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Der Prophet

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10.09.2001
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Der Prophet

"Ohne den festen Glauben an den einen Gott werden wir alle der Verdammnis anheimfallen. Euer Wehklagen wird durch die verwüsteten Strassen klingen, erhört ihr nicht das Wort Gottes".

Wilde Gesten begleiteten seine Ausführungen. Es misslang dem selbsternannten Propheten dadurch eine dramatische Gesamtwirkung zu erzielen. Auch das lange Gewand und seine wirren, weißen Haare halfen nicht: er wirke bemitleidenswert lächerlich. Um das Bild zu vervollständigen, hätten eigentlich nur noch ein paar Sandalen gefehlt, die aber angesichts der Kälte nicht einmal Jesus an so einem Tag getragen hätte.

"Sie werden kommen", rief er laut. Dann noch einmal leiser, fast murmelnd: "Sie werden kommen".

Er hielt einen Augenblick inne, fuhr dann aber in voller Lautstärke fort:

"Nur der Glaube an den einen Gott kann uns die Stärke geben, den teuflischen
Dämonen gemeinsam zu widerstehen. Der Glaube ist das Schwert, das tief in die verfaulenden Eingeweide der Bestie fahren wird, um seine stinkende Existenz ein für alle mal auszulöschen und sie in die Hölle zurückzustoßen aus der sie bald schon kommen wird".

'Wahrscheinlich', dachte ich, ‚sind es die wenig überzeugenden und obendrein auch noch unappetitlichen Metaphern, die für seinen Mißerfolg verantwortlich sind ...oder es ist die fragwürdige Grammatik. Wenigstens ist sein outfit lehrbuchhaft prophetisch'.

Matschiger Griesel regnete in die Fußgängerzone. Ich war noch etwa 50 Meter von dem eifrigen Endzeitgroupie entfernt. Niemand schien ihn zu beachten. Allerdings stimmte das nicht ganz, denn die Passanten machten, scheinbar ohne eigenes Zutun, einen unauffälligen Bogen um den Ort des Geschehens.
Ich war jetzt auf zehn Meter an ihn herangekommen und begann langsam dem Ausweichmanöver der Anderen zu folgen. Unglücklicherweise hatte ich kurzen Augenkontakt. Obwohl ich meinen Blick sofort abwandte und nun interessiert die blutigen Auslagen einer Fleischerei beäugte, war es zu spät. Ich fühlte mehr, als daß ich es sah, wie sich der alte Mann näherte. Ich verspürte den drängenden Wunsch ein Stück von einem toten Tier zu kaufen und machte mich daran die Fleischerei zu betreten, als mich der alte Mann erreicht hatte und meinen Arm packte; ich hatte den richtigen Augenblick zur Flucht verpasst.

"Sie sind nicht von dieser Welt. Wir müssen vorbereitet sein. Sie haben ihre Spione schon ausgeschickt. Hier nimm diesen Zettel. Hier steht alles, was ich über sie weiß".


Ohne meinen Arm loszulassen, holte er mit der anderen Hand einen Zettel aus einer Umhängetasche und gab ihn mir. Er blickte unruhig hin und her. In seinen Augen glomm der Fanatismus eines palästinensischen Selbstmordattentäters. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte und so tat ich, was ich am besten konnte: nämlich gar nichts.

"Sie wollen uns auslöschen. Aber sie sind geschickt. Sie werden nicht leicht zu erkennen sein, sehen so aus, wie du und ich. Der gefährlichste Feind ist der, den man nicht sieht".

Wieder wanderte sein Blick rastlos umher. Auch ich suchte verzweifelt nach etwas, das mich aus dieser unerträglichen Situation hätte befreien können. Endlich ließ er meinen Arm los. Ich nutze die Gelegenheit ihm zu entwischen.

"Ich muss jetzt leider dringend ein paar Schnitzel kaufen. Es eilt", sagte ich leise und wenig überzeugend. Doch als ich ihn in der Hoffnung wieder ansah, dass er meine Ausrede akzeptieren würde, blieb ich, die Tür der Fleischerei öffnend, stehen. Der alte Mann hatte seinen fast zahnlosen Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Er blickte die Straße hinunter, in seinen Augen war nur noch Entsetzten. Er hatte seine Augen so weit aufgerissen, dass ich befürchtete, sie würden jeden Augenblick aus ihren Höhlen fallen. Jegliche Farbe hatte sein Gesicht verlassen. Er blickte mir über die Schulter und ich verspürte nicht die geringste Lust herauszufinden, was dort zu sehen war. Der Mann begann zu zittern. Ich brach seitlich aus und konnte so das rettende Ufer der Fleischerei erreichen. Drinnen begrüßte mich der wundervolle Geruch von Blut und über Rauch würzig denaturierten Tierstücken. Ich stellte mich an und versuchte nicht aus dem Fenster zu sehen; jedoch kämpfte meine Neugier gegen meine natürliche Veranlagung jedes Problem durch Nichtbeachtung zu lösen. Meine Neugier gewann durch K.O. in der ersten Runde und ich sah hinaus auf die Strasse.
Der Mann hatte sich noch keinen Zentimeter bewegt, und das war wörtlich zu verstehen. Er war zur Salzsäule erstarrt und ich erwartete jeden Augenblick, dass Medusa persönlich ins Blickfeld kommen würde. Um so überraschender war ich, dass ein ganz gewöhnlicher Mann auf den Propheten zuging. Er war mittelgroß, weder jung noch alt, er trug einen dunkelblauen Anzug, der ebenso perfekt saß, wie der Seitenscheitel, der sein pechschwarzes Haar teilte. Er war bis auf einen Meter an den alten Mann herangekommen und schien ihm die Hand geben zu wollen. Ein gewinnendes, mitfühlendes Lächeln lag auf seinen Lippen, die ernsten, dunklen Augen ließen ihn aber auch besorgt aussehen. Dieser Mann konnte unmöglich die Ursache für den Schockzustand des Alten sein. Wahrscheinlich hatte sein Verstand die Pfade der Normalität schon längst verlassen, so dass er sich im dichten Unterholz seines Unterbewusstseins nach belieben Dämonen erschaffen konnte, die nur er zu sehen in der Lage war. Der Geschäftsmann schien nur helfen zu wollen. Das war für einen Großstadtmenschen schon eine besondere Geste. Ich schämte mich fast, so feige die Flucht ergriffen zu haben.
Der alte Mann schien die angebotene Hilfe jedoch nicht anzunehmen, denn er starrte die dargebotene Hand mit - falls das möglich war - noch größerem Entsetzen an.
Dann geschah das Unerwartete. Es sah aus, wie einer dieser computergenerierten Spezialeffekte im Film, doch erstaunlicherweise konnte ich noch zwischen Realität und Film unterscheiden. Tausend Sience-Fiction-Filme waren nicht in der Lage gewesen mich auf das vorzubereiten, was ich nun sah:
Kleine Wellen liefen über den Körper des alten Mannes, anfangs langsam, dann immer schneller werdend, bis die heftige Bewegung seine Umrisse völlig zum Verschwimmen brachte. An verschiedenen Stellen konnte man durch den wabernden Körper die Fußgängerzone sehen. Diese Stellen wurden immer größer, berührten einander, liefen zusammen bis schließlich nur noch Fußgängerzone übrig war: der Mann war verschwunden.
Der Schwarzhaarige hatte seine Hand noch immer ausgestreckt und schien nicht im Geringsten beeindruckt zu sein. Da sah ich, dass er etwas in der Hand hielt. Es war eine Waffe, auch wenn es nicht wie eine aussah, und sie hatte den alten Mann verschwinden lassen. Das Ganze war völlig lautlos geschehen und niemand außer mir schien etwas bemerkt zu haben. Der eiskalte Mörder begann sich langsam umzusehen und mir wurde heiß. Mein Bauch fühlte sich an, als hätte ich ein glühendes Stück Holzkohle verschluckt. Ich spürte, wie Adrenalin meinen Körper flutete, wie es Blutgefäße verengte und wie es jedes Haar meines Körpers dazu brachte sich aufzurichten.
Der Mann blickte in alle Richtungen. Er suchte nach unerwünschten Zeugen. Warum ich nicht wegsah, kann ich mir bis heute nicht erklären, ich schien in eine ähnlich Starre verfallen zu sein, wie zuvor der Alte. Der Blick des schwarzhaarigen Mannes wanderte über die ganze Straße und endete schließlich beim Schaufenster der Fleischerei. Wir blickten einander in die Augen. Ich versuchte möglichst unschuldig auszusehen und hoffte, dass mir noch keine Schweißperlen auf der Stirn standen.
Seine Augen waren nicht von dieser Welt. Ich kann bis heute nicht sagen, was es war, aber ich konnte durch seine Verkleidung sehen, und was sich dahinter verborgen hatte, lässt mich bis heute nicht mehr ruhig schlafen, auch wenn ich nicht beschreiben könnte, was ich damals eigentlich gesehen hatte.
Er sah mich an und schien unschlüssig zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass in diesen drei Sekunden darüber entschieden wurde, ob ich weiterleben durfte. Dann war er zu einem Ergebnis gekommen. Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen, er blinzelte nicht einmal, zeigte dann mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich, hob den Finger dann an seine Lippen und machte die universell verständliche "psst"-Geste, dann zeigte er noch einmal auf mich, wandte sich - ohne eine Reaktion meinerseits abzuwarten -- ab und ging. Diese Warnung war nicht miss zu verstehen.
Ich war der nächste in der Reihe und bestellte 50 Schnitzel, die mir der Fleischer fröhlich pfeifend aufschnitt. Ich sah auf den Zettel, den mir der alte Mann gegeben hatte. Es waren Listen. Namen von Firmen und Personen, Verweise auf Bücher URLs und email-Adressen.
Wenn ich an diesem Tag den großen Bogen um den Propheten mit allen anderen mitgemacht hätte, wäre mein Leben wohl anders verlaufen. Langsam dämmerte mir, dass mir der Alte mehr als nur diesen einen Tag verdorben hatte.

 

Hallo!

Also ich finde, die Geschichte hatte was. So nach dem Motto: Sie sind längst unter uns und DU bist der Nächste!

An einigen Stellen etwas holprig. Der Prediger kam aber gut rüber, ist glaubwürdig dargestellt.

Zwar ausbaufähig, aber nicht schlecht. Mir hat es gefallen.

Sodele!

Poncher

PS: Kann es sein, daß du Vegetarier bist? Wenn ja... psst! ;)

 

Original erstellt von Poncher:

...
An einigen Stellen etwas holprig. Der Prediger kam aber gut rüber, ist glaubwürdig dargestellt.
...

Vielen Dank für deine Kritik. Aber mehr als Lob interessiert mich die Sache mit dem "holperig". Könnest du da etwas genauer werden. Ich will ja schließlich was dazulernen.

Vielen Dank im Voraus

 

Hallo,

also da wären zum Beispiel...

'Wahrscheinlich', dachte ich, ‚sind es die wenig überzeugenden und obendrein auch noch unappetitlichen Metaphern, die für seinen Mißerfolg verantwortlich sind ...oder es ist die fragwürdige Grammatik. Wenigstens ist sein outfit lehrbuchhaft prophetisch'.

Ich war noch etwa 50 Meter von dem eifrigen Endzeitgroupie entfernt.

Ich verspürte den drängenden Wunsch ein Stück von einem toten Tier zu kaufen...

...seinen Augen glomm der Fanatismus eines palästinensischen Selbstmordattentäters.

Ich brach seitlich aus und konnte so das rettende Ufer der Fleischerei erreichen. Drinnen begrüßte mich der wundervolle Geruch von Blut und über Rauch würzig denaturierten Tierstücken.

Das sind so Sachen, die mir aufgefallen sind. Sie verleihen der ganzen Geschichte einen eher komischen Aspekt. Ich nehme aber mal stark an, daß dies so von dir gewollt war. Insofern kann das natürlich nur mich stören, da ich dieser Geschichte durchaus Ernsthaftigkeit abnötigen möchte. Hm, naja...

Aber eines muß man dir lassen...

...hob den Finger dann an seine Lippen und machte die universell verständliche "psst"-Geste...

Das war nicht schlecht!

Sodele

Poncher

 

An sich eine gute Geschichte mit einem sehr beliebten Paranoia-Thema.
Womit ich meine Schwierigkeiten habe ist der Stil, der tatsächlich enorm holprig ist. Da würde ich an deiner Stelle nochmal kräftig feilen!
Davon abgesehen eine mehr als ansprechende Story, Kompliment!

 

Hallo lerato,

das Postive: Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik weitgehend in Ordnung. (Die paar Fehler ... :-) Obwohl ... Die Neue Rechtscheibung hat viele Muss-Komma-Regeln durch Kann-Komma-Regeln ersetzt. Du bist insofern konsequent, als dass du die Kann-Kommas fast alle weglässt. Aber hin und wieder ein kleines Kommachen, nur so zur Abwechslung und zum Luftholen, wäre nicht schlecht ... ;-)

Das Negative: Ein Ich-Erzähler schildert auf cooler, humoriger und mehr oder weniger intellektueller Art ein Erlebnis. Meine erste Reaktion war: Nicht schon wieder so was! - Ich kann damit einfach nichts anfangen. Also von mir keine eingehendere Aussage zum Stil.

Der Inhalt: Nett. Allerdings: dass ein auffälliger Mensch vor der Eingangstür eines Geschäfts in einer belebten Fußgängerzone ohne Aufmerksamkeit zu erregen "aufgelöst" wird, ist etwas gewagt.

Klaus

 

Original erstellt von Poncher:
Hallo,

also da wären zum Beispiel

...

Das war nicht schlecht!

Sodele

Poncher


Du hast ja recht. Die humorigen Einlagen hätte ich mir sparen sollen. Ich habe sie tatsächlich absichtlich eingefügt. Ich weiß jetzt aber auch nicht mehr so genau, was das bringen sollte. Jeden Satz, den du bemängelt hast, habe ich nachträglich eingefügt bzw. verändert.. Vielleicht hätte ich doch die Originalfassung posten sollen.

Nochmals vielen Dank für die Kritik.

 

Original erstellt von StarScratcher:
Hallo lerato,

das Postive: Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik weitgehend in Ordnung. (Die paar Fehler ... :-) Obwohl ... Die Neue Rechtscheibung hat viele Muss-Komma-Regeln durch Kann-Komma-Regeln ersetzt. Du bist insofern konsequent, als dass du die Kann-Kommas fast alle weglässt. Aber hin und wieder ein kleines Kommachen, nur so zur Abwechslung und zum Luftholen, wäre nicht schlecht ... ;-)

Meine Deutschlehrerin auf dem Gymnasium sagte immer so ganz allgemein in die Klasse hinein:
"Für einige hier wäre es doch besser diese höhere Lehranstalt zu verlassen".
Seltsamerweise hat dabei immer mich angesehen.

Der Inhalt: Nett. Allerdings: dass ein auffälliger Mensch vor der Eingangstür eines Geschäfts in einer belebten Fußgängerzone ohne Aufmerksamkeit zu erregen "aufgelöst" wird, ist etwas gewagt.

Da kennst du aber die Menschen schlecht. Es gibt diesen Das-ist-nicht-mein-Problem-Faktor, den gerade der Großstadtmensch perfektioniert hat. Douglas Addams nannte das glaube ich den Das-Problem-anderer-Menschen Phänomen, wenn ich mich recht erinnere.


Die nächste Geschichte kommt dann garantiert ohne "coolness" und humorige Einlagen.

 

Hallo lerato,

Douglas Addams nannte das glaube ich den Das-Problem-anderer-Menschen Phänomen, wenn ich mich recht erinnere.

Das PAL (Problem Anderer Leute). Ich hab mich immer gefragt, wie das im Original heißt. POOP?

Was ich noch fragen wollte ... Was ist "Griesel"? Und in welchem Teil des deutschsprachigen Raums benutzt man dieses Wort?

Klaus

 

Original erstellt von StarScratcher:

Was ich noch fragen wollte ... Was ist "Griesel"? Und in welchem Teil des deutschsprachigen Raums benutzt man dieses Wort?

Klaus


Hier die Definition:
Von Schneegriesel spricht man bei sehr kleinen, weißen, aus Schneekristallen und angefrorenen
Wolkentröpfchen entstandenen Körnchen. Es handelt sich dabei um eine spezielle Form des
Graupels. Schneegriesel läßt sich von Reifgraupel dadurch unterscheiden, daß ersterer meist aus
abgeplatteten und länglichen, nur etwa 1 Millimeter dicken Eisteilchen betstehen, die beim Auftreffen
auf den Boden nicht zurückspringen.

Das Wort "Griesel" wird im gesamten deutschsprachigen Raum benutzt... aber wahrscheinlich nur von Meterologen.

Gruß
Lerato

 

Hallo lerato,

Das Wort "Griesel" wird im gesamten deutschsprachigen Raum benutzt... aber wahrscheinlich nur von Meterologen.

<lach> In einer meiner nächsten Geschichten werde ich dann einen Meteorologen einbauen, der sich über Schnee, Graupel, Griesel, Hagel und die Mischformen auslässt ...

Klaus
(der nicht alles ernst meint, was er so von sich gibt)

 

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