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22. November 2024, Zeitschrift 'Der Wirtschaftspakt':
Interview mit Herrn Anton Nuchthirn, Top-Manager des Automobil-Konzerns IMO anläßlich der Verleihung des Preises "Globalisierungs-angepasstestes Unternehmen Deutschlands", Frankfurt


Roboterreporterin: Herr Nichthirn, Ihrem Unternehmen wurde dieses Jahr der Preis für das globalisierungs-angepasstete Unternehmen Deutschlands...
Nuchthirn: Entschuldigen Sie, mein Name ist Nuchthirn.
Roboterreporterin: Was?
Nuchthirn: Mein Name ist Nuchthirn und nicht Nichthirn.
Roboterreporterin: Wie? Ach so, ja.
Nuchthirn: Eben.
Roboterreporterin: Nun, dieser Preis wird alle vier Jahre dem Unternehmen verliehen, das deutschlandweit global gesehen die höchste internationale Wettbewerbsfähigkeit ausweisen kann.
Nuchthirn: Wir haben die Zeichen der Zeit schon sehr früh erkannt, und aufgrund exakter ökonomischer Analysen die Weichen in die Zukunft gestellt. Was wir jetzt ernten, sind die Früchte dieser Anstrengungen.
Roboterreporterin: Wer ist 'wir'?
Nuchthirn: Nun, das ist IMO, nicht wahr?
Roboterreporterin: Ach so, ja.
Nuchthirn: Eben. Es war damals, als entscheidende Weichenstellungen nötig wurden, eine Frage der Priorität. Es begann im Zeitalter der Globalisierung. Der technische Fortschritt, speziell im Bereich der Computerentwicklung, bedeutete enorme Produktivitätssteigerungen, mehr Effektivität bei sinkenden Personalarbeitsstunden mit beständig steigendem Kapital - wir produzierten so viel wie noch nie mit so wenig menschlichem Aufwand wie noch nie... (er lacht).
Roboterreporterin: Wieso lachen Sie jetzt?
Nuchthirn: Nun, einige Spinner damals glaubten, jetzt käme das Paradies für Menschen, Sie verstehen? Sie kennen doch diese "Science Fictions", wo sukzessive Maschinen das Arbeiten übernehmen, während Menschen nur noch die wirklich kreativen Tätigkeiten ausüben, über viel freie Zeit verfügen, sich mit Kunst und Kultur beschäftigen und Cocktails trinken, wobei sie in der Sonne liegen..?
Roboterreporterin: Natürlich eine utopische Vorstellung.
Nuchthirn: Utopisch? Keineswegs. Wiegesagt, unsere 'Maschinen' ersparten uns ja faktisch Arbeitszeit bei steigender Produktion - genau wie in den "Science Fictions". Es war vielmehr eine Frage von Priorität; und wir haben uns für Gewinnmaximierung entschieden.
Roboterreporterin: Gewinnmaximierung für die Mitarbeiter, Menschen in unserem Land?
Nuchthirn: Für das Unternehmen natürlich. Schon im Jahr 2000 wäre es bei steigendem Gewinn möglich gewesen, die 20-Stunden-Woche für Mitarbeiter einzuführen, natürlich bei vollem Lohnausgleich und ohne Leute zu entlassen - weil 'die Maschinen' die Arbeit beständig effektiver machten, hähä. Aber das hätte bedeutet, den Mehr-Gewinn, den die 'Maschinen' einbrachten, aufzuteilen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern. Und wäre das auch für uns, für IMO, das Optimale gewesen? Nein.

Roboterreporterin: Und wie reagierte die Politik, die den Menschen Arbeitsplätze versprach?
Nuchthirn: Nun, die Politik hat das alles unverzüglich verboten. Sie sagte: 'Hört sofort auf damit! Eigentum dient zum Wohl der Allgemeinheit!'
- Das war jetzt ein Witz.
Roboterreporterin: Ach so, ja.
Nuchthirn: Eben. Sie glauben doch nicht, nationale Regierungen oder Gewerkschaften haben internationalen Konzernen etwas zu sagen?
Roboterreporterin: Und wie ging es weiter?
Nuchthirn: Wir waren damals schon Spitze, im Jahr 2000. Und 2012, als die meisten anderen Automobil-Unternehmen unserer Klasse noch bei 60 bis 70 Prozent Personalabbau dümpelten, hatten wir schon 85 Prozent erreicht! Wir waren führend beim 'Modernisieren', beim Senken der Personal- und Lohnkosten.
Roboterreporterin: Was aber auch Konsequenzen hat. Heute liegt die Arbeitslosenzahl in Deutschland bei 79 Prozent.
Nuchthirn: Alles Leute, die nicht mehr gebraucht werden, weil es billiger geht.
Roboterreporterin: Nur, wer eigentlich kauft jetzt die teuren Automobile, die Sie herstellen? Sozialhilfeempfänger können sich doch das nicht leisten?
Nuchthirn: Natürlich nicht. Deshalb haben wir visionär gedacht und ein Tochterunternehmen gegründet, das künstliche Autofahrer herstellt. Diese werden als virtuelle Arbeitnehmer bezahlt, was günstiger ist als echte Menschen zu beschäftigen, da sie nicht auch noch ins Kino gehen und Popcorn fressen oder noch schlimmer - krank werden können. -
Ein weiterer Beitrag zur Umsatzstabilisierung kommt übrigens von den Vorständen, die sich halt monatlich ein paar Dutzend neue Wägen mehr kaufen als früher - was sollen sie auch sonst machen mit dem vielen Geld, schließlich ist es ja ein wenig öde, alles in Aktien zu stecken (er lacht).
Roboterreporterin: Ihr Unternehmen hat unter anderem den Preis erhalten, weil es das Unternehmen ist, das dem Optimalziel unglaublich nahe ist: Sie sind als Top-Manager und Computerexperte der letzte menschliche Mitarbeiter bei IMO...
Nuchthirn: Sie sagen es. Im Moment bin ich mit der Aufgabe betraut, ein Programm zu installieren, das Top-Manager- und Computerexpertenaufgaben übernehmen kann, ohne diese horrenden Kosten, die Top-Manager- und Computerexpertengehälter verursachen - das wird IMO den letzten entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen!
Roboterreporterin: Das heißt...
Nuchthirn: ...dass IMO danach auf mich verzichten kann! Gestern habe ich mir selbst zum nächsten Quartal die Kündigung ausgestellt.
Roboterreporterin: Und Ihren teuren Wagen werden Sie dann verkaufen müssen?
Nuchthirn: Um IMO nicht zu belasten, habe ich auf eine Abfindung verzichtet. Fortschritt hat seinen Preis. Und außerdem: wer wollte noch von Arbeitslosigkeit sprechen, wenn es keine Arbeit mehr gibt?
Roboterreporterin: Eine letzte Frage gibt es noch, die mich bewegt. Wer ist IMO denn eigentlich, wenn niemand mehr da arbeitet und bezahlt wird?
Nuchthirn: Fragt jemand, wer Die Globalisierung ist? Oder Der Wettbewerb? Wir haben alle unsere Aufgaben. Diese Fragen zu beantworten, gehört nicht dazu.
Roboterreporterin: Ich bedanke mich für das Gespräch.

 

Ich finde die Idee und das Szenario auch gut, da lässt sich was draus machen! Vielleicht hätte ich - auch, um aus dem Stoff noch mehr eine Geschichte zu machen - eben dies getan: statt eines Interviews vielleicht den Gang des Chefs durch das Unternehmen, einen typischen Arbeitstag, mit seinen Gedanken etc. Da das Thema recht bekannt ist, würde ich auch vorschlagen, die satirischen Spitzen dem Leser nicht zu offenkundig auf's Brot zu schmieren. Ansonsten vom Inhalt her eine gute Beobachtung, die mich auch zum Nachdenken gebracht hat, was die "Gesetze" der Wirtschaftswelt betrifft. Dranbleiben, und lieben Gruß!
André

 

um aus dem Stoff noch mehr eine Geschichte zu machen - eben dies getan: statt eines Interviews vielleicht den Gang des Chefs durch das Unternehmen, einen typischen Arbeitstag, mit seinen Gedanken etc

Ich wollte den 'Chef' aber gern pratteln lassen, damit er seine Holformeln zum besten geben kann. Außerdem gefiel mir der Gag, dass die Journalistin bereits eine Maschine ist, die sich aber menschlicher gebärdet als Herr Nuchthirn.


würde ich auch vorschlagen, die satirischen Spitzen dem Leser nicht zu offenkundig auf's Brot zu schmieren

Ja, diese Kritik ist wohl richtig; auf der anderen Seite kommt es aber sehr häufig vor, dass man Pointen noch erklären muss. Muss nachdenken.

gute Beobachtung, die mich auch zum Nachdenken gebracht hat, was die "Gesetze" der Wirtschaftswelt betrifft

Das freut mich - dann sind ja Sinn und Zweck sowieso schon erreicht!

 

Hallo FlicFlac,

leider finde ich deine Satire nicht so gelungen, immerhin ist es eine Satire und das erfreut mein Herz ja auch schon mal. ;)
Nicht so gelungen , weil du zum einen nicht sauber genug die Perfidität herausarbeitest, die hinter den Rationalisierungen und Globalisierungen steht und weil dadurch das Interview seine absoluten langweiligen Längen bekommt. Schade, denn am Ende bekommt das Ganze plötzlich dahingehend Drive, dass du den Protagonisten als letzten Manager seines Konzerns sich selbst wegrationalisieren lässt.
Ich hätte es noch lustig gefunden, wenn irgendein total unerwarteter Job noch erhalten bliebe, z.B. den des Mannes, der in der Postabteilung die Briefmarken klebt, bzw. den Freistempler bedient oder noch detaillierter, der, der immer den Freistempler nachfüllen muss, damit er weiterknattern und Briefe rausschicken kann. Sowas in der Richtung vielleicht.
Dein Protagonist kann ja vielleicht aus der Schule plaudern und darauf hin weisen, was fürn Murks die anderen Firmen gemacht haben, dass sie immer noch solche Arbeitsplätze halten müssen, wohingegen er der letzte in seiner Firma ist.
Also den Schluß deiner Geschichte finde ich ausnehmend gut.
Alles, was du davor geschrieben hast, ist eher lau bis langweilig. Da gehört mehr Bissigkeit hinein.
Nicht so viel Erklärungen und Doziertes, mehr Bemerkungen, mehr Rede deines Protagonisten.
Dein Roboterinterviewer ist auch leider nicht sehr kernig geraten, wenn diese Roboterin mehr Gefühle zeigen sollte, als der Protagonist, so muss das noch mehr herausgearbeitet werden, z.B. indem du den Klang der Stimme beschreibst.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita,

erstmal danke für die Kritik.

Vielleicht ist der Nuchthirn-Monolog in der Mitte einfach zu lang - und der ist so lang, weil ich tatsächlich noch Informationen übermitteln wollte (also Leute erreichen, die Nuchthirn-Gelügsülze, wie es täglich in der Glotze kommt, für glitzernde Wahrheit halten).

(Während ... Lohnverzicht) könnte man natürlich streichen...

Den Nuchthirn wollte ich eigentlich nicht über seine auswändig gelernten Phrasen hinaus 'reden' lassen. Diese Sätze sind ja eigentlich nicht von ihm; 'ihn' gibt es ja bald genauso wenig wie seine Firma.


Ich hätte es noch lustig gefunden, wenn irgendein total unerwarteter Job noch erhalten bliebe, z.B. den des Mannes, der in der Postabteilung die Briefmarken klebt, bzw. den Freistempler bedient oder noch detaillierter, der, der immer den Freistempler nachfüllen muss, damit er weiterknattern und Briefe rausschicken kann.

Eine gute Idee, mal schauen, wie das gehen könnte.

Also den Schluß deiner Geschichte finde ich ausnehmend gut.
Das freut mich...

hmm - wie gesagt, evtl. bringt die oben angedeutete Kürzung was? Was meinst du?

Viele Grüße,
Robert

 
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Angesichts neuster Entwicklungen sollte ich den Text eigentlich weiter entwickeln, aber wisst ihr was?

Den Teufel werd ich tun. Die Realität toppt jede Satire.

 

Nee, lieber FlicFlac, schreibe lieber eine neue Satire. Das Zeugs (also Themenangebot und schreiberische Fähigkeiten) haste ja dazu.

Ich muss grad an die Kabarettisten denken, die zur Zeit der Kohl-Ära sagten, dass sie sich arbeitslos fühlten.
Nicht, weil es nichts gegeben hätte, was man kabarettistisch hätte anprangern können, aber sie sagten: eigentlich müsse man nur Kohls Verhalten darstellen und nichts weiter, das sei schon wirkungsvoll genug, aber eben dann kein Kabarett mehr, sondern nur noch eine Parodie.
So ähnlich seh ich es mit vielen Sachverhalten, die so um uns herum passieren. Eigentlich ist es manchmal wirkungsvoller, einfach nur die Realität in geraffter überspitzter Form darzustellen, anstatt sich Gedanken zu machen, wie man das, was man anprangern will, in eine satirische Geschichte bringt.

Frohes Schaffen und Wirken
lakita

 

FlicFlac schrieb:
Angesichts neuster Entwicklungen sollte ich den Text eigentlich weiter entwickeln, aber wisst ihr was?

Den Teufel werd ich tun. Die Realität toppt jede Satire.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich persönlich das derzeit nur zu gut nachvollziehen kann - gerade in diesem Bereich spielen sich derzeit Dinge ab, die sich der beste Satiriker nicht schlimmer ausdenken könnte. Weshalb ich auch derzeit irgendwie schon langsam nich mehr weiß, wie man überhaupt noch was satirisches Schreiben soll, wenn einem die Wirklichkeit so in die Suppe spuckt... :schiel:

Dessen eingedenk meine Bonsai-Anmerkungen zum Text:

Die Idee gefällt mir sehr gut, die Umsetzung hätte allerdings ruhig noch pfiffiger sein können - das stetige Dozieren z.B. von Mr. Nullhirn nervt auf die Dauer doch etwas und macht den Text dezent kaputt, wie ich finde. Schade drum, denn da steckt Potential drin! Ansonsten hat Lakita ja schon das Wesentliche gesagt, und da muss ich ja nicht auch nochmal... also... ja, das war's glaube ich. ;)

Gruß,
Horni

 

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