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Der rostige Nagel

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12.08.2006
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Der rostige Nagel

Karsten Breitung

Der rostige Nagel

Ein guter alter Freund, den ich schon recht lange nicht mehr gesehen hatte, da sich unsere Wege doch recht klaffend getrennt, sandte mir im kalten Herbste des Jahres 1811 einen inhaltsreichen Brief zu, der mein Dasein in der Folge in bedenklich dumpfen Hinsichten verändern sollte. Zu sagen ist vielleicht, dass meine Person, deren Seele unbegreiflich ist, schon immer eher düstere Züge aufgewiesen hatte als freundliche oder gar dem Lichte zugewandte, allerdings hatte Henry, so hieß der Briefeschreiber, unabsichtlich dafür gesorgt, dass sämtliche Abgründe noch wesentlich tiefer wurden. Zum Zeitpunkte meiner Abreise in die abgelegene Ortschaft seines trostlosen Zuhauses war mir freilich noch nicht klar gewesen, wie sehr eine eigenartige Gram von mir Besitz ergreifen würde, deren Gründe mir auch in der trüben Gegenwart nie wirklich bewusst geworden sind. War es die Stille dort unten, welche lediglich vom ewig raunenden Winde begleitet wurde - war es die Monotonie im Wesen meines Gastgebers, die wahrlich nur schwer auszuhalten? Und überhaupt: Ist dem Genüge getan, wenn ich sage, mein ureigenes Sein hatte sich mehr und mehr verfinstert, bis hin zu den tiefsten Graden, nur durch ihn oder seine Heimstatt? Zu entdecken ist, dass sich ziehende imaginäre Krallenhände eingefunden haben, welche mein Ich fester und härter in Schlünde zerren, die wohl lediglich eines verheißen - die völlige Zerstörung des hier schreibenden Menschen, der sich von der Sache her schon gar nicht mehr selber Mensch nennt ... Ja, dies klingt entsetzlich, doch muss ich mit absoluter Bestimmtheit sagen, dass dem so ist - man kann mich mittlerweile nicht mehr derart bezeichnen. Unbestimmt ist Wissen da: Ein Belang nur warf mich aus der Bahn - ein Sächelchen lediglich ... Ich habe die Verlobte verloren, ich habe wohl Henry nicht mehr in Bewusstheit irgendeiner einst stattgefundenen fernen Freundschaft, ich besitze quasi außer eigenem Fleische auf den schwachen Knochen sowie einer völlig heruntergekommenen Bleibe in einem verschmutzten Hafenviertel gar nichts mehr. Wie die Zukunft aussieht, entzieht sich aller Kenntnis - ob es eine solche für mich überhaupt noch gibt, selbstredend ebenfalls. Das Unglück um meine zerstörte Person begann in jener bereits erwähnten Herbstzeit, genauer gesagt in dunklen Novembertagen des saglichen Jahres 1811 ...
Henry hatte jene melancholischen Briefworte verfasst, stehend in ungelenker Handschrift auf etlichen alten, übelriechenden Blättern. Man konnte über den Inhalt eigentlich nur mit dem Kopfe schütteln, denn er gab sich wirr, unnötig zusammenhangslos sowie zutiefst von Trauer geprägt. Der alte Freund schien mit seinem Leben nichts mehr rechtes anfangen zu können, schien an unsichtbaren Mauern zu stehen, die ihn - wie er selber schrieb - ständig aufhielten und unentwegt peinigten. Henry sah sich als Gefangener seiner eigenen Psyche, die von Tag zu Tag bedenklich weiter absackte - absackte in befremdliche Leidenschaftslosigkeit sowie unaufhörliche Beklemmungsgefühle. Über etliche Seiten hinweg schilderte mir der Mann mit steigendem Unmute, der überdeutlich aus den schiefen Zeilen herausquoll, den grauenvollen Zustand seines Gemütes. Nun, so war ich ja eigentlich selber keine Person, die gerne in schillernde Buntheit blickte, doch hatte das, was Henry mir schrieb, eine wahrlich höhere Stufe eigentlicher Sinnlosigkeit des Seins erreicht. Ihm musste geholfen werden, dies wurde mir bei der Brieflektüre sofort bewusst, doch fragte ich mich, warum die Hilferufe ausgerechnet in meine Richtung schallerten, da dem Freunde ja innig bekannt war, dass es mit meiner eigenen seelischen Befindlichkeit auch nicht gerade zum besten stand. Wenigstens aber konnte ich sagen, eine hübsche intelligente Dame an meiner Seite zu haben, wenn dies jetzt auch, aus Gründen der beruflichen Orientierung meiner Partnerin, nur von Zeit zu Zeit der Fall gewesen war. Doch ich weine, oh weine bitterlich, wenn ich, gerade jetzt, diese sachlichen Anmerkungen zu Papier bringe - auf die Belange mit der wunderbaren Frau muss ich, leider, an späterer Stelle noch eingehen. Es ist mitnichten die bekannte Krux mit den Weibern - es ist die Abwerfung meines Seins in das endlose Loch der Vernichtung.
Es verhielt sich in der Tat so, dass ich, ob der Dringlichkeit der Dinge in Bezug auf Henry, schnellstens damit begann, alles für meine Abreise zu ihm hin zu organisieren - schließlich hatte er zwischen den Zeilen seiner niedergeschriebenen Worte um mein baldiges Kommen gebeten. Zu diesen meinen Tätigkeiten zählte auch die Abfassung eines Briefes an meine Verlobte, die sich in einer weiter entfernten Stadt aufhielt, jedoch für die nächsten Tage berufliche Untätigkeit plante. Ich schrieb ihr, dass sie mich nicht in meiner Wohnung antreffen würde, sondern eben beim alten Freunde abseits des Hafenviertels. Mir war bewusst, dass meine liebe Partnerin die Lage des Henry-Hauses kannte und lud sie einfach ein, bei eventueller Lust und Laune ebenfalls dorthin zu fahren. Persönliches Gepäck für zwei bis drei Tage würde dabei sicherlich ausreichend sein. Über die durchaus finstere Natur dieser Unternehmung verlor ich indessen höchstens zwei oder drei Bemerkungen, um Rodericke - so der Name meiner heute ach so schmerzlich Vermissten - nicht unnötig in störende Disharmonie zu versetzen.
Der Kutscher, den ich für den frühen Vormittag an das Haus bestellt hatte, in welchem ich zur Miete lebte, kam pünktlich. Er packte beherzt den Koffer, um ihn ins Innere der Droschke zu legen, dann hielt er den Wagenschlag für mich auf und machte die typische einladende Geste für mein Einsteigen. Der bärbeißige derbe Mann mit seinem dicken schwarzen Schnauzbart war mir sympathisch - die Reise zu Henry begann ohne missmutig stimmende Verspätung sowie mit eigentlich recht gelöster innerer Verfassung. Sollte es also kommen, das spontane Abenteuer an abgelegenster Ecke, die noch mit menschlichem Geiste vorstellbar ...
Alsbald rumpelte das Gefährt durch die Gegend, und als der Mittag herangenaht war, hielt der Kutscher an und fragte mich, ob ichs wünschen würde, im Gasthaus zu speisen, vor dem er angehalten hatte. Ich schaute müde durch das Fenster der Türe, putzte kurz die Goldrandbrille, setzte sie wieder auf. ZUM SCHWARZEN KÖHLER nannte sich die Wirtschaft, die hier recht einsam und alleine stand - ich kam nicht umhin, ein wenig in mich hineinzubrummeln. Doch gut, eine Mahlzeit konnte kaum schaden - darüber hinaus wusste ich ja nicht einmal, wie die Essenszeiten bei meinem Gastgeber Henry geregelt sein würden, ja ob es überhaupt derlei gab. Ich fand mich also kurz darauf in der Gaststube ein, während der Schnauzbart draußen auf seinem Bocke einige Stullen zu sich nahm und auch einige Schlucke trank.
Bald schon wurde ich bedient, Essen sowie das Bier sagten mir zu. Fürderhin fiel mir indessen nebenher auf, wie intensiv die wenigen Gäste, die es hier außer mir gab, Anstarrungen meiner Person realisierten. Ja, ich war nun in einem Dorfe, welches bestimmt wenig Besuch erfuhr, doch empfand es wohl jedermann als unbehaglich, mit Blicken regelrecht durchlöchert zu werden. Die Penetranz der Beobachter wich nicht, was mich dazu veranlasste, beim Wirte, der gerade meinen Tisch passierte, entsprechend leise Nachfrage zu stellen, was dererlei Gestarre anbetraf. Mir wurde gedämpft gesagt, dies sei bei Fremden hier eben so. Man begreife kaum, was ein feiner Herr - ja, so wurde ich nun anscheinend betrachtet - in solch einer Lumpengegend wie der hierigen eigentlich wollte. Ich konnte nur lächeln und still mit dem Kopfe schütteln, dann zahlte ich meine Schuld ab und verließ mit Unbehagen das kleine baufällige Haus. So ging die Fahrt also weiter, hindurch einer immer kärger werdenden, nur zu bekannt trostlosen Landschaft. Schon halbe Ewigkeiten hatte ich dieses Territorium nicht mehr erblicken müssen - wahrhaft: Es gab sich mit Bestimmtheit an der Zeit, den guten alten Henry wieder einmal aufzusuchen. Schändlich von mir war das lange Fortbleiben mitnichten - die Geschäftigkeit der Erdenexistenz zeigte sich eben stetig im Vordergrunde und ließ nur allzu oft Bekanntschaften sowie gar Freundschaften allmählich verblassen. Als richtig sollte dies nicht angesehen werden, doch häufig waren die Dinge eben so, wie sie sich zeigten - trivial simpel sowie von Abertausenden derartig gelebt.
Bei Gott - was präsentierte sich da wahrlich vor den Augen eines Stadtmenschen, der zwar Schmutz und Derbheit kannte, dafür aber nicht Einsamkeit oder gar Alleingelassenheit ... Wir holperten über einen alten Fahrweg hinweg, der alsbald schon endete und in die reine Natur überging. Hier hielt der Kutscher mit Bestimmtheit an. Mir wurde gesagt, dass es ab hier für die beiden Pferde nicht mehr gut sein konnte und ich jetzt definitiv zu Fuße weitergehen müsste, zumal das eigentliche Reiseziel nicht mehr allzu weit in Entfernung befindlich. Ich nickte nur, nahm meinen Koffer an mich und bezahlte das Anreisegeld. Auch früher schon war kein Droschkenmensch der Welt bis direkt an das Haus Henrys vorgefahren, das gab sich also kaum unbekannt. Doch immer und immer wieder - früher wie auch in der Gegenwart - umschlich mich das Gefühl, dass man den alten Kasten des Henry lieber aus der Ferne sah, nie froh und gerne von Nahem ...
Die Droschke fuhr, ich schaute ihr nachdenklich hinterher, wieder davon. Leichte Staubwölkchen wallten verspielt auf; ich dachte träge daran, dass der Mann auf dem Kutschbock sicherlich erst einmal bis zum Dorfe zurückfuhr, indem auch das Gasthaus gewesen, um dort die beiden Zugpferde versorgen zu lassen. Es war sicherlich eine ungewöhnlich lange Fahrt gewesen, mit der aber natürlich ein ordentlicher Batzen Geld verdient worden war.
Ich wandte mich meinem Koffer zu, der noch auf dem vertrockneten Boden stand, und hob ihn mit einem entschlossenen Rucke hoch. Mein Blick wanderte zur flachen Kuppe vor mir, die schließlich ein wenig abwärts führte. Die landschaftliche Umgegend war mir noch relativ gut bekannt, obwohl ich schon lange nicht mehr hier gewesen. Das nach unten verlaufende Wegstück führte dann direkt auf Haus Henry zu, links und rechts gesäumt von Geröll, Felsen sowie dornigem dichten Gestrüpp. Man konnte sich wahrlich fragen, weswegen man ein Haus in eine solch unwirtliche Gegend baute, doch da ein derartiger Gedanke schon öfter in mir aufgeblitzt war, schenkte ich diesem keine intensivere Beachtung mehr. Vielmehr verspürte ich ohnehin gewisse Traurigkeiten, welche jäh wuchtiger und beherrschender wurden, ja letztlich danach trachteten, meinen gesamten Gemütszustand zu regieren. Verzweifelt versuchte ich, diese unguten internen Bewegungen wenigstens ein klein wenig zu unterbinden, doch wollte und wollte das einfach nicht gelingen. Was trug Schuld daran? Etwa die triste Landschaft, der leise vor sich hin wimmernde Wind, die allgemeine Trübe und Düsternis des kalten Novembertages? Konnte es sein, dass unbewusste Regungen jede Vibration der Laune ins Ungute wandelten - überdeckte Denkeleien an die gleich schon stattfindende Begegnung mit dem alten Freunde? Das waren alles Belange, die bezüglich meines Tiefpunktes in Betracht gezogen werden konnten. Mit jedem Schritte, dem ich mich dem Hause näherte, welches nun zu sehen war, steigerte sich die Absenkung jeglicher Frische meiner Seele. Ansteuerungen dagegen erfolgten selbstredend, doch mit keinem einzigen psychologischen Trick, der ansonsten tadellos funktioniert hätte, schaffte ich es, jene innere Dumpfheit und Beklemmung in erträglichere Größen umzugestalten. ES SOLL WOHL SO SEIN, dachte ich mir schließlich, nebenher auch mit der Kälte kämpfend, die ungewöhnlich rasche Zunahme erfuhr. Mich umgab im Grunde eine höchst unangenehme Gesamtsituation, mit der ich einfach nicht zurechtkommen konnte; doch Schritt um Schritt wurde dem unheimlichen Kasten nähergekommen, der da wie ein drohendes Fanal vor mir aus dem baumleichenbestückten Boden ragte. Leichte Nebelschwaden waren mit einem Male aufgekommen, welche die Grundfeste des Gebäudes verschwommen wirken ließen sowie zu einer denkwürdigen Unheimlichkeit jeglicher Szenerie beitrugen, die sich - bitterste Melancholie verbreitend - darbot. Links und rechts hatten die Felsen meines Herweges an Spärlichkeit sowie Seltenheit gewonnen, allerdings nur, um schrecklichen Totholzstecken Platz zu machen, die itzo schief und verkrüppelt aus dem leblosen Untergrund zum finstrigen Firmamente strebten, welches grau sowie unterlegt mit unharmonischen Wolkenfetzen. Nein, die gesamte Umgegend konnte nie und nimmer irgendwelche Aufheiterung in sich tragen, die für Henry förderlich gewesen wäre - hier hatten Beklemmungen und Kummer eine immerfortwährende Heimat.
Der Zeitpunkt gab sich die Ehre, an welchem ich letztlich die Eingangstüre des grauseligen Baues erreichte. Ich wischte mit der Hand einige der flatternden Spinnweben hinfort, die sich an dem alten Brette befanden, und blickte mit tausend Schaudern die hohe Wand vor mir hinauf. Viele fürchterliche Gemächer erwarteten mich, das war mir äußerst klar. Dreimalig bereits hatte ich Aufenthalt gepflegt, doch gab sich das so lange her, dass etliche detailliertere Erinnerungen längst entschwunden. Alles da drinnen präsentierte sich dunkel, klamm, wirklich schlimm riechend und voller Unbehaglichkeit, dies war im Prinzip alles, was ich übers Henry-Haus noch wusste. So stellte ich nun mein Gepäck ab, reckte mich, fasste mit gewissem Widerwillen den wackeligen Türklopfer. Es wäre jetzt sicherlich noch möglich gewesen, einfach umzukehren und diese Stätte der Gram zu verlassen, jedoch dachte ich mit dezentem Entsetzen an die Leiden des Freundes. Er hatte um Hilfe gerufen, brieflich. Das konnte, wollte und durfte ich mitnichten einfach vergessen, dafür gab sich das Mitgefühl zu herrschend ...
Alle unschönen Gefühle, wobei mein Inneres lediglich noch mit solchen ausgefüllt war und mit nichts anderem, wurden beiseite geschoben, ja mussten regelrecht mit sanfter psychischer Eigengewalt verdrängt werden. Jetzt, etwas befreit, konnte geklopft werden, was auch eindringlichst geschah. Vier oder fünf laute Klopfer realisierte ich - weithin schallte es dumpf sowie sehr laut ins Haus hinein. Diese Geräusche verklangen hallend, dann waren nur noch die Klagelieder des Windes vernehmlich, der hier pausenlos tätig. Ich starrte auf die Tür und wartete geduldig. Es konnte etwas dauern, bis Henry das Gedärm dieses Hauses durchwandelt hatte und mir öffnete. Und wie es gedacht wurde, so verhielt es sich auch; ich stand mit Sicherheit eine geschlagene Minute reglos da, bis sich letztlich Schrittlaute näherten. Von innen kratzte ein Schlüssel im Schloss herum, danach tat sich das Brett einen schmalen Spalt auf. Müde, gerötete Augen mit großen Tränensäcken starrten mir fragend entgegen, doch wurde ich glücklicherweise schnell erkannt. Der Eingang wurde mir nun aufgetan und es ertönte leise die kraftlose, leicht krächzende Stimme des Gastgebers.
"Alter Freund! Es ist gut, dass du hergekommen bist! Willkommen!"
Henry sah schlimm aus. Der Freund war etwa von gleicher Größe wie ich, hatte auch die gleiche Anzahl an Jahren wie meine Person hinter sich gebracht, wirkte allerdings um sicherlich zwei Jahrzehnte älter. Er stand etwas gebeugt vor mir, hatte zu seinen Füßen eine Laterne mit dicker brennender Kerze abgestellt. Mir wurde ins Gesicht gestarrt, die Sekunden gaben sich wenig herzlich. Wir musterten uns und es war fast, als suche jeder nach seinen Erinnerungen bezüglich unseres letzten stattgefundenen Treffens. Henry fixierte mich, ich fixierte Henry. Schließlich machte der Mann mit den langen, schlohweißen Haaren eine Geste der Einladung, ließ mich hinein in seinen alten, farbarmen Bau der Tristesse.
"Da bin ich also endlich wieder einmal beim guten Freunde Henry!", sagte ich mit gewisser Überhöhung einer Freude, die eigentlich nicht existent. Mein Gegenüber nickte nur und nahm die Handlaterne wieder an sich. Die Betrübnis, die mich im Griff hielt, erhöhte sich nochmals beträchtlich - ich fragte mich ernsthaft, warum ich angereist war, denn mir konnte nicht erzählt werden, dass sich der kränkelnde Hausherr in irgendeiner Weise freute. Aber gut, er verstellte sich wenigstens nicht, was im Prinzip richtig war. Er gab sich so, wie es ihm ging, und dies präsentierte sich sehr weit unten innerhalb einer imaginären Stimmungs-Skala ...
Ich zog das Portal hinter mir zu und atmete die ersten Züge der gramdurchschwängerten Luft dieses Hauses der Pein. Es stank regelrecht, es wies ab, es lud nichts ein. Die zwei altbekannten Treppen kamen in mein Blickfeld; eine führte hoch, die andere hinunter. Beide schlummerten im Halbdunkel und offenbarten sich so, wie sie schon immer gewesen waren - nie repariert und ausgebessert, stetig etwas schadhaft sowie abgenutzt von den Zähnen zweier oder gar dreier Jahrhunderte.
Henry tat die nächstbeste Tür auf, laut knarrte es. Staub wehte umher, deutlich war dies im Scheine der Laterne zu sehen, die er hielt. Der Gebeugte ging in das aufgetane Zimmer, wie ich sah, setzte sich dort in einen verschlissenen Sessel, stellte den Leuchtkörper ab und nickte sofort ein. Man durfte tief verzückt sein ob der Freundlichkeit und Offenheit dieses Empfanges ...
In der Tat überlegte ich jetzt tiefer, ob ich sofort wieder gehen sollte. Ich bräuchte nur ins Dorf zurück, wo es das Gasthaus meines Mittagsmahles gab; zwei Stunden Weg zu Fuße wohl. Von dort konnte ich mit einer Droschke zurück in meine Heimatstadt. Ich ließ dies nach kurzem Nachdenken allerdings bleiben, denn ich hatte soeben erlebt, wie schlimm es um den Freund aus alten Tagen stand. So ging ich kurz in den Raum, in dem er im Sessel saß, nahm die Handlaterne an mich und begann damit, ein wenig im Gebäude umherzuwandern. Es handelte sich hierbei wohl um das einzig Vernünftige, was nun getan werden konnte. Es war zu hoffen, dass Henry nach kurzem Nickerchen wieder munterer sowie zugänglicher wurde. Wie sehr ich mich da allerdings getäuscht hatte - wie sehr nur ...
Zuerst machte ich paarmalig die Kehre im Flur, ging dann zu einer weiteren Tür und tat diese auf. Das Knarren knallte mir regelrecht um die Ohren. Einen schäbigen Raum sah ich, der nichts erwähnenswertes beinhaltete. Also schritt ich voller Beklommenheit zurück zum Verschlag, in welchem der Gastgeber schlummerte, ging dort drinnen ein wenig herum. Es existierte ein breites Fenster, es handelte sich um die Rückwand des Hauses. Seufzend strich ich die vergilbte Gardine ein wenig zur Seite und starrte hinaus in die trostlose, winddurchzogene Gegend. Die karge Ebene und die wenigen starren Sträucher sowie Baumleichen wirkten fast aufmunternd auf mich, wenn ich daran dachte, in welcher Ödnis ich hier drin im Baue stand. Ich war, um es etwas lax zu formulieren, wahrhaftig am sagenumwobenen Arsche dieser Welt ...
Die Tiefe des Schlafes meines Kameraden dachte gar nicht daran, endlich einmal etwas flacher zu werden - sein schmaler Brustkorb hob und senkte sich in der Seelenruhe tiefster Bewusstlosigkeit. Es sah lächerlich aus, wie Henry im dunklen, etwas speckigen Hausanzug in dem Sessel hing. Ich sah Lackschuhe an ihm, ein helles Hemd, die zu langen Hosenbeine zeigten sich ein Stück nach oben gekrempelt. Was für eine Figur der puren Melancholie! Ich hatte diesen Kerl früher gemocht - früher, als er noch Mensch gewesen ...
Kopfschüttelnd verließ ich das stickige Räumchen und stieg draußen die Treppe hoch. Meinen Koffer hatte ich in der Türgegend des Sesselzimmers abgestellt, in der rechten Hand befand sich wieder die Laterne mit der fetten Kerze. Ziellos irrte ich in den mittleren und oberen Gefilden des alten Kastens umher. Im Grunde sah es überall ähnlich aus, Tristheit und Einfachheit, ja fast schon Ärmlichkeit regierten. Den Hauptraum hatte ich auch schon entdeckt, ich erinnerte mich auch an diesen. Es war ein Zimmer mit Kamin, es loderten dort gar ein paar schwache Flämmchen, die aber im Begriffe waren, auszugehen. So legte ich also ein wenig Holz nach und schürte mit einem Haken in der Glut herum. Für ein wenig Wärme fürs Herz hatte ich hiermit sicherlich gesorgt. Ich setzte mich in einen abgewetzten Sessel und starrte angespannt ins Orangegelb des Feuers. Leise knisterte es. Müde fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht. Was für eine abweisende, groteske Welt der Bedeutungslosigkeit ...
Müdigkeit zog in mir verstärkter hoch, mir fielen kurz die Augen zu. Ruckartig riss ich diese jedoch wieder auf, aus unbegreiflichen Gründen heraus. Von draußen ertönte das hohle Gestöhn des Windes, welches sich auch ein wenig im Kamine verfing und ab und an für ein etwas unruhiges Feuer sorgte. Etwas erstaunt schaute ich mich um, das kurze Einnicken schien durchaus eine Minute angedauert zu haben. Was da im Blickfelde befindlich, welches schon wieder etwas dunkler war, ließ die Sinne nicht gerade aufleben. Alles war heruntergekommen sowie verbraucht, viele Jahre Vergangenheit sorgten für gewisse Trübnis. Ein paar Neuanschaffungen hätten nicht geschadet, doch verhielt es sich wohl so, dass der Hausherr Egal-Stimmungen in sich walten ließ. Am Gelde konnte es nicht mangeln, zumindest war dies früher so gewesen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass der träge Henry sich auf irgendeine Weise finanziell verschuldet hatte.
Auf dem schäbigen Teppich, der dringend eine Reinigung notwendig gehabt hätte, lag ein altes, etwas zerrissenes Sofakissen. Es lag in einer denkwürdigen Achtlosigkeit da, was mich noch betroffener werden ließ. Was nur war in diesem Hause nicht in Ordnung? Was stimmte auch mit Henry nicht? Während ich hierüber etwas oberflächlich grübelte, stand plötzlich mein Gastgeber in der Türöffnung. Erschrocken fuhr ich etwas hoch, doch der alte Freund schwieg. Er glotzte mich, dabei irgendwie dumm wirkend, ohne Unterlass an. Dann kam er schlurfend herein, ging zum Schrank, der hinter meinem Rücken an der Wand befindlich, und entnahm dort irgendeine Flasche mit alkoholischem Getränke. Er goss sich ein langes schmales Glas ein, leise gluckerte es im recht stillen Zimmer. Mir fiel natürlich sofort auf, dass er nur ein einziges Glas füllte, und dieses setzte er schließlich an die eigenen Lippen, um gierig alles hinunterzukippen.
"Besonders gastfreundlich bist du nicht, Henry.", tadelte ich ihn.
"Papperlapapp!", schimpfte der krank ausschauende Mann. "Ich werde schon noch freundlicher werden. Aber erst, wenn der Diener aus dem Norden kommt."
Diener aus dem Norden? Ich fragte interessiert nach. Henry stolzierte mit grotesk ausgebreitetem linken Arm an den Kamin heran - ich konnte meine verdrehte Kopfstellung endlich abschließen und wieder normal nach vorn blicken.
"Ja", krächzte der Unfreundliche. "Er bedient mich in allerlei Hausdingen. Für gute Bezahlung freilich. Er kommt alle drei bis sieben Tage einmal vorbeigeschaut. Bringt Dinge mit, reinigt etwas, repariert hier und da. Er kommt zu Pferde aus dem nächstgelegenen Dorfe im Norden."
"Interessant!", sagte ich im Plaudertone, versuchte dabei, etwas charmant zu wirken.
"Unsinn!", schnarrte Henry. "Was soll dabei schon interessant sein? Der Kerl ist hässlich wie die Nacht! Ein wahrer Teufel! Es ist besser, wenn du ihn nie siehst!"
Nachdenklich rieb ich mir das Kinn. Hier war alles merkwürdig, seltsam, auch blockierend unlogisch. Hier konnten weder harmonische, schön fließende Gespräche entstehen, noch gesunde sowie aufschlussreiche Nachdenklichkeit. Es gab sich alles hart, lichtlos, mysteriös und durch ungute Nebenschwingungen begleitet. Kurzum: Mir gefiel hier immer weniger. Bis jetzt hatten mir lediglich der Kaminhaken sowie die Flammen zugesagt, ansonsten gar nichts. Das konnte durchaus als dürftig angesehen werden, als höchst verbesserungswürdig. Und nun noch der Diener aus dem Norden also, durch welchen sich eventuell die nicht vorhandene Freundlichkeit Henrys zum Guten umschlagen lassen täte. Nun ja, durch einen wahren Teufel also, denkwürdig!
Ich sagte dem Hausherren nun, dass in den nächsten Tagen eventuell meine Verlobte vorbeischauen würde, obwohl ich mir tief wünschte, sie würde dies nicht tun. Mein Gegenüber nahm das grunzend zur Kenntnis, wobei sein zerfurchtes Antlitz völlig reglos blieb. Es schien dem Manne vollkommen gleich zu sein. Wenigstens sprach er nicht wütend dagegen an, dies hätte letztlich ja auch passieren können. Überhaupt fragte ich mich, wie lange ich eigentlich hierbleiben sollte oder wollte; innerhalb dieses Bereiches gab ich mich noch ausgesprochen unschlüssig. Im Endeffekt konnte es ja durchaus geschehen, dass der Mann noch freundlicher wurde - dann, wenn der wahre Teufel eintraf ...
Nun, im Laufe des nur noch kurzen Tages wurde mir noch mein Zimmer gezeigt, es befand sich im oberen Stockwerk und war sogar mit Bett nebst sauberer Wäsche ausgestattet. Mit Sicherheit war hier der geheimnisvolle Diener aus dem Norden in Tätigkeit geraten - bei Henry konnte ich mir entsprechende Vorbereitungsarbeit im Prinzip kaum vorstellen. Nun, ich war es zufrieden und dankte auch. Henry winkte lediglich mürrisch ab. Er meinte nur, für meine Übernachtungen - er nutzte in der Tat die Mehrzahl - von mir keine Bezahlung nehmen zu wollen, was ja eigentlich selbstverständlich war, da ich ihn ja seelisch unterstützen sollte. All seine Worte, die selten genug fielen, kamen generell fahrig und unwirsch daher; wenn hier echte Heilung von meiner Seite her geschehen sollte, musste ich mich wirklich mehr als anstrengen. Mir kam ein echter, felsenfester Zweifel, ob es gelingen konnte, diesen Berg aus Unfrieden und Selbsthass zu heilen.
Als ein wenig bemerkenswert muss einsortiert werden, dass der alte Kamerad neben seiner unguten Grundstimmung sowie seinen hässlichen mündlichen Bemerkungen ab und an - wenn auch äußerst selten - etwas sagte, das weniger böse, gemein und gehässig klang. So hatte er zwei oder drei Kurzaussagen getätigt, bei deren Aufschallung man durchaus glauben oder denken konnte, dass sich der Mann verbal bessern wollte. Es handelte sich mehr oder weniger um ausgesprochene Stoßseufzer, leise Beteuerungen sowie angedeutete Entschuldigungen. Er meinte am späten Abend, als er noch einmal bei mir vorbeischaute und mir gar ein Glas Wein brachte, dass er es sehr wohl wünschen würde, endlich seine Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber sowie auch allen möglichen Themen gegenüber zu verlieren. Kurz bat er in diesen Angelegenheiten nochmals um eine eventuelle Hilfe meinerseits, was ich verwundert zur Kenntnis nahm. Fing er sich? Doch nein, immer, nachdem er ein wenig milder geworden war, kamen neuerlich derbe Gedanken aus ihm heraus, die an Härte nur schwerlich zu überbieten waren. Es war, wie schon erwähnt, nie viel, was er oral äußerte, doch da diesbezüglich nur Wenigkeit, ja Kargheit herrschte, wirkte jedes Einzelwort umso intensiver.
Eine anmerkenswerte Seltsamkeit präsentierte sich zusätzlich in einer sehr schwachen Ausformung; ob es von Belang war oder mitnichten, kann ich auch itzo nicht genauer eingrenzen, doch sah ich kurz, als er einmal an mir vorbeischritt, etwas in der Art, als würde ein ganz seichter Schatten im Umrisse seiner eigenen Gestalt seinen Körper verlassen beziehungsweise flüchtig sowie unvollständig aus selbigem heraustreten. Das Ganze war, ich merkte es schon an, leider nur so dezent, transparent und hinterfragenswert, dass es eigentlich kaum für bare Münze genommen werden konnte und kann, doch ich will es der Vollständigkeit halber hinzufügen. Es passierte aber in der Folge eine Abmilderung einer seiner harten Aussagen - bis hin zu den genannten Stoßseufzern. Kurz war das, oh nur kurz - doch geschah es. Wie ichs einzuordnen hatte, überließ das Universum ganz mir selbst.
Nun, den Inhalt meines Koffers hatte ich mittlerweile längst in den zwei Schränken, die sich in meinem mir zugewiesenen Zimmer befanden, untergebracht. Der Hausherr hatte mir noch zugebrummt, dass ich Speisekammer sowie Küche nutzen konnte, wenn ich Verlangen danach verspürte - er selber würde unter keinen Umständen für meine Bedürfnisse und meine Bequemlichkeit sorgen können. Hätte ich Hunger, solle ich essen. Spürte ich den Drang nach Gemütlichkeit, sollte ich den Kaminraum nutzen, mitsamt meiner eigenhändigen Erneuerung des Feuers darinnen, wenn dies denn notwendig wäre. Ansonsten hörte ich keine weiteren Belehrungen von ihm, die meinen Aufenthalt hier im Hause betrafen. Ich schloss daraus, dass ich mich hier frei bewegen durfte, wie mir der Sinn stand. Henry gab sich sowieso meistens hinfort; die Gesellschaft meiner Person schien ihm nicht derart dringlich am Herzen zu liegen, wie er es vor einiger Zeit brieflich zum Ausdruck gebracht hatte. So fühlte ich mich im Gegenzuge so frei, sein Haus als das meine zu betrachten. Noch am Abend meines Ankunftstages nahm ich mir eine weitere Handlaterne, die hier überall verteilt umherstanden, brannte mit einem Zündholz - eine wunderbare neue Erfindung freilich - die Kerze darin an und startete diverse Haus- sowie Gemächer-Begehungen. Ich sage sogleich, dass es mir immer wieder so erschien wie bei meinen einstigen Läufen durchs Gebäude vor etlichen Jahren - es wurde Schlichtheit erblickt, eine gewisse übelriechende Leere, an vielen Stellen und Orten heftige Reparaturbedürftigkeit sowie Notwendigkeit gewisser Erneuerungen, da Ausbesserungen da gar nichts mehr bewirken konnten beziehungsweise nicht mehr möglich waren. Es präsentierte sich in sämtlichen Bereichen des altehrwürdigen Baues so, und auch auf dem Dachboden, den ich schließlich neugierig ebenfalls betrat, verhielt es sich dergestalt. Bei Gott, was für ein Sammelsurium an Gerümpel tat sich dort im schwachen Lichte meiner Handlaterne auf - was für ein Reich aus Dreck, durcheinandergezogenen Spinnweben und nutzlosem Schrott, überall liegend oder stehend in diversen halb zerfallenen Kammern, Verschlägen und notdürftig abgetrennten Ecken. Einiges war hier grob zusammengezimmert worden, von den Vorbewohnern des Hauses sicherlich, um wenigstens eine Art Ordnung in jene voluminös ausladende Räumlichkeit unter dem Dache zu bringen. Altes war schlicht und einfach so belassen worden, wie es befindlich gewesen war - dann hatte man weitere Notwendigkeiten angefügt, ausgebaut und so weiter und so fort. Entstanden war ein wildes Durcheinander von Materie, das nur unter Mühen sinnlich voneinander getrennt werden konnte - dies vermutlich am besten bei qualitativ höherwertigem Licht. Was mir aber nebenher sofortig auffiel, war die unfassbar beachtliche Bedrückung sowie Beklemmungsgefühle, die man eigentlich gar nicht in Worte fassen konnte und kann. War dies ausgelöst durch den Inhalt dieses Dachbodens? Einzig und allein verursacht durch dessen Düsterkeit sowie die Aura der hoffnungslosen Unordnung? Ich konnte mir diese titanische Bekümmerung auf jeden Fall nicht begreiflich oder verständlicher gestalten, so sehr ich auch nachgrübelte darob. Es gab sich einfach, wie es sich gab - eine Sinnierung darüber wurde mitnichten gefordert. Bald gab ich auch jegliche Spintisierung und Denkelei auf, ließ vielmehr die Blicke noch ein wenig umherwandern. So fiel mir im Lichtkegel ein schroffer Nagel auf, der aus dem alten Holze eines Bretterverschlages herausstarrte, ganz mit seiner gefährlichen Spitze, die in natürlicher Handhöhe befindlich und nicht ungefährlich war bezüglich möglicher Verletzungen, wenn man nicht Obacht gab. Ein längst rostig gewordener Quell der Gefahr. Doch weiß ich nicht, wie es zuging - der plötzliche Anblick, die jähe Entdeckung jener bedrohlichen Spitze verursachte mit einem Male eine noch tiefere seelische Erschütterung meiner Person - in absolut unbegreiflich hoher Wucht und Macht ...
Es geschah in der grauseligen Folge des Anblickes des Nagels nur eines - mein sofortiger Rückzug vom Dachboden nämlich, da ich in einer ganz eigentümlichen, bisher nie erlebten Art und Weise unter einem Schocke stand. Wie sehr breite Ströme durchzog Depression oder vielleicht besser Lähmung nebst Trauer meine Psyche, und schon während meines Abstieges mittels der steilen, hölzernen und fürchterlich knarrenden Bodentreppe merkte ich tief, dass alles, was jäh an negativem Gefühlsgut wirbelte und drallte, nicht mehr durch meine eigenen Kräfte vertrieben werden konnte. Das gestaltete sich wider dem Gesetze jeglicher Logik, obwohl ich mich verschwommen daran erinnerte, in irgendeinem Fachartikel einer Wissenschafts-Zeitschrift darüber gelesen zu haben, dass es derlei durchaus geben würde. Anblicke konnten also unschönes Gefühlsgut erwachen lassen, doch wenn, dann nie dauerhaft. Ich aber hegte das Gefühl, dass es nun um mich geschehen war ... Die Vorstellung, dass es jäh wieder mit dem Lichte in mir zugehen würde, zeigte sich außerhalb jeglicher Reichweite.
Nur unterdrückt war mir klar, dass es gut wäre, wieder meinen Raum aufzusuchen. Auch das Gemach mit dem Kamine erschien mir geeignet. Mehr als setzen würde ich mich nicht können. Platz nehmen und dumpf grübeln - dies gab sich wohl als meine Zukunft ...
Letztlich saß ich kurz im Gästezimmer, welches mir zugewiesen - danach fand ich mich im Kaminraum ein. Irgendwie war ich wie unter einer Betäubung dorthin gewankt, da die Schwingungen im Gäste-Gemach nicht mehr zu ertragen. Blicke durchs Fenster in die Nacht geschahen beiläufig; Gedanken kamen unterdrückt auf, um sofort wieder zu entschwinden im Finster. Von draußen drückte sich der Wind gegen das Fensterglas; es knackte, rauschte und stöhnte hohl.
Das Kissen, welches schon von meiner Seite bemerkt worden war, lag noch immer achtlos auf dem Boden. Ich hob es vom alten Parkette auf, drückte es mit den Händen, zog und zerrte daran. Ich fauchte dieses Kissen an ...
"Du weißt auch nicht, warum der Nagel mich schier tötet, nicht wahr? Du, liebes Kissen, weißt es auch nicht, oder?"
Ich warf wild den Gegenstand von mir. Ein Zinnteller wurde getroffen, polterte lautstark unten auf. Der kurze Lärm schallte schier durch dieses gesamte Gepensterhaus ...
Voller Fassungslosigkeit sowie gebremst durch überhohe Melancholie krachte ich auf die Sitzfläche des Sessels. Vor mir war nur noch leicht rötlich glimmende Fläche - das Feuer im Kamine präsentierte sich erloschen. Mit Sicherheit war es kalt, doch ich merkte und fühlte nur den inneren Winter, nicht den äußeren. Bilder quollen auf, wie aus der rostigen Nagelspitze Würmer austraten - weiße Fäden, die wie träger Teig hervorkamen und ins Leere plumpsten. Was für ein deutliches geistiges Bild - irr, wirr und vollendet kontraproduktiv! Augenblicklich rammte ich mich aus dem Sessel empor, um wie ein Wahnsinniger durchs gesamte Gebäude zu humpeln. Der Nagel ... Dieser Nagel ...
Doch ich konnte doch einfach hinauf und ihn herausziehen! Wo war eine Zange? Verdammt, wo gab es eine Zange?
Nein! Nein ... Ich sackte an einer Wand in mich zusammen, bis hinab auf den Teppich, der grauenhaft stank. Ich streckte alle Gliedmaßen aus, in vollendeter Verzweiflung. Diesen Nagel: Ich durfte ihn nicht anrühren! Warum? Weil ich wie erstarrt war! Um mich herum schloss sich ein Stein zusammen. Bewegung gab sich mitnichten mehr möglich. Alles in mir schrie: DU BIST ZU FAUL! DU BIST ZU FAUL! DU WIRST DIESEN NAGEL DESHALB NIE ENTFERNEN KÖNNEN! FAULPELZ! FAULPELZ!
Erschütterung erfasste mich, als ich begriff, dass ich am Beginne stand, wahnsinnig zu werden. Allein die Auffindung des aus Holze ragenden Nagels, mit der Spitze zu mir, hatte mich irr gestaltet! Irr!
Das, was nun noch geschah, war mein Einschlafen auf dem dreckigen Teppich in irgendeinem Gemach.
Nun, es folgten wahrlich Tage, auf welche ich näher gegliedert einzugehen gar nicht in der Lage bin. Mir ist nicht einmal bewusst, wie viele Tage es waren, die mich unverständlicherweise noch immer in diesen eisigen Mauern hielten. In mir gab es weder Freude noch Hoffnung, alles zeigte sich im Sickerlichte meiner dumpfen geistigen Brütereien, die kein Ende nehmen wollten. Meine Seele war eine Gequälte, und alles, an was ich noch denken konnte, war jener rostige Nagel auf dem Dachboden - über dem Kopfe Henrys und mir. In diesem Gegenstand, der in seiner Position da oben auch wirklich nicht ungefährlich war für jemanden, der ohne Achtsamkeit dort vorbeischritt, steckte alles Unbehagen, was im Hause malträtierte. Im Grunde war das Rätsel gelöst, warum das Gemüt im Gebäude derartig abstumpfte. Die nach unten ziehende Kraft voller Negativität wohnte im Nagel selbst! Ich wusste dies einfach, ohne es allerdings sinnvoll erklären zu können. Es war mir eingegeben worden - durch wen oder was, entzog sich vollends meiner Kenntnis. Und so schlief ich eines Nachts neuerlich in irgendeinem Gemache auf irgendeinem schmutzigen Teppich ein.

Schläge weckten mich. Klopfen. Mehrfach. Im gesamten Hause zu hören. Wo war ich? Ja! Im Henry-Haus. Ja ...
Wer betätigte draußen den Türklopfer? Laut schallerte es!
Ich kam ächzend auf die Beine und versuchte, mich hier irgendwie zurechtzufinden. War da nicht etwas gewesen mit einem Diener aus dem Norden? Und wieso reagierte der Herr des Hauses nicht - Henry? Was war hier los?
Ich wankte hinunter zum Portale, wo es wieder mit der Klopferei begann, nach längerer Pause. Ich kam am Türschloss an, drehte den alten Schlüssel. Nachdem ich die Türe etwas aufgetan hatte, sah ich - verschwommen wie unter Wasser - die Gesichtsscheibe von Rodericke. Meine Verlobte war da!
Freilich ließ ich die Geliebte herein, selbstredend zeigte die Frau höchste Freude. Doch ich selbst? Ich selbst war wie gehemmt, wie entschleunigt, wie unter dem Stoffe einer geheimnisvollen medizinischen Spritze ... Ich empfand - nichts! Rein gar nichts ...
"Rodericke, ich ..." Der Satz war nur halb fertig. Vielleicht nicht einmal das. Eine innere Freude, eine innere Regung - es zeigte sich diesbezüglich eine riesige Null von meiner Seite. Auch Henry kam nicht in die kleine Halle des Hauses, obwohl er das Klopfen gehört haben musste. Doch es interessierte ihn anscheinend nicht. Es interessierte ihn nicht. Er hegte kein Interesse daran. Es war dem Manne egal. Mir war es eigentlich ebenfalls egal. Ja, und da stand sie nun, Rodericke. Stand da, und neben ihr ihr Koffer ...
Ich denke heute darüber nach, ob Rodericke schutzbedürftig wirkte - schutzbedürftig oder doch eher selbstbewusst. Auf brauchbare Erinnerungen komme ich betreffs dieses Feldes mitnichten, doch dafür weiß ich noch bewegt, dass ich Anmerkungen wegen ihres Gepäckes tätigte, dass ich dieses ein wenig zur Seite an die Wand heran stellte. Meine Blicke irrlichterten durchs Haus, um eventuell irgendwo Henry ausfindig zu machen; doch sah man ihn nirgendwo. Die Türe zu dem Zimmer, wo sein berühmter Schlafsessel aufenthaltig, stand zwar sperrangelweit offen, doch auch hier gab es von dem Manne keine kleinste Spur. Es wurde sich rasch wieder der Verlobten zugewandt, die mich nun ununterbrochen ausfragte, was schlimmste Launen in mir noch vertiefte. Es kamen Fragen des Schlages, wie es mir denn ginge, Fragen der Art, wie lange ich denn schon hier sei, und so weiter und so fort. Meine Kehle indessen war wie zugeschnürt, kein einziges Wort einer Antwort kam heraus. Dafür aber, etwas später, entfleuchten mir einige glucksende Laute, die wohl Sprache hätten sein sollen, es aber kaum waren. Die Blicke, die ich erntete, sprachen sicher Bände, doch konnte ich diese in jenen Minuten weder deuten noch genauer einordnen. Das verrückteste Ding jedoch gab sich dergestalt, dass ich letztlich andeutete, die Verlobte möge doch bitte die Stufen mit nach oben kommen - bis hinauf zum Oberboden ... Dafür hielt ich bereits neuerlich eine Laterne mit brennender Kerze in der verkrampften Hand, müde hüpfte das Licht im grausigen Gebäude umher.
Rodericke folgte mir in der Tat bis hinauf auf den schaurigen Dachboden, auf dem angekommen ich sofortig auf eine bestimmte Stelle zuschritt und meine Begleiterin anherrschte, sie solle mir nun gefälligst folgen. Ja, ich brachte wieder gesprochene Sätze heraus, doch war ich beherrscht von seltsamen Wutanfällen. Normalerweise hätte ich mich nie wieder hierher unters Dache gewagt, doch zeigten sich nun alle Nuancen meiner Seele völlig andersgeartet; jäh sollte etliches heraus - recht plötzlich, doch voller Zorn über die Existenz selbst. Ich erwähnte ja längst, umfangen gewesen zu sein vom Irrsinne - und tatsächlich: Dieser Umstand schälte sich itz ganz besonders stark und machtvoll heraus.
Fragend stand die Dame mit mir am Nagel, starrte darauf. Hässlich blakte alles aus dem Laternenlicht heraus. Der Rost, die furchtbare Krummheit des Dinges, das schreckliche Holz, welches das Objekt umgab. Es offenbarte sich als ein einziger Horror, was ich hier sehen musste, ja MUSSTE! - doch einfügen in irgendwelche Logik dieser Erdenwelt konnte ichs mitnichten. Ich stand inmitten eines Dralles des Wahnsinns, während Rodericke davon außerhalb befindlich ...
Tausend Blicke von ihr trafen mich mit Sicherheit, ernsteste Zweifel an meiner Person gaben sich hier definitiv die Ehre, wenn ich es mir heute recht bedenke. Doch ich stand am Nagel, deutete auf diesen, brachte nur glucksendes Gelächter aus mir heraus. Dieser Gegenstand war es - dieser Gegenstand!
Meine Verlobte verließ schnellstens die Räumlichkeit. Ich kann es kurz machen: Sie floh aus dem Hause, ohne ihren Koffer auch nur anzurühren. Sie hatte schlicht und ergreifend diese Stätte verlassen, von der sie wohl - so wie ich es mir selber denke - nur noch eines hielt: Das Haus hatte ihren Partner umgestaltet - hin zu einer Kreatur des eigentlich Unmöglichen!
Unten am Portale sah ich, wie sie schnell in die offene Landschaft rannte, sich nicht mehr umschauend, wohl nur noch beschäftigt mit Fluchtgedanken ... Ich konnte es ihr nicht verübeln und spürte lediglich eine lähmende Trägheit in mir, eine unendliche Gleichgültigkeit. Sollte sie doch rennen - sollte sie doch! Spürte ich letzte Gefühle für sie? Nein ... In diesen Augenblicken mit Sicherheit nicht.
Bald hatte ich meine Sachen zusammengepackt, einen Teil davon ließ ich einfach im Hause. Ich hatte vor, im Schwalle einer kaum ertragbaren Trübsinnigkeit - und seltsam war es, dass es überhaupt eine Art von Plan gab - den Hort hier hinter mich zu lassen - einfach aus meinem Leben zu streichen. Ich hatte die Kleider am Leibe nur leidlich geordnet, doch ging ich bald aus der Eingangspforte heraus, wo gerade eine entsetzliche Kreatur anhielt, zu schauerlich schwarzem Pferde ... Hinter mir ertönte ein nicht zu ertragendes, hölzernes, unglaublich dummes Gelächter - es war Henry, der da ebenfalls aus dem Hause schritt und seinen Diener aus dem Norden empfing. Mir schenkte Henry keine einzige Sekunde einer leisen Aufmerksamkeit.
Die zwei Teufel - einer hässlicher als der andere - begrüßten sich in merkwürdigster Herzlichkeit, während ich selbst nun nur noch eines tat - nämlich einfach in den bittertrüben Morgen hineinzugehen, hinfort hier, hinfort! Ächzend stieg ich über einige Steinbrocken hinweg, links und rechts von mir in spärlicher Zahl einige starre Baumreste, die im Bereich des Bodens von einer dicken Nebelschicht umwallt wurden. Stunde um Stunde schleppte ich mich dahin, zwei an Zahl waren es wohl - vielleicht auch drei. Ich schaute mich kein eiziges Mal mehr um. Alle Gedanken gaben sich wie gefesselt, wie hart unterdrückt. Es war - und hier weiß ich, dass es der Leser nicht begreifen kann - ganz und gar so, als hätte ich keine Regungen mehr in mir, die wohl angebracht gewesen wären. Eine schwere Trostlosigkeit waberte, bleiern, grau und ohne Rest irgendeiner verdammten Hoffnung ...
Wankend kam ich bei jener Wirtschaft an, die ZUM SCHWARZEN KÖHLER hieß. Es wurde darinnen schon gearbeitet, der bekannte Wirt ließ mich ein. Ich tätigte dort einen ganzen langen dumpfen Tag nebst Übernachtung, dann reiste ich Bringer jeglichen Unglückes in meine dunkle, klamme, übelriechende Heimatstadt zurück - entledigt der Partnerin, entledigt jeglichen Gefühles, welches "normal" genannt werden konnte. Ein Vegetierender im Schmutz bin ich, haltlos in meinen schlimmen Stimmungen - ohne jegliche Möglichkeit, mich irgendwie mit Mitmenschen in humane Verbindung zu bringen. Vergegenständlichter Ärger, vergegenständlichter Schmutz und Schund - bin ich dies? Ich weiß es nicht. Ich werde meine Kleidung noch heruntertragen und dann sterben ... Ich, der ich kein Mensch mehr ...
Und so gluckern die schwarzen Brackwasser der Hafengegend um meine nasse, stinkende Bleibe. Dumpfheiten regieren, die mitnichten auch nur vom Schwanze her begreiflich. Und wenn ich an meinem trüben Spiegel stehe, starr wie ein Pfahl, so sehe ich im fast versiegenden Licht einer trauervollen Kerze meine totenbleiche Stirne, auf der das Abbild eines krummen, rostigen Nagels prangt ...

ENDE

 

Hallo Leichnam,
ich hätte deine Geschichte gerne gelesen, habe aber nach der ersten Seite aufgegeben.
Fast ohne Absätze und völlig unstrukturiert, war mir das nicht möglich! Mit einfachen Mitteln kannst du das viel Leserfreundlicher machen.
Gruß
master

 

Ein guter alter Freund, den ich schon recht lange nicht mehr gesehen hatte, da sich unsere Wege doch recht klaffend getrennt, sandte mir im kalten Herbste des Jahres 1811 einen inhaltsreichen Brief zu, der mein Dasein in der Folge in bedenklich dumpfen Hinsichten verändern sollte.

Moin,

ich denke, du wolltest hier so ein wenig den Lovecraft-Sound emulieren. Aber das ist dir meiner Meinung nach nicht gelungen. Bei solchen Sachen, da muss alles passen - der Leser weiß ja, es ist nicht echt, es ist Fiktion, und dann möchte man die suspension of disblief schon so dick und dicht wie ein gut belegtes Wurstbrötchen haben. Sonst glaubt man dem Ganzen eben nicht.

Ein guter alter Freund. Wenn sich die Wege klaffend getrennt haben (kann man das so sagen? Vielleicht sind die Wege auseinandergegangen, aber ist klaffen hier das richtige Wort?) sind sie dann noch gute alte Freunde?
Inhaltsreicher Brief. Sagte man das im 19 Jahrhundert so? Da geht das schon los, es vermengen sich die Register, das klingt konstruiert, und nicht natürlich. Auch dass das Lesen des Briefes sein Dasein in bedenklich dumpfer Hinsicht verändern sollte; was genau soll das bedeuten? Bedenklich dumpfer Hinsicht? Außerdem verrätst du schon alles, deine ganze Prämisse legt alles fein säuberlich aus: Brief, alter Freund, etwas verändert sich. Warum sollte ich den Text nun noch lesen wollen? Da gibt es kein Geheimnis, kein Transfer, den der Leser erbringen muss, alles steht da ausbuchstabiert. Ich denke, wäre es nicht besser, den Grusel langsam Stück für Stück in den Text zu bringen?

Gruss, Jimmy

 

Ihr habt durchaus recht, liebe Freunde.
Der nächste Versuch wird besser. Danke für die nutzbringenden Hinweise!

Karsten

PS.: Arbeite bereits am nächsten schaurigen Text. Titel: Notah die Ledertasche.
Mal schauen, wie das gelingt.

 

Hallo @Leichnam,

ich habe deine Geschichte bis zum Ende gelesen und hatte Spaß damit. Einige Punkte sehe ich aber als verbesserungswürdig an.
Mittlerweile hast du eine Antwort hiergelassen, in der du schon die nächste Geschichte erwähnst. Das heißt hoffentlich nicht, dass du den Text hier schon aufgeben willst, oder? Das wäre schade, denn mir hat vieles davon gefallen. Ich muss aber auch dazusagen, dass ich viele Lücken mit der eigenen Fantasie schließen musste. Zum Beispiel:

Ich wischte mit der Hand einige der flatternden Spinnweben hinfort, die sich an dem alten Brette befanden, und blickte mit tausend Schaudern die hohe Wand vor mir hinauf.
Henrys Haus wird nur schemenhaft beschrieben, etwa hier mit einer hohen Wand. Aber wie sieht die aus, ist es eine Holzfassade? Oder massives Mauerwerk mit Ornamenten? Um mir das alles und auch die Raumanordnung etc. gedanklich aufzubauen, habe ich zwischendurch immer wieder pausiert.

Der Schreibstil ist sehr ausschweifend, das hat für mich aber zur altertümlichen Sprache gepasst. Irritiert haben mich hingegen einige Wörter, die moderner sind, du vermischt mehrere Sprachregister. Ist das Absicht? Das lässt mich zumindest dieser Satz vermuten:

Ich war, um es etwas lax zu formulieren, wahrhaftig am sagenumwobenen Arsche dieser Welt ...
Isoliert betrachtet kann man darüber lachen, aber in einem längeren Text wird das schnell anstrengend. Auch solche Wortkombinationen wie "Henry-Haus", "Stimmungs-Skala", "Egal-Stimmungen" würde ich anders formulieren. Das ist vielleicht eine interessante Charakterisierung des Protagonisten, passt aber nicht ins Jahr 1811.
Noch am Abend meines Ankunftstages nahm ich mir eine weitere Handlaterne, die hier überall verteilt umherstanden, brannte mit einem Zündholz - eine wunderbare neue Erfindung freilich - die Kerze darin an
Ich hoffe übrigens, dass du für die Hintergründe ausgiebig recherchiert hast. Die ersten Zündholzer funktionierten damals ja noch anders. Sie hießen noch Schwefelhölzer und fingen viel leichter Feuer, weil dafür nur der Zündkopf freigelegt werden musste.

Wenn du den Text inhaltlich noch verbessern möchtest, habe ich eine Idee. Der Titel lautet ja Der rostige Nagel, aber würde es in der derzeitigen Fassung nicht genauso ablaufen, wenn es ein anderes Objekt wäre, etwa ein Messer, eine Säge, eine Wurzel oder ein Dolch? Das Teil könnte dann am Schluss ebenfalls in der Stirn stecken und es würde nichts ändern. Oder habe ich einen Zusammenhang überlesen?
Im Brief am Anfang könnte eine andere Information stehen. Etwa ein konkreterer Hilferuf und die Erwähnung, dass der Auslöser des Problems im Haus ist. Dann beim ersten Auftritt des rostigen Nagels wird klar, das der gemeint war. Und im späteren Verlauf kann die Hintergrundgeschichte des Nagels angedeutet werden. Warum lässt der überhaupt alle verrückt werden? Du musst nicht alles erklären, aber wenn du zumindest irgendwas andeutest, was mit dem Nagel in Zusammenhang gebracht werden kann, würde das schon deutlich helfen.

Ich wünsche dir noch viel Spaß beim Schreiben, und bloß nicht entmutigen lassen! :)

Viele Grüße
Michael

 
Zuletzt bearbeitet:

Michael, Danke!
Du hast mit allen Punkten recht. Allerdings ist es in der Tat so: Ich beende was und beginne was anderes. Es spuken da zu viele Sachen im Kopf, die raus wollen. Nebenher zeichne ich noch Cartoons. (Einfach "Leichnamcartoon" googeln per Bildersuche), bin Schichtarbeiter im Stahlbau (Schweißer), habe Familie, gehe auf echte Seancen physikalischer Medien und und und ... Manchmal denke ich, es wäre besser, die Schreiberei zu lassen. Die notwendige Energie fehlt allmählich, um stetig noch zu verbessern. Ich weiß, auf Wortkrieger gibt's immer tolle Hinweise. Das ist hohes Gut.
Langsam verlassen mich jedoch die Kräfte. Konzentration, Ausdauer, Leistungsfähigkeit. Ich schreibe mehr für mich selbst, aber dachte mir: Hau mal wieder zwei, drei Dinger raus. Einfach so. Es ist ja wahrlich nur Freizeitbeschäftigung. Aber gut, auch da ist es wertvoll, Tipps zu verinnerlichen.
Aber so langsam merkt der Karsten: Auch, wenn ich schon paar hundert Geschichten verfasst habe - ich werde nicht mehr besser, falle auch immer in alte Muster zurück.
Wortkrieger ist echt was für Profis geworden. Eigentlich damals schon als Kurzgeschichten.de.
Ich möchte die Ledertasche noch bringen, eventuell als Ausstieg hier. Es ist, als könne ich die Latte, die hier gelegt wird, nicht mehr überspringen. Vielleicht auch langsam zu alt mit fast 57. Ich weiß es nicht. Spaß macht es eben noch, die Schreiberei. Selbst, wenn nur meine Frau mal was liest.
Freunde, es ist alles nicht so einfach auf der Erdenwelt in Materie und 3D. Aber bissel Freude bringt es noch. Danach geht's hinein in die geistige Welt.

Ich danke dir herzlich, guter Freund!

 

Hallo @Leichnam !

Ich fand deine Geschichte im Großen und Ganzen gut, nicht obwohl, sondern weil du sie in einem antiquiert eingefärbten Stil geschrieben hast. Das ist zwar anstrengend zu lesen, und ich verstehe, wenn nicht alle darauf Lust haben. Aber als Fan von altertümlicher Literatur freue ich mich, wenn heute noch jemand den Mut hat, scheinbar unnötige Details reinzubringen. M.E. wird bei dem Kürzungsdrang in heutigen Texten gern vergessen, dass eine Geschichte auch mal dazu da sein kann, sich an andere Orte entführen zu lassen, um voll in diese einzutauchen. Vielleicht sind knappe Beschreibungen besser zum Reinkommen, aber dein Stil ist dafür geeigneter, im Text zu schwelgen :)

Die Vermutung, die @jimmysalaryman äußerte,

ich denke, du wolltest hier so ein wenig den Lovecraft-Sound emulieren.
sehe ich anders, da sowohl der Stil und die Zeit nicht zu Lovecraft passen. Der war ja spätes 19./ frühes 20. Jahrhundert. Dein Text klingt für mich tatsächlich auch mehr wie etwas von 1811 rum.

Wobei sehr oft auffällt, dass das kein Original aus dem 19. Jahrhundert ist. Dafür hast du zu viele moderne Redewendungen drin (@Michael W hat's schon erwähnt). Dann wieder wirken andere Formulierungen so übertrieben "altertümlich", dass ich erst dachte, du schreibst eine Persiflage. Das fand ich allerdings amüsant, hat mich also zusätzlich bei der Stange gehalten.

Falls du tatsächlich eine Persiflage schreiben wolltest, passt das nur nicht ganz zu dem düsteren Inhalt, finde ich. Hat mich nicht extrem gestört, nur etwas verwundert.

Und Stellen wie

Wenigstens aber konnte ich sagen, eine hübsche intelligente Dame an meiner Seite zu haben, wenn dies jetzt auch, aus Gründen der beruflichen Orientierung meiner Partnerin, nur von Zeit zu Zeit der Fall gewesen war.
wirken anachronistisch. Hatten die Frauen vor 200 Jahren denn so viel Selbstbestimmungsrecht, dass sie ungestört ihre Karriere verfolgen konnten?

Du hast mit allen Punkten recht. Allerdings ist es in der Tat so: Ich beende was und beginne was anderes. Es spuken da zu viele Sachen im Kopf, die raus wollen.
Verstehe ich, kenne ich. Don't get it right, get it written.
Für mich ist eine Geschichte auch irgendwann mal abgeschlossen, ich verbessere sie nicht bis in alle Ewigkeit. Du scheinst nur leider gar nichts ändern zu wollen, was dein gutes Recht ist. Aber verstehe bitte, dass ich mir dann auch nicht die Mühe mache, alle sonstigen Details, die mir aufgefallen sind, haarklein wiederzugeben.

Darum nur mein grober Eindruck:
Den Stil fand ich interessant, die Handlung hat mich bis fast zum Schluss mitgenommen, aber dann lässt du den Leser mit dem recht schnörkel- und einfallslosen Ende einfach sitzen. Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, welche dunkle Macht sich hinter dem Nagel verbirgt. Das lässt du offen, und das wäre für mich noch okay gewesen. Aber du gehst auch überhaupt nicht auf das ein, worauf ich viel gespannter war: Den Diener.
Was ist das für ein Typ? Warum zeigt sich Henry ihm gegenüber als einzigem gut gelaunt? Das alles teaserst du an, zum Teil schon in der ersten Hälfte. Dadurch erwartet der Leser, dass mit dem Erscheinen dieser Gestalt irgendetwas dramatisches einhergeht. Aber nichts passiert. Er ist nicht mal annähernd wichtig für die Handlung. Man sollte den Schleier in einer Mystery-Geschichte sicher nicht komplett lüften, aber du erklärst leider gar nichts.
Ich konnte trotzdem einen tieferen Sinn mitnehmen, denn ich habe die Beschreibung einer handfesten Depression herausgelesen. Und die fand ich wiederum gelungen. Der Nagel, der am Schluss in der Stirn steckt, ist für mich auch ein passendes Bild.

Ich fand deine Geschichte jedenfalls gut genug, dass ich es schaden fände, wenn du das Schreiben (oder zumindest das Veröffentlichen) tatsächlich an den (rostigen? ;)) Nagel hängen würdest.

VG
MD

 

MorningDew, Dank! Auch du hast mit allem völlig recht. Und so lange Anmerkungen nebst hilfreichen Hinweisen bekommt man nur hier. Ich mag jede Kritik, sogar Vernichtungen. Autoren unter sich, da sollte es bewegt zugehen. Ist hier der Fall.
Diener: Könnte ich jetzt erklären. Ist schwierig. Er soll halt wie ein Überbau wirken, der zusätzliche Bedrohung ins Spiel bringt. Ein Überbau wie der Dachboden.
Meine Fehler mit Moderne in uralten Zeiten: Versuche es seit Jahren abzustellen, es funktioniert leider nicht. Die Stimmen ...
Ja, ich bringe hier nur noch NOTAH DIE LEDERTASCHE. Das wird noch zwei Monate dauern. Zeitmangel. Schreiberei ist ja lediglich Hobby. Danach verschwinde ich aber mal von hier. Die Qualität meiner Sachen ist zu niedrig. Bin auch bissel zu dümmlich. War nie der Hellste. Ich fühl mich bissel unwohl, da hier unglaublich intelligente Menschen am Start sind. Ich komm mir hier immer bissel vor wie die Reinigungskraft unter Quantenphysikern. Das tut der Psyche nicht gut. Nach der Ledertasche möchte ich wieder nur für meine Möbelschublade schreiben. Mit der Schreiberei halt nur was fürs eigene Gemüt tun. Ich hoffe, das stößt hier niemandem vor den Kopf.

Freunde, es ist alles nicht so einfach. Man liest sich vielleicht bei der Ledertasche.

Ich selber möchte hier keine Texte kritisieren. Bin kein Kritiker oder gar guter Ratgeber. Aber ich lese hier öfter mal was. Gut, ein Buch ist besseres Erlebnis, aber ab und an guckt man sich hier mal um und liest. Tolle Sachen dabei, keine Frage!

 

Moin nochmal @Leichnam!

Qualität meiner Sachen ist zu niedrig. Bin auch bissel zu dümmlich. War nie der Hellste.
Wow! Du hast echt kein Problem mit Selbstkritik, soviel ist sicher! :eek:
Davon sollten sich die ganzen selbstverliebten Narzissten, die mir täglich über den Weg laufen, mal ne Scheibe abschneiden :schiel:
Obs dich aber weiterbringt, dich gleich so fertigzumachen, musst du natürlich selber wissen...

Ich fühl mich bissel unwohl, da hier unglaublich intelligente Menschen am Start sind. Ich komm mir hier immer bissel vor wie die Reinigungskraft unter Quantenphysikern.
Um mich zu outen: Ich bin auch kein superintelligenter Literaturkritiker, aber dafür habe ich von den Profis hier schon viel gelernt. Von wem auch sonst? Wenn ich kritisiere, dann primär aus meinem subjektiven PoV heraus, aber schließlich geht es beim Schreiben stark ums persönliche Empfinden.
Und es heißt ja, still wäre es im Wald, wenn nur die besten Vögel singen würden.

Bin trotzdem gespannt auf Ledertasche und wünsche dir noch viel kreativen Flow, auch, wenn der künftig nur in deine Schublade fließen wird ;)

VG
MD

 

MorningDew, grüße dich!

Keine Sorge, der Karsten macht sich nicht fertig. Im Gegenteil.
Beschäftige mich schon drei Jahrzehnte mit physikalischer Medialität, bin auch öfter Sitzer beim weltbesten physikalischen Medium Kai Felix Mügge. Auf Seancen habe ich häufig die andere Seite gesehen. Ektoplasmische Materialisationen erlebt, immer wieder. Levitationen, Portale. Alles erlebbar. Man sollte freilich erst in solche Sitzungen, wenn man sich tief damit beschäftigt hat. Ansonsten wird man auch gar nicht zugelassen.
Lange Rede kurzer Sinn: Da ich um mein sanftes Fallen nach dem sogenannten "Tode" weiß, bin ich der zufriedenste, ruhigste Mensch, den man sich denken kann. Diese letzten vielleicht noch 20 bis 40 Jahre sind mein glücklicher, ruhiger Abschied von der Welt der Materie. Das erfüllt tief. Der Karsten lächelt und ist höchstlich vom Glück erfüllt.

Herzlichen Dank und viele Grüße an dich, MorningDew! Du bist ein sehr guter Mensch.

 

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