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Die doppelte Katastrophe
Ich legte gerade Wäsche zusammen und lauschte vergnügt meiner Lieblingsmusik im Radio, als sich die eigensinnige Maschine plötzlich für einen anderen Sender entschied. Sie knackste, röchelte, und man hörte so etwas heraus wie: „ So eben wurde uns gemeldet, dass auf dem Gelände des Chemiekonzerns“ - Funkstille.
Ein Männerarm umfasst mich von hinten, doch ich blieb ganz ruhig. „Du wirst es wohl nie schaffen, was, mein Schatz? Jetzt hast du das Radio abgestellt und ich kann die wichtige Meldung nicht weiter verfolgen.“
Jan lachte und betrachtete mich entzückt: „Ich weiß, um dich zu erschrecken, müsste schon ein Unglück über uns hereinbrechen. Schönes Kleid übrigens. Ist das neu?“
„Und wenn es neu ist?“
„Dann möchte ich lieber nicht die Rechnung sehen.“
„Fängst du jetzt auch schon so kleinkariert an wie andere Männer? Und das einen Tag nach unserer Hochzeit?!“
„Aber, Lisa, bin ich denn jeder andere Mann? Ich hab’ sogar eine Möglichkeit gefunden, wie ich dir deine unzähligen Launen...“
„Da ist die Tür, mein Schatz.“
„... wie ich dir jeden Wunsch von den Augen ablesen kann.“
Ich zog belustigt die linke Braue nach oben: „Heißt das, du hast mich betrogen? Ich heiratete schließlich keinen reichen Goldesel, sondern einen bescheidenen und liebevollen Mann, der immer froh war, wenn Frauen sich ihr eigenes Geld verdienten.“
„Richtig, das tatest du. Nun, stell’ dir aber nur mal vor: Ich gehe heut’ in den Betrieb und höre, dass ich tatsächlich befördert wurde.“
„Die Beförderung, auf die du seit Jahren wartest?“ Ich wusste zuerst nicht, was ich sagen sollte, doch dann fasste ich mich. Was für eine freudige Überraschung! „Oh, Jan, das muss gefeiert werden!“
„Schon wieder? Gib zu! Du hast immer gewusst, dass ich den Job kriege. Darum gefällst du mir ja auch so: Du glaubst selbst an die hoffnungslosesten Fälle.“
„Überlebensstrategie. Ich hatte bis jetzt nur mit solchen Fällen zu tun. Aber die Beförderung beim Chemiekonzern ist für mich wirklich eine Freude. Nicht allein wegen des Geldes. Überleg’ dir mal, dann können wir hin und wieder doch mal ein wenig länger Urlaub machen. Wir beide ganz allein. Wir sind dann nicht immer so auf das Taschengeld und die Anwesenheit unserer Verwandten angewiesen.“
„Nun, ich glaube auf Urlaub müssen wir im Moment verzichten.“ Er schälte sich behutsam aus meiner Umarmung, der Dummkopf!
„Verzicht? Ich hab’ auf unsere Flitterwochen verzichtet, weil ich weiß, dass du für einen höheren Posten Bereitschaft zeigen musst.“
„Ich weiß, was du meinst. Wir werden alles nachholen. – Lisa, ich muss jetzt noch mal weg. Zur Arbeit. Aber deine Reaktion darauf, glaub’ mir, war mir sehr wichtig.“
„Ich bin nicht erfreut, zutiefst beleidigt und vollkommen vernachlässigt.“
„Das ist meine Frau“ ,er lachte schon wieder, dieser freche Mensch. Hätte er doch nur geweint, wie ich heute denke. Ich hätte ihn nicht aus der Tür gehen lassen. Doch in diesem Moment war ich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, sodass ich auch nicht weiter an die Nachricht im Radio achtete. Auch nicht daran, dass Jan mir heute Morgen verkündete, dass sein Bruder, den ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte, heute Nachmittag zu Besuch kommen wollte. „Du wirst ihn mögen. Er gleicht mir in vielerlei Hinsicht.“
„Dann will ich ihn lieber nicht kennen lernen“ ,meinte ich, „sonst hätte ich ja einen Ersatz für dich, und ließe dich sitzen, wenn ich deiner überdrüssig wäre.“
Wieder kam diese Meldung. Und sie erreichte mich wiederum durch das Radio. Diesmal erwischte sie mich eiskalt. Was war passiert? Giftige Chemikalien aus dem Chemiesilo... du meine Güte!
Ich stürzte zum Fenster. „Warum tust du das, Mädchen? Er ist doch schon seit einer Stunde weg. Weg und...“ Ich bin wirklich niemand, der immer gleich vom Schlimmsten ausgeht, aber jetzt? Jetzt holte ich meine Tasche, den Wohnungsschlüssel und wollte Jan noch rechtzeitig warnen. Beim Verlassen der Wohnung gab ich nicht acht, und stieß im Treppenhaus mit einem Mann zusammen. "Jan" ,entfuhr es mir im nächsten Augenblick. „Entschuldige, aber ich hab’ dich in der Eile wirklich nicht erkannt... hast du dich umgezogen? Vorhin hast du noch deinen schwarzen Anzug getragen. Wo ist er jetzt? Wo?“, ich merke, wie Jan, der Mann, der es geschafft hatte mich um meine Fassung zu bringen, mich nur interessiert beäugte. „Aber verzeih’, Liebling“ ich merkte, es gab wichtigere Dinge als Kleidung. „Geht es dir gut? Stell’ dir vor, was passiert ist..., aber, das weißt du sicher alles schon selber.“
„Was weiß ich?“ ,fragte Jan unvermittelt und löste sich aus meiner Umarmung.
„Na, das im Radio. Du weißt doch... ich meine, hast du es nicht gehört? Das erste Mal als die Nachrichten kamen, hab ich's wegen dir gar nicht verstanden, aber dann haben die im Radio eine Wiederholung gebracht“
„Ich höre nie Nachrichten.“
„Ach, hör’ auf mit deinen dummen Witzen. Du weißt ganz genau, was passiert ist! Du bist da gewesen und... mit heiler Haut entkommen. Das ist das Wichtigste. Nein, erzähl’ es mir nicht! Mein Liebling, was ich für eine Angst um dich hatte, das glaubst du mir nicht.“
„So sehr liebst du diesen Mann? Meine Liebe, ich hoffe, dann jage ich dir keinen Schrecken ein, wenn...“
„Aber was wird das nur für Auswirkungen haben. Du hast mir doch mal erzählt, wie giftig all diese Chemikalien sind. Dass, wenn nur einer dieser Silos explodiert...“
„Was es gab eine Explosion in dem Chemiekonzern, wo Jan arbeitet? Und er war dort als es passiert war? Du meine Güte!“
„Nein, Jan! Du bist nicht mehr dort! Du bist jetzt bei mir! Jetzt können wir uns immer noch in Sicherheit bringen! Bin ich froh, dass du es geschafft hast! – Aber dein Bruder, Jan! Der wollte doch heute kommen, oder? Meinst du..., aber ich bin grausam, wenn ich dich das frage! Wir wollen hoffen, dass ihm nichts passiert ist. Oder vielleicht ist er so vergesslich wie du und ist gleich zu Hause geblieben. – Ach, Liebling! Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Wenn deinem Bruder nun was passiert ist? Wie schade, dass ich ihn nie kennen gelernt habe. Doch dich hab’ ich wieder zurück! Das ist der größte Trost. Du sagtest ja, wie sehr ihr euch ähnlich wäret.“
„Ja, damit hat Jan wohl Recht gehabt. Lisa, ich bin nicht dein Mann, aber ich verspreche dir, ich werde jetzt bei dir bleiben. Komm!“, er nahm meine zitternde Hand. Ich starrte ihn an. Er sagte noch irgendetwas, ebenfalls mit deutlichem Kummer im Gesicht gezeichnet, aber ich hörte es wegen des Schocks kaum mehr. Vor meinem geistigen Auge schwoll das Unglück schon durch alle Gassen. Und wirklich, in der Ferne sah man den schwefligen, grau-grünen Rauch...