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Der Ritter Rüdiger

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04.11.2003
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Der Ritter Rüdiger

Im fernen Sauerland lebte einst ein Junge namens Rüdiger mit seinem alten Vater. Die beiden hatten nicht die gleiche Meinung, wenn es um Rüdigers Zukunftsplanung ging. „Oh, Rüdiger“, sagte der Alte oft, „wie wäre es so schön, wenn du einmal das aufregende Leben eines Elektroingenieur führst“. Rüdiger rümpfte dann stets die Nase und entgegnete etwas, wie: „Du stellst dir das Elektroingenieurwesen viel zu romantisch vor. Ich will lieber etwas Solides lernen. Ich will Ritter werden!“ Viele Argumente wurden zwischen den beiden gewechselt, aber Vater und Sohn wurden nicht einig. Dabei wusste Rüdiger, dass sein Vater ihn liebte und nur das Beste für ihn wollte. Und er liebte seinen Vater. Er wollte halt nur auf keinen Fall Elektroingenieur werden.
Eines Tages, als die Zeit kam, dass Rüdiger sein Elternhaus verlassen und sich eine Ausbildungsstelle suchen musste, nahm sein Vater ihn ein letztes Mal zur Seite. „Rüdiger“, begann er. „Ein Leben als Elektroingenieur ist voller Spannung und Abenteuer. Versprich mir hier und jetzt, dass Du einmal ein solches Leben führen wirst.“
Rüdiger spürte, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für einen weiteren Streit war. So nickte er schließlich zustimmend, umarmte seinen Vater zum Abschied lang und herzlich, drehte sich dann um und ging. Er war jetzt 22 Jahre alt und hatte sich an einer Ritterakademie eingeschrieben.

***

Rüdiger hatte die drittangesehenste Ritterakademie des Landes gewählt und gewöhnte sich rasch an sein neues Leben. Die Akademie war nur ein kleines bisschen weniger angesehen, als die Ritterakademien von Siegen oder Paderborn und sehr modern ausgestattet. Überall waren elektronische Teile verbaut oder lagen zum Einbau bereit. Manchmal nahm sich Rüdiger eines davon und schickte es seinem Vater nach Hause, damit der dachte, dass Rüdigers Ausbildung zum Elektroingenieur Fortschritte machte. Zunächst war das einfach, denn die Ritterakademie war ein großes Gebäude mit vielen ungenutzten Hallen und Kammern, wo massenhaft herrenlose Bauteile zu finden waren, die für die Ritterausbildung nicht unbedingt benötigt wurden. Irgendwann hatte Rüdiger diese Teile aber alle eingesammelt und musste improvisieren. Dadurch ergaben sich natürlich Probleme. Einmal zum Beispiel hatte die Folterkammer drei Tage lang keinen Strom, weil Rüdiger den Transformator der eisernen Jungfrau abgebaut hatte. Die Techniker der Ritterakademie suchten den Fehler fünf weitere Tage lang, bis Rüdiger schließlich das Problem löste, indem er aus alten Schwertern und Zinksulfat einen Hochspannungsgleichrichter bastelte, durch den er Gleichstrom vom Fitnessstudio in die Folterkammer umleiten konnte.
Auf diese Weise wurde Rüdiger immer vertrauter mit der Haustechnik der Ritterakademie. Wenn irgendwo ein Problem auftrat, das die Technikabteilung nicht lösen konnte – und das traf auf so gut wie alle Probleme zu –, dann kam Rüdiger und bastelte. Die meisten Probleme hatte er ja selbst verursacht, sodass er es auch war, der sie am besten wieder lösen konnte. Meistens behielt er bei diesen Basteleien sogar einige Teile über, die er anschließend seinem Vater schicken konnte. Oft musste er aber auch neue Teile verbauen, die eigens dafür bestellt wurden.
So wurde nach und nach die gesamte Elektrik der Ritterakademie durch Rüdiger umgebaut. Unnötige Elemente schickte er seinem Vater; den Rest verkabelte er neu, effizient und nach funktionellen Gesichtspunkten. So baute er die Springbrunnen im Burggraben ab und installierte stattdessen elektrische Rollläden in den Schießscharten der Geschütztürme. So wurde die Energieeffizienz der Ritterakademie allmählich immer besser und kam schon fast an diejenige von Siegen oder Paderborn heran, was wiederum den Rektor begeisterte, der zwar ehrgeizig war, sich aber auch zu seiner ökologischen Verantwortung bekannte.
Rüdiger fand auch Freunde unter den Ritter-Azubis. Sein bester Freund hieß Michael und war größer als Rüdiger. Deshalb konnte man die beiden auch unterscheiden, wenn sie ihre Übungsrüstung trugen. Bei Michael war eine Lücke zwischen Helm und Brustpanzer, in der sein langer Hals mitsamt dem spitz vorstehenden Adamsapfel zu sehen war; außerdem hörten die Beinpanzer schon oberhalb seiner Knöchel auf. Ansonsten waren die beiden sich sehr ähnlich. Sie waren im gleichen Alter, beide etwas zu dünn für einen gestandenen Ritter und hatten strubbelige braune Haare. Außerdem saßen sie in fast allen Kursen nebeneinander und halfen sich nachmittags gegenseitig bei den Hausaufgaben. Manche Lehrer hielten sie deshalb für Brüder.

***

Im äußersten Südwesten der Akademie gab es einen Turm, der das übrige Gebäude überragte, wie das Foucaultsche Pendel die Phänomenta. Hier lebte Gisela das Burgfräulein. Gisela und ihr Turm waren Teil des Unterrichtskonzepts, denn im zweiten Lehrjahr mussten die angehenden Ritter lernen, wie man Burgfräulein rettet. Gisela war das drittmeistgerettete Burgfräulein des Landes, direkt hinter den Burgfräulein von Siegen und Paderborn. Darauf war Gisela stolz. Und das war gut so. Denn mit diesem Stolz füllte sie die meiste Zeit des Tages in ihrem Turmstübchen aus, weil sie ja nur dienstags zwischen 8:00 und 8:45 Uhr sowie an jedem zweiten Donnerstag von 13:15 bis 14:00 Uhr gerettet wurde. Der Unterricht im Burgfräulein retten und in ritterlicher Buchführung wechselten sich nämlich donnerstags immer ab. Die ganze übrige Zeit hatte Gisela also, um stolz zu sein. Und edel. Wie es sich für ein Burgfräulein gehört. Außerdem kümmerte sie sich um ihre Sammlung aus gebrauchten Labellos, die sie in einem Setzkasten in einer Ecke des Turmzimmers aufgestellt hatte und von denen es Gisela einer besonders angetan hatte. Es war ein Labello, den ein Ritter-Azubi bei einer Rettungsaktion verloren hatte. Er roch noch ganz leicht nach seinem Rasierwasser – größtenteils Moschus und Zitrone mit einem Hauch Vergissmeinnicht. Immer wenn sie unglücklich war – nicht oft, meistens nur zwischen 14:45 und 15:30 Uhr, wenn sie die Ritterneulinge bei ihren Bogenschießübungen auf dem Hof der Akademie beobachtete –, dann fuhr sie mit der Spitze ihrer Zunge vorsichtig an das Wachs dieses Labellos und versuchte die Kombination von Moschus, Zitrone und Vergissmeinnicht in sich aufzunehmen. Sie wusste nicht mehr, wie der Mann ausgesehen hat, dem der Labello aus der Hosentasche gefallen ist. Seinen Geruch kannte sie aber gut.
Als Gisela so eines Abends am Fenster ihres Turms saß, machte sie sich Gedanken über ihre Zukunft. Akademische Burgfräulein müssen das tun, denn wenn irgendwann einmal ihr langes schwarzes Haar spröde und brüchig werden und beim Abseilen weniger Halt für die Retter geben würde, wenn ihre Taille nicht mehr schlank und straff sondern schwabbelig und ausladend sein würde, sodass ihre Körperproportionen nicht mehr mit den Fenstern des Turms übereinstimmen, spätestens aber wenn sich auch bei ihnen die gefürchtete Orangenhaut gebildet hatte, die ein geschmeidiges Gleiten in die Arme der angehenden Ritter gefährden würde, dann würde ihr Job mühsam werden. Jedes Burgfräulein wusste das. Das Leben war grausam, und im Alter von spätestens 28 Jahren, also in 4 Jahren, würde es sich für die grundlegend ändern. Der Rektor, der zwar ein Realist war, sich aber auch zu seiner sozialen Verantwortung bekannte, würde sie dann ins Archiv versetzen. Dort, im dritten Untergeschoss der Verließe, wimmelte es von abgehalfterten Burgfräulein, die die Bestände der Akademie verwalten und überwachen mussten. Gisela grauste es vor diesem Ort der staubigen Folianten und geplatzten Träume. Wenn es an ihrer Tür klopfte, dann sollte dies ein strahlender Ritter sein, der sie retten wollte, und kein Buchhalter, der ihre eine Rechnung zum Ablegen brachte. So grübelte Gisela an diesem Abend, was sie wohl zukünftig mit ihrem Leben anfangen wollte. Sie brauchte einen Plan, das war ihr klar. Und um diesen Plan zu finden, musste sie gründlich nachdenken. Als ihr dies klar wurde, fiel der Strom aus.
Gisela erschreckte sich, wendete sich zum Fenster und stieß einen schrillen Schrei aus. Panik in der Dunkelheit zu haben gehört bei Burgfräulein zu den üblichen Berufsanforderungen. Allerdings war es gar nicht so dunkel, wie sie bei etwas näherer Betrachtung ihrer Umgebung erkannte. Der Vollmond leuchtete nämlich in ihr Fenster, sodass die Umrisse ihrer Turmeinrichtung – Spinnrad, Bett, Schreibtisch, Wandschränke – in seinem fahlen Licht zu erkennen waren. Sie tastete sich in Richtung auf ihr Labelloregal zu. Als sie davor stand, wusste sie genau, wo der Stift war, den sie jetzt brauchte. Sie atmete tief durch die Nase ein und saugte dabei begierig den Duft von Moschus, Zitrone und Vergissmeinnicht ein. Und während sie so in der Dunkelheit stand und an dem blauen Stift schnüffelte, wurde ihr auf einmal schlagartig klar, was ihr großer Plan sein sollte. Sie wollte sich retten lassen, nicht nur aus diesem Turm sondern aus diesem Leben, von einem stolzen Ritter, der sie heiraten und in sein luxuriöses Schloss führten würde, in dem es immer nach Moschus, Zitrone und Vergissmeinnicht duftete, ein Schloss, in dem sie Schutz und Geborgenheit finden und sich ihrer Liebe hingeben konnten. Das war ihr Plan. Ein Übermaß an Romantik gehört nämlich ebenfalls bei Burgfräulein zu den üblichen Berufsanforderungen.

***

An diesem Tag hatte Rüdiger Unterricht bis 16:00 Uhr. Danach erledigte er zusammen mit Michael in der Bibliothek die Hausaufgaben – Burgcontrolling, etwas Langweiligeres konnten sie sich beide kaum vorstellen. Sie quälten sich durch die Zahlentabellen. Als sie die Hausaufgabenhefte endlich schließen konnten und Michael in seine Stube verschwand, war es draußen schon dunkel geworden. Nur der Vollmond leuchtete fahl auf die Ritterakademie. Das waren ideale Bedingungen für einen Rundgang durch das Gebäude, wusste Rüdiger. Sicher würden sich brauchbare Teile finden lassen, die er seinem Vater schicken konnte. So verließ er die Bibliothek, um seinen Streifzug zu beginnen.
Auf dem Verbindungsflur von der Bibliothek zum Hauptgebäude lief er dem Rektor über den Weg, der zwar seine Studenten nicht gerne am Abend störte, sich aber auch zu seiner Verantwortung für die Gebäudetechnik bekannte. „Rüdiger“, begann er deshalb sofort aufgeregt zu sprechen, „Sie müssen uns helfen. Im Bauteil F ist der Strom ausgefallen. Die Technikabteilung weiß keinen Rat.“
Rüdiger nickte, denn er wusste, was von ihm erwartet wurde. „Wird gemacht, Rektor.“, sagte er und ging zum Tatort.
Es stellte sich heraus, dass Bauteil F der Turm des Burgfräuleins war. Rüdiger wusste natürlich genau, wo das Problem lag. Am Vorabend hatte er eine Verteilerbuchse in der Küche abgeklemmt. Das war Bauteil E. Er vermutete, dass die Stromversorgung von dort aus für den Turm des Burgfräuleins abgezweigt wurde, nachdem dieser errichtet worden war. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang durch die Dunkelheit, bis er eine Lücke im Mauerwerk ertasten konnte. Mit einem Hufeisen und etwas Klebeband, vor allem aber mithilfe seiner geschickten Hände konnte er die fehlende Buchse elektrisch überbrücken. Sofort ging das Licht wieder an. Sein Auftrag war also rasch beendet.
Rüdiger ging aber nicht zurück in seine Kammer. Erst wollte er die Gelegenheit nutzen, den Burgfräuleinturm auf nützliche Utensilien hin zu untersuchen. Er sagte dem Hausmeister von Bauteil F, dass er auch dort oben nach Fehlern in der Elektrik schauen wolle, und der Hausmeister schloss ihm vertrauensselig die schwere, schmiedeeiserne Tür am Fuße der Wendeltreppe zum Turm auf. Die steinernen Stufen lagen jetzt vor Rüdiger. Er hatte in seinem zweiten Lehrjahr mehrfach auf dem üblichen Weg, also vom Garten her, den Turm erklommen. Burgfräulein retten war damals eines der Lieblingsfächer von Michael und ihm. Jetzt nahm er zum ersten Mal die Treppe. Der Hausmeister schaute ihm nicht nach, als er nach oben ging.
Die Turmstube des Burgfräuleins wurde von einer weiteren schmiedeeisernen Tür verschlossen. Die hatte aber kein Schlüsselloch sondern vier schwere Riegel an ihrer Außenseite. Rüdiger öffnete sie alle, zog an der Tür und trat ein.
Das Burgfräulein saß an einem Tisch, auf dem Schreibutensilien lagen. Sie schrieb aber nicht, sondern kämmte ihre langen schwarzen Haare. Als sie ihn bemerkte, stieß sie einen schrillen Schrei aus, wie Burgfräulein dies üblicherweise zu tun pflegen, und sprang auf. Sie trug ein einfaches weißes Leinenkleid, das hochgeschlossen war und an ihrer Taille von einem Gürtel aus goldfarbenem Brokat gehalten wurde.
Rüdiger entschuldigte sich für sein Eindringen und behauptete, dass er beauftragt sei, nach der Elektrik zu schauen. Da klärte sich die Miene des Burgfräuleins auf. Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch, rührte aber die Schreibutensilien nicht an sondern beobachtete Rüdiger.
Der wusste, dass er jetzt eigentlich mit seiner Suche beginnen sollte. Irgendetwas hielt ihn aber zurück. Und zwar ein flaues Gefühl im Magen, das er sich nicht erklären konnte. Und so blieb er einfach eine Weile im Türrahmen stehen und schaute das Burgfräulein an. Er hatte ihr Gesicht natürlich vorher schon gesehen. Die Rettungsübungen mussten aber immer sehr schnell ablaufen, sodass keine Zeit geblieben war, es genauer zu betrachten. Sie hatte große braune Augen, die in seine Richtung schauten, dazwischen eine Stupsnase, die sich beim Atmen auf und ab bewegte. Ihre Lippen waren natürlich rot und glänzten, was für gute Pflege sprach.
Das flaue Gefühl im Magen schien ihn irgendwie zu lähmen. Außerdem verhinderte es die Bildung von vernünftigen Gedanken in seinem Gehirn. Irgendwann, so dachte er sich, wird das Gefühl wohl nachlassen; so lange wollte er einfach hier stehenbleiben und das Burgfräulein ansehen.
Gisela indessen wartete darauf, dass der fremde Ritter endlich mit der Überprüfung der Elektrik anfangen würde. Kenntnisse, wie dies zu erfolgen hat, gehörten nicht zu den üblichen Berufsanforderungen eines Burgfräuleins. Sicher verschafft er sich gerade einen Überblick, dachte sie.
So ging es eine ganze Zeitlang. Die beiden schauten sich an, wie zwei Marmorstatuen, die links und rechts neben einem Torbogen standen, und das flaue Gefühl blieb in Rüdigers Magen. Aber nach etwa fünf Minuten hatte er sich daran gewöhnt, sodass die Lähmung nachließ und er ahnte, dass er jetzt wieder etwas tun konnte. Nur was? Nach kurzem Nachdenken, entscheid er, dass er etwas zu dem Burgfräulein, das ihn die ganze Zeit erwartungsvoll ansah, sagen sollte. „Hallo“, entfuhr er ihm schließlich, und noch bevor er das gesagt hatte, merkte er, wie blöd sich das anhören musste, weil sie sich ja bereits begrüßt hatten. Glücklicherweise lächelte das Burgfräulein aber und grüßte zurück. Dieser Erfolg sorgte dafür, dass er auch seine Beine wieder bewegen konnte. Und so entschied er, dass es wohl das Beste sei, seine Suche in dem kleinen Turmzimmer fortzusetzen.
Er schaute in alle Ecken, warf dabei aber immer wieder Blicke auf Gisela, die einfach weiter an ihrem Schreibtisch saß. Nach einer Weile fand er einen Plattenkondensator und mehrere elektronische Kleinteile, die er in seine Tasche steckte. Als er den gesamten Raum abgesucht hatte, verbeugte er sich artig und öffnete die Tür, um zu gehen. Als er schon fast draußen war, fiel ihm etwas ein. So wendete er sich noch einmal zu Gisela und sagte: „Wenn der Strom wieder ausfällt, dann sag dem Hausmeister, dass er mich rufen soll. Ich heiße Rüdiger.“
Gisela nickte und lächelte zum Abschied.

***

Während der kommenden Tage war Rüdiger im Unterricht ziemlich unaufmerksam. In ritterlicher Sozialkunde hatte er die Hausaufgaben vergessen und in Schwertkunde hätte er sich sogar fast an der Klinge eines Zweihänders verletzt. Wenn Michael und er zusammen in der Kantine saßen, dann hatte Rüdiger keinen Appetit. Schweigend schaute er zu, wie Michael sein Hühnchen mit bloßen Händen aß und die Knochen hinterher nach Ritterart in das Kaminfeuer warf. Wenn er damit fertig war, schob Rüdiger ihm wortlos das Tablett mit seinem Hühnchen zu. Er hatte es nicht angerührt.
Abends ging Rüdiger ziellos durch die verlassenen Hallen der Akademie, achtete dabei aber kaum auf herumliegende Bauteile sondern versuchte herauszufinden, warum es ihm so seltsam ging. Er hatte seit Tagen kaum gegessen und immer wieder an Gisela gedacht. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er sich in der Küche befand, die zu dieser Tageszeit menschenleer war. Direkt vor ihm war die Mauernische, in die er das Hufeisen eingebaut hatte. Während er davor stand und grübelte, kam es ihm so vor, als ob seine Hände sich selbständig machten. Sie klemmten einfach die Stromleitung links des Hufeisens mit einer Lüsterklemme aus seiner Tasche ab. Sofort fiel in Bauteil F der Strom aus.
Daraufhin lief er, noch ganz verwirrt, zum Turm, wo der Hausmeister bereits aufgeregt vor der Treppe hin und herging. „Rüdiger, so ein Glück“, sagte der Mann. „Dich schickt das Schicksal. Das Burgfräulein sitzt im Dunklen und hat schon nach Dir gefragt.“
Rüdiger sagte nur, dass er sich das Problem mal ansehen wolle. Der Hausmeister öffnete ihm, und Rüdiger ging nach oben. Es kam ihm vor, als ob er Teil eines Plans war, den sein Unterbewusstsein ausgeheckt hatte. Und er glaubte, dass dieser Plan funktionieren könnte.

***

In den nächsten Tagen fiel regelmäßig abends der Strom in Bauteil F aus. Der Rektor, der zwar Kerzenlicht gegenüber nicht abgeneigt war, sich aber auch zu seiner Verantwortung für die Zuverlässigkeit des Lichtkonzepts seiner Akademie bekannte, begann schon, sich Sorgen zu machen. Glücklicherweise konnte der Ritter-Azubi Rüdiger den Fehler im Verlauf der Abende jeweils lokalisieren und beheben. Dadurch ersparte er der Akademie, kostspielige Spezialisten konsultieren zu müssen. Immer wenn der Rektor aus seinem Fenster erkennen konnte, dass der abendliche Turm des Burgfräuleins wieder in hellem Licht erstrahlte, wusste er, dass Rüdiger wieder erfolgreich gewesen war. Dann konnte er sich beruhigt zu Bett begeben. Derzeit war das aber noch nicht der Fall. Lediglich ein schummriges Kerzenlicht drang aus dem Turm. Rüdiger suchte offenbar noch den Fehler.

***

Währenddessen kniete Rüdiger vor dem Spinnrad, an dem Gisela saß und offenbarte ihr seine Gefühle. „Ich habe einen Plan“, sagte er ihr „Lass uns zusammen fortgehen und heiraten. Irgendwohin, nach Siegen oder Paderborn zum Beispiel.“
Gisela versetzte dem Spinnrad einen letzten Schwung. Sie zögerte. „Ich habe aber einen anderen Plan“, sagte sie schließlich leise und senkte dabei ihren Kopf mit der Stupsnase zu Boden.
Rüdiger war überrascht. Pläneschmieden gehörte nicht zu den üblichen Berufsanforderungen von Burgfräulein, hatten sie im Unterricht gelernt. Gisela war halt ein ganz besonderes Burgfräulein. Das war ihm schon bei ihrem ersten Treffen klargeworden. Das Zimmer wurde nur von drei Kerzen auf der Fensterbank erleuchtet, die im lauen Nachtwind leicht flackerten. Giselas halbe Stupsnase, die Hälfte ihrer gepflegten Lippen und das linke Auge lagen im Schatten und waren eigentlich gar nicht zu sehen, so ähnlich wie beim Halbmond. Doch seitdem sie sich regelmäßig abends trafen, kannte Rüdiger ihre Gesichtszüge genauer, als alles andere in der Akademie. Für ihn strahlte ihr Gesicht jetzt in seiner vollen natürlichen Schönheit. Und – wie jeden Abend – konnte er von diesem Strahlen nicht genug bekommen. „Ich liebe Dich“, sagte er schließlich und griff nach ihrer Hand.
Sie ließ ihn gewähren. Und als er sie schließlich küsste, bereute sie es nicht. Denn eigentlich mochte sie Rüdiger gern. Das war es nicht, was sie davon abhielt, sein Liebesbekenntnis zu erwidern. Es war einfach nur so, dass sie an ihre Zukunft denken musste. Und die Zukunfts-Gisela wollte kein Ex-Burgfräulein sein, das im Archiv versauert und für das sich kein Ritter – auch Rüdiger nicht – mehr interessieren würde. Sie wollte auf eigenen Beinen stehen. Und ausgerechnet Rüdiger hatte sie zu ihrem Zukunftsplan inspiriert. Sie wollte auch einmal so eine nützliche Arbeit machen, wie er es tat. Elektronik war doch heutzutage überall präsent. Egal wohin man schaute, waren allein in dieser Akademie elektronische Bauteile im Einsatz. Davon wollte Gisela auch profitieren – von der Zukunft also. Nein, sie würde Rüdiger den Laufpass geben, da war sie sich sicher, weil sie für die Zukunfts-Gisela einen perfekten Plan hatte. Sie wollte Elektroingenieurin werden.
Aber sie wusste zurzeit noch nicht, wie sie das Rüdiger beibringen sollte. So lange hielt sie seine Hand und erlaubte ihm, sie zu küssen.

***

Einige Tage später landete eine seltsame Rechnung auf dem Schreibtisch des Rektors: die Gebühr für Giselas erstes Semester Elektroingenieurwesen an der Fernuniversität Hagen. Der Rektor, der zwar Gebühren gegenüber generell skeptisch war, sich aber auch zu seiner Verantwortung für die Weiterbildung der Mitarbeiter bekannte, wunderte sich. Ein solches Verhalten gehört eindeutig nicht zu den üblichen Berufsanforderungen von Burgfräulein, sagte er sich. Andererseits würde ihm dies ganz neue zukünftige Verwendungsmöglichkeiten für Gisela ermöglichen. Im Archiv wurde es ohnehin langsam zu eng. So beglich er die Rechnung schließlich und sagte sich, dass so ein Fernstudium immerhin die einzige Möglichkeit für ein Burgfräulein war, sich berufsbegleitend weiter zu qualifizieren.
Rüdiger wurde währenddessen immer trübsinniger. Er saß auf einem Stein außerhalb des Burggrabens und dachte an Gisela. In den letzten Tagen hatte er ihr wieder und wieder seine Liebe gestanden, ohne dass sie dies so erwidert hätte, wie er es sich wünschte. Diesen „anderen Plan“, den sie einmal erwähnt hatte, hat sie ihm auch nicht erklärt. Was mochte das nur für ein Plan sein? Je mehr Rüdiger sich den Kopf darüber zerbrach, desto klarer wurde ihm, dass damit nur ein anderer Mann gemeint sein konnte. Letztlich hatten alle Pläne von Burgfräulein doch irgendwie mit Rittern zu tun. So hatten sie es gelernt. Aber was hatte dieser Andere, was er nicht hatte? Ohne den Nebenbuhler zu kennen, war diese Frage natürlich nur schwer zu beantworten. Aber Rüdiger ahnte, dass der Andere einfach ritterlicher war als er.
Die Wahrheit war doch: Rüdiger war zu einem halben Elektroingenieur verkommen. Nächtelang streifte er auf der Suche nach Elektronikschrott durch die Gegend anstatt sich den Aufgaben eines edlen Ritters zu stellen. Er kannte alle Sicherungskästen in der Akademie, hatte aber noch keinen Drachen besiegt. Dabei wäre ein Kampf mit einem solchen Untier – möglichst ein siegreicher – eindeutig ein Anlass, um Gisela in seine ruhmreichen Arme schließen zu können. Bestimmt würde er damit auch ihr Herz gewinnen. Auch ein schöner Schwertkampf auf Leben und Tod mit einem feindlichen Ritter müsste ein Burgfräulein doch schwach werden lassen. Davon war Rüdiger überzeugt.
Rüdiger war so in seine Gedanken verloren, dass er gar nicht bemerkte, wie Michael sich näherte. „Fehlt Dir was?“, fragte der Freund ihn, und Rüdiger wurde sofort bewusst, dass er so vornüber gebeugt auf seinem Stein sitzend einen sehr jammervollen Anblick abgeben musste. Zuerst schüttelte er den Kopf, aber als Michael nicht aufgab, sich neben ihn setzte und den Arm um seine Schultern legte, erzählte er ihm schließlich von seinem Liebeskummer. Von Gisela, von seinen Liebesschwüren, von Giselas geheimem Plan und von seinen Befürchtungen, nicht ritterlich genug zu sein.
„Wir kämpfen!“, sagte Michael schließlich, nachdem sie eine Weile so dagesessen hatten.
Rüdiger wusste nicht, was der Freund ihm sagen wollte und schaute ihn fragend an.
„Du willst doch ritterlich sein“, erklärte Michael. „Dazu brauchst Du einen Gegner, den Du bekämpfen und besiegen kannst. Und dieser Gegner werde ich sein.“ Während er diese Worte sprach, deutete er mit beiden Daumen auf seinen Brustpanzer.
„Du meinst…“, wollte Rüdiger nachfragen.
„…dass wir beide eine kleine Show für das Burgfräulein abziehen. Das meine Ich.“

***

Gisela saß an ihrem Spinnrad, als sie plötzlich von draußen einige auffällige Geräusche hörte. Sofort stürzte sie ans Fenster und versuchte in der fortgeschrittenen Dämmerung die Ursache für die Geräusche ausfindig zu machen. Das war einfacher, als sie dachte, denn direkt unter einer Laterne sah sie, wie zwei Ritter gegeneinander kämpften. Der eine hatte sein Visier offen. Sie erkannte ihn: es war Rüdiger. Der andere kämpfte mit geschlossenem Visier. Er war viel größer als Rüdiger, sodass sein langer Hals und seine Fußknöchel zwischen den Rüstungsteilen hervorlugten. Die beiden meinten es offenbar Ernst und wechselten im Schein der Laterne mehrere Hiebe. Rüdiger setzte dem unbekannten Ritter mächtig zu, sodass der irgendwann die Flucht ergriff und in der Dunkelheit zu Füßen ihres Turms verschwand. Es schien Gisela, als ob er auf sie zuliefe. Auch Rüdiger verließ den hellen Bereich unter der Laterne und verschwand in der Dämmerung.
Nach einer kurzen Phase der Ruhe fingen die Geräusche wieder an. Sie waren sogar näher und deutlicher zu hören. Dazu gelegentlich Stimmen der Kämpfer. Sehen konnte Gisela aber nichts, bis plötzlich die Mauer des Turms unter ihr erleuchtet wurde. Seltsamerweise hatte jemand dort ein Podest aufgestellt, auf dem die beiden Streithähne sich weiter bekämpften. Das Podest war nur etwa 1x1 Meter groß, sodass die Ritter am Rande stehen und dabei aufpassen mussten, dass sie nicht herunterfielen. Es wurde durch mehrere in das Holz eingelassene Lampen beleuchtet und bewegte sich langsam nach oben. Offenbar verfügte es also über eine Hydraulik oder sonstige mechanische Vorrichtung, die es dem Ritter ermöglichen sollte, ihr Fenster zu erreichen. „Eine neue Methode, um Burgfräulein zu kidnappen“, schoss es Gisela durch den Kopf, und sie stieß ihren typischen schrillen Schrei aus. Derweil kam das Podest immer näher. Fast schon konnte sie nach den Helmen der kämpfenden Ritter greifen, die wechselseitig Schwerthiebe austeilten, die sie aber alle parieren konnten.
Der Kampf war ganz offen, als plötzlich Rüdiger einen Ausfallschritt nach vorne machte, die Schwerthand des unbekannten Ritters umfasste, sodass der nicht mehr zuschlagen konnte, und dabei laut ausrief: „Du elender Wicht. Wage es nicht, unserem Burgfräulein nahe zu kommen“ Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, warf er seinen Kopf in den Nacken und schaute zu Gisela hoch. Diese Geste kam Gisela seltsamerweise etwas theatralisch vor. Die kurze Unaufmerksamkeit, die damit verbunden war, nutzte jedenfalls der andere Ritter, um seine Hand zu befreien und eine Defensivaufstellung einzunehmen. „Du wirst mich nicht von meinem schändlichen Tun abhalten“, rief er anschließend aus, lachte manisch und schaute ebenfalls in Giselas Richtung. Wegen des geschlossenen Visiers konnte sie ihn aber nicht erkennen und schrie erneut schrill auf. Mittlerweile hatte das Podest fast das Niveau ihres Fensters erreicht. Beide Ritter konnten schon nach dem Fenstersims greifen. Es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis einer von beiden den anderen überwältigt hatte und anschließend ihren Turm stürmte. Wenn es der unbekannte Ritter war, dann war sie zum ersten Mal in ihre Karriere in echter Gefahr. „Zu Hilfe“, rief sie und bewegte sich rückwärts vom Fenster weg, den Blick fest auf die kämpfenden Ritter gerichtet.
Da fiel plötzlich der Strom aus. Das betraf – wie in den letzten Tagen üblich – ihren Turm aber auch das Podest. Das Licht vor ihrem Fenster erlosch plötzlich. Außerdem verschwanden die Köpfe der Ritter. Gisela ging vorsichtig wieder nach vorne zum Fenster und schaute herunter. Die Hydraulik des Podests bekam offenbar auch keinen Strom und war wieder nach unten gefahren. Die beiden Ritter standen nicht mehr drauf sondern hielten sich mit beiden Händen am Fenstersims fest. Sie hingen dort wie zwei nasse Säcke, und es sah nicht so aus, als würden sie sich aus eigener Kraft zu ihr nach oben schwingen können. Rüdiger sah sehr überrascht aus, so als ob der Stromausfall ihn mehr aus der Fassung gebracht hätte als die Attacken des unbekannten Ritters. Gisela war verwirrt. Diese Situation gehörte zwar theoretisch zu den üblichen Berufsanforderungen eines Burgfräuleins. Allerdings war sie in ihrer bisherigen Karriere noch nie damit konfrontiert worden, wirklich in Gefahr zu sein bzw. gerettet werden zu müssen. Sie war nur Übungen gewohnt. Zudem lag etwas in der Luft, was sie gleichzeitig beunruhigte aber auch anzog. Es war ein Aroma, das sie kannte. Da war sie sich ganz sicher. Sie steckte ihre Nase nach draußen und konnte es ganz deutlich wahrnehmen: Moschus und Zitrone mit einem Hauch Vergissmeinnicht. Es gab keinen Zweifel: der Ritter, von dem sie seit Monaten schwärmte, musste ganz in ihrer Nähe sein. Diese Erkenntnis wurde ihr schlagartig bewusst.

***

Rüdigers Plan war gründlich in die Hose gegangen. Er wollte eigentlich nur mit Michael kämpfen, um am Ende als ritterlicher Sieger dazustehen. Dann wollte er sich elegant in Giselas Fenster schwingen, gleichzeitig sollte Michael die Hydraulikpumpe abschalten, sodass er mitsamt der Plattform wieder nach unten fuhr und Rüdiger mit seiner „geretteten“ Gisela allein ließ. So ist es aber nicht gekommen. Stattdessen hat der Stromausfall Rüdigers Plan gründlich versaut. Die beiden Freund hingen nebeneinander an Giselas Fenster, und die schwere Rüstung, die sie beide trugen, zog sie nach unten. Vom Fenster ging ein schwaches Licht aus; Gisela hatte vermutlich eine Kerze angezündet.
Rüdiger suchte Halt am Mauerwerk mit seinen Zehenspitzen. Er fand schließlich eine schmale Rille, auf die er sie stellen konnte, um seine Finger etwas zu entlasten. Dennoch schaffte er es nicht, sich nach oben zu ziehen. Er schaute nach unten. Der Grund war sicher 20 Meter entfernt. Das sah jetzt viel tiefer aus, als damals bei den Rettungsübungen im Unterricht. Was für einen Unterscheid doch eine Leiter machte.
Plötzlich änderte sich die Lage schlagartig. Giselas Gesicht erschien nämlich am Fenster. Und sie lächelte. Sie war glücklich, und damit war auch Rüdiger glücklich. Aber nur für einen kurzen Augenblick, der so lang dauerte, wie Gisela brauchte, um Michael nach oben zu ziehen. Der Freund verschwand mit einem kräftigen Ruck durch das Fenster nach innen, während Rüdiger an der Mauer hängen blieb.
„Das darf doch nicht wahr sein“, dachte Rüdiger. Ich habe sie vor dem unbekannten Ritter gerettet, und sie rettet zum Dank den Ritter?! Burgfräulein waren wirklich schwer zu verstehen. So hing er also an der Außenmauer und kam sich unglaublich dumm vor. Was war nur schief gelaufen? Und vor allem: wie würde es mit ihm weiter gehen?
Plötzlich hörte er seinen Namen. Ja, kein Zweifel, jemand suchte ihn und rief laut seinen Namen durch die angebrochene Nacht. Er sah nach unten, konnte aber niemanden erkennen. Aber er kannte die Stimme. Es war der Rektor, der zwar abends nichts gerne seine Kammer verließ, sich aber um die Beseitigung des Stromausfalls bemühen wollte. Bestimmt wollte er Rüdiger damit beauftragen, hatte ihn aber in den Schlafräumen nicht gefunden. „Wie sollte ich ihm nur diese Situation erklären“, fragte Rüdiger sich. Nicht nur, dass er in einer lebensgefährlichen und noch dazu ziemlich aussichtslosen Situation war. Es drohte auch noch peinlich für ihn zu werden.
In diesem Augenblick änderte sich erneut die Situation. Die beiden Gesichter von Michael, jetzt mit heruntergelassenem Visier, und Gisela erschienen im Fenster. Sie zogen an jeweils einer von Rüdigers Händen. Mit einem Ruck hatten sie ihn oben. Ganz außer Atem und noch immer völlig fassungslos sank Rüdiger auf dem Boden von Giselas Turmzimmer zusammen. Die beiden anderen hockten sich neben ihn. Gisela löschte die Kerze, die sie angezündet hatte, sodass es dunkel um die herum wurde. Rüdiger atmete noch schwer, aber niemand sagte etwas, sodass nur die Rufe des Rektors scheinbar ungehört in der Nacht hallten. In dieser Situation gab Gisela jedem der beiden Ritter eine Hand, Michael die linke und Rüdiger die rechte. Dann küsste sie beide auf die Wange. Rüdiger war glücklich.

***

Als ein Jahr später Rüdiger und Michael ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, stellten sie fest, dass der Arbeitsmarkt für Ritter ziemlich düster aussah. Und so entschlossen die beiden sich, mit dem ganzen Kram, den Rüdiger seinem Vater geschickt hatte, und den der über die ganze Zeit hinweg gesammelt hatte, einen Elektronikladen aufzumachen. Gisela, die ihr Fernstudium erfolgreich abgeschlossen hatte und jetzt Elektroingenieurin war, stellten sie ein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann haben sie den Laden noch heute.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo knagorny,

hab gerade gesehen, dass deine letzte Geschichte, die du eingestellt hast, schon sehr lange zurück liegt. Schön, dass du es wieder probierst. Ich habe dein modernes Märchen gelesen, wenn auch teilweise dann etwas überflogen, dazu aber gleich noch mehr.

Der Inhalt ist natürlich etwas schräg, aber das soll ja nix Negatives sein und in der Unterkategorie Märchen schon gar nicht. Ich finde die Idee schön, eine (völlig sinnfreie) Ritterakademie in der Neuzeit zu platzieren. Wofür das gut sein soll bzw. ob das überhaupt irgendeinen Sinn macht, das ist ja in einem Märchen ebenso egal.

Etwas enttäuscht war ich dann zu Beginn, denn ich habe mich darauf gefreut, endlich mitzuerleben, was man denn um alles in der Welt in dieser Akademie so alles lernt. Leider war aber Rüdigers einzige Sorge die ganze Geschichte über, seinen Vater zu überzeugen, er würde die Ausbildung zum Elektroingenieur machen. Etwas später lässt du uns dann zwar an den Unterrichtseinheiten in der Ritterakademie teilhaben, aber es rückt immer wieder diese Elektrogeschichte in den Vordergrund.

Und jetzt zur Länge der Geschichte: Sie ist lang, sehr lang. Vor allem, weil bis zum Schluss nicht wirklich viel geschieht. Teilweise war sie dann über Strecken so langatmig, dass ich einige Zeilen übersprungen habe, ohne aber wirklich etwas verpasst zu haben. Ich bin an einer späteren Stelle eingestiegen und war in der Geschichte quasi noch keinen Schritt weiter.

Dann kam noch das hinzu:

Die Akademie war nur ein kleines bisschen weniger angesehen, als die Ritterakademien von Siegen oder Paderborn und sehr modern ausgestattet.

Ein Übermaß an Romantik gehört nämlich ebenfalls bei Burgfräulein zu den üblichen Berufsanforderungen.

Diese Wiederholungen mögen vielleicht in manchen wenigen Texten als tolles Stilmittel wirken, in deiner Geschichte wirken sie aber mit der Zeit auf mich etwas zu überladen, zu lästig.

Als ein Jahr später Rüdiger und Michael ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, stellten sie fest, dass der Arbeitsmarkt für Ritter ziemlich düster aussah. Und so entschlossen die beiden sich, mit dem ganzen Kram, den Rüdiger seinem Vater geschickt hatte, und den der über die ganze Zeit hinweg gesammelt hatte, einen Elektronikladen aufzumachen. Gisela, die ihr Fernstudium erfolgreich abgeschlossen hatte und jetzt Elektroingenieurin war, stellten sie ein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann haben sie den Laden noch heute.

Der Schluss hat mir dann leider auch nicht so gefallen. Als klar wurde, dass Michael der gut duftende Mann ist, habe ich mich auf einen Konflikt zwischen ihm und Rüdiger gefreut. Wie sie vielleicht tatsächlich ritterlich um das Burgfräulein kämpfen müssen. Es wirkt irgendwie so, als hätte deine lange Geschichte auf diesen Konflikt hingearbeitet und dann, wenn es endlich so weit ist, hast du eine vollkommen andere, einfache und damit auch eher farblose Wende herbeigeführt, so, als wolltest du schnell zum Ende kommen.

Warum Gisela die Elektroingenieurausbildung machen möchte entschließt sich meiner Phantasie völlig oder es trifft einfach nicht meinen Humor. Die Kategorie Satire finde ich hier nicht ganz passend, darunter verstehe ich etwas anderes. Kann natürlich auch sein, dass du mit deiner Geschichte in märchenhafter Form eine Botschaft rüberbringen wolltest, die ich dann einfach nicht verstehe.

Meine Kritik klingt jetzt irgendwie überhaupt nicht positiv, aber ich sehe, dass du schreiben kannst, ich würde einfach sagen, die Schwerpunkte sind hier vielleicht nicht so günstig gesetzt. Ich würde mehr Ritter reinpacken (das finde ich nämlich lustig), weniger Elektro machen (weil es für die Geschichte nicht wirklich wichtig ist), den Schluss konfliktreicher gestalten und kürzen, kürzen, kürzen.

Vielleicht hast du Lust, dich nochmal ans Werk zu machen.

Viel Spaß beim Weiterschreiben.

Gruß,
rehla

 

Hallo,
aus meiner Sicht ist die Kritik zwar unverblümt aber völlig gerechtfertigt. Es war so, dass ich am Anfang die Idee von diesem Helden hatte, der zwischen den beiden Welten der Elektrotechnik und des Rittertums hin und hergerissen ist. Dann ging die Geschichte aber irgendwie nicht weiter. Ich wusste eigentlich nicht, worauf das hinauslaufen sollte. Dann habe ich zunächst das Burgfräulein und dann seinen Freund eingeführt. Aber richtig zufrieden war ich nie.

Hat vielleicht wenigstens jemand eine Idee für ein besseres Ende? Dann würde ich mich vielleicht noch mal dransetzen. Allen Lesern Danke für Eure Geduld.

 

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