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Die Entscheidung (Mitte bis spätes 19. Jahrhundert)
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Katharina öffnete ihre Schmuckschatulle. Sie nahm eine ihrer Halsketten und gab sie ihrer Kammerdienerin. „Anlegen, bitte!“ Während ihre Kammerdienerin ihr den Schmuck umlegte, zerrte die Zofe am Korsett, welches langsam Katharinas Lungen zuschnürte. Sie musste sich damit abfinden, dass sie Heinrich Beringer heiraten sollte. Kein großer Name in Adelskreisen. Noch kein großer Name. Und doch eine umso größere Entscheidung für Katharina. Sie handelte nicht so, weil sie diesen Mann liebte oder weil sie sich bereits mit neunzehn Jahren eine eigene Familie gründen wollte. Sie musste es tun. Die Zofe puderte Katharina das Gesicht. Langsam erhellte sich ihr Teint. In ein paar Stunden würde sie eine komplett neue Rolle in der Gesellschaft erhalten. Sie wäre nur noch Katharina von Priesnitz, die Frau an Heinrichs Seite. Man steckte ihr den ringförmigen, weißen Schleier auf die hochgesteckten Haare. Der Moment, vor dem sich Katharina mehr fürchtete als dass sie ihn freudig erwartete, rückte immer näher.
Nun stand Katharina vor der Kapelle. Ihre Eltern hatten eine riesige Veranstaltung aufgezogen. Gleich vierhundert Gäste sollten nun endlich erkennen, dass die von der Sprees wieder einen Namen in der Gesellschaft haben. Ruhm und neue Ehre glänzten in den Augen der Eltern, ein neues Leben in den Kreisen des Landadels funkelte in den Augen des zukünftigen Ehemannes. Nur bei Katharina funkelte und glänzte nichts. Ihre Augen waren leer und zeigten nur die eher trostlos arrangierten Rosengestecke an der Kappelentür. Langsam betrat sie das Gebäude. Alle Blicke richteten sich auf sie. Jeder schaute ihr zu und während sie den Weg zwischen den braunen Sitzbänken beschritt, drückte ihr Kleid immer mehr. Die Holzbänke schienen auf sie zu zeigen. Wie ein warnender Pfeil. Sie erdrückten Katharina in ihrem Kleid. Angst wuchs in ihr, diese Rolle nicht erfüllen zu können. Als Frau an Heinrichs Seite geistig zu verkümmern. Sie fühlte sich zu mehr berufen. Aber sie durfte es nicht. Das Bild ihres Zukünftigen wurde immer größer, je näher sie auf ihn zu trat. Die Haarspangen bissen sich in ihren Kopf und hinter ihrer Schminke fühlte sie sich wie hinter einer Maske. Dann trat auch noch ihr Vater zur Seite und setzte sich hin. Der helfende Arm brach ab und Katharina dachte, sie fiele plötzlich nach rechts. Doch sie konnte nicht zur Seite fallen und sie konnte auch nicht zurück. Ihre Beine wiesen nur nach vorn.
Dann stand Katharina am gold verzierten und mit Blumen geschmückten Altar. Hinter diesem stand der schwarz gekleidete Pfarrer auf einer kleinen Empore. Voller Euphorie blickte er sie an. Genauso wie Heinrich, dessen Augen immer mehr zu glänzen schienen. Katharina wandte sich um. Alle Bänke waren voll besetzt. Jeder schaute zu ihr herauf. Bunte und imposante Kleider, reich beschmückte Hüte und elegante Anzüge zogen sich durch die Bänke der Kapelle. Aber alle bewunderten nur das Kleid der Braut. Mit vielen Stickereien, Seidenrosen und einer riesigen Krinoline. Eine große Kuppel, unter der sich Katharina noch mehr verlor. Der Priester hob die Stimme. Katharina drehte sich wieder um. Ein schier nicht enden wollender Monolog begann. Über Liebe, Treue, Zuversicht. Über gute und schlechte Tage. Über Gott und seinen Beistand. Über Geburt, Leben und Tod. Eigentlich über Katharinas komplettes kommendes Leben. Doch diese war nahezu erfreut, dass sich die wichtigste aller Fragen noch hinauszögern ließ. Trotzdem kam sie schneller als erwartet und gewünscht: „Katharina Friederike Charlotte Maria von der Spree, möchten Sie den hier...“, die Worte des Priesters wurden länger und länger, „...bis das der Tod euch scheiden möge?“ Da war sie. Die Frage. Der Priester hatte die Stimme gehoben. Nun war es still. Alle warteten. Was würde Katharina sagen? Voller Vorfreude erwarteten die Gäste die Antwort der Braut. Trotzdem vergaßen sie auch nicht – in einem kleinen Eck ihres Kopfes – dass es auch die andere Möglichkeit gäbe. Die andere Antwort. Das Gegenteil von ja. Katharina atmete tief ein.
„Ja!“ – man merkte, wie allen Anwesenden sämtliche Steine vom Herzen fielen. Das war sie, die richtige Antwort. Der Schritt in ein neues Leben. Nach dem Hochzeitskuss jubelten alle dem Paare zu. Schneeweiße Tauben flogen durch den Raum und es regnete dunkelrote Rosenblätter. Katharina hatte wirklich ja gesagt. Ihre Mutter sah eine glänzende Zukunft, ihr Vater wusste sein Weingut gerettet und ihr neuer Gatte hatte schon vor Augen, wie er in das große Gutshaus zu Katharina zöge. Nur eine Frau konnte all diese Freude und Euphorie nicht teilen. Und dann gerade die Frau, die mitten drin im Trubel stand und von allen betrachtet, bejubelt und angelächelt wurde. Nur eine Frau wollte nun nicht mit der glücklichen Braut tauschen – die glückliche Braut selbst. Katharina hatte Ja gesagt und tief im Innern Nein gemeint.