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Der Preis der Rache

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09.12.2013
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Der Preis der Rache

„Shit, shit, shit.“, fluchte Kathrin leise mit jedem humpelnden Schritt, während die Stimmen ihrer Verfolger stetig lauter wurden.
„Wo ist sie hin?“
„Findet das Miststück!“
„Sie darf uns nicht entkommen!“
Ihr Atemzüge wurden mit jeder Sekunde kürzer. Ihr rechtes Bein schmerzte höllisch, Blut sickerte aus der Schusswunde an ihrem Oberschenkel in den Stoff ihrer Jeans und der Schweiß lief ihr in kleinen Tröpfchen den Nacken hinab. Das kurze Haar klebte ihr an der Stirn, wodurch einzelne Strähnen ihr die Sicht verbargen. Energisch wischte sie sich mit der flachen Hand über ihr Gesicht.
Sie hatte Mist gebaut. Großen Mist. Verdammt. Wie hatte sie nur so versagen können?
Sie ballte ihre Hand zur Faust und schlug immer wieder mit aller Kraft gegen die feuchte Steinmauer zu ihrer Rechten bis ihre Knöchel blutige Wunden aufwiesen. Unbändiger Zorn über ihre eigene Dummheit wallte in ihr hoch, während sie durch das Labyrinth der dunklen Gassen der Großstadt hetzte.
Ein paar Sekunden. Nur ein paar verdammte Sekunden mehr, dann wäre sie ohne Probleme entkommen. Ihr Glück hatte sie wohl endgültig verlassen, dachte sie grimmig, während sie ihre Hand auf das verletzte Bein presste, um die Blutung zu verringern, doch die rote Flüssigkeit floss an ihren Fingern entlang und fiel in dicken tropfen zu Boden. Der leichte Nieselregen vermochte diese Spur nicht zu verwischen.
„Hier ist Blut!“, hörte sie eine aufgeregte Stimme rufen. Sie erschrak aufgrund der Lautstärke. Sie waren nicht mehr weit entfernt. Verdammt!
Wenigstens war es ein glatter Durchschuss gewesen. Der Schütze hatte wohl noch weniger Glück als sie. Er hatte noch nicht einmal den Knochen oder die Muskeln verletzt. Oder er war einfach nur unfähig. Wie auch immer: Vorteil für sie.
Kathrin bog um die nächste Ecke. Abermals kam ihr ein Fluch über die Lippen, als sie eine hohe Mauer vor sich sah. Sackgasse.
Sie drehte sich um. Zurück konnte sie nicht. Die letzte Kreuzung von Gassen lag gut fünfzehn Meter zurück. So würde sie den Verfolgern in die Arme laufen, bevor sie einen neuen Weg fand.
Hektisch blickte sie sich um. Es musste doch irgendwo einen Ausweg geben. Irgendwas.
Sie entdeckte eine metallene Tür und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht darauf zu. Sie packte die Türklinke, drückte sie nach unten, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Mit ihrem ganzen Körper stemmte sie sich gegen das störrische Metall, doch es gab keinen Millimeter nach.
Abermals fluchend trat Kathrin mit ihrem verletzten Bein gegen die Tür, was sie kurz darauf bereute. Auf einem Bein hüpfend umfasste sie ihre schmerzenden Zehen mit beiden Händen. Heute lief aber auch gar nichts rund!
Die dunklen Wolken am Himmel gaben die Sicht auf einen vollen Mond frei. Seine hellen Strahlen wurden von dunklem Glas direkt neben der Tür reflektiert. Ein Fenster! Sie hatte es vorher aufgrund der Dunkelheit nicht bemerkt, in den verfluchten Gassen gab es keine einzige Laterne, doch nun erschien ihr das Glas einladend zerbrechlich. Es hatte sie wohl doch noch nicht alles Glück verlassen.
Nur wie sollte sie das Fenster öffnen? Sie umfasste die Unterseite des Rahmens und versuchte ihn hoch zu drücken, doch kein Erfolg. Mit der Hand einschlagen kam gar nicht in Frage. Eine Verletzung war ihr mehr als genug.
Sie drehte ihren Kopf in alle Richtungen auf der Suche nach irgendetwas, um das Glas einzuschlagen. Es musste doch was geben... Ihr Blick fiel auf eine Metallstange zwischen einigen Müllsäcken neben der schweren Tür. Als hätte jemand sie extra für Kathrin dort abgelegt.
Ihr Gesicht hellte sich auf, während sie zu der Stange humpelte. Sie ergriff sie mit einer Hand, als weitere, viel zu nahe Rufe erklangen.
„Beeilt euch!“
„Sie muss hier doch irgendwo sein!“
„Verdammte Scheiße!“, zischte Kathrin, während sie sich vor dem Glas in Stellung brachte und die Stange über ihren Kopf hob. Sie musste sich beeilen. Diese Typen durften sie unter keinen Umständen erwischen. Wenn doch, würden sie sie umbringen, da war sie sich sicher.
Mit aller Kraft schlug sie mehrere Male auf das Glas ein. Sie durfte keine Zeit verlieren! Sie musste zurück. Zurück zu ihm. Sie hatte es versprochen.
Mit einem viel zu lauten Klirren zerbarst die Scheibe in tausende kleine Scherben, die den Boden hinter dem Fenster wie ein glitzernder Teppich bedeckten.
Hastig strich Kathrin mit der Stange an der Innenseite des Holzrahmens entlang, um die letzten scharfkantigen Stücke zu entfernen, dann stützte sie sich auf und schwang das verletzte Bein in den Raum, sodass sie seitwärts auf dem Holz saß.
Sie machte Anstalten das andere Bein nachzuziehen, da packte sie eine kräftige Hand am Knöchel. Sie blickte dem Mann, dem die Hand gehörte, geradewegs in die braunen Augen. Ein breites Lächeln trat langsam in sein vernarbtes Gesicht, das einige Zahnlücken entblößte.
„Hab ich dich, Miststück.“
Ohne nachzudenken ließ Kathrin die schwere Stange, die sie noch immer mit einer Hand umfasste, in seine hässliche Visage knallen. Der Mann schrie kurz auf, doch konnte er nicht mehr ausweichen. Die Stange schlug ihm auch noch den Rest seiner Zähne aus. Mit blutigem Mund sank er stöhnend zu Boden.
„Oder auch nicht, Arschloch.“
„Da ist sie!“, erklang die Stimme eines weiteren Mannes, der mit dem Finger in ihre Richtung zeigte, während er seinen Kopf den dutzend Männern hinter sich zuwandte, die hastig Pistolen aus dem Bund ihrer Hosen zogen.
Oh, Scheiße. Sie war erledigt, schoss er ihr verzweifelt durch den Kopf, als sie ihre Beine über den Rand schwang.
Pistolenkugeln flogen haarscharf an ihren Wangen vorbei. Bei dem Versuch, den andren Raum hastig zu betreten, rutschte sie mit den Händen vom Rahmen ab und landete unsanft auf den messerscharfen Scherben. Sie spürte, wie das Glas in ihre rechte Wange und ihre Handflächen schnitt. So viel zu: nicht noch mehr Verletzungen! Sie dankte der kalten Nachtluft, dass sie eine Jacke angezogen hatte, sonst wären ihre Arme jetzt auch blutig gewesen.
Vorsichtig, kroch sie über das Glas und stand gerade unter Schmerzen auf, ihr verletztes Bein machte die ganze Sache nicht gerade einfacher, als einer ihrer Verfolger an der Öffnung erschien. Er zielte mit seiner Waffe auf sie.
„Stehen bleiben!“, brüllte er, doch sie dachte gar nicht daran, seinen Worten Folge zu leisten.
Der Mondschein, der durch das zerbrochene Fenster, den ansonsten unbeleuchteten Raum erhellte, fiel auf eine hölzerne Tür direkt gegenüber von Kathrin. Hastig lief sie darauf zu, bevor eine Kugel den Boden traf, wo sie eben noch gestanden hatte. Sie öffnete die Tür mit Schwung und trat hindurch, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. Eine weitere Kugel drang in den Türrahmen zu ihrer Rechten ein, ihren Arm knapp verfehlend.
Wohin, überlegte sie panisch, während sie den nächsten Raum durchquerte, es schien ein Büro zu sein, und durch eine weitere Tür verließ. Sie drehte sich kurz im Kreis, um ihre Umgebung wahrzunehmen. Eine Halle. Sie war in einer riesigen Halle. Rechts von ihr befand sich eine Treppe, vor ihr in einiger Entfernung ein großes Rolltor. Daneben meinte sie eine Tür zu erkennen, doch war sie sich nicht sicher. Sie ging einige Schritte darauf zu, da ertönte ein lautes Surren, das sie wie angewurzelt stehen blieben ließ.
Das Tor fuhr langsam hoch. Ihre Augen weiteten sich geschockt, als Männer mit Pistolen sich durch die kleine Öffnung zwischen Boden und Metall zwängten. Das Geräusch von Schritten drang von hinten an ihr Ohr. Schnell umfasste sie das Geländer der Treppe und hastete die Stufen hoch.
Ihr Bein protestierte heftig, doch sie versuchte, es zu ignorieren. Sie musste den Typen entkommen, sonst war sie geliefert. Aber wohin als nächstes. Rechts? Oder links? Welchen Gang sollte sie nehmen? Was war der richtige Weg?
Sie blickte zurück zur Treppe. Der erste Mann setzte einen Fuß auf die Stufen. Mit einem bösen Grinsen kletterte er sie langsam nach oben, die Pistole vor sich ausgestreckt. Der Mondschein fiel ihm durch eine riesige Glasfront vor Kathrin direkt ins Gesicht.
Sie beschloss nach links zu gehen, doch ein Streifschuss ließ sie innehalten. Sie umklammerte die Wunde an ihrem Arm, während sie ihren Blick nach unten gleiten ließ.
Zwei Dutzend Männer standen dort, die Pistolen auf sie gerichtet, bereit, jeden Moment abzudrücken. Sie war gefangen.
„Du hast uns ziemlich an der Nase herumgeführt, Kathrin“, hörte sie die nasale, von ihr zutiefst verhasste Stimme des Doktors, der ihr so viele schlimme Dinge angetan hatten.
Ihre Augen richteten sich auf eine Person, die einen Schritt hinter den Männern mit den Waffen außerhalb des Lichts stand. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
Dr. Frenzke. Auch ohne sein Gesicht zu sehen, wusste sie genau, wer dort stand. Grenzenloser Hass brodelte in ihren Adern und machte es ihr schwer, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, doch die Angst ließ sie zu Eis gefrieren. Dieser Mann verkörperte das Grauen ihrer Kindheit. Er war das Monster unter ihrem Bett, das Ungeheuer im Schrank. Es war ihr schlimmster Albtraum.
„Das war wirklich dumm von dir, Kathrin“, sprach der Mann weiter, als würde er mit einer Sechsjährigen reden. Doch Kathrin war kein Kind mehr. Sie war nun eine erwachsende Frau, die keine Angst mehr vor ihm zu haben brauchte. Sie war stärker als früher und er war mit fortschreitendem Alter schwächer geworden. Selbst mit diesem Gedanken, ließ sich die Furcht nicht aus ihrem Herzen verbannen Zu viel war geschehen.
„Wir hatten dir die Freiheit gegeben“, führte der Doktor fort, während er einen Schritt nach vorne in den Mondschein trat. Kathrin konnte das hämische Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen und das grausame Glitzern in seinen hellen Augen. Alles in ihr schrie danach, von hier zu fliehen, auch wenn sie sich aus dem Fenster in den Tod stürzen musste. Das war es ihr fast wert. Bloß weg von diesem Ungeheuer.
„Du hättest nicht zurückkommen sollen, Kathrin“, erklärte er mit einem Seufzen, als wäre er maßlos von ihr enttäuscht. Was für ein schlechter Scherz!
Kathrin schluckte schwer, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. Sie wollte diesem Ungeheuer mit fester Stimme antworten. „I-Ich konnte es nicht zulassen.“ Verdammt, ihre Stimme klang immer noch ängstlich. Fünf Jahre! Es waren fünf Jahre vergangen, seit die Agency sie aus ihren Diensten entlassen hatte, trotzdem besaß Dr. Frenzke auch jetzt noch Macht über sie.
„Was konntest du nicht zulassen, Kathrin?“
Sie atmete tief ein. Ihre Augen huschten zu den Männer mit den Pistolen in den Händen. Zu viele. Sie war nicht stark genug, um diesen Ort lebend zu verlassen.
Bei diesem Gedanken stahl sich ein trauriges Lächeln auf ihren Lippen. Sie würde ihr Versprechen nicht halten können.
Sie schloss die Augen, alles um sich herum ignorierend, und sank in die Erinnerung an das Gesicht jenes Menschen, der sie gelehrt hatte zu leben. Er hatte ihr gezeigt, was Spaß bedeutete, dass diese Welt auch ein schöner Ort sein konnte. Er hatte ihr beigebracht zu lieben, eine Fähigkeit, die sie für lange Zeit verloren geglaubt hatte.
'Komm lebend zu mir zurück, Kath', hallten seine Worte, die er ihr bei ihrem Abschied ins Ohr geflüstert hatte, durch ihren Kopf.
„Verzeih, Josh“, murmelte sie, so leise, dass niemand in der Halle es hören konnte. „Das werde ich nicht schaffen.“
Langsam hob sie den Kopf und starrte zur Decke. Eine einzelne Träne lief aus ihrem Augenwinkel ihre blutige Wange hinab. Würde dies ihr Ende sein? Verdammt, sie wollte noch nicht sterben. Nicht jetzt, da sie wusste, wie schön es war zu lieben und geliebt zu werden. Sie hatte so viel Mist in ihrer Kindheit erlebt, da hatte sie doch jetzt das Recht glücklich zu sein!
Wenn sie doch niemals in diese Stadt zurückgekehrt wäre, dachte sie verzweifelt, doch kurz darauf hätte sie sich für diesen Gedanken am liebsten selbst geschlagen. Sie hatte diese Entscheidung getroffen. Niemand hatte sie dazu gedrängt, im Gegenteil, sie hatten es ihr ausreden wollen. Doch hatte sie nicht gehört. Einmal, ein einziges Mal in ihrem Leben, wünschte sie, etwas richtig zu machen. Eine gute Tat zu vollbringen, anstatt anderen nur Leid zu bereiten.
„Kathrin?“, unterbrach der Doktor ungeduldig ihre Gedanken. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er sich als den Gewinner glaubte. Sie hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr, keine Chance zu entkommen, ohne dabei ihr Leben zu verlieren. Schon immer war ihr ihr eigenes Leben wichtiger gewesen als alles andere. Doch eines wusste der Doktor noch nicht: sie hatte sich in den fünf Jahren sehr geändert. Sie war nicht mehr das egoistische Miststück von früher.
Behutsam wanderte Kathrins Hand zur Innenseite ihrer Jacke. Sie griff in eine kleine Tasche und spürte, wie ihre Finger gegen kaltes Metall stießen. Die Körper der Männer spannten sich an, sie fürchteten wohl, sie würde eine Waffe ziehen. Idioten.
„Ich werde dich mit in die Hölle nehmen, Arschloch!“, schrie Kathrin bei weitem mutiger als sie wirklich war, während sie ihre Hand aus der Jacke zog. Sie hielt einen kleinen Zünder in der Hand, der zu einer Bombe gehörte, die ein gesamtes Gebäude in Schutt und Asche legen konnte.
Der Doktor brauchte einige Sekunden, um zu reagieren. Sein Gehirn schien den unerwarteten Ausgang dieser Situation nicht verarbeiten zu können, dann zeigte sich ein panischer Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie genoss diesen Anblick in vollen Zügen. Er gab ihr die Entschlossenheit, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
„Schießt!“, brüllte Dr. Frenzke die Männer mit den Waffen an, während er auf den Ausgang zu rannte. „Erschießt sie!“
Kathrin lächelte, als sie den Auslöser des Zünders betätigte. Unzählige Kugeln drangen in ihren Körper ein, verletzten ihre Organe und drängten sie an die Schwelle des Todes.
Blut floss aus den Wunden auf den Boden und bildete eine große Pfütze um ihre schwarzen Stiefel.
Ein lauter Knall ertönte, als die Bombe hoch ging. Doch war es nicht dieses Gebäude, das zerstört wurde, sondern das Hauptquartier der Agency, jene Organisation, die Experimente an kleinen Kindern durchführte und sie zu gefühllosen, eiskalten Killern ausbildete. Wer verdächtigte schon Kinder des Mordes?
Kathrins Beine verloren ihre Kraft. Sie fiel auf ihre Knie, bevor sie wenige Sekunden später zur Seite kippte. Sie lag in ihrem eigenen Blut, das ihr von den Experimenten weiß gefärbtes Haar rot tränkte.
So lange. Sie hatte sich seit so langer Zeit gewünscht, Rache an dem monströsen Doktor zu nehmen, doch nun würde sie sterben und er lebte noch immer.
Ein Hustenanfall erfasste ihren Körper. Sie krümmte sich auf dem Boden zusammen, während eine warme Flüssigkeit aus ihren Mundwinkeln lief.
Aber sie hatte gelernt, dass es wichtigere Dinge in dieser Welt gab, als nur ihr eigenen Bedürfnisse zu stillen. Kein Kind sollte das gleiche wie sie durchmachen. Sie hatte dieses Gebäude, ihr jahrelanges Verlies einfach zerstören müssen.
Ein Paar auf Hochglanz polierte, sehr teuer aussehende Schuhe traten in ihr Blickfeld. Sie drehte ihren Kopf leicht, um in ein ihr nur allzu bekanntes Gesicht zu blicken.
„Was hast du getan?“, zischte Dr. Frenzke mit vor Wut zitternder Stimme.
Kathrins Mundwinkel zogen sich leicht zur Antwort nach oben. Sie hatte sein Lebenswerk zerstört.
Benommenheit breitete sich in ihrem Geist aus und betäubte die Höllenqualen, die ihren Körper peinigten.
„Wir werden die Organisation wieder aufbauen!“, schrie der Doktor sie hysterisch an. „Die Regierung braucht uns. Du hast rein gar nichts erreicht!“ Seine Stimme überschlug sich, sodass seine Worte am Ende kaum noch verständlich waren.
„Wovor hast du dann so viel Angst?“, flüsterte Kathrin mit schwerer Zunge. Sie war nur noch Minuten vom Tod entfernt, das spürte sie ganz deutlich. Sie bereute ihre Entscheidung nicht. Sie hatte das Richtige getan. Das erste und das letzte Mal in ihrem Leben, hatte sie etwas Gutes getan.
Der Doktor starrte sie mit abgrundtiefem Hass an. Ein Spiegel ihrer eigenen Gefühle ihm gegenüber.
Als sie noch ein kleines Kind gewesen war, hatte sie einst ihren Vater in ihm gesehen. Der einzige Mensch, der sich um sie zu kümmern schien. Doch der Schein hatte getrübt. Mit der Zeit waren die Experimente grausamer und schmerzvoller geworden. Die Mittelchen zur Stärkung ihrer Muskeln und die Pillen, um sie Immun gegen den Schmerz zu machen, hatten sie, wie es ihr damals schien, unendliche Qualen bereitet. Erst Jahre später hatte sie begriffen, dass man sie benutzte. Dass sie in den Augen der Wissenschaftler und Beamten nur eine Maschine zum Töten war. Eine Waffe. Eine Ware, die man an den Meistbietenden verhökerte.
Der Doktor holte aus und trat ihr mit aller Kraft in den Bauch. „Du dummes Ding! Nach allem, was ich für dich getan habe. Ich habe dir die Freiheit geschenkt und so dankst du mir!“ Immer wieder trat er zu, sein Gesicht von Zorn und Hass zu einer hässlichen Grimasse verzerrt. Dann ging er in die Hocke und zog sie am Kragen ihres Oberteils hoch. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt.
„Zu blöd, dass du mich nicht erwischt hast, was? Ich werde den nächsten Kindern, die sie mir liefern, noch Schlimmeres antun als dir. Ich werde ihnen erzählen, dass du die Schuld an ihrem Leid trägst und sie werden dich verfluchen!“ Ein wahnsinniger Ausdruck trat in seine Augen. „Ich werde niemals aufhören.“
„Ich weiß“, flüsterte Kathrin schwach. Auch nachdem man sie hatte gehen lassen, verfolgte sein Gesicht sie in ihren Albträumen. Nach ihrem Austritt aus der Agency hatte sie Schmerzen ertragen müssen, die sie fast in den Wahnsinn trieben. Im Endeffekt funktionierten die Pillen wie Drogen. Wenn Kathrin sie nicht einnahm, brachten die Schmerzen sie fast um. Doch nachdem sie die Organisation verlassen hatte, gab es keine Möglichkeit, an diese Mittel zu kommen. Sie hatte einen knallharten Entzug über sich ergehen lassen müssen, während sie durch das Land irrte, ohne Ziel, ohne Bekannte. Sie war alleine gewesen, verloren, hoffnungslos. Der Doktor hatte sie nicht in die Freiheit entlassen, sondern in ihren Tod geschickt. Mit achtzehn Jahren hatte man sie als zu alt befunden, um weiter Aufträge für die Agency auszuführen. Doch hatte sie das normale Leben nie kennengelernt. Sie wusste sich nicht zurechtzufinden in dieser weiten Welt. Sie kannte nur das Töten.
Selbst als sie eine kleine Familie ohne ihre Herkunft zu hinterfragen in ihrer Mitte aufgenommen und ihr das wahre leben gezeigt hatte, nachdem sie auf ihrer Farm vor Erschöpfung zusammengebrochen war, konnte sie ihre Vergangenheit nicht vergessen. Auch als sie sich das erste Mal in ihrem Leben verliebte, kehrten ihre Gedanken ständig zu dem sadistischen Doktor zurück. Sie wusste, dass er weiter Experimente mit Kindern durchführen würde, doch versuchte sie lange Zeit, dieses Wissen zu ignorieren. Warum sollte sie ihr Glück für andere opfern? Doch Josh hatte sie gelehrt, dass jedes Leben den gleichen Wert besaß. Hätte er gewusst, dass sie sich selbst über ihre Mitmenschen stellte, hätte er sie verachtet. Er war ein guter Mann mit sehr viel Mitgefühl, wofür sie ihn sehr bewunderte. Er genoss das Leben und die Menschen um ihn herum hatten für ihn einen hohen Stellenwert. Also beschloss sie, allem ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
Als sie Josh sagte, dass sie ihn verlassen müsste, stellte er im Gegensatz zu ihren Bekannten keine Fragen. Er nahm sie in den Arm, küsste sie zärtlich auf die Stirn und ließ sie ihm schwören, lebend an seine Seite zurückzukehren.
Wie sehr sie sich nach seinem Lächeln sehnte. Nach seinen dunklen Augen, seinen starken Armen, seiner tiefen, ruhigen Stimme, die sie so oft davor bewahrt hatte, in ihrer Wut zu vergehen. Sie wollte mit ihren Hände durch sein schwarzes Haar fahren, ihren Kopf auf seine Brust legen und seinem regelmäßigem Herzschlag lauschen, wie es in den letzten Jahren für sie zur Routine geworden war, bevor sie einschlief. Sie vermisste die Ruhe und den Frieden jener Tage.
Die Hand des Doktors umklammerte noch immer ihr Oberteil, wodurch er Kathrin die Gelegenheit gab, ihm gefährlich zu werden. Ihr Tod mochte zwar kurz bevorstehen, doch war sie darauf trainiert worden, all diese Gedanken auszublenden und ihren Auftrag bis zum bitteren Ende auszuführen.
Vorsichtig ließ sie eine Hand zu ihren Stiefeln wandern, ohne dass der Doktor es bemerkte. Zu sehr war er in seiner Wut und seinem Hass verloren.
Sie schob ihre zitternden Finger in den Schaft und umfasste den Griff eines kleinen Messers, das sie immer für Notfälle dort versteckt hielt. Josh hatte es ihr vor langer Zeit geschenkt, als er noch nicht wusste, wie gut sie sich auch ohne Waffen verteidigen konnte. Sie hatte es nie benutzt, aus Angst, die glatte, reine Klinge zu verschmutzen, doch dies schien ihr genau der richtige Zeitpunkt zu sein, um es einzuweihen.
Mit letzter Kraft riss sie ihren Arm hoch und rammte dem Doktor, der sie so lange gepeinigt, sie gequält und in ihren Träumen heimgesucht hatte, das Messer durch die Schläfe in den Schädel. Seine Augen weiteten sich geschockt, sein Mund öffnete sich, doch kein Laut drang heraus.
„Nach dir, du Freak“, murmelte Kathrin kaum verständlich, als sein Körper leblos in sich zusammensackte.
Erleichterung breitete sich in ihrem Herzen aus. Sie hatte es geschafft. Sie hatte das Monster erlegt! Endlich war er tot.
Am liebsten wäre sie vor Freude auf und ab gesprungen, doch dazu war sie zu müde. So unglaublich müde. Ihre Augenlider waren schwer, sie konnte sich nicht mehr bewegen. Aber sie musste doch nach Hause! Zu ihm zurück. Er wartete dort auf sie. Sie hatte es versprochen.
„Warum ruhst du dich denn aus, Kath?“, hörte sie eine tiefe Stimme in dem großen Raum hallen. Ein kräftiger Mann mit braunen Augen tauchte wie aus dem Nichts vor ihr auf.
Josh, versuchte sie zu flüstern, doch ihre Lippen versagten den Dienst. Der Mann grinste sie breit an.
„Komm schon. Wir haben noch so viel zu tun. Du kannst jetzt nicht schlafen.“
Er war zu ihr gekommen, dachte sie, von dem hohen Blutverlust ganz wirr im Kopf. Sie waren zusammen. Nie wieder würde sie alleine sein müssen.
„Auf ewig zusammen, weißt du noch, Kath?“
Ihre Brust hob sich schwach, sie nahm einen letzten, qualvollen Atemzug.
Nur kurz. Sie wollte sich nur kurz ausruhen, dann würde sie ihre Arme um ihn schlingen und gemeinsam würden sie auf ihre kleine Farm fahren. Nie wieder würde sie ihn verlassen.
Mit einem glücklichen Lächeln auf den bleichen Lippen starb Kathrin.

 

Hallo Zaidisha

Du hast versucht Motive und Handlungen, die Stoff für einen Roman hergeben würden, in eine Kurzgeschichte zu verpacken. Ein solches Unterfangen gelingt in der Regel nicht. Eine Kurzgeschichte zeichnet sich durch ihre Dichte und Konzentration aus. So wie es dasteht, hatte ich den Eindruck, dass Du voller Elan zu schreiben begannst, Details ausschmücktest und dann in eine Sackgasse kamst, da die Geschichte ein Ende finden sollte. Doch bereits zu Beginn ist unklar, warum die Protagonistin angeschossen wurde, warum sie verfolgt wird. Das Ende beantwortet diese Frage nicht eigentlich, lässt den Leser vielleicht etwas erahnen, aber mehr nicht. Von dem her finde ich die Geschichte nicht geglückt, da sie falsch konzipiert und aufgebaut ist. Spannung und Romantik, welche Du als Stichworte wähltest, drangen mir im Geist des Geschehens nicht wirklich durch. Tut mir leid, wenn das Urteil etwas vernichtend ausfällt, doch so empfand ich es als Leser.

Nachfolgend noch die Notizen, welche ich mir beim Lesen machte. Vielleicht nützen sie Dir, wenn Du Dir hier nochmals vertiefte Gedanken machst:

„Shit, shit, shit.“, fluchte Kathrin leise mit jedem humpelnden Schritt, während die Stimmen ihrer Verfolger stetig lauter wurden.

Es wirkt mir nicht plausibel, dass jemand dem Verfolger hörbar aber nicht sichtbar auf dem Fersen sind, wenn auch leise, vor sich hin flucht. In einer solchen Situation erfolgte dies dann eher stumm.
Übrigens, der Punkt nach dem letzten Shit fällt weg, da der Satz weiterführt. In einem solchen Fall können nur Frage- oder Ausrufezeichen unmittelbar folgen, was hier aber nicht infrage kommt.

Ihr Atem wurde mit jeder Sekunde flacher.

Der Umstand, von gehetzt sein und Angst rechtfertigt die Kurzatmigkeit. Mit jeder Sekunde flacher, suggeriert es jedoch eine Steigerung, die zum Stillstand führen müsste. Es dünkte mich spannender, wenn es real umschrieben wäre, etwa wie: Ihr Atem ging flach, oder Ihre Atmung erfolgte in kurzen, heftigen Stössen.

während sie durch das Labyrinth der dunklen Gassen hetzte.

Ein etwas obskures Bild, das Du da zeichnest. Ein solches Labyrinth tritt in einer solchen Stadt höchstens in einzelnen alten Quartieren auf und ist nicht kennzeichnend für diese. Wenn „der Großstadt“ wegfallen würde, stutzte man als Leser nicht. Wenn die Population von Bedeutung ist, liesse sich dies sicher noch anderswo einflechten.

Der Schütze hatte wohl noch weniger Glück als sie. Er hatte noch nicht einmal den Knochen oder die Muskeln verletzt. Oder er war einfach nur unfähig.

Ich verstehe nichts von Waffen, aber dennoch fragte ich mich bei dieser Aussage, wie nah der Schütze denn stand? Da müsste einer doch ausgebildeter Scharfschütze sein und über ein Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr verfügen, um bei einiger Entfernung abschätzen zu können, welcher Art Verletzung er bewirken kann.

Abermals fluchend trat Kathrin mit ihrem verletzten Bein gegen die Tür, was sie kurz darauf bereute. Auf einem Bein hüpfend umfasste sie ihre schmerzenden Zehen mit beiden Händen.

Dies klingt mir zu sehr nach Komik als denn Spannung. Auch das nachfolgende einschlagen des Glases, das die Verfolger hören mussten, lässt jegliche Raffinesse vermissen.

Es musste doch was geben...

Leerschlag vor Auslassungszeichen.

Den Rest habe ich nur noch überflogen, ohne Notizen zu machen, da die Handlung mir zu konfus wurde.

Wenn Du ernsthaft Kurzgeschichten schreiben willst, solltest Du Dich mal tiefer mit der Materie auseinandersetzen. Lies hierzu auch andere Geschichten hier, die vom Tenor her stimmig wirken, und beginne mal zu solchen Texten Kommentare zu verfassen. Dies hilft Dir Dich vertieft mit den Inhalten, dem Aufbau und dem Rahmen auseinanderzusetzen und zu erkennen, warum solche gelingen. Lass Dich nicht entmutigen, aber es braucht doch etwas mehr als den Willen zu schreiben. :)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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