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Die Bekanntschaftsanzeige

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16.10.2009
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Die Bekanntschaftsanzeige

Müde blickte Imelda auf die Zeitung vor sich auf dem Tisch und strich die Tischdecke mit dem altertümlichen Muster glatt. Ihre Anzeige war heute zu lesen. Die Zeitung roch noch frisch. Imelda hatten die anderen Seiten nicht interessiert. Nur die mit den Anzeigen hatte sie aufgeschlagen, fein säuberlich zusammengelegt und gesucht, wo die Redaktion ihre Anzeige platziert hatte. Sie fuhr sich mit beiden Händen über die runden Wangen. Warum sie die Anzeige geschaltet hatte, wusste sie nicht mehr genau.

„Nette Frau, Mitte 40…“ stand dort. Beim Alter hatte sie etwas geschummelt. Brauchte keiner zu wissen, wie alt sie wirklich war. Ihre graufarbenen Augen wanderten über die winzigen unzähligen Buchstaben. Viele hatten inseriert und ihre Anzeige stand mitten drin.
„… rundlich und gemütlich…“ las sie ihre eigenen Worte, während ihre Hände ihr Gesicht an den Wangen fest hielten. Rundlich, ein besseres Wort war ihr nicht eingefallen für ihre weiblichen Hüften. Und gemütlich hatte mal Frau Werner vom Haus gegenüber zu ihr gesagt. Imelda blickte sich in ihrer kleinen Küche um. Der alte Holzofen strahlte angenehme Wärme aus. Das Holz knackte, als das Feuer sich züngelnd über die getrockneten Scheite hermachte und sie verschlang. Auf der vorderen rechten Platte stand ein Kessel, aus dem es dampfte. Mit den Jahren waren die Platten vom Feuer schwarz geworden. Wenn sie heiß waren, konnten sie nur mit einem Haken angefasst werden. An der Wand über dem Holzofen war eine Stange angebracht, an der Imelda im Winter ihre Unterwäsche trocknete. Heute hing dort ein rot-weiß kariertes Geschirrhandtuch und trocknete in der warmen Luft des Ofens. Die grüne Anrichte war sauber gewischt. Nichts ließ mehr auf die Arbeit schließen, die vor wenigen Minuten noch statt gefunden hatte. Das Blut war von den Messern gewaschen, die nun wieder sauber an ihrem Platz lagen. Auf den schlichten Holzregalen an der anderen Wand reihten sich braune Tongefäße aneinander. Kräuter und allerlei nützliche Zutaten enthielten sie, um ein wohlschmeckendes Mahl zuzubereiten. Streichen könnte sie mal wieder. Die Farbe war schon blass geworden. Doch dazu hatte Imelda zur Zeit keine Lust. Ihr Blick wanderte zu ihrem Tisch. Seit Jahren schon hatte sie ihn. Tiefe Kerben vom Beil waren in dem ausgebleichten Holz zu sehen. Sie konnte noch so vorsichtig sein, manchmal schlug sie doch daneben und erwischte dann eben die Tischplatte. Doch der Tisch schien es ihr nicht übel zu nehmen, denn er hielt immer noch.
Zwei Stühle gehörten dazu. Ihr Stuhl stand an der Stirnseite des Tisches. Auf dem selbst gemachten Kissen mit der besonderen Füllung saß es sich ausgesprochen bequem. Der andere Stuhl stand an der Wand. Selten kam Besuch und deshalb diente er Imelda als Platz für ihren Korb. Gemütlich fand sie ihre Küche schon, doch sie beschlich das eigenartige Gefühl, dass Frau Werner nicht diese Art von Gemütlichkeit meinte, sondern dies auf sie bezogen hatte. Imelda zuckte mit den Schultern. Ihr war es gleich, was andere von ihr dachten.

„… kann zuhören, ist einfühlsam und unternehmungslustig…“ stand dann noch in der Anzeige. Das mit dem Zuhören hatte sie nur so dazu geschrieben. Sie hatte mal von Frau Werner gehört, dass sie ihrem Mann immer zuhören musste, auch wenn sie dies tödlich langweilte. Doch ihn machte es glücklich und deswegen tat sie ihm den Gefallen. Dabei spielte sie das Interesse nur vor, wenn er von seiner Arbeit als Finanzbeamter und seinen Kameraden aus dem Schützenverein sprach. Imelda blickte ziellos aus dem Fenster und musste an Herrn Werner denken.
Sicherlich würde er noch in seinem schlichten Büro mit den weißen kahlen Wänden sitzen und Papiere wälzen. Vielleicht hatte er das einzige Bild in seinem Büro, welches seine Frau zeigte, umgedreht, um wenigstens in der Arbeit vor ihr und ihrem bohrenden Blick sicher zu sein. Vielleicht spitzte er gerade in diesem Moment zum siebten Mal den selben Bleistift, weil ihm die Miene abermals abgebrochen war.

Imelda musste an ihre Anzeige denken. Einfühlsam … hm… einfühlsam konnte sie schon sein, auch wenn ihre Hände durch die harte Arbeit rau und kräftig geworden waren. Sie würde gern auf die Bedürfnisse von jemanden eingehen und ihm mit der rechten Portion Sanftmut und Härte das Leben erleichtern. Stets war ihr dies gelungen, erinnerte sie sich. Doch das war schon eine lange Zeit her. Es hatte sie in der jüngsten Vergangenheit auch nicht danach gelüstet, sich einen neuen Mann zu suchen. Von den vorherigen hatte sie noch genug.

Frau Werner erzählte neulich beim Gemüsemarkt, dass eine Frau am Ende der Straße ihren Mann verloren hatte. Und dabei war der noch gar nicht so alt. 49. Im besten Alter, nicht zu zäh und noch Saft in den Knochen. Und dann, Herzinfarkt. Das konnte einem wirklich das Essen versauen. Frau Werner meinte, sie wisse nicht, wie sie reagieren würde, wenn ihrem Mann etwas derartiges zustoßen würde. Dann hatte sie sich plötzlich geheimnisvoll die Hand vor den Mund gehalten, sich verschwörerisch umgesehen und geflüstert, dass sie manchmal doch sehr froh wäre, wenn ihr Mann nicht mehr da sei. Doch bei einem Beamten in ruhige Stellung konnte man darauf nicht hoffen. Imelda wusste noch genau, wie gleichgültig sie Frau Werner angesehen hatte zwischen den grünen Paprika und den weißen Champignons. Und doch hatte sie sich innerlich etwas gefreut.
Frau Werner hatte erzählt, dass ihr Mann oft die Bekanntschaftsanzeigen in der Wochenzeitung studierte und stets meinte, sie würde es nicht mitbekommen. Dabei saß sie ihm am Tisch gegenüber, wenn er die Zeitung direkt vor sein Gesicht hielt. Und sie meinte, bei manchen Anzeigen würde er verständnisvoll grinsen. Das regte sie am meisten auf. Ob er je auf eine Anzeige geantwortet hatte, konnte sie nicht sagen. Doch das würde sie ihm niemals verzeihen, meinte sie.

Gleichmäßig tickte der schwarze spitz zulaufende Zeiger der Küchenuhr und zählte die Sekunden. Es schlug vier Uhr. Herr Werner hatte nun Dienstschluss, würde seine Tasche zusammen packen und mit seinem modischen Fahrrad durch die Stadt nach Hause fahren. Er hielt sich fit. Fahrrad fahren, schwimmen, spazieren gehen. Noch so eine Sache, die Frau Werner zweifeln ließ, ihn jemals durch einen Herzinfarkt zu verlieren.

Unternehmungen machte Imelda auch gerne. Theater und Ausstellungen von interessanten Künstlern mochte sie besonders. Erst vorige Woche war sie im Theater. Ein recht eindrucksvolles Stück. Als der Hauptdarsteller seinen Gegner mit einer Axt tötete, erschraken die meisten Zuschauer. Ein amüsiertes Lächeln überzog Imeldas kaum faltiges Gesicht. Wenn sie gekonnte hätte, wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihm ein paar Tipps zum richtigen Umgang mit der Axt gegeben. Doch sie wollte sich nicht hervortun. In zwei Wochen würde eine Vernissage stattfinden. Der Künstler war dafür bekannt, seine Gemälde recht lebensnah zu malen und dabei kein erschreckendes Detail auszulassen. Imelda hatte sich bereits den Abend freigehalten, um auf die Veranstaltung gehen zu können. Vielleicht würde Herr Werner mitgehen, zumindest teilweise.

In der Anzeige hatte Imelda erwähnt, dass sie sich gern um jemanden kümmern würde. Es war zwar schon etwas her und sicherlich würde sie einige Minuten brauchen, um warm zu werden, doch einmal erlerntes verlernt man ja nicht. Und die anfängliche Schüchternheit würde sicher rasch verfliegen, war der Mann freundlich und nett.

Imelda erhob sich von ihrem Stuhl und blickte kurz aus dem Fenster. Herr Werner kam gerade die Straße entlang gefahren, die mit den Jahren nur noch spärlich mit Bäumen gesäumt war. Blecherne Fortbewegungsmittel standen nun dicht an dicht an den Seitenrändern der Straße und bildeten das Hauptmotiv. Das blaue Hemd passte sehr gut zu Herrn Werners strahlenden Augen. Sein dunkles Haar war bereits mit silbernen Fäden durchzogen, doch immer noch sehr dicht. Sicherlich fühlten sie sich voll und griffig an würde noch lange nach seinem Tod gute Dienste leisten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters wirkte er wie ein gut trainierte Mittdreißiger. Seine Armmuskeln tanzten unter den hoch gekrempelten Hemdsärmeln, als er vom Fahrrad stieg und es mit einer erstaunlichen Leichtigkeit an die Hauswand hob. Er nahm seine braune Ledertasche vom Gepäckträger und die Wochenzeitung, auf die er kurz einen Blick warf, ehe er schmunzelnd in das Haus ging.

Imelda wandte sich lächelnd ihrem bauchigem Kessel auf dem Holzofen zu, nahm den langen hölzernen Kochlöffel von der Wand und rührte gemächlich das wohlriechende schmackhafte Essen um. Sie freute sich schon sehr darauf, das weiche Fleisch zwischen ihren Zähnen zerfließen zu lassen, den saftigen Geschmack auf ihrer Zunge zu spüren und den Gaumen hinunter gleiten zu lassen. Aus einem der kleinen Tongefäße nahm sie eine Prise schwarzen Pulvers und ließ dieses langsam in die blubbernde Brühe rieseln. Dicker Dampf stieg auf und verteilte sich unter der Zimmerdecke. Sie brauchte bald neues und sah sich in den Zimmerdeckenecken um, um nach Nachschub Ausschau zu halten. Zufrieden lächelte sie. Für Nachschub war reichlich gesorgt. Dann stellte sie das Gefäß zu den anderen. Die Schrift darauf war schon alt und sicherlich nicht mehr jedem geläufig, doch Imelda konnte sich nicht an die neue moderne Schreibweise gewöhnen. Vielleicht war sie auch einfach schon zu alt dazu.

Eine angenehme Tonabfolge ertönte und erfüllte den lautlosen Raum des Flures. Selten wurde die Türklingel noch benutzt. Langsam hob Imelda den Blick vom Kessel und sah über die Schulter. Der Besuch kam gerade rechtzeitig, um die Reste von Imeldas Vorräten noch genießen zu können. Mit ruhigem Schritt, der ihre runden Hüften sanft hin und her wiegen ließ, ging sie den langen schmalen Flur entlang bis zur Wohnungstür. Der Saum ihres langen rubinroten Rocks strich lautlos über die hölzernen Latten des Bodens. Ihre fleischigen Finger legten sich um die metallene Klinke und drückten sie nach unten. Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür.

Herr Werner stand lächelnd auf dem Fußabstreifer, hob die aktuelle Wochenzeitung empor und fragte: „Die Anzeige ist von Ihnen, nicht wahr?“
Imelda lächelte verlegen und entgegnete, dass sie es eben nochmals versuchen wolle mit einem Mann. Sie bat ihn herein. Noch bevor sie die Tür geschlossen hatte, grinste Herr Werner sie freudig in ihrem Flur an und meinte: „Bei dem letzten Satz hat die Redaktion aber einen bösen Schreibfehler gemacht. Ich hoffe, Sie haben sich beschwert!“
Imelda blickte in den stets gereinigten Hausflur hinaus und lehnte kurz an der schmalen Seite der Tür. Ein unheimliches geheimnisvolles Lächeln überzog ihr gesamtes Gesicht, als sie mit ruhiger melodischer Stimme antwortete: „Aber natürlich.“

Während Herr Werner in die Küche ging, sagte er: „Sie werden es nicht glauben, mir ist heute sieben Mal der Bleistift abgebrochen. Es war wie verhext.“
Dann schloss sich langsam die Tür.

Anzeige:
„Nette Frau, Mitte 40, rundlich und gemütlich, kann zuhören, ist einfühlsam und unternehmungslustig, sucht einen Mann, um den sie sich kümmern und den sie kochen kann.“

 

Hallo, Nephele,

Deine Geschichte hat mir wirklich gefallen. Bsonders wie Du die Spannung aufgbaut hast. Wähend des Lesens konnte man zwischen den Zeilen schon erkennen, das etwas Makabres am Ende auf einen zukommen würde...

Ob Herr Werner wohl geschmeckt hat ??

Gruß,

Violina

 

Huhu Nephele, willkommen auf kg.de!

Deine Geschichte ist wirklich spannend aufgebaut, liest sich auch locker und flockig weg, also Kompliment zu deinem Schreibstil - nur ist sie hier in Fantasy meiner Meinung nach völlig fehl am Platz, da mir das fantastische Element, das in der Realität nicht vorkommen kann, hier völlig fehlt. Ich denke, die Zielgruppe für diese Geschichte findest du eher in Horror (wobei da die Pointe nicht sonderlich überraschend käme) oder in Spannung/Krimi.
Wohin soll ich sie verschieben?

gruß

 

Hey

@Vita
ich danke Dir für den Kommentar... ich bin mir nicht sicher, ob die KG bei Spannung/Krimi richtig wäre, denn es geht schon darum, dass die Frau zum Teil ein unwirkliches Wesen ist... das Alter, die Schrift, die lange Zeit, die sie schon in dieser Welt lebt.. von daher dachte ich, sie wäre hier am rechten Platz. Wenn Du dies nicht so siehst, dann verschieb sie in die Rubrik Spannung, denn für Horror halte ich sie keineswegs...

@ Violina
ich danke Dir für Deine Worte. Ich habe lange mit mir gehadert, die KG hier einzustellen... ob Herr Werner geschmeckt hat, diese Frage kann nur Imelda selbst beantworten, doch sie wird wohl noch länger etwas von ihm haben...

Gruß
Nephele

 

Huhu,
dass die Dame irgendwie ungewöhnlich bzw. kein Mensch ist, ist mir beim Lesen überhaupt nicht klargeworden. Ich dachte, sie ist einfach nur alt :)
Wenn du den fantastischen Aspekt näher herausarbeiten möchtest, kann die Geschichte hier gern stehenbleiben, ansonsten gehts nach Spannung/Krimi. Deine Entscheidung! :)

 

Salü Nephele

Ich finde die Geschichte einfach genial. Seit Weihnachten die erste, die ich zu Ende gelesen habe und wirklich jeden Buchstaben mit grosser Sorgfalt gelesen habe. Ich hing dir sozusagen an den Lippen/am Buchstaben.

Vom Ende war ich dann aber schon beinahe enttäuscht. Also versteh mich nicht falsch, ich finde das Ende nicht schlecht, im Gegenteil, dass die Kontaktanzeige nochmals aufgeworfen wird passt schon sehr gut, nur im Vergleich zur ausgeklügelten Geschichte, mit all diesen Anspielungen, ist mir das Ende irgendwie zu klar und direkt.

Oder vielleicht kommt das Ende auch einfach zu schnell? Ich würde echt gerne noch mehr von dir Lesen!

Liebe Grüsse,
Siiba

 

@vita Die Geschichte lebt von den Anspielungen und der Phantasie des Lesers. Jeder mag sie anders lesen und ich war der Meinung, die Anspielungen auf das Wesen der Frau und ihr ungewöhnliches Alter und ihre Art würden genug auffallen. Ich wollte dem Leser nicht direkt auf die Nase binden, dass sie nicht menschlich ist, denn ich gebe ja auch aus diesem Grund nicht sonderlich viele Beschreibungen ihres Aussehens. Die Frage, was sie ist, sollte offen bleiben...

@Siiba Ich danke Dir für Deine Worte und es freut mich, dass Du meine Geschichte gern gelesen hast. Mir ging es auch schon einige Male hier so, dass ich eine Geschichte nicht zum Schluss lesen konnte.
Dass das Ende zu plötzlich kommt oder Dir zu klar und direkt ist, beweißt eigentlich nur, dass Du die Anspielungen erkannt hast, was mich sehr freut. Ich werde noch eine Geschichte auf KG.de einstellen, allerdings ist diese dann eher zum Lachen gedacht. Bin gespannt, ob diese Dir dann auch zusagt. Also, nochmals danke...

 

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