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Die Feder eines raren Vogels

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28.12.2009
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Die Feder eines raren Vogels

Ich sehe den Vogel immer noch vor mir, wie er sich aufbäumt, die Kraft in diesem kleinen Körper, die Bewegungen seiner Flügel, ich müsste nur meine Hand nach ihm ausstrecken, die weichen Federn berühren, so perfekt in Form und Anordnung, die Finger durch das biegsame Kleid gleiten lassen, bis tief zu den Daunen und weiter zum Brustbein, unter dem das Herz schlägt, es schlägt mehr als tausend Mal in der Minute. Wenn du eine Feder nimmst und sie gegen das Licht hältst, siehst du Vollkommenheit; die Feder macht das Geschöpf, trägt es durch die Lüfte in die Weite, elegant, in Balance, atemberaubend sicher.

Wir befreien ihn aus dem Netz, sagte mein Vater. Und dann wirst du sehen, das wird wieder, er wird wieder fliegen, warts ab.
Den Vogel, es war eine junge Amsel, holten eine halbe Stunde später die Katzen.
Es war seine Schuld. Er hatte das Netz gespannt. Er hatte das Netz über das Beet gespannt, nicht wegen den Vögeln, sondern wegen den Katzen.
An diesem Tag trank ich das erste Mal Alkohol.
Es war gut.
Viele sagen, der erste Schluck schmecke bitter oder scharf.
Ich mochte es.
Es war der Rest aus dem Glas, das mein Vater auf dem Küchentisch stehen gelassen hatte.
Glatt wie Öl.
Ich fand die Federn am Abend unter einem Holunderbusch.
Mein Vater schüttelte den Kopf.
Nein.
Nein, wiederholte ich und steckte mir eine Feder in die Hosentasche.
Etwas verschmolz an diesem Tag zu einem neuen Element in mir, zwei voneinander getrennte Dinge wurden eins, wurden zu einem Wesenszug, einer Eigenschaft, zu einem bestimmenden Teil meines Charakters: die dunkelbraune, klare Flüssigkeit, so warm in meinen Eingeweiden, die von dort das Gefühl der Benommenheit, der sanften Auflösung in mir entfachte, dann die Berührung der Feder, kaum spürbar, nur ein Hauch, eine ungeahnte Zärtlichkeit, Freiheit versprechend.

Die Sonne brennt heute schon am Vormittag. Doch die Hitze macht mir seit Angola nichts mehr aus. Ich sitze auf der Veranda und lese Annoncen in der Tageszeitung. Das ist alles, was ich im Moment tun kann. Nach drei Malariainfektionen lassen sie mich nicht mehr zurück. Die Verantwortlichen überlegen sich gerade eine neue Position für mich. Sie lassen sich Zeit dabei. Irgendwann werden sie mir ihre Entscheidung mitteilen. Ich kann mir schon vorstellen, was sie vorhaben, doch ich will auf keinen Fall an einem Schreibtisch sitzen.

Mein Vater züchtete in seinen Beeten Kürbisse, nichts anderes. Er wollte die größten Kürbisse der Siedlung züchten. Er befand sich in einem ständigen Wettstreit mit einem Nachbarn. Die letzten Jahre hatte mein Vater den größten Kürbis der Siedlung gezüchtet, und er tat alles dafür, dass es auch so blieb. Er düngte und wässerte und spannte Netze über die Beete, damit die Katzen dort nicht ihren Kot vergraben. Ich habe nie darauf geachtet, auf die Beete und die Netze, bis sich die Amsel darin verfangen hatte.

In Angola habe ich in einem alten Gefängnis gearbeitet, das man zu einem Krankenhaus umgebaut hat. Sie nennen es das Gefängnis des Doktor Igi. Sie sagen, es ist ein gutes Gebäude, denn es hat vier Wände und ein Dach. Dächer sind selten in Mussende. Damals gab es keine vernünftigen Straßen mehr, Straßen, die befahrbar waren. Der Bürgerkrieg dauerte fast dreißig Jahre. Den letzten Rest des Weges zur Klinik mussten wir mit dem Fahrrad bewältigen, es ging nicht anders. Die Tage begannen gleich nach Sonnenaufgang. Wir haben uns im Bach gewaschen und rasiert. Wir haben niemals den Trampelpfad verlassen. Keiner wusste, ob und wo noch Minen liegen. In Angola gibt es viele seltene Vögel. Das mit den Netzen funktioniert überall. Manchmal dauert es etwas. Ich töte sie nicht dabei, das habe ich nie getan. Natürlich sind einige umgekommen, gestorben, doch nicht durch meine Hand. Es ist auch nicht oft vorgekommen. In all den Jahren vielleicht zehn, elf Mal. Ich nehme nur die Feder, eine einzige Feder. Es muss eine schöne Feder sein, mit all den Farben. Ich gebe zu, ich bin nicht alleine wegen der Federn nach Afrika gegangen, sondern vor allem wegen der anderen Sache. Ich dachte, die Entfernung und all das … und ich habe es die meiste Zeit geschafft, aber eben nicht immer. Ich denke, das ist nur menschlich. Ich habe nie betrunken operiert. Nach der ersten Malaria hatte ich mich nicht im Griff, danach wurde es wieder besser.

Wenn man wartet und nichts tun kann, dann trinkt man. So ist das. Ich trinke drei Gläser am Tag, nicht mehr. Mehr erlaube ich mir nicht. Ich habe niemanden, und ich denke, das wird sich auch nicht mehr ändern. Ich werde auch nicht mehr nach Angola zurückkehren. Mir könnte es also egal sein, aber das ist es nicht. Ich warte auf etwas Großes. Ich spanne die Netze so locker es geht. Ich wohne ziemlich weit draußen, und manchmal verirrt sich ein Eichelhäher in die Gegend. Natürlich besitze ich bereits die Federn dieses Vogels, aber wer weiß? Eine Sammlung ist nie beendet.

Romina war sechs Jahre alt. Sie wurde in der Baumsavanne Angolas geboren, noch während des Bürgerkriegs. Die Knochentuberkulose hatte ihre Wirbelsäule angegriffen, sie war unterhalb der Hüfte gelähmt. Sie spürte den Schmerz nicht, als die glühende Holzkohle ihre Beine verbrannte. Sie weinte jedes Mal, wenn ich sie wenden musste, um sie zu versorgen, trotz der starken Medikation. Der Schmerz kam durch die Wunden, die durch das lange Liegen entstanden sind, sie hatten sich bereits bis zum Knochen durchgefressen. In Angola gibt es einen sehr seltenen Vogel, den Vanga, er gehört zur Familie der Brillenwürger. Er wird nur sporadisch gesichtet und man weiß wenig über seine Lebensweise. Erst vor ein paar Jahren gelangen einer Gruppe Forscher die ersten Fotografien. Sein Gefieder ist schwarz, der Körper so grau wie nasses Schiefer, die Schwanzspitzen schneeweiß. Um die Augen besitzt er eine kreisrunde rote Falte, die ihm seinen Namen gibt.
Ich habe ihn aus dem Netz befreit und zwei seiner Federn behalten. Ich hatte das Netz unten am Bach aufgespannt, mitten im Busch. Ich wusste, es war gefährlich, aber ich habe den Boden vorher mit einem Stock nach Minen abgesucht.
Ich habe Romina später gesagt, dass dies die Feder eines sehr seltenen, eines raren Vogels ist, den kaum jemand jemals gesehen habe, dass der Vogel nur wegen ihr gekommen sei und einen Teil von sich dagelassen habe, als ein Versprechen, dass sie bald wieder gesund wird.

Hier im Garten spanne ich meine Netze über Beete, in denen ich nichts anpflanze. Ich züchte keine Kürbisse wie mein Vater. Doch in guter Erde gedeihen Würmer. Man muss warten können, man muss Geduld haben. Mein Vater züchtete zwanzig Jahre lang die größten Kürbisse der Siedlung. Bis der Nachbar starb. Dann zog eine Familie aus der Stadt neben uns ein und die jüngste Tochter zeigte Interesse. Mein Vater brachte ihr alles bei, wie man die Samen richtig anzüchtet, die Pflanzen abhärtet, den Boden vorbereitet. Sie brauchte nur ein paar Wochen. Nach dem Sommer hörte mein Vater mit den Kürbissen auf.
Ein Mädchen, sagte er zu mir. Fast noch ein Kind. Endlich, nach all den Jahren.
Danach ging er nie wieder zu den Beeten. Er blieb alleine in der Küche. Er trank jeden Tag eine halbe Flasche Courvoisier für den Rest seines Lebens.
Ich sagte, ich kümmere mich ab jetzt um die Beete.

Romina starb ein paar Wochen später. Ich weiß nicht, was mit der Feder geschehen ist. Ich lag mit meiner zweiten Malariainfektion in einem Bundeswehrkrankenhaus. Ich hatte die Fieberschübe ignoriert, solange es ging. Sie mussten mich ausfliegen. Sie sagen, dass man wahnsinnig werden kann, wenn man es zu lange unbehandelt lässt. Vielleicht ist es das, was passiert ist.

Gestern hat sich eine Amsel in meinem Netz verfangen. Ich habe sie schon morgens gesehen, vom Küchenfenster aus, aber ich habe noch gewartet. Man muss Geduld haben. Da ist etwas Unschuldiges an ihnen, wenn ich sie aus dem Netz befreie. In diesem Augenblick war es die gleiche Amsel wie damals, als mein Vater die größten Kürbisse der Siedlung gezüchtet hat. Wie wenn man einen dünnen Bleistift zerbricht, so hat es sich angefühlt. Danach bin ich wieder in die Wohnung gegangen und habe mir meine Sammlung angesehen, jede Feder ordentlich hinter kleinen, quadratischen Glasscheiben sortiert, mit Name, Ort und Datum.

Das war das erste Mal, dass ich dachte, es wäre Zeit zu sterben.

 

"Blackbird singing in the dead of night
Take these broken wings and learn to fly
All your life
You were only waiting for this moment to arise

Blackbird singing in the dead of night
Take these sunken eyes and learn to see
All your life
You were only waiting for this moment to be free

..."
"Blackbird" (Lennon/McCartney)​


Hab bestimmt schon erzählt, dass ich als etwa acht/neunjähriger (ob ich schon beim BDP* mit freundlicher Unterstützung war, weiß ich nicht mehr, außer dass ich schon als Wölfling den mit Rum angereicherten Tee mittrank) einen buchstäblich „abgestürzten“ Falken „pflegen“ wollte, was ziemlich „in die Hosen“ ging.

Heute würde ich allemal ein Tierheim in der Nähe als Krankenstation empfehlen - was natürlich im kindlich/jugendlichen Drang, selbst was zu tun, gar nicht erst in Betracht kam.

Aber warum ich so früh mich melde liegt an einer – ich nenn’s mal – abenteuerlichen Genitivbildung

Er hatte das Netz über das Beet gespannt, nicht wegen den Vögeln, sondern wegen den Katzen.

(Genitiv „wegen der Vögel“ etc.)

und hier

..., das wird wieder, er wird wieder fliegen, warts ab.

empfehl ich den Apostroph „wart’s“ ab, der anzeigt, dass wenigstens ein Buchstabe („… wart es ab“) ausgeschlossen wurde ...

Bis bald,

Friedel

 

Hallo. Ich habe deinen Text sehr gern gelesen. Starke Bilder, konsistenter Erzählton, ergreifende Geschichte. Vieles, das über Assoziationen wirkt. Anzumerken im Sinn von Kritik habe ich daher diesmal nicht viel, zitiere dafür einige Stellen mir, die ich für sehr gelungen halte.

Ich sehe den Vogel immer noch vor mir, wie er sich aufbäumt, die Kraft in diesem kleinen Körper, die Bewegungen seiner Flügel
Mit diesem Wort hab ich ein Problem. Ich kann mir das Aufbäumen eines Vogels schlecht vorstellen. In der Regel bäumen sich große Vierbeiner auf. Doch wie ein kleines Tier, das nur zwei Beine hat?

Den Vogel, es war eine junge Amsel, holten eine halbe Stunde später die Katzen.
Es war seine Schuld. Er hatte das Netz gespannt. Er hatte das Netz über das Beet gespannt, nicht wegen den Vögeln, sondern wegen den Katzen.
... wegen der, Genitiv.


An diesem Tag trank ich das erste Mal Alkohol.
Lapidar und somit stark, Parade wie es kurz und bündig geht.
:thumbsup:


Ich habe nie betrunken operiert.
Authentisch

Sie sagen, dass man wahnsinnig werden kann, wenn man es zu lange unbehandelt lässt
Ist er nicht selbst Arzt?


Das war das erste Mal, dass ich dachte, es wäre Zeit zu sterben.
Kurzer lapidarer Abschluss, ich finde ihn stark.
:thumbsup:

Gruß von Flac

 

Ich noch mal,

lieber jimmy,

denn was ich noch gar nicht angesprochen habe ist im Titel das Attribut/Adjektiv „rar“, das spätestens im 17. Jh. mit dem frz. Lebensstil der gehobenen Klassen im deutschen Sprachraum „einwanderte“ und näherungsweise „selten“ und „schwer erhältlich“ bedeutet – wie bei den Briefmarkensammlern und vor allem dem „freien“ Markt.

Verletztes oder geschädigtes Leben ist keine Rarität, findet der

Friedel

 
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Hallo @jimmysalaryman

Finde den Text gelungen. Der Einstieg ist wirklich schön und spätestens beim Background mit dem angolanischen Bürgerkrieg hattest Du mich. Eine runde Sache, denke ich, habe nicht viel anzumerken, trotzdem ein paar Dinge, die ich mir notiert habe:

Wenn du eine Feder nimmst und sie gegen das Licht hältst, siehst du Vollkommenheit; die Feder macht das Geschöpf, trägt es durch die Lüfte in die Weite, elegant, in Balance, atemberaubend sicher.
Wie gesagt, schöner Einstieg, aber das mit dem 'atemberaubend' war mir fast etwas zu viel, es kommt auch so gut zur Geltung, was der Erzähler dabei denkt, elegant und in perfekter Balance, sicher. Das würde für mich ausreichen.

An diesem Tag trank ich das erste Mal Alkohol.
Es war gut.
Viele sagen, der erste Schluck schmecke bitter oder scharf.
Ich mochte es.
Würde ich streichen, weil danach kommt ja 'Ich mochte es', also war es gut.

Nach drei Malariainfektionen lassen sie mich nicht mehr zurück.
Es wird dann nur von den zwei Malariainfektionen berichtet und was um die herum passiert ist. Verstehe mich nicht falsch, es braucht die dritte nicht unbedingt, aber ich habe darauf gewartet, was bei der dritten Infektion passiert ist.

Den letzten Rest des Weges zur Klinik mussten wir mit dem Fahrrad bewältigen, es ging nicht anders.
Braucht es meiner Meinung nach nicht. Es wird auch so klar, dass es nicht anders ging, weil vorher vom Bürgerkrieg erzählt wird, da kann man sich das sehr leicht vorstellen, das es eben nicht anders ging.

Sie sagen, dass man wahnsinnig werden kann, wenn man es zu lange unbehandelt lässt.
Okay, kann sein, das kaufe ich schon, Halluzinationen etc. bei sehr hohem Fieber, aber so als nicht-resistenter Europäer (man kann tatsächlich eine Resistenz gegen Malaria aufbauen, einfach in dem man die Krankheit oft genug hat, habe ich schon von etlichen Leuten gehört) kann man auch sehr gut dran sterben. Klar, kommt auf die Art der Malaria an, die tropica ist ja die Schlimmste, aber leider auch die am weitesten verbreitetste in Subsahara-Afrika. Mortalität bei Nichtbehandlung liegt um die 20% (für Europäer dürfte sie höher sein), finde ich schon relativ hoch. Naja, das nur nebenbei. Aber da er ja Arzt ist oder zumindest -Assistent, weiss er vielleicht Bescheid, welche Malaria er hatte? Die Verläufe unterscheiden sich nämlich.

Dann noch ein Punkt, den ich etwas vermisst habe: Wann er genau in Angola war, das wird ja nicht näher benannt, aber ich habe mich gefragt, ob es nicht vielleicht schon eine Art Prophylaxe/Vorsorgebehandlung gegen Malaria gegeben hat? Ich weiss jetzt nicht, wann da genau Medikamente auf den Markt gekommen sind, aber daran geforscht wurde, so viel ich weiss, bereits in den 30er, 40er- Jahren. Wegen seiner Arbeit müsste er da wenn ja einfachen Zugang gehabt haben, vielleicht war das sogar Pflicht, irgendwelche Tabletten (vorbeugend) zu nehmen? Ich war zumindest etwas erstaunt, dass gar nichts in die Richtung erwähnt wurde im Text.

Die Malariatabletten sind aber sowieso so eine Sache für sich. Also auch wenn man die prophylaktisch einwirft (gibt welche, die muss man täglich nehmen, andere wöchentlich), eine Garantie, dass Du keine Malaria bekommst, gibt's nicht. Da bleibt immer ein Restrisiko. Abends in der Dämmerung lange Kleidung tragen, auch wenn's heiss ist, und des Nachts unter einem Mückennetz pennen, sich mit Moskitorepellent einreiben, das sind so die gängigen Tipps um eine Infektion zu verhindern. Die Tabletten haben übrigens eherbliche psychische Nebenwirkungen, die sind echt heavy, da wirft man sich einen deftigen Chemie-Cocktail ein (hab kurz nachgeschaut, Wirkstoff 'Mefloquin'), deshalb hab ich die auf meinen Reisen auch nur für den Notfall dabei (kommt noch dazu, dass die schweineteuer sind). Bestes Mittel gegen Mückenstiche/Malaria, aus eigener Erfahrung: Sich Abends mit Bier einreiben oder einfach genug saufen, dann lassen einen die Biester in Ruhe und man kann gut auch ohne Netz pennen (da drunter staut sich die Hitze, das glaubt man nicht!) :D

Naja, vielleicht bisschen Off-Topic auch, aber vielleicht hilft ja die ein oder andere Anmerkung was.

Wie gesagt: Hat mir gut gefallen. :thumbsup:

Gruss,
d-m

 

Hab bestimmt schon erzählt, dass ich als etwa acht/neunjähriger (ob ich schon beim BDP* mit freundlicher Unterstützung war, weiß ich nicht mehr, außer dass ich schon als Wölfling den mit Rum angereicherten Tee mittrank) einen buchstäblich „abgestürzten“ Falken „pflegen“ wollte, was ziemlich „in die Hosen“ ging.

Hallo Freatle,

ich denke, irgendwie haben alle meine Texte eine realistischen Glutkern, also in diesem Fall ist meiner Frau eine Amsel ins Netz über unserem Hochbeet gegangen und verfing sich, wir haben sie natürlich befreit und es geht ihr gut, aber das war so der Ausgangspunkt. Sind oft nur kleine Dinge, die den Anstoß geben, aber so denke ich eben, Schritt für Schritt. und dann wird es gut oder nicht.

Grammatik fuck ups werden korrigiert, muss erstmal belgisches Royal Stout trinken, Wetter ist zu gut noch.

Besten Dank.

Gruss, Jimmy

 

Hey @jimmysalaryman ,

stimmungsvoller, melancholischer, trauriger Text. Wie immer sehr gerne gelesen. Ist recht viel, was hier in wenigen Zeilen erzählt wird. Es wirkt darin manchmal etwas rastlos und ich frage mich schon: warum nimmt der Autor sich nicht mehr Erzählzeit? Das ist unter den Top-10 Kritikpunkten, die ich für meine Stories regelmäßig zu hören bekomme, bestimmt unter den ersten drei Dingen. Insofern weiß ich auch, warum man das macht. Man möchte einen dichten, dringlichen Text mit höchstmöglicher Tiefe und natürlich ohne Kitsch. Das ist dir gelungen. Allerdings wirkt er, wenn auch in keiner Weise kitschig, in seinen Zwischentönen manchmal pathetisch. Ich glaube, du hast mal geschrieben, dass du das gut findest. Ich meine die geschilderten Krankheiten, der nur angedeutete Bürgerkrieg, die Dichte an dramatischen Wendungen und aufgeladenen Bildern. Um es kurz zu machen: ich mag so was und deswegen hast du mich mit dem Text.

nicht wegen den Vögeln, sondern wegen den Katzen.

wegen der Vögel/Katzen, oder?

An diesem Tag trank ich das erste Mal Alkohol.
Es war gut.
Viele sagen, der erste Schluck schmecke bitter oder scharf.
Ich mochte es.
Es war der Rest aus dem Glas, das mein Vater auf dem Küchentisch stehen gelassen hatte.
Glatt wie Öl.

Ist schon ein recht ruppiger Wechsel. Klar, ist ein Bruch – aber las sich wirklich ruppig.

Die Sonne brennt heute schon am Vormittag. Doch die Hitze macht mir seit Angola nichts mehr aus. Ich sitze auf der Veranda und lese Annoncen in der Tageszeitung. Das ist alles, was ich im Moment tun kann. Nach drei Malariainfektionen lassen sie mich nicht mehr zurück. Die Verantwortlichen überlegen sich gerade eine neue Position für mich. Sie lassen sich Zeit dabei. Irgendwann werden sie mir ihre Entscheidung mitteilen. Ich kann mir schon vorstellen, was sie vorhaben, doch ich will auf keinen Fall an einem Schreibtisch sitzen.

Ein Beispiel für die Neigung des Textes vieles in Andeutungen möglichst unauffällig zu skizzieren und damit die Informationsverteilung besonders geschickt zu lösen.

damit die Katzen dort nicht ihren Kot vergraben

vergruben? Ist schließlich Vergangenheitsform, was du erzählst.

Schön mal wieder dabei gewesen zu sein.

Beste Grüße
Carlo

 

Salut @jimmysalaryman,

jemand fragte, wie man ein ganzes Leben in einer kurzen Geschichte erzählt und ein anderer meinte, er solle mal @jimmysalaryman fragen. Das ist ein Text, den ich beginne und einfach durchlese, mich am Ende wundere, dass ich schon durch bin. Er hätte einfach weiter so durch meinen Geist mäandern können. Ich wäre ihm gefolgt.

Du hast geschrieben, eine Amsel im Netz überm Hochbeet war der Dreh- und Angelpunkt. Ich schätze, man kann sich Routinier nennen, wenn man daraus dann eine Geschichte (ein ganzes Leben) baut, mit all den Werkzeugen die man an der Hand hat - nach so vielen Jahren schreiben.

Mir hat es sehr gut gefallen. Ich habe die Vögel gesehen, seine Aufgabe in Angola, kann mich an die Nachrichten über den Bürgerkrieg gut erinnern, kenne jemanden, der Malaria hat, was man ja immer hat, ist sie einmal da. Vor allem aber ist es der ruhige Fluss, dem ich gerne folge, der Teil deines Stils ist.

Vielleicht gibt es ja auch so was wie die Altersweisheit beim Schreiben. Jedenfalls meine ich, dass man sie ab und zu (nicht nur bei dir) hier und da entdeckt. Kann Routine sein, aber das ist mir zu wenig. Schließlich drehen wir keine Schrauben rein, sondern lassen Menschen reden und etwas tun, die wir vorher nicht kennen.

Grüße
Morphin

 

Hallo. Ich habe deinen Text sehr gern gelesen. Starke Bilder, konsistenter Erzählton, ergreifende Geschichte. Vieles, das über Assoziationen wirkt. Anzumerken im Sinn von Kritik habe ich daher diesmal nicht viel, zitiere dafür einige Stellen mir, die ich für sehr gelungen halte.

Moin, und erstmal danke für das Lob. Text ist so als kleine Fingerübung entstanden, bereite mich auf eine längere Sache vor.

Mit diesem Wort hab ich ein Problem. Ich kann mir das Aufbäumen eines Vogels schlecht vorstellen. In der Regel bäumen sich große Vierbeiner auf. Doch wie ein kleines Tier, das nur zwei Beine hat?
In der Tat schwierig. Mir fällt aber auch nichts Besseres auf die Schnelle ein? Was könnte man da nehmen?
Ist er nicht selbst Arzt?
deserted monkey hat da ja einen ganzen Absatz zu geschrieben, wie genau das mit der Malaria ist, ich habe da nicht die Hälfte von gewusst. Ich habe allerdings mal eine Zeit lang viel mit Missionaren der Steyler Mission zu tun gehabt, die in der ganzen Welt die Heiden missionierten, und einer von denen durfte nicht mehr in sein Land zurück, weil er bereits drei Infektionen hatte; der sagte mir dann, dass man wahnsinnig werden könne. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich stimmt, ich nehme mal an, das ist wie mit der Syphillis, wo man auch geistig umnachtet bei unbehandeltem Verlauf stirbt, aber ich finde, es klingt gut, fatalistisch, das ist meine Ausrede! Natürlich müsste er das als Arzt selbst wissen, klar, so kann man argumentieren, ich denke, es ist eher so etwas, was man so dahin sagt: Vielleicht ist es das. Ich denke, er würde auch das Gleiche sagen, wenn er es wüsste. Oder: Ich habe ihn das sagen lassen, weil ich fand, dass es fatalistisch genug klang, haha.

Kurzer lapidarer Abschluss, ich finde ihn stark.
Danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit!

wird fortgesetzt

Gruß, Jimmy

 

Finde den Text gelungen. Der Einstieg ist wirklich schön und spätestens beim Background mit dem angolanischen Bürgerkrieg hattest Du mich.

Danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

War gespannt, was du sagst. Der ganze Afrika-Hintergrund ist natürlich frei erfunden, habe ich mir etwas bei Thom Jones abgeguckt, der hatte auch öfters in seinen Stories so einen ziemlich abgefuckten Arzt, der oft in sogenannte Dritte-Welt-Ländern arbeitete und dann da vollkommen durchdrehte.

Wie gesagt, schöner Einstieg, aber das mit dem 'atemberaubend' war mir fast etwas zu viel, es kommt auch so gut zur Geltung, was der Erzähler dabei denkt, elegant und in perfekter Balance, sicher. Das würde für mich ausreichen.
I hear you. Wird bei der nächsten Überarbeitung ausgedünnt.

Es wird dann nur von den zwei Malariainfektionen berichtet und was um die herum passiert ist. Verstehe mich nicht falsch, es braucht die dritte nicht unbedingt, aber ich habe darauf gewartet, was bei der dritten Infektion passiert ist.
Das war so das gedachte Ende; er wird nach der dritten Infektion wahnsinnig oder weiß es selbst nicht so genau. Muss ich nochmal ran, wenn es sich nicht sofort so logisch liest.

Dann noch ein Punkt, den ich etwas vermisst habe: Wann er genau in Angola war, das wird ja nicht näher benannt, aber ich habe mich gefragt, ob es nicht vielleicht schon eine Art Prophylaxe/Vorsorgebehandlung gegen Malaria gegeben hat? Ich weiss jetzt nicht, wann da genau Medikamente auf den Markt gekommen sind, aber daran geforscht wurde, so viel ich weiss, bereits in den 30er, 40er- Jahren. Wegen seiner Arbeit müsste er da wenn ja einfachen Zugang gehabt haben, vielleicht war das sogar Pflicht, irgendwelche Tabletten (vorbeugend) zu nehmen? Ich war zumindest etwas erstaunt, dass gar nichts in die Richtung erwähnt wurde im Text.
Ist sehr guter Input. Muss ich mir etwas überlegen; könnte es sein, dass er bereits prophlyaktisch etwas genommen hat, sich aber trotzdem ansteckt? Siehst du, das sind so Punkte, an denen man nicht vorbeikommt, wenn man sich nicht nur damit beschäftigt, sondern tatsächlich verinnerlichtes Wissen ist. Du musstest dich ja damit auseinandersetzen, es war sozusagen elementar, das erzeugt ein anderes Wissen, andere Inhalte. Sehr wertvoll, überlege ich mir was, vielleicht hat er tatsächlich ein Medikament genommen und es hat trotzdem nicht richtig gewirkt, ich recherchiere.

Ja, danke dir für deinen sehr guten Input, der Text ist ja noch in Bewegung.

wird fortgesetzt!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo nochmal Jimmy,

Freut mich, dass ich etwas Nützliches beitragen konnte. Um vielleicht nochmal auf einen oder zwei Punkte einzugehen:

könnte es sein, dass er bereits prophlyaktisch etwas genommen hat, sich aber trotzdem ansteckt?
Ja, das kann sehr gut sein. Ich glaube, bei meiner ersten Beratung hat mir der Tropenarzt gesagt, das schütze so zu 70-80%, ein Restrisiko ist also durchaus da. Ich habe auch mit Leuten von einem dänischen Hilfswerk (Prävention von Aids, natürlich auch ein Riesenthema) in Afrika zu tun gehabt, die haben mir gesagt ich sei doch lebensmüde, die Tabletten nicht zu nehmen. Naja, zwei Monate später traf ich einen davon wieder, er lag mit 'ner schweren Malaria im Spital. Ich hatte zum Glück noch nie eine Malaria.

@Morphin schreibt:

der Malaria hat, was man ja immer hat, ist sie einmal da.
Jede Malaria ist ja behandelbar. Ich glaube aber, der Erreger kann nicht richtig abgetötet werden, also der wird nur irgendwie inaktiv gemacht im Körper durch die Behandlung. Wenn man Pech hat, kann die Malaria dann sogar noch Jahre später wieder ausbrechen. Meinst Du das?

Wegen dem wahnsinnig werden nochmal: Also das mit den Tabletten würde auch sehr gut dazu passen, weil die wie gesagt, schwere psychische Nebenwirkungen auslösen können. Hier mal von Wikipedia:

Neurologic effects include dizziness, loss of balance, seizures, and tinnitus. Psychiatric effects include nightmares, visual hallucinations, auditory hallucinations, anxiety, depression, unusual behavior, and suicidal ideations.
Deshalb hab ich die Dinger auch nie genommen, aber die Nebenwirkungen sind sicher von Mensch zu Mensch unterschiedlich, ist klar. Ich wollte das Risiko aber nicht eingehen. Als ich den Beipackzettel gelesen habe, dachte ich mir: Nee, da hol ich mir lieber 'ne Malaria :D

Noch allgemein was: Es grassieren in Afrika natürlich noch viel mehr Krankheiten, Typhus, Cholera, Tollwut, Gelbfieber, Dengue-Fieber, in Madagaskar gibt's sogar noch die Pest. Also eigentlich so alles, was man sich nur vorstellen kann. Beim Essen sollte der Grundsatz cook it, peel it, or leave it gelten, dann sollte man auch keine gröberen Probleme kriegen. Vor meiner ersten Reise nach Ostafrika musste ich mir aber dermassen viel Zeug reinspritzen lassen, dass ich tagelang Nierenschmerzen hatte ...

So, das war's dann von mir.

Grüsse und frohes Schaffen,
d-m

 

Man möchte einen dichten, dringlichen Text mit höchstmöglicher Tiefe und natürlich ohne Kitsch. Das ist dir gelungen. Allerdings wirkt er, wenn auch in keiner Weise kitschig, in seinen Zwischentönen manchmal pathetisch. Ich glaube, du hast mal geschrieben, dass du das gut findest.
Hallo Carlo, und danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Ja, Kompression war hier so das Stichwort. Schwer zu sagen, ich plane das eigentlich nie, das entwickelt sich einfach organisch, wie sich ein Text nachher zusammenfügt. Schwierig, dass im Nachhinein zu bewerten oder zu analysieren. Das sind ja kleine Fragmente, die sich zusammensetzen, die natürlich auch so passend gemacht wurden, keine Frage. Man kann sich ja immer nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Selektion fragen, warum wurden jetzt ausgerechnet genau diese Momente szenisch verarbeitet, und welche Aussage sollen die haben? Das entscheidet der Autor ja nicht willkürlich, sondern eben aus einer dramaturgischen Strategie heraus. Pathethisch, da bin ich mir unsicher. Für mich klingt Pathos immer so nach einer Heldensaga, nach geschwollener Sprache und absichtlich erzeugter Tiefe; ist das hier der Fall? Wenn ja, bitte unbedingt mal genau zitieren, wo das der Fall wäre. Gut finde ich Pathos nämlich nicht, er lässt sich nur manchmal nicht ganz vermeiden.

Ich meine die geschilderten Krankheiten, der nur angedeutete Bürgerkrieg, die Dichte an dramatischen Wendungen und aufgeladenen Bildern.
Ich verstehe. Aber ist die reine Erwähnung dessen schon Pathos? Ich kriege das nicht zusammen, klar ist das dicht und auch voll, aber Pathos wäre es meiner Meinung nach, wenn es ergriffen und gefühlig abgefeiert wird, wenn diese Szenen eigentlich nur ihre eigene Wichtigkeit und Tiefe vortäuschen. Für mich klingt Pathos auch immer nach fake, nach einem affektierten Aufgeblasensein. Deswegen ist das für mich erstmal nicht ein gutes Qualitätskriterium, um ehrlich zu sein, also auch nicht nur rein bezogen auf meine Texte. Ich denke aber, du meinst es etwas anders - das hier auf engstem Raum recht viel Drama erzählt wird, das gibt dem Text meiner Meinung nach etwas fatalistisches, vielleicht auch existenzielles. Aber lass da mal gerne drüber debattieren, mich interessiert das ja sehr.

Ist schon ein recht ruppiger Wechsel. Klar, ist ein Bruch – aber las sich wirklich ruppig.
Bin ich dran!

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

jemand fragte, wie man ein ganzes Leben in einer kurzen Geschichte erzählt und ein anderer meinte, er solle mal @jimmysalaryman fragen.

Haha, danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit. Es ist nur ein Versuch, wohlgemerkt.
Vielleicht gibt es ja auch so was wie die Altersweisheit beim Schreiben. Jedenfalls meine ich, dass man sie ab und zu (nicht nur bei dir) hier und da entdeckt. Kann Routine sein, aber das ist mir zu wenig. Schließlich drehen wir keine Schrauben rein, sondern lassen Menschen reden und etwas tun, die wir vorher nicht kennen.
Ich denke, beim Schreiben muss man alles von sich geben, sonst ist es nichts. Weisheit, weiß ich nicht. Ich denke, man lernt mit den Jahren Widersprüche auszuhalten, vieles zu vergessen, Dinge nicht mehr so ernst zu nehmen; es einfach machen. Sich zu vergessen, sein Ego zu vergessen, einfach schreiben.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

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