Der Weihnachtsvibrator
Die Energiespar-Kerzen des Weihnachtsbaums verbreiteten jene moderne Stimmungssimulation, deren Kälte Viktor und Liz so sehr schätzten.
Er, gewandet in einen schwarzen Anzug mit todweißem Hemd, griff zur Karaffe und ließ die tiefrote Flüssigkeit in zwei bauchige Gläser perlen.
Sie, in ihrem trägerlosen Abendkleid – nachtblau, mit verblasstem Glitter – schenkte ihm ein Lächeln, für das ein Lippenstift-Werbefotograf sein Leben gegeben hätte.
Die Gläser klirrten, und es hätte die erste Note eines christlichen Liedes sein können. Viktor lehnte sich zurück, dass sein Ohrensessel knarrte. »Und wieder feiern wir Weihnachten, jenes Fest der Kinder, das wir Erwachsenen nur um ihretwillen ertragen.«
Liz kicherte. Es war nicht ihr erstes Glas. »Du bist doch selbst noch ein Kind. Schon immer gewesen, und das wird sich nie ändern.«
»Du kränkst die tiefen Furchen auf meiner Stirn und meine attraktiven Silbersträhnen.« Viktor verzog das Gesicht und zeigte auf seine linke Schläfe. »Hier, siehst du? Sie kräuseln sich.«
»Tun sie nicht«, sagte Liz, »aber ich liebe deine gespielte Überheblichkeit. Auch wenn sie in Wirklichkeit nur übertünchen soll, wie neugierig du bist.«
Blitzende Augen richteten sich vielsagend auf die beiden Geschenke unter der Nordmanntanne. Das eine, verpackt in silbern glänzendem Papier, war länglich und mit einer albernen roten Schleife versehen. Das andere mochte vielleicht eines dieser heutzutage seltenen dünnen Bücher sein, gehüllt in mattschwarzes Seidenpapier, beklebt mit einem dunkelblauen Herzchen.
»Wir schenken uns jedes Jahr das gleiche«, sagte Viktor ohne hörbare Unzufriedenheit und grinste. »Seit Jahrhunderten, glaube ich.«
Liz schwenkte den Zeigefinger. »Ungeduld macht dich unattraktiv.« Sie konnte sich ein liebevolles Lächeln nicht ganz verkneifen. »Und das ebenfalls schon seit Jahrhunderten, glaube ich.«
Mit einem leisen Grunzen beugte sich Viktor vor und stellte das Glas ab. »Bringen wir es hinter uns«, sagte er. »Es ist schon spät.« Er stand auf, und Liz tat es ihm gleich. Sie traten vor den Weihnachtsbaum wie vor einen Galgen, der prompt ein paar Nadeln abwarf. Scheinbar unschlüssig, ob sie noch ein Lied singen sollten, zögerten die beiden. Dann griff Viktor nach dem länglichen Paket und reichte es Liz. »Fröhliche Weihnachten«, brummte er.
Liz reichte ihm mit den gleichen Worten das kleinere, schwarze Päckchen.
Ohne Zögern streifte Viktor die Verpackung ab und hielt den Inhalt abschätzend vor die Augen, um den Titel zu entziffern. »Hm«, machte er. »Eine Bluray also.«
Das mit weihnachtlichen Motiven geprägte Silberpapier um Liz Geschenk raschelte. Viktor war großzügig gewesen mit der Verpackung. Dreimal hatte er das Papier um den Inhalt gewickelt. Eine ganze Rolle für ein Geschenk. Viktor hielt nichts davon, Reste für das folgende Jahr aufzubewahren.
Als Liz Augenbrauen sich kaum merklich hoben, eroberte ein dünnes Lächeln ihre Lippen. »Wie du schon sagtest. Wir schenken einander jedes Jahr dasselbe.«
»Nicht ganz«, widersprach Viktor. »Es ist das neueste Modell. Mit transsylvanischem Akzent.«
Liz kicherte und zeigte auf die durchsichtige Verpackung. »Und mit vergoldetem Klitorisreizer.«
»So einen hast du noch nicht«, behauptete Viktor. »Ich habe extra deine Sammlung angeschaut.«
»Mit natürlichem, genopptem Kopf und atemberaubender Vibration«, las Liz vor. »Ich mag diese Werbesprüche. Sie sind sicher das Resultat ermüdender Marathonmeetings mit durchweg männlichen Produktmanagern.«
Viktor schüttelte den Kopf. »Sie müssen sehr müde gewesen sein, als sie das mit dem natürlichem, genoppten Kopf geschrieben haben. Oder hast du schon mal einen ...«
»Hm«, machte Liz und tat so, als würde sie überlegen.
»Liz!«
Sie lachte. »Gefällt dir deine DVD?«
»Es ist eine Bluray«, vermerkte Viktor.
»Der Verkäufer sagte, das sei egal, wenn man einen BD-Player besitze, und die Bildqualität einer DVD könne, ich zitiere: doch nicht ernsthaft eine nennenswerte Erektion herbeiführen.«
»Das hat man über VHS auch einmal gesagt«, versetzte Viktor. »Die Schwester der Kerker-Baronin«, las er vor. »Der Titel erinnert mich an irgendwas.«
»Komm«, winkte Liz. »Trink dein Glas leer und dann machen wir es uns im Bett gemütlich. Die Nacht ist zu kurz, um die Geschenke nicht sofort auszuprobieren.«
»Wirklich ein Privileg«, nickte Viktor. »Wenn ich mir vorstelle, dass andere Leute jetzt noch ihre wohlgefüllten Leiber plattsitzen und krampfhaft darüber nachdenken, wie sie ihre Verwandschaft hinaus komplimentieren ...«
»Gut, dass wir keine haben.«
Viktor knibbelte auf dem Weg zum Sofa die Klarsichtfolie von seiner Bluray. Während Liz schon nackt auf dem blutroten Möbelstück lag, in der einen Hand den Vibrator und in der anderen die zehnsprachige Bedienungsanleitung, wartete Viktor darauf, dass der Bluray-Player bootete. Nach »Willkommen« und »bitte warten« erschien endlich »keine Disk«. Liz war schon weiter, nämlich bei »hmmmm«.
Als Viktor Anzug und Unterwäsche ordentlich zur Seite gelegt hatte, nahm er in seinem Sessel Platz, die Fernbedienung in die eine und seinen Penis in die andere Hand.
Neben ihm summte es.
Auf dem Bildschirm litt die Baronin in ihrem Kerker unter den Zudringlichkeiten ihres Zuchtmeisters.
»Ich wärrde jetzt in Euch eindrrringen, Mademoiselle«, flüsterte der Vibrator.
Der Zuchtmeister betätigte eine Kurbel, um die Baronin auf ihrer Streckbank in eine liegende Position zu bringen. Er bestrich die Brustwarzen seines Opfers mit Marmelade und schleckte sie in aller Ruhe steif. Dann ließ er seine Beinkleider fallen und führte seinen Penis an die Lippen der Baronin.
»Viktor«, hauchte Liz mit geschlossenen Augen, »es besorgt es mir ganz gut, dein Geschenk ...«
»Ich wärrrde Euch bis in alle Ewigkeit errrfreuen, Mademoiselle.«
Viktor fand, dass auch der Zuchtmeister es seiner Baronin allmählich mal so richtig besorgen könnte. Endlich betätigte er eine weitere Kurbel, so dass das Gestell, auf dem die Baronin festgeschnallt war, deren Beine spreizte. Gerade legte er in Full HD Großaufnahme die Spitze seines Penis an die Schamlippen der Baronin, als die Tür mit einem dramatisch lauten Knall aufflog.
»Hey«, schreckte Liz auf.
»Nichts passiert«, sagte Viktor und bewegte weiter langsam seine Hand auf und ab.
»Muss ein Porno einen so erschrecken?«
»Es ist dein Geschenk. Was kann ich dafür, wenn du es vorher nicht überprüft hast.«
»Hast du deins ja auch nicht.«
»Stimmt.« Viktor stöhnte und hielt inne. Sein Blick wanderte vom Bildschirm zu Liz Schoß, aus dem nur noch das Ende des Vibrators ragte.
»Ein unverzeihliches Versäumnis«, gab er zu und griff nach dem Gerät. »Ganz schön tief drin«, stellte er fest und bewegte den Vibrator versuchsweise.
»Was machst du denn da?«, wollte Liz wissen.
»Dieser goldene Stachel vibriert wirklich ziemlich stark.«
»Das ... muss so.«
»Er reicht genau bis zu deinem Kitzler.«
»Dafür wurden diese Geräte erfunden. Weil männliche Genitalien das .. das da ... nicht können.«
»Hm«, machte Viktor und hielt die Spitze seines Penis an die summende Stelle nahe Liz Kitzler. »Oh«, ergänzte er und fing mit langsamen Bewegungen an.
Dasselbe tat gerade eine schlanke Schönheit, mutmaßlich die hinein geplatzte Schwester der Baronin, die ebenjene leckte und dabei auf den Lenden des Zuchtmeisters ritt.
»Ich spürrrä, dass es Euch gleich kommt, Mademoiselle«, sagte der Vibrator.
Viktor grunzte. Kurzerhand warf er den Vibrator zur Seite und übernahm dessen Aufgabe. Jedenfalls den Teil, für den die Natur Männer ausgestattet hatte.
Die Baronin stieß kurze, spitze Schreie aus.
Viktor kniete mit dem Rücken zum Flachbildschirm und konnte daher nur anhand der Geräusche ahnen, dass Baronin und Schwester jetzt aufeinander lagen und vom Zuchtmeister abwechselnd gevögelt wurden.
»Mademoiselle, ich wärrrde jetzt meine Saat in Euch platzierrrän«, sagte der Vibrator mit tiefer Stimme auf dem Sofakissen.
Liz umklammerte Viktors Unterleib mit ihren Beinen. Sie schüttelte sich. Der Zuchtmeister kam im gleichen Moment wie Viktor.
Der tastete hernach fahrig mit einer Hand nach der Fernbedienung, weil die Bluray jetzt nur noch für andere Filme des Herstellers warb, und mit der anderen nach einem weit entfernten Taschentuch, das er auf seiner Sessellehne bereitgelegt hatte.
Liz Brustkorb hob und senkte sich. Ihr Blick hätte beinahe einen Vampir pfählen können. »Was war das denn«, brachte sie hervor. »Das ist ja nicht mehr passiert seit ...« Sie schien zu überlegen.
»Geile Mittelalter-Babes besorgen es dir so richtig, in Die Schwester der Baronin II. Für 5 Euro Rabatt gib bei der Bestellung folgenden Bonuscode an ...«
Viktor fand endlich den Ausschalter auf der Fernbedienung. »Ja«, murmelte er. »Immer nur Stress, keine Zeit, lauter Gründe gegen Sex und zu wenige dafür.« Kritisch sah er zum Fenster. Draußen dämmerte es: kurz nach acht Uhr. »Weihnachten«, sagte Viktor langsam, »Zeit für Erholung, das Fest der Liebe*...« Er grinste.
»Wenn man keine Familienfeier ertragen muss«, gab Liz zurück. »Die Wirklichkeit da draußen – Völlerei und noch mehr Stress. Wir dagegen ...«
Viktor nickte. »Nur ein leichtes Getränk, dieselben Geschenke wie jedes Jahr und das schon seit Jahrhunderten.« Er nahm Liz bei der Hand. »Gehen wir schlafen.«
»Zu mir oder zu dir?«
»Du willst kuscheln?«
»Du nicht?«
Viktor verzog das Gesicht. »Das ist so eng, ich werde immer wach, wenn du dich umdrehst.«
»Und du schnarchst.«
Viktor stöhnte. Im Schlafzimmer angekommen, gab er sich geschlagen.
Er ließ Liz den Vortritt, denn quetschte er sich zu ihr in seinen Sarg und klappte den Deckel herunter.
»Fröhliche Weihnachten«, murmelte er noch.
»Fröhliche Weihnachten.«