Die Ansichten eines Mörders
"So", fragte der Komissar, "warum haben sie die Frau umgebracht? Kannten sie sie überhaupt?"
"Das spielt doch gar keine Rolle" antwortete ich.
"Doch natürlich" entgegnete der Komissar "wir müssen ihr Motiv doch kennen. Außerdem, glauben sie nicht, dass die Angehörigen der Frau ein Recht darauf haben, zu erfahren warum sie sterben musste?"
"Natürlich haben die Angehörigen ein Recht daruf" sagte ich, "wenn ich mir vorstelle, dass jemand aus meiner Familie umgebracht werden würde, dann wäre es abscheulich. Aber letzendlich ist es egal."
"Was meinen sie damit?" hakte der Komissar nach.
"Naja, letzendlich sind wir dem Universum egal. Letzendlich sind wir jedem egal." erklärte ich.
Der Komissar sah mich verwundert an. Er verstand nicht. Also versuchte ich es nochmal: "Natürlich, die Familie der Toten, ist jetzt wahrscheinlich traurig und bekümmert, was mir auch leid tut. Aber ich wollte meine Theorie überprüfen. Und mit dem Tod dieser Frau habe ich sie bewiesen."
"Was für eine Theorie?"
"Hab ich doch schon gesagt" erwiderte ich, "Wir sind dem Universum egal. Wir sind unsere Welt egal."
"Also so einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört" lachte der Komissar.
"Stellen sie sich vor es würde keine Bienen mehr geben" versuchte ich zu erklären, "wie sollten sich dann die ganzen Blumen vermehren? Würde es keine Bienen geben, würden über kurz oder lang auch alle Blumen aussterben."
"Ja, da ist was dran", gestand der Komissar, "Aber was hat das damit zu tun, dass wir der Welt egal sind?"
"Stellen sie sich vor was passieren würde, wenn es uns nich geben würde. Wenn es keine Menschen geben würde. Es würde nichts passieren. Niemand würde darunter leiden. Weder die Blumen noch die Bienen oder irgendein anderes Tier. Im Gegenteil. Wahrscheinleich würde es ohne uns der Natur und der Welt viel besser gehen. Wir sind unserer Welt also egal. Es würde ihr nichts ausmachen, wenn wir plötzlich verschwunden wären."
Der Komissar sah mich an, als würde er mit einem Verrückten sprechen. "Okay" sagte er. Er legte eine lange Pause ein um über das nachzudenken, was ich gesagt hatte, um vielleicht irgendein Argument zu finden, was gegen meine Theorie sprach. Doch in seine Augen konnte ich sehen, dass er keines fand, und das er sich eingestehen musste, dass ich Recht hatte, auch wenn er das Ganze noch immer nicht so richtig begreifen konnte.
"Aber deswegen mussten sie doch nicht die Frau umbringen" entgegnete mir der Komissar, dem offenbar wieder eingefallen war, dass er Mitten in einer Vernehmung saß und keine Zeit hatte über blödsinnige Ansichten eines Mörders nachzudenken.
"Doch" sagte ich, "sonst hätte sie es nie verstanden".
Die Vernehmung ist mitlerweile schon über ein Jahr her. Wie jeden Tag sitze ich in meiner Zelle und starre an die kahlen Wände, die mich wie riesige unüberzwingbare Mauern gefangenhalten. Ich denke viel über den Sinn von Gefängnissen nach und bei einigen meiner Zellengenossen bin ich froh, dass sie eingesperrt sind und nicht die unschuldigen Menschen da draußen belästigen. Es soll hier in diesem Gefängnis sogar einen geben, der eine Frau grundlos umgebracht hat. Schlimm sowas. Ich hoffe den treffe ich nie.