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Der See

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29.10.2001
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Der See

Der See

Schwimme, das ist einfacher. Halt dich irgendwie oben. Halt durch. Es ist anstrengend und mühselig, ja. Aber du schaffst es. Kommst durchs Leben. Gehst nicht unter. Alles klar. Überschaubar. Ruhige See. Die Wogen geglättet, kein Sturm. Du siehst alles, so weit das Auge reicht. Keine schwerliegenden Sachen. Leicht. Schwebend. Einfach. Trivial. Schwimmend.

Befreie dich von allem was schwer im Magen liegt, sonst sinkst du. Tauchst ab unter die Oberfläche. Es wird dunkler. Strömungen erfassen dich, reißen dich runter. Der Druck - steigt. Die Gefahr, verletzt zu werden – steigt. Die Chance unterzugehen – steigt. Für immer dort unten gefangen. Nicht möglich so sein Leben zu führen. Trivialität ist das was zählt. Belaste dich und es ist dein Ende. Nimms leicht, gehe keine festen Bindungen ein. Rede aber rede nicht. Lass sie an dich heranschwimmen, aber taucht nicht zusammen.
Zeig ihnen nie deinen Schatz, der ganz tief auf dem Grund des Meeresbodens schlummert. Reich, schön, wundervoll und so verständlich. So einsichtlich. Und doch so komplex. So verwundbar. So kommt man nicht durchs Leben. Trivialität ist das was zählt.

Manche holen ihre Schätze an die Oberfläche. Weil sie nicht warten können, bis jemand sie bergen will. Angst, dass sich niemand dafür interessiert. Niemand würde so tief tauchen. Sein Leben aufs Spiel setzen. Also hiefen sie sie hoch. Der Schutz der Dunkelheit verloren, alles offen. Alles verletzbar. Das Seeungeheuer wird zum Wasserläufer. Steigt das Interesse? Nein. Jegliches Mysterium, jegliches Restinteresse, dass durch die Verborgenheit und Unerreichbarkeit der Truhe erzeugt wird verfliegt. Bringe deine Truhe nicht nach oben, und vor allen Dingen öffne sie nicht. Jeder Schwimmer sieht in sie ein.

Lass sie am Meeresgrund. Warte auf denjenigen, der sich die Mühe macht nach ihr zu suchen. Zu tauchen. Bleibt dort unten. So lange ihr könnt. Taucht so selten wie möglich auf. Auch wenn ihr Atemprobleme bekommt.
Gib ihm den Schlüssel. Öffne sie. Ganz langsam.

 

Diese Geschichte hätte besser in "Philosophisches" gepasst. Kleiner Widerspruch hier: "Niemand würde so tief tauchen" und dann "Warte auf denjenigen, der sich Mühe macht, nach ihr zu suchen". Also taucht vielleicht doch jemand nach dem "Schatz", hast Du doch noch Hoffnung, Tingel Tangel?

Alles in allem klingen diese Zeilen nach einem Menschen, der sehr enttäuscht von der Menschheit ist. Er gibt den Rat an den Leser, sich möglichst nach aussen hin abzuschliessen. Dies ist nicht immer weise, besonders nicht, weil viele Menschen nicht erkennen können oder wollen (weil sie Angst vor Enttäuschungen haben), bei wem sie sich nun öffnen können. Und dadurch wird eine Person durch eigenes Handeln isoliert - und paralysiert von unnötiger Angst.

"Taucht so selten wie möglich auf" unterstützt das nur. Riskiert der Schwimmer nicht, aufzutauchen, kann er auch nichts Positives erfahren. Es gibt nicht nur Schlechtes, es gibt nicht nur oberflächliche Leute, aber je mehr man sich vom Leben zurückzieht, desto weniger hat ein Mensch die Möglichkeit, das zu erfahren. Hat man negative Erfahrungen gemacht und zieht sich zurück, bleiben nur die negativen Eindrücke im Kopf hängen. Hat man den Mut, offen für Neues zu sein, bietet sich auch die Chance auf positive Erlebnisse.

Sich als Paar abzukapseln bringt auch nur trügerisches Glück ("Auch wenn ihr Atemprobleme bekommt"). Kein Paar kann sich für immer von der Umwelt fernhalten, ohne sich gegenseitig zu erdrücken (oder auf den Senkel zu gehen).

Lieber Tingel Tangel, ich hoffe, ich habe nicht falsch verstanden, aber ein bisschen mehr Vertrauen in die Welt und andere Menschen täte nicht schlecht! Nur Erfahrungen, negative wie positive, geben einem Menschen die Sensibilität zu erkennen, was richtige und was falsche Freunde sind. Nur dieses (erfahrene, erlernte) Wissen kann den Mut geben, mit dem Kopf aus dem Wasser heraus zu schwimmen, ohne ständig abtauchen zu müssen. Huh, nun klinge ich aber wirklich wie eine alte Tante…
;)

 

Hallo Tingel-Tangel,

mir gefällt an dem Text, dass er in seiner Struktur unerbittlich ist. Der Anfang ist der absolute Gegensatz des Schluss'. Schwimmen und Tauchen widersprechen sich. Außerdem sind die Satztypen, kurze Verhaltensbefehle, ganz typisch für die Ratschläge oberflächlicher Menschen. Daraus ergibt sich eine gewisse Stimmigkeit zwischen Erzählton und Inhalt.

Die unerbittliche Konsequenz des Textes verlangt auch vom angesprochenen "Du" auf den zu warten, der bereit ist zu tauchen, auch wenn es Atemprobleme gibt. Mit diesen Atemproblemen wird euphemistisch die Bereitschaft umschrieben, für den geliebten Menschen alles hinzugeben, was man hat, nämlich auch das Leben. Schön ist das Bild vom gemeinsamen Öffnen der Truhe. Sehr radikal indessen sind die strengen Ansprüche, die du an eine Beziehung stellst.

Hier dürfte sich bei vielen Lesern Widerspruch regen. Aber auch das kann beabsichtigt sein.

Viele Grüße!

Hans Werner

 

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