Was ist neu

Die doppelte Katastrophe

Mitglied
Beitritt
24.06.2013
Beiträge
3
Zuletzt bearbeitet:

Die doppelte Katastrophe

Ich legte gerade Wäsche zusammen und lauschte vergnügt meiner Lieblingsmusik im Radio, als sich die eigensinnige Maschine plötzlich für einen anderen Sender entschied. Sie knackste, röchelte, und man hörte so etwas heraus wie: „ So eben wurde uns gemeldet, dass auf dem Gelände des Chemiekonzerns“ - Funkstille.
Ein Männerarm umfasst mich von hinten, doch ich blieb ganz ruhig. „Du wirst es wohl nie schaffen, was, mein Schatz? Jetzt hast du das Radio abgestellt und ich kann die wichtige Meldung nicht weiter verfolgen.“
Jan lachte und betrachtete mich entzückt: „Ich weiß, um dich zu erschrecken, müsste schon ein Unglück über uns hereinbrechen. Schönes Kleid übrigens. Ist das neu?“
„Und wenn es neu ist?“
„Dann möchte ich lieber nicht die Rechnung sehen.“
„Fängst du jetzt auch schon so kleinkariert an wie andere Männer? Und das einen Tag nach unserer Hochzeit?!“
„Aber, Lisa, bin ich denn jeder andere Mann? Ich hab’ sogar eine Möglichkeit gefunden, wie ich dir deine unzähligen Launen...“
„Da ist die Tür, mein Schatz.“
„... wie ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen kann.“

Ich zog belustigt die linke Braue nach oben: „Heißt das, du hast mich betrogen? Ich heiratete schließlich keinen reichen Goldesel, sondern einen bescheidenen und liebevollen Mann, der immer froh war, wenn Frauen sich ihr eigenes Geld verdienten.“
„Richtig, das tatest du. Nun, stell’ dir aber nur mal vor: Ich gehe heut’ in den Betrieb und höre, dass ich tatsächlich befördert wurde.“
„Die Beförderung, auf die du seit Jahren wartest?“ Ich wusste zuerst nicht, was ich sagen sollte, doch dann fasste ich mich. Was für eine freudige Überraschung! „Oh, Jan, das muss gefeiert werden!“
„Schon wieder? Gib zu! Du hast immer gewusst, dass ich den Job kriege. Darum gefällst du mir ja auch so: Du glaubst selbst an die hoffnungslosesten Fälle.“
„Überlebensstrategie. Ich hatte bis jetzt nur mit solchen Fällen zu tun. Aber die Beförderung beim Chemiekonzern ist für mich wirklich eine Freude. Nicht allein wegen des Geldes. Überleg’ dir mal, dann können wir hin und wieder doch mal ein wenig länger Urlaub machen. Wir beide ganz allein. Wir sind dann nicht immer so auf das Taschengeld und die Anwesenheit unserer Verwandten angewiesen.“
„Nun, ich glaube auf Urlaub müssen wir im Moment verzichten.“ Er schälte sich behutsam aus meiner Umarmung, der Dummkopf!
„Verzicht? Ich hab’ auf unsere Flitterwochen verzichtet, weil ich weiß, dass du für einen höheren Posten Bereitschaft zeigen musst.“
„Ich weiß, was du meinst. Wir werden alles nachholen. – Lisa, ich muss jetzt noch mal weg. Zur Arbeit. Aber deine Reaktion darauf, glaub’ mir, war mir sehr wichtig.“
„Ich bin nicht erfreut, zutiefst beleidigt und vollkommen vernachlässigt.“
„Das ist meine Frau“ ,er lachte schon wieder, dieser freche Mensch. Hätte er doch nur geweint, wie ich heute denke. Ich hätte ihn nicht aus der Tür gehen lassen. Doch in diesem Moment war ich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, sodass ich auch nicht weiter an die Nachricht im Radio achtete. Auch nicht daran, dass Jan mir heute Morgen verkündete, dass sein Bruder, den ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte, heute Nachmittag zu Besuch kommen wollte. „Du wirst ihn mögen. Er gleicht mir in vielerlei Hinsicht.“
„Dann will ich ihn lieber nicht kennen lernen“ ,meinte ich, „sonst hätte ich ja einen Ersatz für dich, und ließe dich sitzen, wenn ich deiner überdrüssig wäre.“

Wieder kam diese Meldung. Und sie erreichte mich wiederum durch das Radio. Diesmal erwischte sie mich eiskalt. Was war passiert? Giftige Chemikalien aus dem Chemiesilo... du meine Güte!
Ich stürzte zum Fenster. „Warum tust du das, Mädchen? Er ist doch schon seit einer Stunde weg. Weg und...“ Ich bin wirklich niemand, der immer gleich vom Schlimmsten ausgeht, aber jetzt? Jetzt holte ich meine Tasche, den Wohnungsschlüssel und wollte Jan noch rechtzeitig warnen. Beim Verlassen der Wohnung gab ich nicht acht, und stieß im Treppenhaus mit einem Mann zusammen. "Jan" ,entfuhr es mir im nächsten Augenblick. „Entschuldige, aber ich hab’ dich in der Eile wirklich nicht erkannt... hast du dich umgezogen? Vorhin hast du noch deinen schwarzen Anzug getragen. Wo ist er jetzt? Wo?“, ich merke, wie Jan, der Mann, der es geschafft hatte mich um meine Fassung zu bringen, mich nur interessiert beäugte. „Aber verzeih’, Liebling“ ich merkte, es gab wichtigere Dinge als Kleidung. „Geht es dir gut? Stell’ dir vor, was passiert ist..., aber, das weißt du sicher alles schon selber.“
„Was weiß ich?“ ,fragte Jan unvermittelt und löste sich aus meiner Umarmung.
„Na, das im Radio. Du weißt doch... ich meine, hast du es nicht gehört? Das erste Mal als die Nachrichten kamen, hab ich's wegen dir gar nicht verstanden, aber dann haben die im Radio eine Wiederholung gebracht“
„Ich höre nie Nachrichten.“
„Ach, hör’ auf mit deinen dummen Witzen. Du weißt ganz genau, was passiert ist! Du bist da gewesen und... mit heiler Haut entkommen. Das ist das Wichtigste. Nein, erzähl’ es mir nicht! Mein Liebling, was ich für eine Angst um dich hatte, das glaubst du mir nicht.“
„So sehr liebst du diesen Mann? Meine Liebe, ich hoffe, dann jage ich dir keinen Schrecken ein, wenn...“
„Aber was wird das nur für Auswirkungen haben. Du hast mir doch mal erzählt, wie giftig all diese Chemikalien sind. Dass, wenn nur einer dieser Silos explodiert...“
„Was es gab eine Explosion in dem Chemiekonzern, wo Jan arbeitet? Und er war dort als es passiert war? Du meine Güte!“
„Nein, Jan! Du bist nicht mehr dort! Du bist jetzt bei mir! Jetzt können wir uns immer noch in Sicherheit bringen! Bin ich froh, dass du es geschafft hast! – Aber dein Bruder, Jan! Der wollte doch heute kommen, oder? Meinst du..., aber ich bin grausam, wenn ich dich das frage! Wir wollen hoffen, dass ihm nichts passiert ist. Oder vielleicht ist er so vergesslich wie du und ist gleich zu Hause geblieben. – Ach, Liebling! Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Wenn deinem Bruder nun was passiert ist? Wie schade, dass ich ihn nie kennen gelernt habe. Doch dich hab’ ich wieder zurück! Das ist der größte Trost. Du sagtest ja, wie sehr ihr euch ähnlich wäret.“
„Ja, damit hat Jan wohl Recht gehabt. Lisa, ich bin nicht dein Mann, aber ich verspreche dir, ich werde jetzt bei dir bleiben. Komm!“, er nahm meine zitternde Hand. Ich starrte ihn an. Er sagte noch irgendetwas, ebenfalls mit deutlichem Kummer im Gesicht gezeichnet, aber ich hörte es wegen des Schocks kaum mehr. Vor meinem geistigen Auge schwoll das Unglück schon durch alle Gassen. Und wirklich, in der Ferne sah man den schwefligen, grau-grünen Rauch...

 

Hallo Vergissmeinnicht

Und Herzlich Willkommen in unserer Runde!

Ich steig gleich mal in die Textarbeit ein:

Und wirklich, in der Ferne, sah man den schwefligen, grau-grünen Rauch...

Komma nach Ferne raus

als sich die eigensinnige Maschine plötzlich für einen anderen Programmpunkt entschied.

"Programmpunkt" finde ich hier eigenartig gewählt. Warum nimmst du nicht einfach "Sender"?

Sie knackste, röchelte und man hörte so etwas heraus wie

Komma nach röchelte

So eben wurde uns gemeldet, dass auf dem Gelände des Chemiekonzerns X -...“.

Soeben
Wenn die wörtliche Rede den Satz bereits abschliesst, kommt dahinter kein Punkt mehr.
Entweder Bindestrich oder drei Punkte (besser Bindestrich), aber nicht beides am Ende.
Mich stört, dass die Firma hier immer als "X" bezeichnet wird. Ich fände hier gar keinen Namen oder einfach ein abstraktes "die Firma" oder "der Konzern" besser.

Eine Männerhand legte sich unwillkürlich um mich, doch ich blieb ganz ruhig.

Das "unwillkürlich" würde ich streichen - da das aus Sicht der Frau geschrieben ist, kann sie den Vorgang schlecht näher beschreiben. Generell solltest du sparsam umgehen mit Adjektiven.

Auch würde ich überlegen, aus der Hand einen Arm zu machen - eine Hand, die sich um einen legt - das muss entweder eine grosse Hand oder ein ganz schmaler Körper sein ...

Ich war zuerst sehr ungläubig, doch dann fasste ich mich doch noch .

Leerzeichen raus vor dem Punkt. Auch so Füllwörter wie dieses "sehr" kannst du getrost streichen, dann auch das "doch noch" am Ende ... alles so Füllsel, die den Text aufblähen, ohne Mehrwert zu liefern. Ohne klingts meist besser (zumal du dann hier das doppelte "doch" nicht mehr drinhast).

Auch würde ich empfehlen, über das "ungläubig" nochmal nachzudenken. Das hat einen so religiösen Anstrich, finde ich, vielleicht passt ein "Ich konnte es zuerst nicht glauben" hier besser. Wie du willst.

Nicht allein wegen des Geldes. Überleg’ dir mal, dann können wir hin und wieder doch mal ein wenig länger Urlaub machen.

Also doch wegen des Geldes ;)

Ich finde das einen mysteriösen kleinen Text. Beim ersten Lesen bin ich anfangs etwas gestolpert, aber am Ende wird ja klar, dass der allererste Abschnitt zeitlich zuletzt kommt. Auch der Satz, den Jans Bruder da sagt (also den ersten Satz der Geschichte), ist ziemlich seltsam, genau wie die (erste) Radiomeldung, die nur die Frau hört und die als Warnung zu verstehen ist ...

Hätte er doch nur geweint, wie ich heute denke. Ich hätte ihn nicht aus der Tür gehen lassen.

Das sind wohl genau die Dinge, die man sich rückblickend vorwirft. Hätte er doch nur - wäre nur das passiert - dann wäre er nicht am Unglücksort gewesen. Und ob sie die Meldung im Radio wirklich gehört hat, ist auch fraglich. Es könnte auch eine (nachträgliche) Einbildung sein. So nach dem Motto: Mensch, eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen, warum nur konnte ich es nicht verhindern?

Trotz seiner Kürze bringt der Text solche Aspekte für mich rüber, aber das Mysteriöse überwiegt dann doch, wie der gleich aussehende Bruder, der plötzlich auftaucht und Jans Platz einnehmen will ... ich würde übrigens hier

Aber zu meinem Entsetzen, stieß ich auf unserer Treppe mit einem fremden Mann zusammen.

nicht von einem "fremden" Mann sprechen. Denn die Frau spricht ihn ja sofort mit Jan an, also würde ich ihn hier - da aus Sicht der Frau geschrieben - auch schon als Jan bezeichnen.

Wie gesagt, mysteriöser, aber nicht uninteressanter Text. Für mich unterm Strich aber doch zu sehr Fragment, ich hätte da gerne noch mehr erfahren und welche Rolle der Bruder da jetzt spielt. So in der Form macht das auf mich einen surrealen Eindruck, ähnlich den Bildern eines Traums. Aber vielleicht war das ja auch genau deine Absicht.

Bin gespannt, was du hier noch für Geschichten einstellst.

Viel Spass jedenfalls beim Schreiben & Kommentieren.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Vergissmeinnicht,

herzlich willkommen!


Die Abteilung „Spannung“ also. Der Einstieg (erster Absatz) dazu ist gelungen. Ein rätselhafter Mann und eine mysteriöse Bedrohung.
Doch schon da fällt auf, dass die Geschichte mit einer leicht ironischen Stilhaltung erzählt wird. Es ist nicht klar, ob die Erzählerin das Gesagte wirklich ernst meint oder ob sie sich ironisch davon distanziert.

Vor meinem geistigen Auge schwoll das Unglück schon durch alle Gassen. Und wirklich, in der Ferne, sah man den schwefligen, grau-grünen Rauch...
Dieses Umschalten von der bloßen Vorstellung eines nahenden Unglücks zur realen Situation, wo haargenau das passiert, was die Figur sich zuvor vorgestellt hat, wirkt lustig und somit der beschriebenen Situation nicht angemessen.

Davon ab, das Unglück „schwoll“ durch alle Gassen, find ich sehr schön und ausdrucksstark formuliert!

Es folgt eine Rückblende, bis die Anfangssituation wieder erreicht wird. Aber, mal ehrlich, würde jemand, der diese Katastrophe selbst erlebt hat, die Geschehnisse so erzählen? Da es sich um eine Ich-Erzählerin handelt, die zudem in der Vergangenheitsform erzählt, verliert das Gesagte an Glaubwürdigkeit. Denn, hätte sie alles tatsächlich erlebt, hätte sie andere Worte benutzt.
Diejenige hätte bestimmt nicht diesen Einstieg gewählt und dann neckisches Ehegeplänkel zum Besten gegeben. Damit will ich nix gegen die Dialoge sagen. Die sind nicht schlecht, da steckt unterschwellig Reibung drin. Aber dieser ganze Aufbau ist für eine glaubhafte Spannungsgeschichte, die in der ersten Person erzählt wird, nicht geeignet.
Ich muss plötzlich an den (Lügen-) Baron Münchhausen denken! :D

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Schwups, hallo Asterix,

vielen Dank für die schnelle Hilfe und die Begrüßung!

Ja, der Text ist schon etwas älter und jetzt bin ich ganz froh ihn etwas überarbeitet zu haben.

@ Schwups:

Danke fürs Korrigieren, da hast du mit dem meisten schon recht.

So in der Form macht das auf mich einen surrealen Eindruck, ähnlich den Bildern eines Traums. Aber vielleicht war das ja auch genau deine Absicht.

Surreal sollte es gar nicht rüberkommen. Mehr eben von der persönlichen Wahrnehmung aus gesehen, und die Ich-Erzählerin ist nach der zweiten Meldung im Radio, die sie diesmal hört, eben ziemlich durch den Wind, vielleicht hört es sich auch deswegen so an.
Ich hab jetzt mal den ersten Absatz mit der Vorausschau ganz ans Ende gepackt und hoff dass es sich so realer anhört. :)


Also doch wegen des Geldes

Ich liebe unvollkommene Dialoge, das find ich, macht die Figuren sympathischer :D


@ Asterix:

Ja, auch nochmal danke. Ich mag Ironie :) aber hier wollt ich es dann doch vermeiden. Ich hoff nach meinen Änderungen passt es jetzt besser zur Stimmung. Die Ich-Erzählerin weiß um die Gefahr, hat Bilder im Kopf, die sie vielleicht auch aus dem Fernsehen von anderen Katastrophen kennt und dann (obwohl sie natürlich von der Wahrnehmung her schon beeinträchtigt ist) hebt sie den Blick und sieht den Rauch... ja so in etwa, denk ich mir das. Meinst du ich sollte das noch dazuschreiben, oder lieber weglassen

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom