Der Zwischenfall im Büro
Es sind noch keine zwei Stunden vergangen. Noch keine zwei Stunden seit dem Zwischenfall im Büro, sofern man so etwas Zwischenfall nennen kann.
Während ich gehe, dringt die Stimme unserer Sekretärin immer wieder zu mir durch. Ihre Verzweifelten Rufe, während Sie unter dem Schrank eingeklemmt um Hilfe ruft. Ich habe die Bilder noch genau vor mir. Wie der seltsame, schwarze Mann auf dem Schrank umherhüpft. Wie jedesmal, wenn er auftritt, die arme Frau einen Luftstoss von sich gibt, von dem man meinen könnte, das ihr jeden Moment die Augen aus den Höhlen quellen.
Das geschah dann auch.
Die Bilder ihrer Augen, die, wie sterbende Fische zuckend, aber mit lebendigem Blick, aus den dunklen Augen-höhlen hängen, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Ich versuche, mich abzulenken. Also stelle ich mir einen warmen Ort vor,
(helft mir!)
irgendwo am Meer, mit weissen Sand und schattenspendenden Palmen, wo die Wellen rauschen
(so helft mir doch!)
und man die Seemöven hören kann. Im warmen Sand liegend,
(bitte)
und die Sonne strahlt ihre angenehme Wärme aus,
(bitte!!)
...
(BITTE!!!)
Ich schaffe es nicht.
Dieser seltsame, schwarze Mann, ganz eingekleidet in Schwarz. Sein Gesicht in schwarze Tücher gehüllt. Die-se seltsamen Atemgeräusche. Die hastigen Bewegungen. Nicht nervös, sondern schnell und kontrolliert.
Ich bin davongelaufen.
Ich konnte den Anblick der Frau, die grässliche Schreie von sich gab, während ihre Augen zuckend an ihren Wangen herabhingen, nicht mehr ertragen. Wie das Blut, das aus ihren Augenhöhlen sickerte, über ihre Wan-gen herablief und den Boden tränkte.
Was ist wohl geschehen, nachdem ich weg war? Ist ihr der Kopf geplatzt wie ein Wasserballon? Wurden ihre Innereien durch ihren Mund gestossen auf den Teppich gespritzt?
Ich weiss es nicht und möchte es auch nicht wissen.
Ich bin nun schon ein wenig ausserhalb der Stadt. Es sind schon etliche Polizeifahrzeuge an mir vorbeigerast. Mit Blaulicht. Vermutlich wollten sie die Frau noch retten. Ich denke, es ist schon zu spät. Vermutlich treffen die Polizisten und Sanitäter auf ein grauenvolles Szenario.
Ein Büro, überall liegen Blätter herum. Ein bissiger Geruch erfüllt den Raum. Lauter fassungslose Angestellte, ein paar wenden sich mit Weinkrämpfen ab, ein paar übergeben sich. Ein paar starren fassungslos auf den umgekippten Aktenschrank. Darunter ist ein Haarschopf zu sehen, noch nass vom Schweiss, und davor die gelblich-weissen Flecke ihrer ausgelaufenen Augen.
Verdammt, ich bringe diese Bilder einfach nicht aus dem Kopf.
Die Stadt ist nun schon ein paar Kilometer hinter mir. Wie lange bin ich gelaufen? Ich trage immer noch meinen Personalausweis. Mein kariertes Hemd, meine dunklen Hosen. Meine Brille.
Ich nehme die Brille ab und reibe meine brennenden Augen. Alles ist verschommen. Ich bin stark kurzsichtig.
Plötzlich packt mich eine Hand an der Schulter. Ich wirble herum, und dabei rutscht mir meine Brille aus der verschwitzten Hand. Ich höre sie noch klirrend am Boden aufschlagen.
Ich sehe alles verschwommen. Nur dieser schwarze Umriss. Wieder diese Atemgeräusche. Das Grauen steigt langsam in mir hoch. Ich will wegrennen, doch meine Beine bewegen sich nicht. Ich stehe da wie angewurzelt. Ich bin so gut wie blind.
Wieder eine dieser hastigen Bewegungen des schwarzen Mannes, ein Ruck. Ich schlage mit dem Hinterkopf auf den Asphalt, und liege auf dem Rücken. Ich bin aber noch bei vollem Bewusstsein.
Während ich versuche, mich zu orientieren, wird es plötzlich dunkel. Irgendein grosser Gegenstand muss über mir sein. Bevor ich realisiere, was geschieht, werde ich zerdrückt. Ich höre ein leises Klimpern.
Ich habe nur kurz Zeit, um zu überlegen, was auf mir gelandet ist. War es ein Klavier?
Doch dann ist es zu spät.
Es wird langsam still.
Ich spüre und höre gleichzeitig, wie meine Rippen brechen und alle Luft aus meinen Lungen gepresst wird.
Es wird kalt.
Das dumpfe Stechen, wie sich die Splitter meiner Schädeldecke in mein Gehirn boren.
Dann wird es dunkel.