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Die, die noch da sind.

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18.02.2016
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Die, die noch da sind.

Wir werden immer weniger. Wie ein kräftiger Strom formten wir einst das Land. Voller Kraft prägten wir die Jahrzehnte. Unmerklich hat der Strom an Kraft verloren. An Bedeutung. An Glanz. Ein quälendes Rinnsal sind wir geworden. Ein Rinnsal das endgültig zu versiegen droht. Bis auch die letzten Tropfen verschwunden sind.
Wie stolz wir einst waren! Kriege haben wir begonnen. Kriege haben wir verloren. Demokratien haben wir erschaffen. Demokratien haben wir zerstört.
Hunderte, tausende sind wir gewesen! Und nun sind wir einfach die, die noch da sind. Die Alten. Die Senioren. Die Senilen.
Früher bevölkerten wir die Welt. Heute siechen wir in den Spitälern, schlurfen in den Pflegeheimen und ab und an sieht man einen von uns mit langsamen Schritten auf dem langen Weg in den Dorfladen. Das sind die, die Glück haben. Die Glücklichen. Die, die noch Zuhause wohnen können. Denken wir Anderen. Die, die etwas weniger Glück haben. Die, die in den Pflegeheimen wohnen und aus den Fenstern starren.

Doch etwas haben all unsere Blicke gemeinsam. In ihnen spiegelt sich die Angst. Die Angst vor dem nächsten Sturz. Die Angst vor der nächsten Nacht. Die Angst vor der Zukunft und dem Tod. Eine Zukunft die wir eigentlich nicht sehen wollen. Genau so wenig, wie die jüngeren Generationen unsere leeren Blicke richtig deuten wollen. Nichts sehen. Nichts sagen. Nicht wissen.
"Wie geht es Ihnen heute?"
"Ich habe Angst."
"Ach, heute wird ein guter Tag! Sie kriegen doch Besuch."
Ach, die jungen Menschen. Die, die da sind. Also alle anderen. Nur nicht wir.

Wenn ich durch das Fenster meines Zimmers schaue, sehe ich nicht jene einzelne Lärche im Park, sondern den Pausenhof meiner alten Schule. Wenn ich die Augen schliesse, träume ich nicht von den Erlebnissen des vergangenen Tages, sondern von meinem ersten Kuss in einer dunklen Tiefgarage. Wenn ich mein Spiegelbild betrachte, sehe ich nicht den unbehaarten alten Mann, sondern den sonnengebräunten Jüngling, den ich einmal war. Alles würde ich geben, um noch einmal mit dem Fussball vor den Füssen auf das gegnerische Tor zu stürmen. Voller Kraft. Voller Freude am Leben. Wie gerne würde ich noch einmal den Ärger spüren, die blinde Wut auf den Gegner, wenn ein Spiel verloren gegangen ist. Die Furcht vor einer Prüfung. Das Glück an der Diplomfeier. Die Nervosität vor der Hochzeit. Wie gerne würde ich noch einmal mehr fühlen, als die Vorfreude auf den nächsten Besuch meines Enkels und das leise Frösteln beim Gedanken an die nächsten Jahre.

Ein Leben lang habe ich gewusst, dass er eines Tages kommen würde. Immer hatte ich gedacht, dass es dann einfacher wäre. Welcher alte Mann hat schon angst vor dem Tod? So ist eben der Lauf der Dinge. Wehr dich nicht. Lass es sein. Verbrauch nicht dein ganzes Erspartes. Deinen Kindern zuliebe. Ehrlich gefreut dich zu sehen, hat sich schon lange niemand mehr. Quatsch, sage ich mir. Die bösen Gedanken eines Geistes, der sich zu viele Gedanken machen kann. Wenigstens kann ich noch denken. Denke ich. Nicht so wie die armen Teufel, die ihre Verwandten nicht mehr erkennen. Herzzerreißend, die vergebenen Versuche das Aussehen ihrer eigenen Kinder in der kleinen Agenda festzuhalten um sie beim nächsten Besuch identifizieren zu können. Alzheimer. Das Damoklesschwert eines jeden Lebens. Genetisch vererbbar. Ich habe die Gene nicht. Sage ich mir immer wieder. Dann besonders laut, wenn Wissen fehlt, das vor einigen Jahren noch da gewesen ist... Vielleicht werde ich einmal nicht mehr gehen können. Vielleicht werde ich einmal nicht mehr essen können. Vielleicht werde ich einmal nicht mehr atmen können. Doch meinen Geist werde ich dem Alter nicht auch noch überlassen! Denn was wäre ich ohne meinen Geist? Ohne meine Erinnerungen? Deshalb sage ich es mir immer wieder. Dich trifft es nicht. Du hast die Gene nicht.

Ich gehe nun an den See und werde mich eine halbe Stunde auf die rote Bank setzen. Eine halbe Stunde werde ich draussen sein. Mitten unter den Jungen. Sie werden mich nicht sehen. Sie werden, wie immer an mir vorbei gehen. Sie werden sich an alles Erinnern, ausser an den alten Mann auf der Bank. Doch es ist ok. Wir sind halt die, die noch da sind. Jeden Trifft es. Das Alter. Ich kann es ihnen nicht neiden. Auch ich war einmal jung. Auch in meinem Leben hat es sie gegeben. Die Alten. Habe ich sie dazumals gesehen? Nein. Also ist es schon ok. Ich nehme den Stock, schliesse das Zimmer und gehe.

So stelle ich es mir vor. Das Alter. Zum Glück ist es noch sechzig Jahre entfernt. Zum Glück muss ich mich noch nicht darum kümmern. Nur manchmal schleicht es sich in mein Leben. Wenn ich sie sehe. Sie, die noch da sind.

 
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Hallo neves,

du bist neu hier, deshalb erstmal ein freundliches Wilkommen. Ich habe einen Blick auf dein Profil geworfen, weil ich wissen wollte, wer mit einem Text über das Altwerden debütiert. Neugier halt.

Tja, alt werden ist nichts für Feiglinge. Zuerst habe ich geglaubt, du schreibst über ein aussterbendes Volk. Es geht aber um eine Generation, die - wer hätte das gedacht! - eben altert. Immerhin gibt es noch Enkel und junge Leute im Park. Schließlich erfährt der Leser, das der Ich-Erzähler ein junger Spund ist, der Angst vor dem Alter hat.

Für mich ist das keine Kurzgeschichte. Vielleicht wird es eine, wenn der Leser erfährt, was denn diese Angst ausgelöst hat. Wenn der Ich-Erzähler zu einem individuellen Charakter mutiert, der nicht nur jammert, sondern agiert. Der letzte Absatz könnte dazu den Anfang bilden.

Noch was: Ein paar Fehler gibt es noch zu korrigieren. Heute nicht mehr.

Freundliche Grüße

wieselmaus

 
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Lieber Neves,

die überraschende Wende bringt dein Text zum Schluss: Es ist kein alter Mensch, der hier spricht, sondern jemand, der noch voll in seinem Leben steht. Dadurch erhält dein Text eine völlig andere Bedeutung. Während ich mir beim Lesen die ganze Zeit einen alten Menschen am Ende seines Lebens vorstellte, lese ich jetzt, dass es die Vorstellungen eines vielleicht Zwanzigjährigen sind. Wenn es so ist, dann hat dieser sehr gut beobachtet, wie sich ein vielleicht Achtzigjähriger in einem Altersheim fühlen mag und sich gut in ihn hineinversetzt. Dann habe ich natürlich in dein Profil geschaut und gesehen, dass es sich genauso verhält.

Der Text ist natürlich keine Kurzgeschichte. Er begibt sich in die Gedankenwelt eines Menschen, der sich am Ende seines Weges befindet. Es ist ein trauriger Text, der einem Früher nachtrauert und ein Jetzt beschreibt, das von Ängsten gezeichnet ist, von Ängsten darüber, was noch kommen kann,

Ich mag einmal nicht mehr gehen können. Ich mag einmal nicht mehr essen können. Ich mag einmal nicht mehr atmen können.
Es sind wenige positive Gedanken in deinem Text, ein bisschen Hoffnung, dass die Gene verhindern mögen, dass auch noch das Denken versagt. Und eine Erkenntnis, die für mich eigentlich eine sehr wichtige ist:

Jeden Trifft (trifft) es. Das Alter.
Dieser Gedanke, so glaube ich, macht uns das Altern erträglich. Zu erkennen, dass wir – egal, wer wir sind – diesen Weg gehen werden. Der Unterschied liegt darin, wie wir dieses Alter erleben. Auch das sprichst du in deinem Text an.

Und dass die Jungen die Alten nicht sehen, ist – wie du ja auch sagst – in Ordnung, denn haben wir als Junge die Alten gesehen und sehen die Alten die Jungen wirklich? Sie sehen sie, aber ihr Interesse an ihnen ist auch nur selten ein echtes. Sie sehen sie vielleicht mit dem Neid, den du ja auch ansprichst, aber nicht mit wirklichem Interesse.
Und das könnte ein Gedanke sein, der über deinen Text hinausweist, dass wir versuchen, uns gegenseitig stärker wahrzunehmen, zu erkennen, dass die Alten auf der Bank wir selber in ein paar Jahrzehnten sind.

Du schreibst gut und solltest versuchen, deine Gedanken, die du hier äußerst, in eine Handlung umzusetzen. So regt dein Text zwar zum Nachdenken an, aber er ist eher essayhaft und keine Geschichte, wie wir sie hier im Forum diskutieren.

Noch ein wenig zum Text:
Du benutzt an manchen Stellen das Plusquamperfekt, an denen mMn das Perfekt stehen sollte:

Unmerklich hatte (hat) der Strom an Kraft verloren.

Hunderte, tausende waren (sind) wir gewesen!

Ein Leben lang hatte (habe) ich gewusst,

Auch in meinem Leben hatte (hat) es sie gehabt. Die Alten. Hatte (habe) ich sie dazumals gesehen?
Du bist Schweizer und drückst dich an dieser Stelle anders aus, als ich es gewohnt bin. Hochdeutsch würde es wohl … hat es sie gegeben und … damals heißen.

Sie werden, wie immer an mir vorbei gehen (vorbeigehen). Sie werden sich an alles (E)rinnern, ausser an den alten Mann auf der Bank. Doch es ist ok. Wir sind halt die, die noch da sind. Jeden (T)rifft es.
Ich mag einmal nicht mehr gehen können. Ich mag einmal nicht mehr essen können. Ich mag einmal nicht mehr atmen können.
Für meine (deutschen) Ohren klingt das auch ein bisschen befremdlich. Vielleicht werde ich … scheint mir hier klarer zu sein.

Neves, du kannst formulieren. Versuche eine Geschichte mit einer Handlung zu schreiben, in der deine Gedanken ihren Ausdruck finden können. Hier findest du Anregungen dazu: http://www.wortkrieger.de/showthread.php?29289-Tipps-für-Schreibanfänger-und-Fortgeschrittene

Und zum Schluss: Ich begrüße dich bei den Wortkriegern.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Neves, auch von mir ein herzliches Willkommen!

Mit Interesse habe ich deinen Text gelesen und natürlich auch dein Profil. 24 Jahre alt, männlich, Student. Jetzt weiß ich, dass du diese Erfahrungen, von denen du schreibst, nicht selbst gemacht hast.

Du willst eine Kurzgeschichte schreiben und hast auch eine Idee. Eine ziemlich gute, wie ich finde. Die Angst vor dem Alter, vor dem älter werden, vor allem, was du glaubst, damit in Verbindung bringen zu müssen.
Jetzt willst du eine Kurzgeschichte schreiben. Eine Kurzgeschichte braucht eine Handlung und diese wiederum einen Schauplatz, damit sie funktionieren kann.

Deine Angst solltest du begründen oder widerlegen. Es bleibt die überlassen, welche Botschaft du überbringen willst.

Als Student, und ich denke, du solltest in deiner Rolle bleiben, bist du sicher immer auf der Suche nach einem Job. Als Reisebegleiter eines Busunternehmens, ist es dir vergönnt, eine Gruppe von alten Menschen, bei einer Kaffeefahrt zu begleiten. Du erlebst diese Leute als gesellig, fröhlich und liebenswert. Die Zipperlein, die sie plagen, nehmen sie mit Humor. Du bist überrascht. Das traurige Bild, das sich in deinem Kopf eingenistet hat, passt mit dieser Erfahrung nicht zusammen.

Allerdings gibt es eine zweite Möglichkeit, eine Geschichte über deine Angst zu schreiben. Jetzt findest du einen Job in einem Altersheim. Hier entdeckst du einsame Menschen, die in den Zimmern sitzen und vor sich hin dämmern. Du erlebst Pflegekräfte, die völlig überlastet durch lange Gänge eilen, die keine Zeit haben, für ein Gespräch oder Zuwendung. Du schaust deiner Angst in die Augen.

Vielleicht fällt dir auch selbst noch eine ganz andere Möglichkeit ein, deine Gedanken in Szene zu setzen.

Es gibt einen wundervollen Roman: "Der Achtzigjährige, der aus dem Fenster stieg ....." Auch eine Möglichkeit, über das Alter zu schreiben. Mir gefällt diese Betrachtungsweise besonders gut.

Wie immer du dich entscheidest, du wirst es richtig machen.

Liebe Grüße!
Amelie

 

Liebe Wieselmaus, lieber Barnheim, liebe AmelieS

Wow, ich bin wirklich beeindruckt, wie ihr euch mit den Geschichten (oder Essays - sorry) hier in diesem Forum auseinander setzt. In meiner Schulzeit und auch jetzt im Studium hatte ich noch nie eine solch nützliche Kritik zu einem Text erhalten. Eine Kritik, welche über die Rechtschreibefehler hinaus geht und sich tatsächlich mit dem Inhalt auseinandersetzt! Vielen Dank

Wieselmaus:
Keine Kurzgeschichte... Bääm! Zuerst kurz schlucken - aber ja du hast natürlich recht. Es fehlt die Handlung.

Barnheim:
Danke für deine ausführliche Rückmeldung. Ich habe die Fehler bereits in meinem Text verbessert. (Ich hoffe dies ist so üblich...) Auch wir Schweizer sollten richtig Deutsch schreiben können, von daher bin ich für diese Hinweise mit dem Plusquamperfekt sehr dankbar. Ich befürchte, dass sich dies schon ziemlich tief in meinen Schreibstil eingegraben hat.
Danke auch für die inhaltliche Rückmeldung. Zumindest kam in etwa rüber, was ich mit dem Text sagen wollte. Wir Jungen befassen uns meiner Meinung nach viel zu selten mit den älteren Generationen. Ich habe auch manchmal das Gefühl, ältere Menschen erzählen sehr selten von ihren wirklichen Gefühlen und Ängsten. In dem Text habe ich einfach mal überlegt, wie sich jemand am Ende des Lebens fühlen könnte. Vielleicht liesst dies auch mal jemand über 80 und schreibt dann, dass dieser Text ziemlich weit an der Wirklichkeit vorbei geht.

AmelieS:
Ich werde meinen Text gerne versuchen in die Form einer Kurzgeschichte zu verpacken. Vielen Dank für deine Ideen, ich hätte nämlich nicht gewusst wo anfangen!
(Ich würde dann den neuen Text einmal als Kommentar unten einfügen, da sonst die Kommentare hier keinen Sinn mehr ergeben würden. Oder ersetzt man in dem Fall den Originaltext?)

Beste Grüsse,
Neves

 

Schnell als Antwort, Neves, man ersetzt den Originaltext. Bitte nicht als Kommentar einfügen. Das wird sonst unübersichtlich.
Was ich noch rasch sagen sollte, ich kann es zwar verstehen, wenn du dich an einem handlungsorientierten Text zu dieser Idee versuchen möchtest, aber dein Ursprungstext hat irgendwie was. Ich mag den. Vielleicht stellst du ihn dann als Blogtext zur Verfügung? Oder du machst eine gänzlich neue Fassung - mit neuem Titel und anderem Verlauf. Das geht hier schon mal, wenn man als Überarbeitung dann eine ziemlich andere Geschichte schreibt, wo nur noch die Idee bleibt und vielleicht ein paar Formulierungen. Und im Moment klingt das bei dir so, als würds auf was Neues rauslaufen.
Ach ja - und herzlich Willkommen bei uns.
Viele Grüße von Novak

 

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