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Der Sommer nimmt und der Sommer gibt

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12.01.2025
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Der Sommer nimmt und der Sommer gibt

Als ich noch ein Kind war, lehrte mich meine Mutter ein Sprichwort: Der Sommer nimmt und der Sommer gibt. Nun hatte er mir meine Mutter genommen und ich fragte mich, was würde er mir dafür geben?
Momentan blieb mir keine andere Wahl, als weiter dem Zug der Karawane zu folgen. Ich spürte den Stich der Hitze im Nacken, denn mein Kapuzenmantel vermochte nicht länger zu kühlen. Die Sonne hing am Himmel wie ein unerbittlicher Herr, der mit glühender Peitsche sein Vieh vor sich hertrieb. Die Schritte vor mir wurden langsamer. Es waren vor allem die Kranken und Schwachen, die unser Fortkommen verzögerten. Ich sah ihre langgezogenen Gesichter, die trockene, sonnengegerbte Haut, die müden Augen, in denen die Hoffnung schwand, und mir selbst erschien die Aussicht auf eine Wasserquelle wie ein weit in die Ferne gerückter Traum. Die Blätter an den Bäumen hatten jegliches gesundes Grün verloren und die Schatten ihrer knorrigen Äste begannen unter den sengenden Strahlen weiter zu schrumpfen. Vereinzelt erblickte ich Gräser, die die gleiche Farbe von ausgeblichener Trockenheit wie der Erdboden angenommen hatten, als verkomme alles langsam zum gleichen eintönigen, gelben Staub, der uns am Horizont die Sicht versperrte.
Wir passierten ein langgezogenes Becken, dessen Zentrum von tiefen Rissen durchzogen war, während sich um den Rand Tierkadaver sammelten. Ich zog mir meinen Gesichtsschal über die Nase, als der Verwesungsgeruch zu mir vordrang. Die Geier labten sich an den Kadavern, in dem sie Fleischreste mit ihren großen blutigen Schnäbeln herausrissen. Solvar, die Zwillingsgottheit des Sommers mit den zwei Gesichtern, forderte ihren Tribut von Menschen, Tieren und Pflanzen.

Ich konnte bereits das Ende des Beckens erkennen, als ein Horn aus der Ferne ertönte. Es hatte den unverwechselbaren Klang des Büffelhorns, wie es in seiner Verwendung nur den Stammeskriegern gestattet war. Einer von ihnen eilte zu mir herüber. Er trug einen Speer in der Hand, dessen Ende silbrig in der Sonne glitzerte, und die Embleme auf seiner Kleidung wiesen ihn als einen der erfahrenen Krieger aus, die schon viele Sommer gesehen hatten.
»Werte Schamanin«, sagte er, »wir haben die Höhlen erreicht. Der Häuptling bittet um eure Anwesenheit!«
»Führt mich zu ihm«, antwortete ich, und ich folgte dem Krieger vorbei an den in Aufruhr geratenen Menschen, die weiter nach vorne zum Ton des Horns strebten. Ihre Blicke waren geradeaus zum staubbedeckten Horizont gerichtet, wo sich mit jedem Schritt mehr ein Schemen von imposanter Größe abzeichnete. Doch einige sahen erwartungsvoll zu mir herüber, als der Krieger und ich sie festen Schrittes überholten.
Schließlich konnte ich aus der Nähe die Eingänge zu den Höhlen erkennen, wie ich sie nur aus den Erzählungen meiner Mutter kannte. Sie ragten stolz aus dem Staub empor wie die steinernen Gesichter unserer Ahnen, die mit unergründlicher Miene das Tor zu ihrem dunklen Reich bewachten.

Vor dem Eingang bildetet sich eine Traube von Menschen. Ihre Stimmen mischten sich zu einer Dissonanz von Kinderschreien, Stöhnen und Jubel. Ich konnte nicht sagen, ob es Freude oder doch Klagen war, das sie erfüllte.
Der Häuptling tauchte seine Finger in die mit Farbe gefüllte Tonschale und strich mir die Symbole von Solvar über Wangen und Stirn.
»Wir haben den Marsch überstanden. Jetzt liegt es allein an euch«, sagte er, und in seiner Stimme schwangen sowohl Zweifel als auch Erwartung mit.
»Der Sommer wird uns geben«, entgegnete ich. Der Häuptling schwieg für einen Moment, wischte sich die Farbe von den Fingern und musterte mich mit dem Blick seiner tiefliegenden, alten Augen.
»Was ist, wenn es wahr ist, was die Ältesten des Stammes erzählen. Was ist, wenn Solvar uns verlassen hat?«
»Er wird sein zweites Gesicht bald offenbaren«, sagte ich entschlossen, »meine Mutter lehrte mich, die Zeichen zu deuten. Ich sehe es im Flug der Geier und im Wurf der Schatten.«
»Eure Mutter hätte den Marsch nicht gewagt, denn sie kannte die Unbarmherzigkeit des Sommers. Ihr seid fast noch ein Kind. Die wenigen Sommer, die ihr erblicktet, waren reich an Wasser.«
Ich spürte, wie die Zuversicht in meinem Kopf wie der Boden unter meinen Füßen Risse bekam. Da war sie wieder, die Verantwortung, die der Tod meiner Mutter mir aufgebürdet hatte. Sie hatte das Amt der Schamanin an mich weitergebeben, wie es im Stamm seit Generationen von Mutter zu Tochter üblich war.
»In den Höhlen werden wir die Quelle finden und ihr Wasser wird den Stamm nähren«, sagte ich.
Der Häuptling presste die Lippen aufeinander und nahm meine Hand.
»Eure Mutter hatte ein starkes Band zu Solvar. Die Quelle offenbart sich nur der Schamanin, die sich Solvar als würdig erweist. Einen weiteren Marsch durch das Ödland schaffen wir nicht. Beweist mir, dass es klug war, auf euren Rat zu vertrauen.«
Ich brachte kein weiteres Wort über die Lippen und nickte nur. Die Geste eines der Stammeskrieger, der mit dem Speer auf den Eingang der Höhle wies, riss mich aus meiner Sprachlosigkeit. Ich ging voran und die Krieger des Stammes folgten mir. Um mich herum wurde es dunkel.

Der Schein der Fackeln erhellte den schmalen Durchgang, der sich tiefer in das innere des Berges bohrte. Die Stimmen der Menschen wurden zu einem hintergründigen Rauschen und verstummten schließlich. Das Knistern der Fackeln und die eigenen Schritte auf dem blanken Fels drangen in den Vordergrund. Glattgeschliffenes Gestein erzählte die Geschichte von Wasser, das einst diesen Gang erschaffen hatte. Ich versuchte, nach der Quelle Ausschau zu halten, doch die Unebenheiten des Bodes zwangen mich immer wieder meinen Blick nach unten zu richten, um nicht zu stolpern. Der Gang wurde breiter und ging in eine große natürliche Halle über, dessen Ausmaß ich nicht erkennen konnte. Um uns herum war nur noch die Stille einer nicht enden wollenden Dunkelheit. Ich tastete mich langsam weiter voran und meinen eigenen Gedanken erschienen mir ungewöhnlich laut. Die Quelle musste direkt vor uns liegen, denn ich hatte diese Halle zuvor im Traum gesehen. Doch war es wirklich eine Eingebung Solvars gewesen, die mich und den Stamm an diesen Ort geführt hatte? Die Worte des Häuptlings lasteten schwer auf mir. Ich sah den Marsch der letzten Tage vor meinen Augen, das Leid, das ich den Stamm aufgebürdet hatte, und das Gesicht meiner Mutter in ihren letzten Atemzügen, als die Hitze des Sommers ihr das Leben nahm. Mit meiner Entscheidung hatte ich alles in die Waagschale geworfen. Mein Schicksal als Tochter der Schamanin war das Schicksal des Stammes geworden.

Vor mir breitete sich ein Torbogen aus, dessen perfekter Schwung kein Wasser auf natürliche Weise formen konnte. Wandmalereien säumten die Wände und zeigten Menschen unter den zwei Gesichtern der Sommers. Die Geschichten meiner Mutter mussten wahr sein und unsere Vorfahren hatten zuvor an diesem Ort gesiedelt. In der Mitte des Torbogens klaffte ein dunkles Loch, aus dem ein Graben entsprang, der sich in unvorhersehbaren Windungen durch den Stein schraubte. Wir hatten die Quelle gefunden. Ich lief als erstes vorweg und als ich den Torbogen erreichte, traf mich die Last der letzten Tage wie ein Schlag. Ich griff mit der Hand nach dem Wasser, doch alles was ich fand, war trockener Sand, der mir durch die Finger glitt, wie das letzte bisschen Hoffnung, das in jenem Moment meinen Verstand verließ.
»Solvar hat uns verlassen«, hauchte ich und wagte meinen Blick nicht zu den Kriegern zu wenden. Obwohl ich sie nicht sehen konnte, hatte ich das Gefühl, dass mich ihre Blicke in diesem Moment zu Boden drückten.
»Die Ältesten hatten recht! Ihr habt uns verdammt«, sagte einer. »Wir hätten den Marsch nicht wagen dürfen«, sagte ein weiterer. »Eure Mutter hätte gewusst, was zu tun ist«, sagte ein dritter.

Der Aufstieg kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wir alle schwiegen und unsere Blicke wichen einander aus. Wie konnte ich noch die Kraft aufbringen, meinem Stamm die fürchterliche Botschaft zu überbringen. Mein Herz pochte, als wir wieder in das Licht traten, doch dann ergoss sich Wasser wie ein gewaltiger Quell über unsere Köpfe. Der Horizont zerfloss in einer Wand aus Regen und Wind und verwandelte den trockenen, rissigen Boden in Schlamm. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich die Menschen tanzen, singen und lachen sah. Der Sommer hatte mir meine Mutter genommen, doch er hatte mir und meinem Volk eine neue Zukunft gegeben.

 

Hallo @Nachtgoblin,

ein etwas mystischer Text, habe einige Stellen gefunden, die mir nicht so treffend erscheinen, schau halt mal:

Wir passierten ein langgezogenes Becken, dessen Zentrum von tiefen Rissen durchzogen war, während sich um den Rand Tierkadaver sammelten.
"während" ist eigentlich ein zeitlicher Begriff. Klingt so, als ob sich die Kadaver nach und nach versammeln.

Die Sonne hing am Himmel wie ein unerbittlicher Herr, der mit glühender Peitsche sein Vieh vor sich hertrieb.
Hier würde ich den Fokus nicht ganz vom Menschen weg, zum Vieh lenken. Vielleicht 'die Menschen wie Vieh ...'

Ich sah ihre langgezogenen Gesichter, die trockene, sonnengegerbte Haut, die müden Augen, in denen die Hoffnung schwand,
Wenn die Leute vor ihr marschieren, sieht sie die Gesichter nicht. (Vorschlag: Wenn sie sich zu mir umdrehten, sah ich ihre gequälten ...).

die Schatten ihrer knorrigen Äste begannen unter den sengenden Strahlen weiter zu schrumpfen. Vereinzelt erblickte ich Gräser, die die gleiche Farbe von ausgeblichener Trockenheit wie der Erdboden angenommen hatten, als verkomme alles langsam zum gleichen eintönigen, gelben Staub, der uns am Horizont die Sicht versperrte.
Eine gute Passage, die die wütende Hitze eindringlich beschreibt.
Trotzdem: Trockene Münder, der wiederholte Versuch, einem Wassersack noch einen Tropfen zu entlocken ... da ist noch mehr möglich.

Ich zog mir meinen Gesichtsschal über die Nase, als der Verwesungsgeruch zu mir vordrang
Das ist zu harmlos erzählt - wie muss es da stinken! Wie wirkt das auf die Moral der Gruppe, die verdursteten Tiere zu sehen?

»In den Höhlen werden wir die Quelle finden und ihr Wasser wird den Stamm nähren«,
"nähren" ist wissenschaftlich nicht korrekt, aber die Aussage ist auch zu harmlos, gemessen an der Wichtigkeit des Wasserfunds.

Der Schein der Fackeln erhellte den schmalen Durchgang, der sich tiefer in das innere des Berges
Innere

Ich griff mit der Hand nach dem Wasser, doch alles was ich fand, war trockener Sand, der mir durch die Finger glitt, wie das letzte bisschen Hoffnung, das in jenem Moment meinen Verstand verließ.
»Solvar hat uns verlassen«, hauchte ich
Das ist so eine entscheidende Situation - ich denke, man muss verdeutlichen, warum nur die Schamanin Wasser finden kann (im Sand wühlen könnte jeder. Vielleicht darf nur sie in den heiligen Bereich ...).

»Die Ältesten hatten recht! Ihr habt uns verdammt«, sagte einer. »Wir hätten den Marsch nicht wagen dürfen«, sagte ein weiterer. »Eure Mutter hätte gewusst, was zu tun ist«, sagte ein dritter.
Dreimal 'sagen'.
Nach dem ersten Absatz könnte schon erwähnt werden, dass es hier um eine Schamanin geht, die eine schwere Bürde von ihrer Mutter übernommen hat. Damit ist das Geschlecht festgelegt und man kann sich fragen, worin ihre Last besteht, was wohl passieren wird.

"Der Sommer hatte mir meine Mutter genommen, doch er hatte mir und meinem Volk eine neue Zukunft gegeben."
Das hat mir gefallen, die gedankliche Rückführung auf den Anfang, die isolierte Situation des Wasserfindens wird in einen größeren, allgemeinen Zusammenhang gebracht!

Eigentlich eine gut zu lesende Story, mit Verbesserungs-Potenzial. Mal sehen, wie du das Ganze noch intensiver gestaltest.

LG,

Woltochinon

 

Hallo @Nachtgoblin

Aufmerksam geworden durch deine Kommentare, war ich schon gespannt auf eine Geschichte von Dir. Hier ist sie also! Ich stimme meinem Vorkommentator zu, sie lässt sich gut lesen, nur wenige Stolpersteine sind noch drin. Ich schreibe mal auf, was mir zu einzelnen Passagen in den Sinn gekommen ist und hoffe, es doppelt sich jetzt nicht zu sehr. Hier meine Eindrücke, direkt während des Erstlesens aufgeschrieben:

Momentan blieb mir keine andere Wahl, als weiter dem Zug der Karawane zu folgen.
Ich finde, hier könnte der Zug gestrichen werden, weil ich denke, wenn ich von einer Karawane lese, dass die automatisch in Bewegung ist, die zieht irgendwohin, durch dieses wüste Land. Es muss nicht extra erwähnt werden.

Die Blätter an den Bäumen hatten jegliches gesundes Grün verloren und die Schatten ihrer knorrigen Äste begannen unter den sengenden Strahlen weiter zu schrumpfen.
Zu viele Adjektive blähen den Text bzw. den Stil unnötig auf. Hier könntest Du bspw. eines streichen, ohne etwas zu verlieren. Es kann jetzt sein, dass das extra so gewählt ist, weil eben Fantasy-Stil. Ich lese nicht oft Fantasy, deshalb verzeih, wenn ich da an deiner Intention vorbeikommentieren sollte.

Wir passierten ein langgezogenes Becken, dessen Zentrum von tiefen Rissen durchzogen war, während sich um den Rand Tierkadaver sammelten.
Ja, das klingt seltsam, nach meiner Lesart so, als sammelten sich die Tierkadaver gerade in diesem Moment, aber die liegen ja bestimmt schon länger da. Ausserdem ist 'sammelten' für mich auch der falsche Ausdruck, also ich würde eher in so eine Richtung gehen: Das Becken wär gesäumt von Tierkadavern oder schlicht Am Beckenrand lagen Tierkadaver. Irgendwie sowas, das ist jetzt nur kurz skizziert, man könnte das noch etwas bildhafter erzählen.

Die Geier labten sich an den Kadavern, in dem sie Fleischreste mit ihren großen blutigen Schnäbeln herausrissen.
Auch hier, einfach eine Stilfrage, aber Geier rissen mit ihren blutigen Schnäbeln Fleischreste aus den Kadavern wäre eindringlicher und direkter, finde ich.

Solvar, die Zwillingsgottheit des Sommers mit den zwei Gesichtern, forderte ihren Tribut von Menschen, Tieren und Pflanzen.
Diese Zwillingsgottheit könnte noch etwas schärfer umrissen werden im Text, also nicht ausufern lassen, der Text ist ja angenehm kurz, aber hie und da einen Satz mehr zu gewissen Hintergründen fände ich ganz gut, um ein lebendigeres Bild deiner Welt zu vermitteln. Hier bin ich mir zudem unsicher, ob es die zwei Gesichter braucht, da es sich bei der Gottheit um Zwillinge handelt, ist dies für mich bereits impliziert. Vielleicht könnte sich der Text später im Verlauf der Story auf die zwei Gesichter beziehen.

»Werte Schamanin«, sagte er, »wir haben die Höhlen erreicht. Der Häuptling bittet um eure Anwesenheit!«
Hier würde ich die Anrede kürzer halten, auch weil das Volk der neuen Schamanin bzw. dieser Ersatz-Schamanin (da die Mutter frühzeitig verstorben ist) ja nicht wirklich vertraut, also nicht so recht an sie glaubt, dass sie fähig dazu ist, Wasser für das Überleben des Volks zu finden.

»Führt mich zu ihm«, antwortete ich, und ich folgte dem Krieger vorbei an den in Aufruhr geratenen Menschen, die weiter nach vorne zum Ton des Horns strebten.
Hier würde ich eventuell auch ein wenig aussieben. 'Nach vorne zum Ton des Horns streben' liest sich für mich ein wenig umständlich. Es ist auch ohne das klar, wohin sie streben.

Ihre Blicke waren geradeaus zum staubbedeckten Horizont gerichtet, wo sich mit jedem Schritt mehr ein Schemen von imposanter Größe abzeichnete.
Hier habe ich etwas Mühe, mir das vorzustellen. Also dass sich dieser imposante Schemen am Horizont mit jedem Schritt mehr abzeichnet. Soviel weiter bringt einen ja ein einzelner Schritt nicht. Es kann natürlich sein, dass sich die Staubwolke am Horizont etwas lichtet und der Schemen deshalb besser erkennbar wird, aber allein mit ein paar Schritten in die Richtung wird es ja nicht getan sein, oder? Vielleicht lese ich auch zu pingelig oder verstehe/übersehe etwas.

Schließlich konnte ich aus der Nähe die Eingänge zu den Höhlen erkennen
Das ist unnötig, denn es ist klar, dass die Schamanin näher herangegangen ist.

Ich konnte nicht sagen, ob es Freude oder doch Klagen war, das sie erfüllte.
Vielleicht wäre eine Alternative: Ich konnte nicht sagen, ob es Freude oder Klage war, die sie erfüllte. Das fände ich etwas runder vom Klang her.

Der Häuptling tauchte seine Finger in die mit Farbe gefüllte Tonschale und strich mir die Symbole von Solvar über Wangen und Stirn.
Auch hier könnte diese Gottheit etwas mehr Gesicht erlangen, wenn Du kurz beschreiben würdest, wie die Symbole Solvars aussehen.

»Wir haben den Marsch überstanden. Jetzt liegt es allein an euch«, sagte er, und in seiner Stimme schwangen sowohl Zweifel als auch Erwartung mit.
Erster Satz im Dialog könnte gestrichen werden, die Angesprochene und auch der Leser wissen längst, dass sie den Marsch durch die Wüstenlandschaft soweit überstanden haben, sonst wären wir ja gar nicht an diesem Punkt der Story angelangt. Ausserdem wirkt der Satz 'Jetzt liegt es allein an euch' eindringlicher ohne Vorgeplänkel und die Schwere dieser Worte werden deutlicher.

Der Häuptling schwieg für einen Moment, wischte sich die Farbe von den Fingern
An dieser Stelle würde ich auch ein klein wenig etwas beifüttern, wo wischt sich der Häuptling die Farbe ab? An seiner Kleidung? Was trägt er? Wenn Du bspw. schreibst: Der Häuptling schwieg einen Moment und wischte sich die Farbe an seinem Lendenschurz ab, dann bekomme ich ein deutlicheres Bild.

»Er wird sein zweites Gesicht bald offenbaren«, sagte ich entschlossen, »meine Mutter lehrte mich, die Zeichen zu deuten. Ich sehe es im Flug der Geier und im Wurf der Schatten.«
Hier habe ich mich gefragt, wie die frischgebackene Schamanin die Zeichen im Flug der Geier und im Wurf der Schatten sehen kann.

»In den Höhlen werden wir die Quelle finden und ihr Wasser wird den Stamm nähren«, sagte ich.
Auch hier vielleicht eher kürzer halten.

Die Geste eines der Stammeskrieger, der mit dem Speer auf den Eingang der Höhle wies, riss mich aus meiner Sprachlosigkeit.
Da stolperte ich etwas bei 'riss mich aus meiner Sprachlosigkeit', denn danach sagt sie ja immer noch nichts, aber die Geste riss sie wohl aus ihrer Starre.

Der Schein der Fackeln erhellte den schmalen Durchgang, der sich tiefer in das innere des Berges bohrte.
Der zweite Satzteil klingt für mich wiederum so, als würde dies direkt in dem Moment geschehen, also als würde sich der Tunnel da in just jenem Augenblick tiefer in das Berginnere bohren. Verstehst Du, wie ich das meine? Vielleicht könnte man schreiben: Der Schein der Fackeln erhellte den schmalen Durchgang, der tiefer in das Berginnere führte.

Die Quelle musste direkt vor uns liegen, denn ich hatte diese Halle zuvor im Traum gesehen.
Diese Träume und Visionen könnten auch etwas deutlicher skizziert werden, finde ich. An dieser Stelle wirkt es auf mich beinahe etwas plump, dies so einzuführen. Eine Möglichkeit würde ich darin sehen, mit den Träumen und Visionen Solvars in die Geschichte einzusteigen, dann gäbe es hier für den Leser vielleicht sowas wie einen Wiedererkennungswert: Ah, jetzt ist sie also am Ort ihrer Traumvisionen angekommen!

Ich sah den Marsch der letzten Tage vor meinen Augen, das Leid, das ich den Stamm aufgebürdet hatte
dem Stamm

Vor mir breitete sich ein Torbogen aus, dessen perfekter Schwung kein Wasser auf natürliche Weise formen konnte.
Mit dem ersten Satzteil habe ich wieder etwas Mühe, weil es sich für mich so liest, als geschähe es direkt. Vielleicht als Alternative: Vor mir schälte sich ein Torbogen aus der Finsternis, das fände ich passender, weil sie ja mit den Fackeln darauf zugehen und der Torbogen dann tatsächlich in diesem Moment aus der Dunkelheit auftaucht. Auch nur ein schneller Vorschlag, um zu verdeutlichen, wie ich das meine.

Wandmalereien säumten die Wände
Zweimal 'Wand' ist etwas unglücklich. Vielleicht Höhlenmalereien oder sowas?

In der Mitte des Torbogens klaffte ein dunkles Loch, aus dem ein Graben entsprang, der sich in unvorhersehbaren Windungen durch den Stein schraubte.
Ein Loch, aus dem ein Graben entsprang, der sich in den Stein schraubte. Also das ist ziemlich verquast, wenn Du mich fragst, das könnte präziser formuliert werden.

Wir hatten die Quelle gefunden.
Das ging aber schnell! :-)

Ich griff mit der Hand nach dem Wasser, doch alles was ich fand, war trockener Sand, der mir durch die Finger glitt, wie das letzte bisschen Hoffnung, das in jenem Moment meinen Verstand verließ.
Vielleicht anstelle 'gleiten' rinnen verwenden, fände ich etwas treffender. Dann finde ich auch den Vergleich etwas weit hergeholt: Die letzte Hoffnung rinnt ihr ja nicht durch die Finger. Aber wahrscheinlich ist das zu pingelig von mir!

»Die Ältesten hatten recht! Ihr habt uns verdammt«, sagte einer. »Wir hätten den Marsch nicht wagen dürfen«, sagte ein weiterer. »Eure Mutter hätte gewusst, was zu tun ist«, sagte ein dritter.
Ich finde jede Aussage hier hätte ein Ausrufezeichen verdient, schon allein weil die Ausrufe des Volks bestimmt wie schwerwiegende Vorwürfe bei der Schamanin ankommen müssen. Es würde die Szene eindringlicher gestalten mit minimalem Aufwand.

Wie konnte ich noch die Kraft aufbringen, meinem Stamm die fürchterliche Botschaft zu überbringen.
Klingt wie eine Frage, deshalb fehlt für mich das Fragezeichen.

Insgesamt hat es mir nicht schlecht gefallen. Die Story ist kurz und simpel. Gerade in Sachen Worldbuilding könnte der Text aber noch etwas mehr machen, auch was die Sensorik anbelangt, vielleicht noch intensivere Gerüche einbauen (bspw. bei den Tierkadavern) oder auch hie und da -- ein paar Beispiele habe ich genannt, wo ich es treffend fände -- etwas mehr Bildhaftigkeit. Ansonsten bin ich gut durch den Text gekommen und danke Dir fürs Einstellen deiner Fantasy-Story!

Beste Grüsse,
d-m

 

Hall Nachtgoblin,

Der Gang wurde breiter und ging in eine große natürliche Halle über, dessen Ausmaß ich nicht erkennen konnte.
Halle, ... deren
eine neue Zukunft
dann können wir nur hoffen, dass das Wasser nicht vollständig im Boden versickert, sonst ist die Zukuft sehr kurz.

Gerne gelesen

jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Nachtgoblin,

danke für deine Geschichte!
Mir fehlt ein bisschen das Fantasy-Element, muss ich sagen! Okay, es gibt einen unbekannten Gott, aber davon abgesehen könnte die Geschichte auch in der Realität stattfinden, denke ich. Bei Fantasy hätte ich aber fantastische Anteile erwartet, z.B. dass die Schamanin Zauberkräfte hat.
Sorry, um mich zu fesseln, bräuchte es wohl noch etwas mehr Hintergrundgeschichte, und die Handlung hat mich auch nicht direkt umgehauen! Sie reisen durch eine Wüste und suchen in einer Höhle Wasser, das wirkt, wie soll ich sagen, etwas generisch!

»Werte Schamanin«, sagte er, »wir haben die Höhlen erreicht. Der Häuptling bittet um eure Anwesenheit!«

Dass sie sich so formell ansprechen, fand ich in dem ganzen Kontext ein wenig unpassend, kann nicht genau sagen, wieso.

»Eure Mutter hatte ein starkes Band zu Solvar. Die Quelle offenbart sich nur der Schamanin, die sich Solvar als würdig erweist. Einen weiteren Marsch durch das Ödland schaffen wir nicht. Beweist mir, dass es klug war, auf euren Rat zu vertrauen.«

Es wundert mich, dass sie das Thema Wasser noch so lange bereden, denn die Diskussionen hatten sie doch bestimmt schon lange vorher. Bei dieser Vorrede hätte ich in der Höhle jetzt ein ziemliches Spektakel erwartet, aber leider bleibt das aus.

»Solvar hat uns verlassen«, hauchte ich

Ich finde, da verschenkst du Potential in der Höhle. Hier hätte ich jetzt ein Fantasy-Element erwartet, z.B. dass sie versucht, Wasser zu beschwören oder sowas. Das geht alles etwas zu schnell ...

Hoffe, meine kritischen Einwände entmutigen dich nicht!
F.

 

Ich finde das Setting ungewöhnlich. Wie bist du darauf gekommen?

Als ich noch ein Kind war, lehrte mich meine Mutter ein Sprichwort: Der Sommer nimmt und der Sommer gibt. Nun hatte er mir meine Mutter genommen und ich fragte mich, was würde er mir dafür geben?
Der Satz könnte auf jede Jahreszeit umgeschrieben werden. Das ist aus meiner Sicht das Hauptproblem.
Vor dem Eingang bildetet sich eine Traube
Bildete

Jetzt liegt es allein an euch
Wird sie oder die Gruppe angesprochen?
denn sie kannte die Unbarmherzigkeit des Sommers.
Was ist am Sommer so unbarmherziger als am Winter?
Der Sommer hatte mir meine Mutter genommen, doch er hatte mir und meinem Volk eine neue Zukunft gegeben.
Ich finde leider nicht heraus, was am Sommer so einzigartig ist. Vielleicht eignet sich ein anderes Phänomen, z.B. Sonne oder Hitze.

Das mit dem Zwillingsgott und den zwei Gesichtern verstehe ich nicht gut. Es wirkt mit dem Sommer ohne weiteres etwas hochtrabend.

 

Hallo @Nachtgoblin,

schade, dass man von dir keine Reaktionen auf die Kommentare lesen kann!

Bei deinem Text würde es sich lohnen, den Widerspruch herauszuarbeiten zwischen dem puren Glück, das die Schamanin mit dem Regen hatte und dem Glauben des Volkes an ihre Macht.

@Fred

Mir fehlt ein bisschen das Fantasy-Element, muss ich sagen! Okay, es gibt einen unbekannten Gott, aber davon abgesehen könnte die Geschichte auch in der Realität stattfinden, denke ich.
Treffend beschrieben! Deutlichere Fantasy-Elemente würde auch den oben genannten Widerspruch unterstützen.

Beste Grüße,

Woltochinon

 

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