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Der Weg

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02.05.2003
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Der Weg

Ich gehe auf dem Weg und blicke in den Himmel, der strahlend blau ist. Irgendwo pfeift ein Vogel fröhlich auf einem Baum. Die Sonne leuchtet an diesem Tag ganz besonders hell herab und erwärmt mein Gesicht, das durch die lange Fahrt ganz trocken geworden ist.
Ich wende mein Gesicht ab und halte den Blick auf die Füße meines Vordermannes gerichtet, der wie im Entengang vor mir her trottet.
Er macht ganz kleine Schritte, so als wolle er sich alle Zeit der Welt lassen. Verständlich, wahrscheinlich ahnt er, wohin wir gehen.
Ich gehe auf dem Schotterweg, dessen Steine meine Schritte knirschen lassen und beobachte die Fersen meines Vordermannes. Sie sind schmutzig, so schmutzig, dass man die wahre Farbe der Schuhe unter dem Dreck überhaupt nicht mehr erkennt. Aber das macht nichts, sie sind wahrscheinlich sowieso schwarz. Er kann froh sein, dass er Schuhe hat.
Ich habe auch welche, aber viele haben keine mehr. Sie haben sie verloren, als man sie hierher gebracht hat, oder schon früher.
Früher.
Früher war alles anders. Ich erinnere mich, wie wir früher als Kinder fangen im Garten gespielt haben und wie viel Spaß wir hatten, wenn Großvater mit uns spielte.
Er war ein lustiger alter Mann gewesen. Hatte uns immer alte Geschichten erzählt. Von zu Hause, so nannte er diese Geschichten immer.
Ich schmunzle, als ich daran denke und trete meinem Vordermann fast auf die schmutzigen Füße. Er dreht sich halb um, weil ich ihn dabei ein wenig angerempelt habe.
„Tut mir leid“, murmele ich auf deutsch und weiss nicht einmal, ob er mich versteht.
Wahrscheinlich schon. Jeder kann deutsch in diesen Zeiten, jeder, der überleben will.
Ich will überleben.
Aber ich gehe auf dem Weg, der jetzt langsam eine Kurve macht und an einem roten Backsteingebäude vorbei führt. Alle Gebäude hier sind backsteinfarben. Fiel mir auf, als wir aus dem Zug sprangen, auch wenn uns nicht allzu viel Zeit geblieben war, um uns umzusehen.
Ich blicke wieder hoch und beobachte all die anderen Menschen, die mit mir gehen. Es sind so viele, dass ich sie unmöglich zählen könnte. Alle gehen sie hintereinander her, manche mit Kindern und Gepäck in den Armen, manche mit nicht viel mehr als ihrer bloßen nackten Haut. Manche haben noch Mäntel an und Hüte auf dem Kopf. Sie sehen richtig schick aus, als wollten sie ausgehen.
Sie gehen aus.
Mit der Zeit gehen sie aus.
Ich gehe auf dem Weg. Es ist inzwischen kein Weg mehr, sondern nur noch grüne Wiese. Grüne Wiese, die eigentlich gar nicht grün ist, aber man stellt sich vor, sie sei grün, weil sie dann schöner aussieht.
Grün ist nichts hier. Gar nichts. Grün hat keinen Platz. Der Himmel ist blau, die Sonne gelbrot, die Backsteinhäuser rot und alles andere grau.
Grau, grau und noch einmal grau. Die Betonplatten, die Bunker und Gefängnisse.
Grau.
Ich gehe auf dem Weg, der mich dahin führt, wo ich noch nie gewesen bin. Ich bin überhaupt noch nie in meinem Leben in diesem Teil der Welt gewesen. Wir sind nicht oft gereist, früher. Wohin auch, uns hätte keiner gewollt.
Aber ich habe mir immer vorgestellt, wie es sein müsste, eines Tages einmal das Meer zu sehen. Die wilden Wellen, die mit ihrer weißen Gischt an Land brausen und einem das Wasser ins Gesicht spritzen. Die Möwen, die mit lautem Geschrei über einem herkreisen, der Geruch von frischem Fisch an der Mole. Franz hat mir einmal davon erzählt. Er ist Hamburger und hat mir davon erzählt.
Franz war mein Freund gewesen, in der Schule. Mein allerbester Freund, bis zu diesem Tag.
Dieser Tag ist wunderschön. Die Sonne knallt noch immer auf mich herab.
Ich gehe auf dem Weg und lausche den Tönen, die von weiter vorne zu kommen scheinen. Ich höre angestrengt hin, um zu erkennen, was es ist.
Eine Musikkapelle spielt am Rand fröhliche Musik und scheint ganz heiter zu sein.
Ich gehe auf dem Weg und lausche der Kapelle. Es gefällt mir, dass sie Musik für uns spielen.
Die Musiker sehen nur etwas komisch aus, in ihren gestreiften Anzügen. Aber das macht nichts, Musik ist Musik.
Ich gehe die Treppe hinunter. Lausche den Anweisungen, die die Männer geben. Sie sind auf deutsch und auf jiddisch.
Ich verstehe kein jiddisch, aber deutsch verstehe ich sehr gut. Ich bin Deutscher. Bin immer Deutscher gewesen, bis zu diesem Tag.
Ich bleibe an einem Kleiderhaken stehen und fange an, mich auszuziehen, wie die Männer sagen. Es macht mir nichts aus, mich vor den anderen zu entkleiden. Dies sind keine Zeiten der Scham.
Ich hänge meine Kleidung an den Haken und werfe einen letzte Blick darauf.
Ein Kind stößt weinend gegen mich und krallt sich an meinem Bein fest.
Ich werfe es von mir und es rennt wie verrückt und laut schreiend durch den ganzen Raum, dessen Decke so tief ist, dass man Angst hat, man könne sich jederzeit den Kopf anschlagen.
Einer der Männer reisst das Kind mit einem dumpfen Knall auf den Boden, zieht seinen Schlagstock und schlägt so lange auf den Kopf des Kindes ein, bis man nichts mehr sieht ausser Blut und roter Masse, die aus der Schädeldecke tropft.
Alle stehen nur da. Schweigen, sehen weg und ziehen sich weiter aus.
Ich stehe starr und stumm. Drehe mich wieder zu meiner Kleidung um. Werde geschoben, von irgendjemandem geschoben. Schwimme mit dem Strom, getrieben von den Schreien der Männer, die auch in komischen gestreiften Anzügen gekleidet sind und sehe wieder nach oben.
Ich kann den Himmel nicht sehen, nur die graue Decke des Gebäudes, aber ich weiss, dass der Himmel nicht mehr blau ist. Ich weiss, dass man die Sonne nicht mehr sieht und auch der Vogel nicht mehr singt.
Ich gehe in den Duschraum und weiss, dass die Kapelle draussen noch immer ihre fröhliche Melodien spielt. Ihre fröhlichen Melodien, die so gut zu diesem schönen Tag passen und mir doch so seltsam vorkamen.
Ich lasse mich schubsen und stoßen, als immer mehr Menschen in den Raum gedrängt werden und man bald kaum mehr richtig atmen kann, so eng ist es.
Als das Licht ausgeht, fangen die Frauen an zu schreien. Irgendwo weint ein Kind.
Ich stehe still und stumm. Denke an das Kind, das draussen liegt und nicht hier im Dunkeln stehen muss.
Denke an all die Kinder, die draussen im Dunkeln stehen.
Ich höre etwas leise zischen, dann noch mehr Schreie.
Ich sehe nach oben und weiss, dass die Kapelle nun aufgehört hat, zu spielen.

 

Hallo Ben!

Ach, Mist, jetzt hats mir alles gelöscht...*grummel* immer das Gleiche mit dem Mist-PC!!!
Also, ich hatte geschrieben, das mir deine sehr eindringliche und stilistisch einwandfreie Geschichte wirklich gut gefallen hat. :top:

Dann hatte ich noch bemerkt, das Versen im oberen Teil Fersen sein müssen, und du in der Szene mit dem Kind "drumherum" schreibst, was mir zu Kinderreim-mässig klingt, besonders wegen dem wohl unfreiwilligen Reim mit "still und stumm" gleich danach.

Das wars schon,

Liebe und müde Grüsse
ardandwen

 

Hi ardandwen
Vielen Dank für das Lob, hab mich sehr gefreut!
Das mit den Versen/ Fersen stimmt natürlich...weiss nicht, wo ich da mit meinen Gedanken war.
Das drumherum hab ich auch rausgenommen und durch "Stehen einfach da" ersetzt. Kannst es dir ja mal durchlesen, ob es dir besser gefällt.

In diesem Sinne nochmal vielen Dank für die Kritik
Liebe Grüße
b

 

Hallo Ben!

Ich finde die Geschichte wirklich toll geschrieben. Die Situationen sind sehr schön beschrieben und deshalb wird man richtig in die Geschichte hineingezogen. Diese Menschen, die da in den Konzentratinslagern ums Leben kamen; ich finde du hast den Gemütszustand dieses Mannes sehr gut beschrieben. Wenn man eine solche Situation durchlebt ist man mit der Zeit abgestumpft. Das wird hier sehr deutlich. Er nimmt Dinge war wie die Fersen des Mannes der vor ihm geht...
Wirklich gute Geschichte.

Gruss S. H. Capaul

PS: Ach ja falls ich das da anmerken darf: Ich habe im Forum "Team Work" einen Geschichtsanfang veröffentlicht: "Amira im goldenen Käfig". Vielleicht hast du ja mal Lust einen Beitrag anzufügen.

 

Hallo Ben!

Leider kann ich mich dem Lob nicht anschließen, die Geschichte ist mir einfach zu oberflächlich und realitätsfern. Die zweite Geschichte zum diesem Thema innerhalb weniger Tage, bei der ich dieses Urteil abgeben muß. Klärt man euch in den Schulen nicht mehr auf? Erzählt und zeigt man euch nicht mehr, was es bedeutet hat, im KZ zu sein?
Sicher sagst Du jetzt, es ginge hier überhaupt nicht um Konzentrations- oder Arbeitslager, sondern um ein Vernichtungslager, deshalb gleich vorweg meine Antwort: In Vernichtungslager kamen hauptsächlich als arbeitsunfähig eingestufte Häftlinge aus den anderen Lagern (dort kamen sie mit dem Morden nicht mehr nach und wollten dort auch nicht so viele Leichen haben) – die Häftlinge, die in ein Vernichtungslager kamen, hatten also schon genug KZ-Erfahrung, sodaß sie wußten, wohin sie unterwegs waren. Sie gingen auch nicht mehr in ihrem Privatgewand spazieren, als wollten sie ausgehen … Sie hatten Häftlingsgewand mit ihrer Nummer und den jeweiligen Dreiecken bestückt, die aussagten, welche Art Häftling sie waren. Hüte hatten die keine auf, dafür waren die meisten abgemagert bis auf die Knochen. Und eher haben sie sich gegenseitig gestützt, als sich umzudrehen, weil jemand sie leicht angerempelt hat – auch ein ängstliches Kind wird wohl in der Situation niemand so einfach wegstoßen (und wenn der Protagonist das getan hat, warum sollte ich dann mit ihm Mitleid haben?).

Ein Mensch, der ein Konzentrations- oder Arbeitslager hinter sich hat und zu seiner Hinrichtung geht, wird in dem Moment wohl weder schmunzeln noch darüber nachdenken, ob die Schuhe des Vordermannes schmutzig sind und welche Farbe sie haben, oder die Häuser*, sondern er wird eher ganz fest an seine Liebsten denken, die er nie wieder sehen wird, und für sie beten, daß sie wenigstens überleben mögen. Und/oder er verflucht noch einmal alle, die da ihre Finger mit im Spiel hatten, und betet, daß die eines Tages gefaßt werden und für ihr Werk bezahlen müssen. Und/oder er steigert sich in pure Todesangst, und es wäre ihm völlig egal, ob er noch irgendwann einmal das Meer sieht oder nicht, er würde nur eines verdammt gern, nämlich lebend da rauskommen, aber er weiß ganz genau, es ist hoffnungslos. Nach Schmunzeln ist ihm da sicher nicht zumute.
*Apropos rote Backsteinhäuser und graue Betonflächen: Häftlinge waren häufig in unbeheizten Holzbaracken untergebracht. Die (beheizten) roten Backsteinhäuser waren eher Verwaltungsgebäude und Aufseherunterkünfte, und die Gaskammern standen nicht direkt neben diesen. Aus Beton war damals auch noch nicht viel (wenn überhaupt), das kam erst später.

Und wenn Du tatsächlich »nur« ein Vernichtungslager zeigen wolltest: Was hat das für einen Sinn, wenn Du weder Hintergründe noch das Leid der Menschen (oder zumindest das des Protagonisten) zeigst? Was soll der Leser aus Deiner Geschichte Neues erfahren oder an neuen Erkenntnissen gewinnen?

Ich kann Dir nur empfehlen, Bücher von Autoren zu lesen, die selbst im KZ waren, zum Beispiel »Der Totenwald« von Ernst Wiechert (er erlebte das KZ Buchenwald) oder »…trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager« von Viktor E. Frankl (- Auschwitz) oder »Zeit ohne Gnade« von Rudolf Kalmar (- Dachau).
Danach wirst Du selbst verstehen, daß Deine Geschichte nicht einmal eine Bleistiftskizze dessen ist, was sich tatsächlich zugetragen hat. – Das meine ich nicht böse – Deine Geschichte zeigt nämlich eines sehr gut, was Du gar nicht beabsichtigt hattest: Wie mit der Geschichte an den Schulen (oder zumindest manchen) umgegangen wird, bzw. was Jugendliche heute über das wissen, was sich Mitte des eben vergangenen Jahrhunderts ereignet hat. Und das macht sie wirklich zu einer sehr traurigen Geschichte.

Stilistisch sag ich da nicht viel, nur:

Irgendwo pfeift ein Vogel …
Irgendwo weint ein Kind.
Und irgendwo heult ein Werwolf … ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi
Nachdem ich jetzt wirklich lange mit mir selbst gerungen habe, ob ich diese Kritik von dir überhaupt beantworten soll, werde ich jetzt einmal ein paar Worte verlieren um klarzustellen, worum es in dieser Geschichte überahupt gehen soll.
Zuerst einmal zur historischen Korrektheit. Ich halte mich selbst, besonders was die zeit des Dritten Reiches angeht, für jemanden der für sein Alter mehr weiß, als manch anderer und du kannst dich darauf verlassen, dass ich mein Wissen nicht alleine aus der Schule beziehe. Wenn es so wäre würden deine Anschuldingungen wahrscheinlich (leider) zutreffen, auch wenn ich von meinem Geschichte Leistingskurs behaupten würde, dass die Thematik des Holocaust doch sehr realitätsnah und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen dargestellt wird.
Tatsache ist, und das kannst du mir glauben oder nicht, dass es Juden gab, die direkt aus den Ghettos (mitsamt ihrer Kleidung und teilweise noch Gepäck) in die Vernichtungslager transportiert wurden und dort sofort in die Gaskammern kamen. Ich gebe zu, dass mein Prot vom Alter her wahrscheinlich nicht zu denjenigen gehört hätte, den dieses Schicksal ereilt hätte, aber das ist ein kleiner Logikfehler, der sicherlich nicht elementar ist.
Ich möchte dir in diesem Zusammenhang den Film "Die Grauzone" empfehlen, in dem eben genau diese Situation dargestellt wird und von dem ich mich bei dieser Geschichte auch maßgeblich habe inspirieren lassen.

die Häftlinge, die in ein Vernichtungslager kamen, hatten also schon genug KZ-Erfahrung, sodaß sie wußten, wohin sie unterwegs waren
Stimmt, ich habe auch in meiner Geschichte nie etwas anderes behauptet. Mein Prot stellt sich nie die Frage, wohin sie wohl gehen oder ähnliches.
auch ein ängstliches Kind wird wohl in der Situation niemand so einfach wegstoßen
Hier kommen wir auch schon an den entscheidenden Punkt. Du sagst das so, als ob es Fakt wäre. Fakt ist aber, dass weder du noch ich wissen können, wie Menschen in einer solchen Situation reagieren. Es geht mir doch beim Schreiben einer solchen Geschichte nicht darum, genau das wiederzugeben, was auch hundertprozentig so passiert ist, sondern ich stelle mir die Frage: Ist es wahrscheinlich, dass es so war? Vielleicht! Ist es möglich? Auf jeden Fall! Ich kann es nicht wissen, aber ich kann aufgrund meines Hintergrundwissens zumindest versuchen, mir vorzustellen, wie mein Protagonist in dieser Situation reagieren würde, denn genau darum geht es. Ich schreibe hier keinen historischen Essay über den Holocaust und auch keinen historischen Roman, sondern eine Kurzgeschichte, mit der ich etwas vermitteln möchte. Ich erhebe dabei keinerlei Anspruch auf historische Korrektheit, weil diese dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Tatsache ist doch, es hätte so sein können.
Mein Prot befindet sich nicht mehr in dieser Welt, als er sich auf den Weg zur Gaskammer macht. Wenn man so will, befinder er sich in einer Art Trancezustand, in dem er viele Dinge nicht mehr so wahrnimmt, wie sie sind, oder nur auf sehr kindliche Art (siehe Musikkapelle, etc.). Er interessiert sich überhaupt nicht für die anderen um sich herum, oder wenn er es tut, dann nur um die Schuhe des Vordermannes.
(und wenn der Protagonist das getan hat, warum sollte ich dann mit ihm Mitleid haben?).
Wer sagt denn, dass du das sollst? Muss denn meine Hauptperson unbedingt ein Held, oder eine tragische Figur sein? Kann er denn nicht einfach ein Mensch sein? Mitleid hätte wohl keiner der inhaftierten Juden gewollt, dazu waren sie viel zu stolz und es war auch nie meine Absicht, in irgendeiner Form Mitleid zu erzeugen.
Ein Mensch, der ein Konzentrations- oder Arbeitslager hinter sich hat und zu seiner Hinrichtung geht, wird in dem Moment wohl weder schmunzeln noch darüber nachdenken, ob die Schuhe des Vordermannes schmutzig sind und welche Farbe sie haben, oder die Häuser*, sondern er wird eher ganz fest an seine Liebsten denken, die er nie wieder sehen wird, und für sie beten, daß sie wenigstens überleben mögen.
Wiederum stellst du persönliche Ansichten von dir als bewiesene Fakten dar. Woher willst du wissen, woher will ich wissen, was ein Mensch in dieser Situation denkt, was er wahrnimmt? Ich kann mir nur überlegen, was er tun könnte und Isolation, Abschottung können sehr hilfreiche Mittel sein, Leid besser zu ertragen. Woher willst du wissen, ob der Prot überhaupt Familie hat? Ob er nicht schon im normalen Leben ein Einzelgänger und Außenseiter war?
Mein Prot hat mit dem Leben abgeschlossen, er will nichts mehr davon wissen, sondern steht sozusagen schon mit einem Bein im Licht und freut sich regelrecht darauf. Deswegen interessieren ihn auch die anderen nicht mehr und auch das Kind ist für ihn nur ein Störungsfaktor, weiter nichts, deswegen stößt er es von sich.
Für Menschen, die nicht an Gott glauben, mag diese Vorstellung absurd erscheinen, aber wer wahrhaft daran glaubt, dass dieses Leben nicht das einzige ist, das uns erwartet, der versteht, wie der Prot empfindet.
Und/oder er verflucht noch einmal alle, die da ihre Finger mit im Spiel hatten, und betet, daß die eines Tages gefaßt werden und für ihr Werk bezahlen müssen.
Fluchen und beten schließen sich von vorne herein kategorisch aus, mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Und/oder er steigert sich in pure Todesangst, und es wäre ihm völlig egal, ob er noch irgendwann einmal das Meer sieht oder nicht, er würde nur eines verdammt gern, nämlich lebend da rauskommen, aber er weiß ganz genau, es ist hoffnungslos. Nach Schmunzeln ist ihm da sicher nicht zumute.
Ich werde dein wiederholtes wildes Thesenaufstellen ohne Beweis nicht noch weiter kommentieren, nur ein paar Worte zum Meer. Das Meer ist im Prinzip genau das Symbol, für den Neuanfang. Er spürt die Gischt quasi schon in seinem Gesicht und er freut sich darauf. Noch einmal: Wissen kann auch ich solche Dinge nicht, aber es entspricht meiner Vorstellung eines Menschen in dieser Situation.
*Apropos rote Backsteinhäuser und graue Betonflächen: Häftlinge waren häufig in unbeheizten Holzbaracken untergebracht. Die (beheizten) roten Backsteinhäuser waren eher Verwaltungsgebäude und Aufseherunterkünfte, und die Gaskammern standen nicht direkt neben diesen. Aus Beton war damals auch noch nicht viel (wenn überhaupt), das kam erst später.
Dass die Häftlinge in Holzbaracken untergebracht waren, weiß ich spätestens seit ich mit 13 "Dank meiner Mutter" gelesen habe und ich finde es doch sehr kleinlich, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Verwaltungshäuser nun in der Näher der Gaskammern standen, oder nicht. Wahrscheinlich nicht, aber was spielt das für die Message der Geschichte für eine Rolle?
Und wenn Du tatsächlich »nur« ein Vernichtungslager zeigen wolltest: Was hat das für einen Sinn, wenn Du weder Hintergründe noch das Leid der Menschen (oder zumindest das des Protagonisten) zeigst? Was soll der Leser aus Deiner Geschichte Neues erfahren oder an neuen Erkenntnissen gewinnen?
Nichts. Ich denke, jeder weiß gut genug Bescheid über die KZs und es wäre vermessen von mir, zu denken, ich müsse irgendjemanden aufklären.
Aber es geht mir eben nicht darum, das Leid dieser Menschn noch mehr offen zu legen, das hat jeder schon Millionen Mal gehört, sondern es geht um eine allgemeine Botschaft und darum, was dieser Mensch genau in dieser Zeit, in diesem Moment fühlt und empfindet und da ist es mir egal, was er vorher empfunden hat.
Danach wirst Du selbst verstehen, daß Deine Geschichte nicht einmal eine Bleistiftskizze dessen ist, was sich tatsächlich zugetragen hat.
Ich halte diese Aussage- und das sage ich ganz offen- für sehr vermessen und einfach nicht korrekt. Dass die in meiner Geschichte geschilderte Situation rar war, das sei zugegeben, aber dass sie so nicht hätte auftreten können, das zu sagen steht niemandem das Recht zu.
Deine Geschichte zeigt nämlich eines sehr gut, was Du gar nicht beabsichtigt hattest: Wie mit der Geschichte an den Schulen (oder zumindest manchen) umgegangen wird, bzw. was Jugendliche heute über das wissen, was sich Mitte des eben vergangenen Jahrhunderts ereignet hat.
Ich weiß nicht, wer den Erwachsenen unserer Zeit ständig weis zu machen versucht, die heutige Jugend hätte keine Ahnung mehr von Geschichte, oder sozialen Werten und interessiere sich ausschliesslich für PC- Spiele und Harry Potter, aber es scheint zu wirken.
Ich weiß nicht, ob du schon einmal den Geschichtsunterricht an heutigen Gymnasien verfolgt hast, aber dort ist es durchaus nicht so, dass den Schülern ein total falsches Bild der damaligen Zeit vermittelt wird und man die wirklich wichtigen Themen schnell übergeht. Wir setzen uns in meinem Kurs sehr ausführlich mit dem Nationalsozialismus auseinander und diskutieren auch außerhalb der Schule über gewisse Themen.
Und glaub mir, "Schindlers Liste" geht auch heute noch den meisten Jugendlichen unter die Haut und verursacht Tränenbäche (habe es selbst erlebt). Man versucht, unserer Generation Desinteresse anzukreiden und ich möchte dies für viele Jugendliche auch bejahen. Gerade im Bereich der Politik und Wirtschaft gibt es kaum jemanden, mit dem man ordentluch darüber reden könnte. Aber mal ganz ehrlich, war das vor 30 Jahren etwa anders? Wann hast du angefangen, dich für solche Dinge zu interessieren?
Allerdings ist es eben auch so, dass gerade im Bereich von Themen wie eben dem Holocaust unter fast allen Jugendliche nach wie vor ein riesen Interesse besteht und jeder nach wie vor schockiert ist, wenn er die Geschichten hört und die Bilder sieht.
Ich habe es selbst erlebt, als wir vorletztes Jahr mit meiner Klasse Buchenwald besuchten...

Ich hab in dieser Antwort nun einige Dinge getan, die ich normalerweise nicht gerne tue und auch meistens schaffe, zu vermeiden.
Ich bin zum einen auf persönliche Angriffe des Kritikers eingegangen und habe zum anderen meine eigene Geschichte (zumindest in Ansätzen) interpretiert.
Ich habe dies getan, weil ich mich durch die -aus meiner Sicht- absolut ungerechtfertigte und über die Maßen persönliche angreifende, Kritik von dir, dazu gezwungen sah.

In diesem Sinne
Gruß
b

 

Hallo Ben!

auch ein ängstliches Kind wird wohl in der Situation niemand so einfach wegstoßen
Hier kommen wir auch schon an den entscheidenden Punkt. Du sagst das so, als ob es Fakt wäre.
Dann hätte ich gesagt »ein ängstliches Kind stößt niemand so einfach weg«. Gesagt habe ich aber »wird wohl …«. Es ist meine Vermutung, daß das niemand tun würde, weil es psychologisch gesehen ziemlich unwahrscheinlich wäre, daß jemand, der sich der Situation bewußt ist, entgegen dem menschlichen Instinkt, Kinder zu schützen, handelt.

sondern ich stelle mir die Frage: Ist es wahrscheinlich, dass es so war? Vielleicht!
Meine Meinung ist eben: Nein, es ist eher unwahrscheinlich.
Dir steht es frei, zu sagen »Deine Meinung ist mir egal«. Genausogut kannst Du aber auch sagen, Du legst doch Wert auf die Meinung von jemand anderem, der sich mit dem Thema ebenfalls befaßt, und zwar nicht nur über historische Gegebenheiten und Zahlen, sondern viel mehr über die Psychologie. Dann könntest Du zum Beispiel nachfragen, warum ich dieses oder jenes glaube oder nicht glaube – daraus könnte eine Diskussion entstehen.

Ich schreibe hier keinen historischen Essay über den Holocaust und auch keinen historischen Roman, sondern eine Kurzgeschichte, mit der ich etwas vermitteln möchte.
Da ich nicht sehe, was Du vermitteln willst, war meine Frage, was Du dem Leser denn zeigen wolltest. Wie gesagt, ich sehe es nicht, und ich gehe davon aus, daß, wenn ich hier blind vorbeigeschaut hätte und jeder andere Leser es sehen würde, sich bestimmt schon jemand zu Wort gemeldet und Deine Geschichte verteidigt hätte.

Ich erhebe dabei keinerlei Anspruch auf historische Korrektheit, weil diese dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Was ist der historischen Korrektheit denn übergeordnet?

Tatsache ist doch, es hätte so sein können.
Ja. Allerdings eben – meiner Meinung nach – nur mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit.
Aber es stellt sich ja an sich schon die Frage, welchen Sinn es überhaupt hat, solche »so stell ich mir das vor«-Szenen ohne tiefere Durchleuchtung, Erkenntnis, Aussage zu schreiben (das gilt nicht nur für dieses Thema). Es gibt genügend Literatur, die direkt von Betroffenen geschrieben wurde – und Du sagst ja selbst, daß Du das alles bereits weißt. Wem also glaubst Du, daß Deine Geschichte irgendwelche Neuigkeiten bringt? Wenn wir heute Geschichten zu dem Thema schreiben, dann sollten die doch ein bisschen mehr hergeben, zum Beispiel Erkenntnisse über Zusammenhänge, die erst wir heute überblicken können, weil wir zu umfassenderen Informationen Zugang haben und uns die Zeit nehmen können, uns damit zu befassen. Geschichten, die über das Beschreiben des Weges in die Gaskammer, bzw. über das Leiden im KZ überhaupt, hinausgehen.

Woher willst du wissen, ob der Prot überhaupt Familie hat?
Das war doch nur ein Beispiel für etwas Persönliches, etwas, das ihm direkt ans Herz geht… Es könnte genausogut sein Hund sein, an den er denkt, aber der ist natürlich auch nur Beispiel – so gut stellst Du ja Deinen Protagonisten leider nicht vor, daß ich wissen könnte, woran sein Herz hängt. – Ich erfahre ja noch nicht einmal, warum er überhaupt in die Gaskammer kommt, denn Jude ist er ja keiner (»Ich verstehe kein jiddisch, aber deutsch verstehe ich sehr gut. Ich bin Deutscher. Bin immer Deutscher gewesen,«) – hier wäre zum Beispiel Gelegenheit, mal eine der anderen verfolgten Gruppen zu nennen, denn es sind in fast allen Geschichten Juden. Wenn Du zum Beispiel in einem Rückblick zeigst, wie er dazu kam.

Mein Prot hat mit dem Leben abgeschlossen, er will nichts mehr davon wissen, sondern steht sozusagen schon mit einem Bein im Licht und freut sich regelrecht darauf.
Auch das kam nicht an. Mir ist wohl Gleichgültigkeit aufgefallen, aber keine Vorfreude. Davon abgesehen: Was wäre dann die Message davon? Daß Gaskammern (und sonstige Hinrichtungsarten) eine Erlösung für die Betroffenen waren? (Nein, ich unterstelle Dir das nicht, ich will Dir nur zeigen, daß man immer aufpassen sollte, was man bezüglich solcher Themen sagt.)

Deswegen interessieren ihn auch die anderen nicht mehr und auch das Kind ist für ihn nur ein Störungsfaktor, weiter nichts, deswegen stößt er es von sich.
Für Menschen, die nicht an Gott glauben, mag diese Vorstellung absurd erscheinen, aber wer wahrhaft daran glaubt, dass dieses Leben nicht das einzige ist, das uns erwartet, der versteht, wie der Prot empfindet.
Wer so gläubig ist, der will aber doch auch ein »guter Mensch« sein, oder? Wie verträgt sich das dann mit dem dem Kind gegenüber dargestellten Egoismus?

Fluchen und beten schließen sich von vorne herein kategorisch aus, mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Wie sagtest Du doch gleich…»Du sagst das so, als ob es Fakt wäre.« – Ich kann sehr wohl meinen Peiniger für seine Taten verfluchen und dem, an den ich glaube, ein Stoßgebet um Hilfe, das einfach nur die Angst und die Ungerechtigkeit dahinter wiederspiegelt, senden – aber das mag natürlich daran liegen, daß mein Glaube der Menschlichkeit gilt (im Gegensatz zu Gott verbietet mir die das Fluchen nämlich nicht).

Das Meer ist im Prinzip genau das Symbol, für den Neuanfang. Er spürt die Gischt quasi schon in seinem Gesicht und er freut sich darauf.
Das kam zumindest bei mir überhaupt nicht an – ich lese hier nur von etwas, das er sich zwischen den anderen Gedanken vorstellt:
Wir sind nicht oft gereist, früher. Wohin auch, uns hätte keiner gewollt.
Aber ich habe mir immer vorgestellt, wie es sein müsste, eines Tages einmal das Meer zu sehen. Die wilden Wellen, die mit ihrer weißen Gischt an Land brausen und einem das Wasser ins Gesicht spritzen. Die Möwen, die mit lautem Geschrei über einem herkreisen, der Geruch von frischem Fisch an der Mole. Franz hat mir einmal davon erzählt. Er ist Hamburger und hat mir davon erzählt.
Franz war mein Freund gewesen, …

Dass die Häftlinge in Holzbaracken untergebracht waren, weiß ich spätestens seit ich mit 13 "Dank meiner Mutter" gelesen habe und ich finde es doch sehr kleinlich, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Verwaltungshäuser nun in der Näher der Gaskammern standen, oder nicht. Wahrscheinlich nicht, aber was spielt das für die Message der Geschichte für eine Rolle?
Für die Message, die ich nicht erkennen kann, weniger, aber für die Realitätsnähe der Geschichte. Denn nur, wenn die Gaskammern neben den Verwaltungsgebäuden gestanden hätten, wäre es möglich, daß der Protagonist sagen könnte:
Alle Gebäude hier sind backsteinfarben.

Mitleid hätte wohl keiner der inhaftierten Juden gewollt, dazu waren sie viel zu stolz und es war auch nie meine Absicht, in irgendeiner Form Mitleid zu erzeugen.
Hm, erst sagtest Du zwar, er war kein Jude, aber egal. Daß sie dafür zu stolz waren, halte ich für ein Vorurteil. Mitleid heißt doch nichts anderes, als mitzufühlen, das Leid des anderen zu erfühlen, und warum hätten zum Beispiel die in meiner ersten Kritik erwähnten Autoren ihre Geschichte schreiben sollen, wenn sie sich zu stolz dafür gewesen wären, anderen das Leid zu zeigen, das ihnen und anderen angetan wurde? Ich glaube eher, und so lesen sich die Bücher auch, daß es ihnen genau darum ging: Uns mitfühlen zu lassen, damit wir ganz sicher wissen, daß und warum wir sowas nie wieder zulassen wollen.

absolut ungerechtfertigte und über die Maßen persönliche angreifende, Kritik von dir,
Ich habe Dich überhaupt nicht persönlich angegriffen, der einzige Angriff – und das in Form einer Frage – war an die Lehrer gerichtet, nicht an Dich. Ansonsten galt meine Kritik der Geschichte.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Ben,

ich stehe irgendwo zwischen den Meinungen. Zum einen gefällt mir deine Herangehensweise. Dieses Thema wurde ja schon zahlreich, ausufernd (nicht unbedingt hier auf kg.de) behandelt. Von daher hat die kurze, lethargische Beschreibung des Jungen (?) auf seinem letzten Weg was für sich. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein Problem. Und zwar wird durch die
Kürze und die damit zwangsläufig verbundene Oberflächigkeit, in Bezug auf Prottiefe und Lebendigkeit der Geschichte, viel Potential verschenkt. Ein so schwieriges Thema sollte, um es wirksam zu gestalten, im Detail angegangen werden, aber dann würde halt deine Geschichte wie jede andere wirken. Du siehst, es ist irgendwie eine Zwickmühle. Vielleicht braucht die Literatur, sowie sämtliche Medien einfach mal eine Pause, was diese Thematik angeht...aber jetzt schweife ich ab...

Im Grunde hat mir deine Geschichte also gefallen.

Eine, bzw. zwei Kleinigkeiten noch:

manch mit Kindern und Gepäck an den Armen, manche mit nicht viel mehr als ihrer bloßen nackte Haut
- manche, (in den Armen klingt besser, da sich ja auch das Gepäck auf ´an den Armen´ bezieht)
- nackten

Liebe Grüße...
morti

 

Hi Ihr
zu Häferl kann ich eigentlich nur sagen, dass die Botschaft, die ich vermitteln wollte, wohl bei dir irgendwie nicht angekommen ist. Woran das liegt muss ich mir nochmal überlegen, es kann gut sein, dass das an mir liegt und einfach nicht gut genug rüberkommt, was ich sagen will.
@Morti
Freut mich, dass dirGeschichte dir doch gefallen hat. Du hast vollkommen Recht, es ist verdammt schwierig, dieses Thema so anzugehen, dass es erstens einmal noch irgendjemanden interessiert, aber es gleichzeitig auch nicht zerrissen wird...
Ich habe es versucht und hab es wohl nicht so richtig hinbekommen.
Es war einen Versuch wert, würde ich sagen. Ich habe jetzt zumindest gelernt, dass jeder zu diesem Thema eine eigene Meinung hat und dass es echt schwer ist, Geschichten über das Dritte Reich zu schreiben, ohne dass irgendjemand daran Anstoss nimmt.
Ich werde mich von diesem Thema auch in Zukunft fern halten, zumindest werde ich es versuchen.

Einen schönen Abend noch
Gruss
b

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ben,

ich finde die Geschichte nicht völlig gelungen. Es sind viele Ungenauigkeiten, die mich als Leser ärgern. Trotz allem überzeugt mich vor allem deine Perspektive, die ich sehr gelungen finde und dein Stil (trotz meiner Anmerkungen).
Aber der Anfang ist ganz schwach.

Konkret Ungenauigkeiten:
Erst sprichst du von Weg, dann von Schotterweg, so daß ich erst ein falsches Bild habe. Du redest von einer langen Fahrt, die das Gesicht trocken macht. Warum nicht genauer: LKW oder Viehwagon im Zug- und im Zug wird das Gesicht nicht trocken, weil es da kaum Luft gibt und alle schwitzen- später erwähnst du den Zug übrigens.
Dann hat der Vordermann erst Schuhe, dann nur dreckige Füße. Später schreibst du: Viele haben ihre Schuhe verloren- aber haben sie nicht eher keine Zeit gehabt sie anzuziehen?
Du sagst alle Gebäude sind Backsteinfarben, dann sind aber einige grau, zumindest die Bunker und Gefängnisse- aber in einem Lager gibt es keine Gefängnisse. Und die Baracken sind üblicherweise aus Holz. Es gibt jedoch fast immer Fabrikhallen, weil es bei allen Vernichtungslagern auch Arbeitslager gab. Aber wo sind Stacheldraht und Wachtürme??
Dann sagst du, daß manche Leute schick sind- aber doch nicht mehr nach einem Transport, oder??
Franz war sein Freund, bis heute- und jetzt nicht mehr? Oder stirbt er auch- aber wo ist er dann?? Oder ist er nicht da, und ist woanders?
Musikkapellen haben nicht in den Lagern gespielt, sondern es gab in einigen Lagern Orchester, was sprachlich ein großer Unterschied ist.
Du beschreibst auch nicht, wohin sie gehen- so daß der Haken praktisch für den Leser in der Luft hängt.
Einer der Männer- wer ist einer der Häftlinge oder der SS- Mannschaften??? wieder sehr ungenau. Rote Masse- Gehirn ist gräulich-weiß und dann kommt auch Blut.
Die Raumbeschreibung der Gaskammer ist ungenau- und somit wirkt es erst dann, als du genauer wirst.

Dazu bleibst du sehr allgemein:
Vogel, die Sonne scheint, der Großvater im Garten spielt mit ihnen, war ein lustiger alter Mann. Die Meeresbeschreibung ist sehr allgemein. Der Tag ist wunderschön- ebenfalls schwierig. Fröhliche Melodien,..
Mit mehr Genauigkeit, mehr Details bei der Stelle mit dem Großvater würdest du Kontrast zum Lager schaffen. Und auch bei der Stelle mit dem Meer solltest du noch mehr tun, Details, Träume.
Fröhliche Melodien- konkreter: Ein Wagnerstück ist etwas anderes als Händel, oder Bach.

Weiterhin finde ich die Darstellung der Hauptfigur nicht ganz gelungen, obwohl du mit "bisher war ich Deutscher" einen genialen Satz hast. Du müsstest das Anschwellen der Wut zeigen, bevor er das Kind schubst. Auch den Männer und Frauen um ihn herum müsstest du Gesichter geben, Nummern, und sie benutzten um die Gefühle des Prot. zu spiegeln. Und ein wenig Fluchtgedanken würde das verharrten deutlich steigern- weil es die Ausweglosigkeit klarer machen würde.

Trotz dieser Bemerkungen gibt es sehr gute Stellen, und der Text ist trotz allem insgesamt gut. Ich kann dir nur raten: Nur weil Leuten dein Thema nicht gefällt, oder ein Text, würde ich mich in der Themenwahl nicht einschränken lassen. Sondern die Kritik als Ansporn nehmen. Denn mit ein bißchen feilen könntest du diesen Text deutlich verbessern, weil die Grundsubstanz gut ist, und dein Stil bis auf die angemerkten Stellen überzeugend.

Gruss

Bluomo

 

Hallo Ben, Hallo Häferl,

wo ich gerade die Diskussion nachlese:
1. Natürlich wurden Menschen z.B. aus dem Warschauer Ghetto abgeholt, nach Auschwitz verbracht und dort direkt vergast. Sie durften einen Koffer mitnehmen, hatten normale Kleidung und Hüte an. (Filmtipp: "Der Pianist", wo Roman Polanski seine Erfahrungen aus dem Warschauer Ghetto als Grundlage für den Film verwendet.)
2. Das Kind wegzuschubsen halte ich für eine glaubwürdige Schilderung, auf jeden Fall eine Mögliche. Der Trieb anderen zu helfen ist kurzfristig, aber das Überleben ist langfristig. Und einem Kind zu helfen, ist im KZ eine Gefahr, und das wusste der Prot. wahrscheinlich.
Janus Korczak, ein polnischer Pädagoge, jüdischen Glaubens, arbeitete in einem Kinderheim für jüdische Kinder. Als bekannter Pädagoge hätte er seine Kinder verlassen können, als sie aus dem Ghetto nach Auschwitz mussten- aber er ist mit ihnen in die Gaskammer gegangen. Ganz ehrlich: Wie viele Menschen haben die Größe so etwas zu tun.
3. Auch die Abstumpfung des Prot. ist glaubwürdig, und gut dargestellt. Zwei Ausweichgedanken hat er, aber die werden durch die Betrachtung der Sohlen/ Schuhe direkt beendet. Hass kostet viel Kraft, und an die Lieben zu denken macht das Überleben fast unmöglich. Selbst wenn es zu den Gaskammern geht- weil immer noch ein Funke Hoffnung ist, daß es nicht die Gaskammer ist. Enormer Streß führt immer zur Abstumpfung- und genau das wird hier beschrieben.
4. Deutsch und Jude sind keine Kontrastpaare. Die meisten jüdischen Deutschen betrachteten sich zuerst als Deutsche, und danach als der Religion nach Juden.
5. Eine Vorgeschichte- warum ist er dort- würde der Geschichte die Wirkung nehmen, denn gerade das Verstörende ist hier gelungen, und eine Vorgeschichte würde dies zerstören. Genau wie Mitleid das Verstörende aufheben würde.

Gruss

Bluomo

 

Hi Bluomo
danke für deine Kritik und auch für deine Bestärkung ;).
Also ich verstehe schon, was du mir sagen willst und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Geschichte mit mehr Details und Genauigkeiten sicherlich allgemein besser ankäme, aber dann wäre sie eben nicht mehr die gleiche Geschichte.
Diese Geschichte lebt, wenn du so willst, von ihrer Ungenauigkeit. Zumindest meine ich das.
Natürlich ist es ein Unterschied, ob die Gebäude nun rot oder grau sind, oder ein SS-Mann oder ein jüdischer Aufseher das Kind erschlägt, aber das sind Sachen, über die sehe ich hinweg, weil sie mir einfach nicht so wichtig sind.
Es waren Wärter da, ja, das ist doch alles, was zählt. In diesem Fall ist die Anonymität gewollt, einfach weil für den Prot diese Figuren auch keine Namen mehr haben, weil er sie gar nicht richtig wahrnimmt.
Und was für eine Musik gespielt wird halte ich auch nicht für relevant. In einem historischen Roma sicherlich, aber nicht in dieser Geschichte.
So könnte ich nun eigentlich alles anderen Beispiele aufzählen, aber ich denke, es ist klar, was ich sagen will.
Diese Geschichte dreht sich um einePerson, einen Juden aus Deutschland, der sich auf den Weg zur Gaskammer begibt. Alles andere, das geschildert wird, ist nur Beigabe, sind nur Schatten und so wollte ich es darstellen.

Ich lasse mich nicht entmutigen und es gibt mir durchaus mehr Motivation, wenn ich harte Kritik einstecken muss. Aber der Holocaust ist nun einma ein Thema, an dem man sich-egal wie man es angeht- sehr schnell die Finger verbrennt und ich denke, dass ich das Thema aus meinen Kurzgeschichten erst einmal raushalten werde.

Trotzdem nochmal danke für die Kritik, sie hat mir geholfen, alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Gruss
b

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ben,

nur eine kurze Antwort: schließlich ist es deine Geschichte- und du hast die Verantwortung. Ich wollte es dir aber zumindest sagen.

Es gibt Ungenauigkeiten und Ungenauigkeiten.
Wenn du schreibst "irgendjemand spielt Musik" ist das ungenau, und wird als unwichtig klassifiziert. Das ist in Ordnung. Aber eine Musikkapelle und ein Orchester ist ein Unterschied. Weil du etwas angibst, was nicht stimmt. Kannst du den Fehler im Text begründen, dann ist es in Ordnung. Sonst ist es ein sprachlicher Fehler.
Wenn der Vordermann mal Schuhe hat, dann wieder nicht- dann ist das ein schwerer Logikfehler.
All das zu korrigieren ist nicht sonderlich schwierig, weil du ja nicht konkreter werden musst. Du kannst die sprachlichen Fehler erklären oder das eine Wort ersetzen. Logikfehler sollten aber immer geändert werden, wenn sie nicht Stilmittel sind.

Oder um es anders zu sagen: Ungenauigkeit ist in Ordnung. Sprachliche Ungenauigkeit, ohne das sie aus dem Text hervorgeht, und logische Fehler werden deine Leser verärgern und dazu bringen deinen Text nicht weiterzulesen. Sprachliche Genauigkeit und Logik sind Grundhandwerkszeug, Bedingung für jeden ordentlichen Text.
Deshalb würde ich dir raten Logikfehler und sprachliche Ungenauigkeit immer zu korrigieren.

Gruss

Bluomo

 

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