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Der verlorene Engel

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27.04.2015
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Der verlorene Engel

1. Der Pfingstengel

Verschlafen rieb er sich die Augen. War das alles hell um ihn herum! Die Sonne – konnte sie wirklich dermaßen grell scheinen? Und dann erst dieser Lärm! Es klang wie … der kleine Engel rang nach Worten. Endlich tauchte tief in ihm eine Erinnerung auf: Als er noch ganz klein war, hatte seine Mama ihm einmal eine Spieluhr vorgespielt, auf der Vögel zwitscherten. Doch so laut hatte er sie in Wirklichkeit noch nie gehört. Schließlich war er ja ein Weihnachtsengel, der immer erst zum Ersten Advent aufwachte. Und wenn die Weisen aus dem Morgenland durch die Straßen gezogen waren, wurde er wieder so unendlich müde. Dann schlief er bis zum nächsten Advent.
Da gab es dann unzählige Glocken, Weihnachtsmelodien und Posaunenklänge – aber die Vögel schwiegen. Doch warum hörte er sie nun? Ein Sonnenstrahl traf den kleinen Engel mitten ins Gesicht, so dass er erschreckt die Augen aufriss. Über ihm wogten grüne Blätter – auch sie verwirrten ihn. Wo um Himmels willen war er nur?
„Piep“, ein kleiner Vogel mit roter Kehle landete direkt vor ihm. „Wer bist denn du, piep-trisch?“ „Der kleine Weihnachtsengel Albariel, und du?“ „Rolf, das Rotkehlchen, piep, sieht man doch. Ich wohne direkt über dir im Gebüsch. Dip-trisch. Meine Kleinen schlüpfen wohl schon Morgen. Vielleicht gleich am zweiten Tag des Pfingstfestes. Das wäre schön. Dich habe ich noch nie gesehen.“
„Was – Pfingsten!?“ Verzweifelt starrte Albariel auf seine Engelsuhr am Handgelenk. Tatsächlich! Er hatte das ganze letzte Weihnachtsfest verschlafen! Wohl hier im Gebüsch. Deshalb hatte ihn niemand geweckt. Na, so etwas. Aber im Jahr davor hatte er wirklich Stress gehabt. Da hatte eine junge Mutter in seinem Viertel gerade zum Fest solche Zahnschmerzen bekommen. Wie mühsam es gewesen war, die Schmerzen wegzublasen! Und der nächste Notdienst war so weit weg gewesen. Aber er war ja da.
Tausend Fragen hatte Albariel. Schließlich hatte er noch nie so viel Sonne, so viel frisches Grün um sich herum gehabt. Doch Rolf hüpfte schon wieder weiter. Denn immer drängender wurden die schwachen Piepser um sie herum. Ja, dies Geräusch hatte den Engel bereits aufgeweckt. Hüps, schon wieder kehrte Rolf zurück, ein Regenwürmchen im Schnabel.
„Piep-tritsch.“ Was bewegte sich denn da zwischen dem alten Laub? Mehrere braune Federbällchen sperrten weit ihre Schnäbel auf. „Meine Großen“, erklärte Rolf stolz. „Alle sechs sind bisher durchgekommen. Nun haben sie bereits das Nest verlassen. Mama brütet schon wieder über neuen Eiern.“ Na, so richtig selbstständig schienen sie dem Engelchen nicht zu sein. Zweifelnd wiegte er den Kopf. „Du wirst schon sehen“, zwitscherte Rolf weiter. „Keine Woche mehr und sie fliegen fort.“ „Hung- trisch“, piepste es um sie herum. „Ja doch, ich bin schon unterwegs!“
Rolf hatte wirklich viel zu tun. Fortwährend fütterte er seine halbwüchsigen Jungen. Daneben besuchte er sein neues Nest. Schließlich wollte Mama Rotkehlchen während der neuen Brut auch nicht verhungern. Würmer, Käfer und viel Krabbelgetier verschwanden in den hungrigen Schnäbeln. Fasziniert beobachtete Albariel die Vogelfamilie. Manche der Vogeljungen versuchten auch ihn anzubetteln. Doch was verstand er schon von Krabbelgetier! In seinem letzten Adventsunterricht erst hatte er gelernt, welche Vögel bedrohlich waren: Raben und Elstern. Dann aber vor allem die großen Raubvögel. Manchmal griffen sie sogar kleine Engel an. Bald schon rieb sich der kleine Albariel die Äuglein. Er wurde schon wieder so müde! Wie Rolf es nur schaffte, unermüdlich war er unterwegs!
Da plötzlich, verdunkelte ein Schatten den Himmel – wirklich: eine Elster! Welche Gefahren es außerhalb der Weihnachtszeit gab! „Still“, zischte Albariel den Jungen zu. Denn Rolf war mal wieder unterwegs. Zum Glück hörten sie bereits auf ihn. Sie duckten sich. Zwischen all dem alten Laub wurden sie fast unsichtbar. Doch die Mama – hatte auch sie die Gefahr bemerkt? Mühsam kletterte Albariel das Gebüsch hinauf. Das war nun wirklich nichts für ein Engelchen wie ihn! Er war eher an Weih*nachtsbäume gewöhnt. Die waren wenigstens nicht so riesig und unbequem!
Klettern konnte er nun wirklich nicht. Und das Fliegen würde er erst im nächsten Advents-Unterricht lernen – wenn er nicht wieder verschlief. Hoffentlich stürzte er nicht ab! Konnte er die Vogelmama noch rechtzeitig erreichen? Autsch, jetzt bohrte sich doch tatsächlich ein Zweig in seinen hellen, ehemals weißen Umhang. Der kleine Engel verspürte einen scharfen Schmerz, als er zerriss. Schließlich gehörte der Umhang doch zu seiner Existenz. Krah, flatter. Wenigstens richtete sich der Blick der Elster nun auf ihn: „Hilf-krah – ein Gespenst!“
„Was?“, zwitscherte nun die Rotkehlchen-Mama. Albariel erstarrte. Warum war sie nur so ruhig, als sie die Elster hörte? „Wer stört uns?“ Sie schienen sogar ausnehmend bekannt miteinander zu sein. Wo war nur Rolf? „Das ist doch Albariel, dip-trisch“, zwitscherte es da von unten. Eine der älteren Schwestern hatte sich gemeldet, „ein verirrter Winterengel, der auch mal in die Sonne wollte.“
„Ich bin ein Weihnachtsengel“, berichtigte sie Albariel automatisch. „Das ist dann, wenn alles Laub von den Bäumen gefallen ist und die Menschen uns Futterhäuschen hinstellen“, erklärte die Mama. „Dann geben uns die Menschen besonders viel. Und das, obwohl es meist erst danach richtig kalt wird.“ „Und alle Kerzen brennen und die Glocken läuten so schön“, ergänzte Albariel.
„Nur die Sonne ist nicht da-krah“, erklärte die Elster. „Trotzdem wollen zu Weihnachten alle helfen. Aber nun ist Pfingsten, das Fest des Lichts und der lauen Winde. Das feiern wir Vögel ganz besonders, krah, zumindest an diesen Tagen verstehen wir einander.“ Und, flatter-düp, plötzlich war auch Rolf, der Rotkehlchen-Papa mit einem Wurm im Schnabel wieder da. „Und Elmar-Elster ist sowieso seit dem Pfingstfest vor zwei Jahren so friedlich geworden.“ „Das war auch toll-krah, wie alle Vögel miteinander feierten. Das soll auch immer so weitergehen. Nicht nur zu den Festen, krah.“


2. Der Osterengel

Vorsichtig öffnete er die Augen: Die Zweige waren kahl – zum Glück. War es noch Winter? Hoffentlich! Denn dann hatte er es geschafft, wieder nach Hause zu kommen. Schließlich war Albariel doch ein Weihnachtsengel. Vom 1. Advent bis zum Dreikönigstag war seine Zeit. Leider war er im vergangenen Jahr vollkommen durcheinander gekommen. Er hatte verschlafen. Erst zu Pfingsten war er aufgewacht. War er nun wieder in seinem heimatlichen Rhythmus? Wenigstens zeigte sich die Sonne nicht wieder von ihrer strahlenden Seite – wie es damals zu Pfingsten geschehen war.
Es musste noch sehr früh sein. Das Licht schien noch fahl. Um nicht zu sagen: vom Nebel verschluckt. Hoffentlich war er in seine Winterzeit heimgekehrt. Mit einem Ruck richtete sich Albariel auf. Nun musste er nur noch seine Freunde wiederfinden! „Holla“, da rief doch bereits jemand. „Wo seid ihr?“ Ja, das hätte Albariel auch gerne gewusst. „Ich bin da!“, antwortete er.
Doch er staunte nicht schlecht: Ein dürres Kaninchen mit einem riesigen Korb auf dem Rücken tauchte aus dem Dunst auf. Eifrig schnuppernd sah es sich um. Und erstarrte vor Schreck, als es Albariels weißes Gewand erblickte. Nun ja, es war schon ziemlich grau. Denn bei seinem letzten Pfingstabenteuer hatte es der kleine Engel ganz schön schmutzig gemacht. Und er musste dann sofort einschlafen, ohne sich reinigen zu können. Trotzdem fühlte er sich wie ein Gespenst vor dem schnuppernden Näschen. Es war noch immer wie erstarrt.
„Keine Angst, ich bin’s, der kleine Weihnachtsengel Albariel.“ „Ja, aber, was machst du hier. Jetzt ist doch Ostern. Ich bin Puschel und bringe den Kindern Oster*eier“ „Was …?“ „Und solch ein Nebel! Mama und Papa haben gesagt, letztes Jahr war es doch sonnig. Da finde ich kaum die Büsche, unter die ich meine Eier legen soll. Und jetzt weiß ich selbst gar nicht mehr, wo ich nur bin.“
Albariel fühlte Traurigkeit grau in sich aufsteigen. Er war genauso verloren, wie das kleine Häschen mit dem großen Korb. Nein, noch viel mehr. Wann käme er endlich wieder nach Hause, in die Weihnachtszeit? Er konnte doch nicht das ganze Jahr wach bleiben! Und immer, immer verschlief er! Doch wichtig war jetzt nur eins: Wo war denn die Familie des Häschens?
Der kleine Puschel beschrieb den riesigen Holzhaufen, unter dem sein Zuhause lag. Die ganze Familie hatte sich dort, bei den drei Buchen, immer neue Gänge gegraben, so dass bald jeder eine eigene Wohnhöhle besaß. Auch der Holzhaufen war im Lauf des Winters immer höher gewachsen. Denn nachmittags kamen gerne einmal Menschenwesen vorbei, die dort Äste abluden. Doch hielten sich ihre Besuche sehr in Grenzen, so dass sie Familie Kaninchen nicht weiter störten. Albariel konzentrierte sich. Er suchte tief in seiner schmutzig-grauen Brust den inneren Kompass, der ihm zeigte, wo andere Lebewesen ein Echo gaben. Denn er konnte spüren, wie sie auf einen Rückkehrer warteten. Puschel war sicher längst schon überfällig und man erwartete ihn.
Das war bei dem Nebel natürlich nicht so ganz leicht. Sein Herz musste zu einem Vogel werden, der sich von der Schwere erhob und allen Dunst hinter sich ließ. „Schau mal“, piepste plötzlich Puschel. Und holte den Weihnachtsengel damit auf den Boden der Tatsachen zurück. „Was denn? Ich suche dein Zuhause.“ Doch das kleine Kaninchen hatte wohl nichts begriffen: „Guck mal! Alle meine Eier habe ich selbst bemalt“ Nun ja, schön waren sie nicht. Unregelmäßig waren die Punkte und Streifen aufgemalt. Oft über den Rand hinweg. Aber nun wusste Albariel, worauf er sich konzentrieren musste. Natürlich, die anderen Anfänger-Eier!
Und allmählich gelang es Albariel, den Holzhaufen Richtung Westen zu orten. Und so kam Puschel heim zu seiner Familie. Welche Freude, als sie ankamen! Still und stolz stand Albariel neben all den Umarmungen. Und dann wurde gefeiert. Trotz des arbeitsreichen Tages schenkte Mama Kaninchen reichlich Eierpunsch aus. Die restlichen Ostergaben übernahmen Tanten und Onkel, Nichte und Neffen. Schließlich in der Abenddämmerung kehrten alle zurück. Und erneut ging es hoch her.
So hörte auch niemand, wie sich die Stimmen rund um den Holzhaufen häuften – Menschenstimmen! Doch dann ließ sich der Rauch nicht mehr verleugnen. Was war geschehen? Vorsichtig steckte Albariel seinen Kopf aus dem Holzhaufen heraus. So viele Menschen umstanden das Heim seiner neuen Freunde. Es war, als wenn Jugendliche mit aller Macht ihren Holzhaufen in Brand setzen wollten. Und niemand, wirklich keiner tat etwas dagegen.
„Das Osterfeuer! Ich habe euch ja gewarnt!“ Ein uralter Onkel Lampe starrte die Familie Puschels an. „Ach, sie sammeln ja so viele Haufen!“, verteidigte sich ja seine Mama. „Irgendeinen muss man ja nehmen.“ Albariel beteiligte sich nicht an dem gesamten Aufruhr. Er konzentrierte sich. Mehr, als er es jemals in seinem jungen Leben von noch nicht einmal 200 Jahren getan hatte. Und dann grollte es. Ein Blitz zuckte durch den Nebel. Er hatte es geschafft, einen Regenguss herbei gebracht. Die Menschen fluchten über das Aprilwetter und zogen die Köpfe ein. Das Holz, vom Nebel bereits befeuchtet und nun plötzlich durchnässt, qualmte nur ein wenig. Schon bald gingen auch diese Rauchfähnchen aus.
Die Dorfjugend schleppte Kanister herbei. Deren Nass sollte wohl beim Brennen helfen. Doch inzwischen stand kaum jemand von den Menschen mehr um den Holzhaufen herum. Schließlich fürchteten sie Regengüsse wie sonst kaum etwas auf der Erde. Das wusste Albariel. Auch, wenn er schon wieder so unendlich erschöpft war von diesem Tag, an dem so viel geschehen war. Er kämpfte nur schwach gegen seine Müdigkeit an. Schließlich hatte er getan, was er konnte. Würde er nun endlich in die Weihnachtszeit heimkehren? „Mama, Papa“, seufzte er leise, schon halb im Traum.
So bemerkte er auch nicht mehr, dass nun Oma Kanin verschüttet war. Durch alle trampelnden Schritte dieser ungeschickten Menschen war der Gang verschüttet, der zu ihrem Zimmer führte. Die ganze Familie Kaninchen rüttelte und schüttelte den kleinen, schmutzigen Engel, um ihn noch einmal wach zu bekommen. Allein, es gelang nicht. Als erster gab es Puschel auf. Er entfernte sich leise von seiner aufgeregten Familie. Und buddelte und grub. Endlich gelang es … er, der Ungeschickteste der Familie rettete ganz allein seine Oma und grub sie frei. Keinen Augenblick zu früh! Sie atmete schon ganz schwach. Doch Puschel trommelte so lange auf ihre Rippen, bis das Osterherz wieder gleichmäßig schlug.


3. Dreikönigsengel

Und wieder wurde er wach. Ganz, ganz vorsichtig öffnete der kleine Weihnachtsengel Albariel seine Augen. War er endlich heim gekommen? Zu lange irrte er schon durch solche fremden Feste wie Ostern und Pfingsten umher. Dabei war doch seine Zeit zwischen dem 1. Advent und dem Dreikönigstag. Nur war sein Schlaf ohne seine Schuld so durcheinander geraten, dass er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte: Wie sollte er bloß noch einmal zu seiner Familie, seinen Freunden heimkommen?
Da, blitzte dort nicht etwas silbern? Albariel riss nun die Lider ganz auf: Tatsächlich Lametta! Glücklich lachte er auf. Dann schaute er genauer hin. Die Fäden lagen auf Asphalt. Wieso denn das? Es gehörte doch an einen Tannenbaum. Schon wieder falsch? Enttäuschung würgte in dem Engelein. Da hörte er es rauschen – Nadeln im Wind. Er drehte den Kopf: Juchhu, endlich ein Christbaum! Auch, wenn er auf dem Gehsteig lag. Seltsam vertrocknet waren seine Äste, nur ein paar Fäden Lametta und eine verdreckte Weihnachtskugel blinkte matt zwischen den Nadeln. War er wieder zu spät – und hatte das Christfest knapp verpasst?
Plötzlich stürzte ein älterer Mann nach draußen. „Kannst du den Baum nicht richtig abschmücken?“ So schrie er ins Haus zurück. Dort zeigte sich am Eingang der Schatten seiner Frau. Heftig riss er an der alten Kugel. Der Faden, an dem sie hing, hatte sich in den Nadeln verhakt. Er riss. Die Kugel zersplitterte am Boden. Wütend machte der Mann kehrt und stürzte zurück ins Haus. Drinnen schrie er weiter.
Das war zu viel für Albariel: Was hatte das nur zu bedeuten? Schließlich hatte er seiner Weihnachtsengel-Schule nur bis zur dritten Klasse besucht, bis dieses Unglück seiner andauernden Irrfahrt geschah. Endlich: Weiße Wesen spiegelten sich in den Scherben der zerstörten Christbaumkugel. Sie bewegten sich, kamen rasch näher. Keine Kollegen oder sonstige Himmelsboten, das spürte Albariel sofort. Es waren aber Kinder.
„Wir haben schon auf dich gewartet“, so herrschte ihn der Zweitgrößte an. „Wo bist du nur geblieben?“ Die Christbäume waren noch nicht vertrocknet, da schienen alle schlechte Laune zu haben. „Ach, lass doch“, erwiderte das Mädchen, das den Stern aus Glimmergold trug. „Er hat so lange gebraucht, um sich zu verkleiden. Und schau mal, fast hätten selbst wir ihn nicht mehr erkannt.“ „Aber schmutzig ist er.“ Der Größte wandte sich direkt an Albariel: „Bist wohl in eine Schlammpfütze gefallen, Michael?“
Albariel wollte schon den Irrtum aufklären. Doch da stolperte er über dürre Äste Die Kinder lachten. Zum Glück war er als Engel nicht verletzbar. Lieblos lagen immer mehr Tannenbäume auf dem Gehweg. Was war nur geschehen? In seinem normalen Leben, als er noch ein wirklich richtiger Weihnachtsengel war und noch nicht so ohne Begleitung durch die Zeiten hüpfen musste, da wurden sie liebevoll geschmückt. Daran erinnerte sich Albariel genau. In welchen lieblosen Zeiten nur war er gelandet?
Schon reihten sich die Kinder vor einem Haus auf, klingelten und sangen ihre Reime. Albariel hatten sie sicherheitshalber nach hinten verbannt. Doch er konnte singen. Und die Klänge von „Es führt drei König Gottes Hand“ brauchte er noch nicht einmal zu lernen. Er war schließlich und trotz allem ein Engel. Wie von selbst flossen sie aus seinem Mund. Überall regnete es Münzen in ihre Blechdose und viele Packungen Kekse. Albariel konnte seinen Anteil kaum mehr tragen.
Plötzlich ein Piepsen, während Albariel hinter den Jungen der Gruppe von einer Haustür zur nächsten stolperte. Da, ein Rotkehlchen. Und so mager und voller struppiger Federchen! War es eins der Kinder oder gar ein Enkel von Rolf, dem stolzen Rotkehlchen-Papa? Ihn hatte Albariel einst bei seiner ersten Irrfahrt zu Pfingsten getroffen.
Das Vögelchen folgte ihnen. Während sie wieder sangen, öffnete der kleine, verlorene Engel vorsichtig eine Tüte voller Nusskekse. Er streuselte sie dem Vogel hin. Hastig fraß er. Und füllte sich den Schnabel mit weiteren Krumen. Ja, er brachte sie tatsächlich weg. Am nächsten Haus war er wieder da. Mit ihm ein ganzer Schwarm von Vögeln.
Die Straße ging es hin und zurück. „Macht, dass ihr fortkommt!“ Statt Dankesgaben an einer Haustür hörten sie nur das Schimpfen des älteren Mannes. Sie waren zu dem Haus mit der zerstörten Christbaumkugel zurückgekehrt, an dem Albariel aufgewacht war. Seine Frau fiel ihn in die Arme. Doch er schüttelte sie ab. Die Kinder rannten weg. „Der ist immer so“, seufzte ein Mädchen, das zuerst neben Albariel gestanden hatte.
Der kleine Weihnachtsengel hörte es nicht mehr. Er konnte gar nicht mehr anhalten, so erschreckt war er. Dann hörte er Glockenklänge. Eine Kirche, direkt vor ihnen. Erneut ein Piepsen. Diesmal direkt an seiner Schulter. Das struppige kleine Vögelchen erschien immer anhänglicher. Es schien im Flug etwas direkt in sein Ohr zu flöten. Jetzt stolperte Albariel mehr als das er lief.
Mit letzter Kraft schaute er sich um. Außer dem Vögelchen war niemand mehr bei ihm. Keiner der anderen Kinder schien ihn zu vermissen. Wahrscheinlich sangen sie bereits vor dem nächsten Haus. Nicht schade – aber wo sollte er bloß hin? Beinahe hätte er nicht das schwere Portal des Gotteshauses aufdrücken können. Ein gebeugtes Väterchen half ihm. Und das, obwohl es ihn so merkwürdig anschaute. Er musste aber auch seltsam aussehen, so als verdreckter Engelbub!
Nun flatterte das Vögelchen kurz auf – hin zu einer Seitennische. Dann schon wieder ein Tschilpen. Seufzend wandte sich Albariel dorthin. Dort, ein Altarbild – mit der Anbetung des kleinen Jesuskindes durch Hirten und Könige. Über dem Stall schwebte seine Familie. Endlich nur noch das Dämmerlicht des Kirchenraumes um ihn her, Da stolperte Albariel schon wieder – über eine Kniebank. Gut nur, dass ihm auch die nichts anhaben konnte. Da oben, endlich! „Mama, Papa!“, seufzte er.
Nein, leider nur im Bild. Das kleine Rotkehlchen flatterte nun zu einer dicken Kerze auf dem Altar. Sie schien nur auf den leichten Windstoß gewartet zu haben. Sofort fiel sie nieder. „Siehst du, das hätten wir uns nie erlaubt!“ Die Mesnerin stürzte herbei. Bevor die Kerze den Boden erreichte, fing Albariel sie sacht auf. Er glättete das Altartuch. Eine Falte hatte offenbar die unebene Stelle verursacht. Dann schaute er kurz sehnsüchtig zu den Engeln auf dem Altarbild hoch. „Du Lausbub.“ Dann entdeckte sie das Rotkehlchen. Sie schrie auf und wollte sich auf das unschuldige Vögelchen stürzen: „Weg! Bevor du alles verdreckst!“
Konnte das Rotkehlchen für sich selbst sorgen? Wie sollte ihn Mama und Papa finden? Woher sollten sie auch wissen, wo er war und in welcher Zeit er sich befand? Albariel rannte. Konnte er nie mehr zurück? Der Engelbub hatte die Hoffnung längst aufgegeben. Er irrte durch die dunkle Kirche. Erneut sein Flattern um ihn herum. „Was ist noch? Versteck dich doch!“ Albariel beugte sich vor. Immer wieder flatterte der kleine Vogel auf. So, als wollte er das Engelchen in eine Richtung weisen. Endlich gab Albariel nach und folgte ihm. Heimlich schlich er zu einem Seiteneingang. Schon wieder wurde er so müde. Da, ein dunkleres Rauschen, wie von mächtigeren Flügeln. Fast wie auf dem Altarbild.
„Aber Albariel, was machst du da?“ Der schmutzige kleine Engel hob die Augen. Ja, das war doch tatsächlich sein großer Bruder! „Warum schreien so viele Menschen schon so kurz nach Weihnachten?“, fragte Albariel ihn.
„Ihre Schnitttannen sind noch nicht verdorrt, da fällt ihnen auf, wie trocken ihr Weihnachtsschauspiel ist. Alles nur auf Gemütlichkeit und Geschenke ausgerichtet. Da kann man froh sein, wenn sie zumindest an den Festtagen nicht über einander herfallen. Und wir müssen darüber wachen“, stöhnte der große Bruder. „Aber ihre Kekse schmecken gut“, zwitscherte das Rotkehlchen dazwischen. Albariels Bruder dankte ihm für die Hilfe bei der Suche.
Seufzend ließ sich Albariel in die starken Arme des anderen fallen. Endlich konnte er heim! Gerade noch rechtzeitig am Ende der Weihnachtszeit hatte er seine Familie wieder.

Marsanne

 

Hallo Marsanne!

Nett, deine Geschichte. Sicher werden die Kinder mit dem kleinen Engel Albariel zittern und sich freuen, wenn er am Ende wieder bei seiner Familie landet.

Du findest zwar meistens eine kindgerechte Sprache, aber ich finde deinen Stil oft etwas weitschweifig und holprig.

Trotzdem: Ich habe das Märchen gern gelesen.

Gruß, Konstantina

 

Hallo Konstantina,

vielen Dank für Deine nette Rückmeldung. Vielleicht lässt sich die Geschichte ja noch etwas straffen. Mal sehen, ob es mir gelingt. Viele Grüße Marsanne

 

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