor wie langsam die Farbe aus ihrem Gesicht schwindet und den Blick frei gibt auf ihre wahre Schönheit. Erregung durchfährt meinen ganzen Körper.
***
Ordnung war noch nie meine Stärke und auch meine Handtasche war da keine Ausnahme. Dieser bescheuerte Autoschlüssel will sich einfach nicht zeigen. Doch, das muss er sein! Jawohl, endlich habe ich ihn, noch ein paar Meter dann wird erstmal die Heizung eingeschaltet, diese Kälte hält ja kein Mensch aus.
Nur noch etwa fünfzehn Meter, zehn, neun, acht ... Meine Aufregung lässt sich kaum noch verbergen.
„Klingeling, klingeling, klingeling“, ein schrill kreischendes Klingeln reißt mich aus meiner Vorbereitung. Verdammte Scheisse ein Handy. Unwillkürlich ducke ich mich ein wenig und warte weiter ab.
„Klingeling, klingeling, klingeling.“ Auch das noch, wer will denn um diese Uhrzeit noch was von mir wissen? Entnervt krame ich mein zerkratztes Handy aus der Tasche, diesmal sogar auf den ersten Griff.
Unbekannte Nummer.
„Hallo? Wer ist denn da, ich hoffe es ist wichtig?“, fauche ich.
„Hey ich bin es, ich wollte ...“, lallt mir eine Männerstimme entgegen.
„Nichts willst du, du verdammtes Schwein. Und jetzt lass mich endgültig in Ruhe. Lieber würde ich sterben, als nur noch ein einziges Wort mit dir zu wechseln.“
Meine Stimme überschlägt sich beinahe, als ich ans Auto trete.
„Ich hab jetzt keine Zeit und keine Lust. Einen schrecklichen Abend noch du Arsch.“
Absolut entnervt steige ich ein, pfeffere das Handy auf den Beifahrersitz, starte den Motor und fahre los.
„Nie kann ich mal Glück haben, immer bin ich die Dumme“, denke ich noch so bei mir, als ich um die Ecke biege und meinen Heimweg über die große Kreuzung mit den orange blinkenden Ampeln fortsetze.
„Lieber würde ich sterben.“ lange denke ich über diesen Satz der jungen Frau nach und wie leichtsinnig sie ihn gebraucht hat. „Ach wenn sie doch nur wüsste, wie gerne ich ihr diesen Wunsch erfüllt hätte“, seufze ich vor mich hin, bevor auch ich meinen Weg nach Hause antrete. Heim zu meiner Frau, denn da stört mich niemand. Nicht einmal ein Handy.