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Der Straßenbahner
Es war Montag, die Sonne war gerade aufgegangen und Olec Tamarie kam geradewegs aus dem Toilettenhäuschen Ecke Str. „Kleinholdweg“.
Die schäbige Klotür fiel hinter ihm zu, der Gestank hatte ihn nach draußen getrieben und er hatte das Gefühl in diesen zwei Minuten Notdurft-Verrichten mehr Bakterien eingefangen zu haben, als wenn er durch ein Malaria Gebiet in Indien gelaufen wäre.
Angeekelt lief er den schmalen Weg bis zu den Schienen zurück.
Er eilte zu seinem Wagen zurück der noch fast leer war. Um vier Uhr hatte er seine Arbeit begonnen, mittlerweile müsste es 5:30 sein.
Während er lief, versuchte er krampfhaft seine Hände von seiner Kleidung fern zu halten. Er wollte nicht riskieren, dass die Bakterien auf seine Kleidung übergingen und er sie womöglich noch mit nach Hause brachte.
Er stieg in den Wagen und holte seine Wasserflasche so wie die Hygienetücher heraus. Vorsichtig ging er damit auf die schmale Fläche Rasen und übergoß seine Hände mit Wasser.
Er brauchte 3 Hygienetücher um seine Nerven zu beruhigen.
Als er endlich wieder in den Wagen einstieg, waren die drei einzigen Fahrgäste bereits wieder ausgestiegen.
Er wischte einmal mit dem Hygienetuch über den Schalthebel und nahm die Fahrt wieder auf.
Vereinzelt stiegen Leute zu. Das Publikum wechselte gegen späteren Morgen von Volltrunkenen, über früh Arbeitenden in grau melierten Anzügen, zu den Schulkindern.
Letztere jagten ihm gleich zwei Schauer über den Rücken.
Die Kaugummis und Pokemonsticker an den Sitzen ließen seinen Magensäuregehalt ansteigen.
Er konzentrierte sich auf die Straße, um seine Gedanken abzulenken. Die ersten Krokusse waren aufgegangen und draußen war es bereits relativ warm.
Er versuchte seine Gedanken auf die Wärme und die Blumen zu konzentrieren,
erversuchte seine Aufmerksamkeit von dem Ekel wegzubekommen.
Dieses Gefühl der Hilfslosigkeit, des Entsetzens und unaufhaltsamer Panik begleitete ihn jeden Tag,
fast so, wie ihn diese Straßenbahn begleitete.
Sie war es, die ihn seinen Ängsten aussetzte und ihn gleichzeitig davor bewahrte.
Er sah die Leute einsteigen und aussteigen, er spürte sie, doch sie spürten ihn nicht. Sie kannten seine Angst nicht, manche von ihnen dachten nicht einmal daran, dass er existierte, für sie fuhr die Bahn alleine. Sie kamen, lachten und gingen wieder. Irgendwann würde jeder hier wieder gehen. Er würde der letzte sein, der ging.
Genau wie die Bahn, die immer blieb. Er konnte seinem Ekel nicht entfliehen und die Bahn konnte nicht aus ihren Schienen.
Das war es, was sie zu Verbündeten machten. Sie waren beide hier gebunden und taten ihren Job.
Er versuchte, die Kinder, die mit dreckigen Schuhen an die Sitze tretend an den Stangen turnten, zu ignorieren. Er öffnete die Tür, schloss die Tür wieder, fuhr, hielt und fuhr wieder. Ein kränklich aussehender Junge betrat die Bahn.
Er kam an der wildtobenden Meute vorbei, die er zu kennen schien und begrüßte sie.
Die Aufmerksamkeit des Bahnfahrers wurde erneut auf die Straße gelenkt. Er musste bremsen, da mehrere Leute über die Schienen gingen, das Plastikbäumchen, dass an der Decke seiner Kabine befestigt war, wackelte und verströmte Lavendelduft.
An der nächsten Haltestelle stieg der Junge mit den anderen lauten Rabauken aus. Der Straßenbahner wickelte ein Salbeibonbon aus und schmiss das Papier in den sterilen Müllbeutel neben ihn.
Langsam das Bonbon lutschend, sah er dem Jungen hinterher, der draußen mit den anderen lachenden Jungs die Straße überquerte, sich die Nase putzend und das Tuch, das benutzte Tuch, dann neben sich auf den Gehweg fallen ließ.
Die Türen schlossen sich und der Straßenbahner nahm seine Fahrt wieder auf.
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