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Die Gefahren des Rauchens
Gefahren des Rauchens
Er zieht ein OCB aus der blauen Pappe und legt es mit dem Falz nach unten zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand. Mit der rechten greift er in die Tabakpackung, die vor ihm auf dem niedrigen Tisch liegt und kramt etwas von dem krautigen Braun heraus, ohne die Packung vom Tisch zu nehmen.
„Weißt du was?“, fragt er, presst den Tabak mit den Zeigenfingern in den Falz, klappt mit den Daumen das untere Stück Papier über den Tabak und dreht die Tabakrolle mit den Daumen nach unten, dann nach oben. Das Ende mit der Gummierung steht noch ab. „Hast du schon mal über folgende Frage nachgedacht?“ Er führt das eingewickelte Tabakröllchen zum Mund, zieht die Gummierung einmal über seine Zunge und rollt das Papier zusammen. „Was ist schlimmer?“, beginnt er. Er kneift den über stehenden Tabak an den Enden ab. Mit einem Lächeln schaut er sich kurz die selbst gebaute Zigarette an. „Vielleicht bin ich der einzige Kiffer, der Zigaretten drehen kann, die nicht konisch sind.“
„Vielleicht“, sage ich die Zeitung weiterblätternd.
Er lächelt zufrieden, steckt die Zigarette in den Mund und klopft seine Hosentaschen ab. „Hast du mein Feuer gesehen?“
„Auf dem Schreibtisch.“
„Danke.“ Er steht auf, macht zwei Schritte zum Schreibtisch, tastet sich zurück und setzt sich wieder. „Nein, was ich dich eigentlich fragen wollte, war, hast du schon einmal darüber nachgedacht, was schlimmer ist, ein Raucher ohne Feuer oder ein Raucher ohne Zigaretten?“ Er lehnt sich zurück und zündet die Zigarette an.
Ich lasse die Zeitung sinken. „René, ich bin Ex-Raucher. Ich habe seit einem Jahr keine Kippe mehr angefasst. Glaubst du, diese Frage interessiert mich nur im Geringsten?“
„Das sollte sie aber“, antwortet er.
„Wieso sollte mich dieses Thema interessieren? Ich bin frei von dieser Abhängigkeit. Ich muss nicht mehr ständig daran denken, Kippen zu kaufen und Feuer einzustecken. Und ich kann das nur jedem anderen Menschen ans Herz legen. Hört auf zu rauchen!“ Ich kann in diesem Moment nicht darauf verzichten, René einen längeren Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu widmen.
„Ja“, antwortet er, beugt sich nach vorn und stellt seinen rechten Ellenbogen auf sein Knie. Die Handfläche nach oben gewendet, lässt er die Zigarette locker zwischen Zeigefinger und Mittelfinger hängen. „Das ist der Punkt. Du weißt um die Zwänge, die diese Sucht mit sich bringt. Das heißt, du weißt auch wie gefährlich ein Raucher für seine Umwelt sein kann, wenn er eine Kippe braucht, aber nicht rauchen kann, weil er entweder kein Feuer oder keine Zigarette hat. Und du weißt auch, wie es ist, wenn man keine Kohle hat. Dann kannst du nicht einfach losziehen und Kippen oder Streichhölzer kaufen.“
„Hm“, stimme ich zu.
„Also, noch einmal die Frage: Was ist schlimmer, ein Raucher ohne Zigarette oder ein Raucher ohne Feuer?“ Er lehnt sich wieder zurück und nimmt einen Zug von seiner Zigarette. Ein Stück Asche fällt von der Spitze der Zigarette und zerbröckelt auf seiner Brust.
„Ohne Zigarette, denke ich.“
„Warum?“, hakt er sofort nach, sich die Asche vom T-Shirt wischend.
„Beschaffungskriminalität. Es ist gesamtwirtschaftlich gesehen weniger schädlich, wenn ich jemandem ein Feuerzeug zocke, als wenn ich irgendwo eine Schachtel Kippen mitgehen lasse.“
„Sehr interessanter Punkt, aber stell dir folgendes Szenario vor. Ein Raucher“, René baut eine dramaturgisch platzierte Pause ein, indem er noch einmal an seiner Zigarette zieht, den Qualm tief inhaliert und langsam wieder ausatmet. „Dieser Raucher hat gerade einen Kaffee getrunken. Du kennst doch noch dieses unglaubliche Glücksgefühl von Kaffee und Zigaretten?“
Ich fülle meine Brust mit verqualmter Luft und hauche ein leises „Ja“ heraus.
„Also dieser hochgradig süchtige Mensch steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und klopft seine Taschen nach einem Feuerzeug ab, das ihm wahrscheinlich irgendein anderer Raucher gezockt hat. Dieser Mensch steht nur einen tiefen Atemzug vor der Erfüllung seiner Begierden und nur ein Feuerzeug oder ein Streichholz kann dieses unvergleichliche Glücksgefühl auslösen, kann die Lunte für die Nikotinexplosion entzünden.“ René hält den Stummel zwischen Daumen und Zeigefinger in der hohlen Hand. Er führt das zerfranzte Ende zum Mund. Ein orangenes Licht beleuchtet das Innere der Hand und einen Teil seines Gesichtes. „Stell dir diese Situation vor“, fährt er fort. „Er würde alles tun, um die Glückseligkeit im Nikotinrausch zu erreichen. Stell dir vor, wie höflich er zunächst andere Menschen nach Feuer fragt. Aber in diesen Zeiten rauchen immer weniger, weil das Zeug einfach immer teurer wird. Keiner kann ihm geben, wonach er verlangt. Ein Hilfesuchender, der von der Gesellschaft zurückgewiesen wird. Kannst du die Schweißperlen auf seiner Stirn sehen?“
Ich nicke, den Blick ins Nichts gerichtet.
„Jetzt ist unser Raucher eine tickende Zeitbombe und der Countdown steht bei fünf. Er sieht sich mit weit aufgerissenen Augen und schneller Kopfbewegung um, - vier - aber es ist kein Feuer in Sicht - drei. Die Uhr tickt unaufhaltsam weiter.“ René drückt den Stummel in den Aschenbecher. Langsam erstirbt der Qualm, den er bis jetzt aufsteigen lies. „Zwei. Stell dir vor, dieser Mensch ist bewaffnet. Eins.“