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Der Tod droht nachts
Wie ein Leichentuch legte sich der Nebel im Morgengrauen auf die Kleinstadt Holyfield. Ein endloses Grau, das jeglichen Gedanken an eine wärmende Sonne jenseits dieses Schleiers im Keim ersticken liess. Die Tage im führen Herbst erwachten nun immer später aus ihrem kalten und dunklen Schlaf. Raben zogen lautlos durch die feuchte Morgenluft und liessen sich auf kahlen Ästen nieder, bis die schrille Schreie eines kleinen Mädchens die bedrohlich wirkende Ruhe des Morgens störte. Es waren die Notrufe eines Mädchens namens Emily.
Erneut war es der gleiche Traum, der die 7-jährige aus ihrem Schlaf riss. Eine Illusion, die sie seit Kurzem fast jede Nacht aufs Neue verfolgte: Emily floh durch die Sumpflandschaften von Holyfield. In ihrem Nacken saß ein mysteriöser Verfolger. Das Unbekannte hetzte sie über altes Laub, schmale Bäche und Äste die unter ihren Füssen knackten. Zweige peitschten ihr ins Gesicht. Sie spürte einen eisigen Hauch in ihrem Nacken. Adrenalin schoss in Ihre Blutbahn und ihr Puls raste. Emily wollte sich umschauen, um der Angst ins Auge zu blicken, vielmehr hatte Sie doch die Hoffnung einen zunehmenden Abstand zu diesem Ungewissen auszumachen. Unverhofft fand sie sich im Unbekannten wieder und der rätselhafte Verfolger war wie vom Erdboden verschluckt. Ihre Blicke wanderten ziellos umher, ehe sie kurz zusammenzuckte. Ihre Augen machten einen grausigen Fund. Emily erkannte durch die Büsche eindeutig die Züge eines menschlichen Körpers. Als sie näher trat, identifizierte Emily die nackte Gestalt einer Frau, erhängt an einem dicken Ast mitten im Moor. Die aschfahle Haut war übersäht mit Kratzen und Schnitten. An den Füßen klebte getrocknetes Blut. Ein Büschel Haare hing über Ihren Schultern, es schien ausgerissen zu sein. Der Ast, an dem der leblose Torso pendelte, ächzte unter dessen Gewicht. Ein faul riechender Luftzug wehte durch Emilys Gesicht, der auch den leblosen Körper ins Drehen brachte. Der Gestank des Kadavers umhüllte zunehmend Emilys Gestalt. Ein tot-kalter Blick aus leeren, schwarzen Augen starrte tief in Emilys Seele und verpasste Ihr einen Stich, dass sie zusammenfuhr. Das Blut in ihren Adern erstarrte auf der Stelle zu Eis, denn Sie schaute in die Augen ihrer Mutter. Emilys Knie wurden weich und sie begann zu zittern, ehe Sie schweissgebadet aus Ihrem Traum erwachte.
Schwer atmend und mit laut-pochendem Herzen, saß Emily auf ihrem Bett. Sie leckte sich über ihre trockenen Lippen, zugleich wischte sie sich mit dem linken Ärmel durch ihr zartes, blasses Gesicht. Zögernd schaute Sie auf ihren Micky-Mouse Wecker. Beide Arme der Maus deuteten auf die Zahl 7. Sie nahm Ihren Teddy in den Arm und stieg aus dem Bett um sich in der Küche ein Glas zu trinken zu holen. Ihre Blicke wanderten zum Fenster, jenseits war jedoch kaum etwas zu erkennen. Ein grauer Dunst umhüllte die Stadt. Lediglich ein Teil des kahlen Baums vor ihrem Fenster, der seine zahlreichen Arme ins Ungewisse streckte, war zu sehen. Eine Krähe darauf zollte dem Morgen seinen Tribut. Den Teddy vor die Brust gedrückt, schlenderte sie über die Galerie zur Treppe. Mit Ihren knapp 100 cm Körpermaße konnte Sie knapp über das Geländer spähen, an dem sie sich festhielt, während Sie die quietschenden Stufen hinabstieg. Eine düstere Atmosphäre herrschte in den Wänden des Wohnzimmers. Ein süßlich-herber Geruch stieg Emilys Nase hinauf, als sie ihre Nüstern aufblähte. Ihr Vater musste am Vorabend noch reichlich Pfeife geraucht haben. Hirschköpfe hingen wie Trophäen an der Wand über dem Kamin, in dem noch eine Glut glimmte. Gegenüber stand ein großer Flügel, der mittlerweile schon eingestaubt war. Emilys Mutter hatte viel darauf gespielt. Zwei Fenster über den Stufen waren die Einzigen, die den tristen Raum mit natürlichem Tageslicht versorgten. Selbst an sonnigen Tagen wurde das Zimmer nie richtig hell. Eine Schwingtür gegenüber führte zur Küche. Die Fliesen waren in einem schwarz-weißen Schachbrettmuster angelegt, welches sich an den Wänden fortsetzte. Die Küche war im Stil einer Landhausküche mit weißen Fronten. Sie besaß einen Kochblock in der Mitte und zur Stirnwand eine lange Arbeitsplatte. In der linken Ecke bot ein Tisch für 4 Personen eine Sitzgelegenheit. Auffällig war die Genauigkeit mit der die Küchenutensilien ihren Platz einnahmen. Mit Ihren kleinen Füßen versuchte Emily möglichst nur die schwarzen Fliesen zu betreten. Hoch aufmerksam hüpfte sie in Richtung Kühlschrank. Sie nahm eine Packung Milch aus der untersten Ablage und stellte sie mit Mühe auf die Küchenzeile. Um nun auch noch an ein Glas zu kommen, brauchte Emily die Hilfe eines Stuhls. Sie schob den Stuhl unter einen Hängeschrank, immer mit einem wachsamen Auge auf dem Boden um bloß keine falsche Fliese zu erwischen. Sie kletterte hinauf und nahm mit beiden Händen ein großes Glas heraus. Nachdem sie den Stuhl zurückgeschoben hatte und sich ein wenig Milch eingegossen hatte, erregte ein Artikel in der Zeitung, die auf dem Tisch lag, ihre Aufmerksamkeit. "seit 3 Wochen vermisst - noch immer keine Spur" - so hieß es in der Schlagzeile. Darunter sah sie das Bild Ihrer Mutter Nicole. Sie lächelte. Seit 3 Wochen wurde Emilys Mutter vermisst, und bis zum jetzigen Zeitpunkt fehlte jede Spur. Natürlich vermisste Emily ihrer Mutter. Mit aller Kraft umschlang sie den Teddy und versuchte sich ihre Mutter ins Gedächtnis zu rufen. Sie hatte langes schwarzes Haar, das wie ein Wasserfall über ihre Schultern rann. Emily dachte darüber nach, wie sie Nicoles grüne Augen anfunkelten, wenn sie zusammen spielten. Das perlende Lachen in ihrem Ohr, wenn Sie zusammen auf dem Sofa tollten, und ihre sanfte, beruhigende Stimme, wenn sie ihr abends vorlas. Manchmal saß Emily auch auf ihrem Schoß und hörte ihr beim Flügelspielen zu. Eine Träne sammelte sich unter dem linken Auge des kleinen Mädchens. "Wo war Sie? Kommt Sie bald wieder? Hat Sie uns verlassen?" All diese Fragen schossen Emily durch den Kopf, auf der verzweifelten Suche nach Antworten. Nachdem Sie das Glas ausgetrunken hatte, schaute sie noch ein weiteres Mal auf das abgebildete Foto. Etwas war merkwürdig daran. Emilys Mutter war eine herzliche und fröhliche Frau, die dieses auch mit ihrem Lächeln äußerte, allerdings wurde Nicole von der schlechte Qualität des Bildes verunstaltet. Ja, es sah fast ein wenig aus wie eine hämische Fratze, die Emily anstarrte.
Quälende Gedanken verfolgten Emily auf den Weg zurück ins Bett. Es fühlte sich an wie ein Wurm der an ihren Innereien nagte. Dass Ihr Vater Sie Montag wieder einmal zum Psychiater zwingen würde, ließ diesen Wurm nur noch größer werden. Doch allem zum Trotz fiel Emily erneut in den Schlaf. Diesmal würde Sie auch nicht mehr von dem Alptraum verfolgt werden.
Milde Sonnenstrahlen fiel durch das Fenster im Osten und kitzelten Emily aus Morpheus Armen. Nachdem Ryan bemerkte, dass seine Tochter wach war, beobachtete er Sie, wie sie sich den Schlaf aus den Augen rieb. Fast indolent äußerte er: "Emily, du bist spät dran, beeil dich!" Anschließend verließ der schlanke, Hochgewachsene Mann das Zimmer. Emily hingegen kletterte gemächlich aus ihrem Bett, um sich langsam dem Alltag entgegenzustellen. Ihre Bewegungen waren noch äußerst behäbig und unkoordiniert. Ihr erstes Ziel war das Badezimmer um sich fertig zu machen. Sie putzte sich die Zähne, im Anschluss zog sie sich mit den bereits Zurechtgelegten Kleidern an.
Emily setzte sich gegenüber Ihren Vater, um eine Schlüssel Kelloggs hinunterzuschlingen. Dabei bemerkte Sie, dass die Zeitung nicht mehr an Ihrem Platz lag. Sie war verschwunden. Emilys Vater redete nicht über das Verschwinden seiner Frau. Er zog sich zunehmend in sich zurück, um den Schmerz nicht nach Außen hin zu tragen. Und mit jedem Tag wurde es schlimmer. Seine Konstitution hatte immensen Schaden genommen. Aber wer konnte ihm das schon verübeln. Immerhin, so schien es, war seine Frau in die Hände eines Mörders gelangt. Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis man die Leiche irgendwo im Sumpf finden würde. Gegenüber seiner Tochter zeigte er in dieser Hinsicht keinerlei Emotionen. Das gute Verhältnis zwischen Vater und Tochter hatte sehr unter dieser Situation gelitten.
Schweigend verbrachten Ryan und Emily das weitere Frühstück.
Auf dem Weg zu Frau Dr. Thiels, einer Psychiaterin, wich Emilys Teddy ihr auch dieses Mal keine Sekunde von der Seite. Er gab ihr, wenn auch schweigend, den Halt, den sie sehnlichst suchte und auch brauchte. Er lauschte ihren Gedanken, die sie quälten. Ferner gab er ihr mit seinen Knopfaugen stets einen freundlichen Blick zurück, verbunden mit einem behaglichen Gefühl.
In der Praxis von Dr. Tales wurde Emily diesmal kurioserweise nicht in das Praxiszimmer gerufen. Stattdessen wurde ihr Vater von der Psychologin zu einem Gespräch aufgefordert. Emily wartete vor der Tür. Die Praxis war sehr steril und puristisch eingerichtet. Weiße Fliesen bedeckten den Boden. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, das Klima mit ein paar Grünpflanzen zu erwärmen. Die metallenen Möbel dominierten die Atmosphäre. Zudem lag ein Geruch in der Luft, der keinem kleinen Mädchen Freude bereitete. Er ähnelte sehr dem Inneren eines Krankenhauses. Durch den schmalen Türspalt war es Emily möglich einige Bruchstücke des Gespräches aufzufangen. Die Satzfetzen ließen für sie jedoch keine Rückschlüsse zu.
"... Tut mir Leid, aber ...."
"... wissen Sie denn jetzt die Ursache..."
"... jetzt mit dem Verschwinden Ihrer Frau ... komplizierter..."
"... welche weitere Vorgehensweise schlagen sie vor...?“
"... in der Stadt ... Klinik "
"... in Ordnung Doktor..."
Emily konnte mit den Wortfetzen nicht viel anfangen, aber wollte man Sie vielleicht loswerden? Kurze Zeit später schien das Gespräch ein Ende zu finden.
"Komm, wir fahren.", bemerkte Ryan beiläufig.
Den restlichen Tag verbrachte Emily mit sich selbst, dabei war sie immer ein gern gesehener Gast bei Freunden, doch seit der Tragödie mit ihrer Mutter, verbrachte sie ihre Zeit lieber in Einsamkeit. Ungern kletterte sie Abend für Abend in ihr Bett, jedoch beugte sich der Geist dem Willen ihres Körpers und sie fiel in einen tiefen Schlaf.
Wie in Trance saß Emily in dem Schaukelstuhl des Arbeitszimmers und stammelte undeutliche Wortsplitter zu ihrem Teddy. Man konnte denken, es war der Fluch einer Hexe den sie leise formulierte. Wie sie am Feuerofen stand und mit dem Kelle in einem Teufelsgebräu rührt, während ihre Lippe die Worte des Bösen formten. Sie saß inmitten einer kleinen, flackernden Blase aus Licht, erzeugt von einer Kerze auf dem Boden. Ein leichter Duft von Opium lag in der Luft, welcher von der Kerze verbreitet wurde. Die Wände verliefen sich zu sämtlichen Seiten ins Unbekannte. Durch das Fenster in der Stirnwand konnte man den Vollmond erkennen, wie er sich hinter kleinen Wolkenfetzen verkroch. An der Rückwand stand ein Bücherregal überzogen von Spinnweben. Rechts an der Wand war nur schwach der Rahmen eines Ölgemäldes auszumachen, im Zwielicht darunter verbarg sind der Schreibtisch Ihres Vaters. Erneut schien Sie unter einem Anfall zu leiden. Seit dem Sie 5 war, schlafwandelte Sie gelegentlich durch das Haus. Am nächsten Morgen wusste Sie wie immer nichts davon. Emilys Vater, der das ganze durch den offenen Türspalt beobachtete, verzweifelte zunehmend. Er war der Überzeugung, die Ursache dafür würde auf psychischer Ebene beruhen. Aber warum? Dr. Tales war derselben Meinung, nur hatte seit über einem Jahr noch immer keine Fortschritte machen können, geschweige denn die Ursache dafür gefunden. Ryan verbrachte noch kurzen Moment an der Tür, ehe er sich wieder auf den Weg ins Bett machte und erneut einschlief.
Ein Grollen aus der Ferne ließ ihn aufschrecken. Er riss seinen Augen auf und sah nichts als die stygische Schwärze die Ihn umzingelte. Ryan hatte das entsetzliche Gefühl, jemand befände sich mit ihm im Raum. Er lauschte nach verräterischen Geräuschen, doch das Einzige was er hörte war das Donnern eines Gewitters in der Ferne. Auch nichts Verdächtiges war zu erkennen, nur eine kleiner roter Punkt ein paar Meter weiter weg. Dies war jedoch nur die Stand-By Leuchte des Fernsehers. Ein Blitz spaltete den Himmel der Nacht. Für einen kurzen Augenblick füllte sich das Zimmer mit fahlem Licht. Doch dieser kurze Moment reichte vollkommen aus, um zu erkennen, was ihn so beunruhigte. Durch ihr langes schwarzes Haar sah Emily ihm direkt in die Augen. Ihre Augen schienen finster und tot. Mit einem gehobenen Messer in der rechten Hand stand sie vor ihm. Ihre Miene war ausdruckslos. Erneut krachte ein gewaltiger Donnerschlag über den Himmel, um anschliessend von einer bedrückenden Stille heimgesucht zu werden.
In dieser Nacht träumte Emily abermals. Es gab nur einen Unterschied, statt des toten Körpers ihrer Mutter erblickte Emily das tote Antlitz ihres Vaters.