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Die geheime Bibliothek
Die Sonne schien erbarmungslos auf die weiten Sanddünen, die sich wie gewaltige Wogen in Richtung Horizont zu bewegen schienen. Nur einige große Felsen stemmten sich entschlossen gegen die heißen Wüstenwinde und die sengenden Sonnenstrahlen.
Sie wirkten wie karge Inseln in einem endlosen Meer aus Sand.
Die flirrende Luft zauberte Trugbilder in die Ferne, die Karawanen in der Hoffnung auf Wasser immer tiefer in die Fänge der Wüste locken sollten.
Doch der Wesir fiel nicht auf derlei Spuk herein. Anmutig trabte sein Kamel durch staubtrockene Wadis, über turmhohe Dünen und vorbei an bizarr geformten Felsen, es kämpfte wie sein Herr mit eiserner Entschlossenheit gegen den heißen Wind, der ihnen feinen Sand in die Augen trieb und sie zum Tränen brachte.
Der Wesir hob seine Hand und rückte den rubinroten Turban zurecht. Dann wandte er den Blick von der heulenden Sandböe, die ihm ins Gesicht peitschte, ab.
Die braunen Augen sprachen von Weisheit und Macht, waren ehrfurchtgebietend und duldeten keine Zweifel.
Er blickte zu seinem Gefährten, der neben ihm ritt, einem jungen Mann, dessen feuerrotes Haar unter einem Tuch verborgen war. Sein Gesicht verzog trotz des Sandsturms keine Mine.
Er hatte leuchtende blaugraue Augen und eine ungewöhnlich spitze Nase.
Außerdem trug eine merkwürdige Tätowierung unter dem linken Auge, ein verzerrtes Muster, das der Wesir nicht wirklich deuten konnte.
Auf einen Unwissenden mochte dieser Anblick befremdlich wirken, doch der Wesir wusste, was sich in der Hülle des jungen Mannes wirklich verbarg....
„Ist es noch weit Balthazil?“, fragte der Wesir.
„Nein, Meister Kajar“, antwortete der rothaarige Mann, er grinste: „Wir sind da“.
Sein Blick fixierte einen stark verwitterten Felsen.... und Sand.
„Ich sehe nichts, Geist“
„Ihr könnt es nicht fühlen Meister, eure Sinne sind nicht so geschärft wie die Unsren“, antwortete der Mann und drehte sich zu ihm um: „ Es ist unter dem Sand verborgen“.
„Gut, ich vertraue auf dich Balthazil“
Sie führten die Kamele zum Felsen und banden sie an einem Vorsprung an.
Dann drehte sich der Dschinn um, richtete den Blick auf den Sand vor den Felsen und hob die Hand. Leise flüsterte er magische Worte.
Seine Augen trübten sich, als wären graue Wolken in ihnen gefangen und ein kühler Wind zog auf. Der Wesir hielt seinen Turban fest.
Der Wind heulte als er um steinerne Ecken strich und gewann immer mehr an Stärke.
Der Dschinn deutete auf den Sand und der Wind gehorchte seinem Befehl. Schicht um Schicht wurde der Sand aufgewirbelt, von den Winden mitgerissen und hinter die Dünen getragen.
Der Wesir betrachtete das Schauspiel fasziniert. Mit der Zeit wurde eine steinerne Treppe sichtbar, vom Sand vor hunderten von Jahren glatt poliert. Sie führte immer tiefer in eine Schlucht hinab.
Mit jeder freigelegten Stufe weiteten sich seine Augen mehr und mehr, vor Erstaunen und Gier.
Die Wände waren mit kunstvollen Mosaiken besetzt. Der scharfe Blick des Wesirs erkannte kostbare Lapislazuli und andere wertvolle Steine, die Taten vergangener Helden und Werke mächtiger Zauberer formten. All dies war fest in ein sandiges Grab gehüllt gewesen, geschützt vor der fortlaufenden Zeit.
Der Wesir war überwältigt, er hatte schon viele Wunder gesehen, doch die Welt überraschte ihn immer wieder mit Neuem.
Fauchend gaben die Sandwogen nun ein steinernes Tor frei. Es war mit silbernen und goldenen Ornamenten verziert. Über dem sorgfältig ausgearbeiteten Torbogen thronte eine goldene Sonnenscheibe.
Sie gingen die Treppe hinab. Der Wesir bestaunte weiterhin die Kunstfertigkeit der übermannsgroßen Mosaike und den beeindruckenden Torbogen.
Dahinter führte ein dunkler Gang ins Ungewisse.
Wesir und der Dschinn traten unter der goldenen Sonne hindurch.
Mit flüsternden Worten ließ der rothaarige Mann einen funkelnden Irrwisch entstehen.
Sanftes Licht enthüllte einen schmalen, gewundenen Gang und warf tanzende Schatten an die Steinwände.
Schwarze Fliesen pflasterten ihren Pfad. Hier und Dort waren sie gesprungen oder von Sandhaufen verborgen.
Der Dschinn ließ den Irrwisch voranschweben, sein Licht enthüllte weitere Mosaike und dunkle Wege.
Doch der Geist führte sie zielsicher durch das Labyrinth.
Nur der aufgeregte Atem des Wesirs und das Knirschen des Sandes unter ihren Stiefeln hallten in den uralten Gängen.
Er ließ seinen Blick wandern. Plötzlich verzog sich sein Gesicht zu einem Ausdruck des Entsetzens.
„W..was!“, sprach er erschrocken, doch beruhigte sich sobald wieder.
Vor Ihnen lagen drei Skelette gegen die Wand gelehnt. Bei ihnen lagen einige Rüstungsteile, Säbel und Rundschilde.
Auf den bleichen Schädeln saßen vergoldete Helme, die von Spinnweben verhangenen Augenhöhlen blickten düster in die Leere.
„Sie sind schon lange tot“, erhob der Dschinn das Wort, „ Es sieht so aus als wären ihre Knochen vom Sand glatt geschmirgelt“
Er hob einen der Krummsäbel auf und steckte ihn in den Gürtelbund. Die Klinge blitzte unheimlich im Licht des Irrwischs.
„Wir müssen vorsichtig sein“
Der Wesir murrte nur. Ihm behagten die Gänge nicht. Er hatte ein schlechtes Gefühl, als würden sie beobachtet. Sie sollten sich beeilen.
Sie gingen weiter.
Der Warnschrei des Dschinn riss ihn aus seinen Gedanken: „Obacht!“
Er hielt verwirrt inne und entdeckte, dass, er beinahe in eine Fallgrube gestürzt wäre. Er fröstelte, die Grube war mit hölzernen Spießen durchsetzt.
Auf einem Pfahl hing in einem stummen Schrei erstarrt ein weiteres Skelett, als wollte es sie vor dem Weitergehen warnen.
Was war hier bloß vorgefallen, fragte sich der Wesir.
Sie entdeckten einen schmalen Grat an der rechten Seite der Grube.
Wesir und Dschinn überquerten, geführt von der schwebenden Flamme, die Falle.
Der Irrwisch warf gespenstische Schatten in die Grube und das Unbehagen des Wesirs wuchs.
Was mochte diese Männer getötet haben? Streifte es noch immer durch die Hallen?
Nach einer Weile sahen sie ein fernes Licht am Ende des Ganges. Sie erreichten einen hellerleuchteten Raum, der dem Wesir wieder die Sprache verschlug.
Sein Blick wanderte über riesige Bücherregale, schweifte hinweg über tausende, eingestaubte Schriftrollen und erblickte die verschiedensten Artefakte.
Schließlich flüsterte er aufgeregt:
„Faszinierend, endlich hab ich sie gefunden! Wissen aus tausenden Kulturen und längst vergessenen Epochen! Antworten auf alle Fragen die die Menschheit quälen“
Der Wesir konnte seine Begeisterung kaum zügeln. Er nahm ehrfürchtig einen verstaubten Folianten aus einem Regal, wischte Sand und Staub vom reich verzierten Ledereinband.
Schließlich schlug er in freudiger Erwartung den Band auf und roch den Geruch der Jahrhunderte.
Er überflog die Seiten, bestaunte verblasste Texte und Konstruktionspläne komplexer, futuristischer Maschinen, sowie anatomische Zeichnungen von Tieren und Pflanzen.
Es war überwältigend, am liebsten hätte er hier sein restliches Leben verbracht und die letzten Geheimnisse dieser Welt entschlüsselt.... aber er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren.
Mit schwer schlagendem Herzen schloss er das Buch und schob es zurück an seinen Platz.
Was...was war das? Ein Schatten huschte zwischen zwei Regalen umher, nicht mehr als eine Sekunde. Er zuckte die Schultern, Einbildung, redete er sich ein.
Er konzentrierte sich auf die Bücher, das nahm ihm die Furcht, doch Schweißperlen verrieten, dass sie sich ihren Weg fraß.
Räuspernd äußerte sich der Dschinn, den der Wesir ganz vergessen hatte: „ Meine Pflicht ist erfüllt, das Buch, welches ihr sucht befindet sich in diesem Raum“
„Ich danke dir! Du kannst gehen, Geist!“, sprach der Wesir abwesend, zu fesselnd war der Anblick des angesammelten Wissens.
„ Und vergesst nie: Wissen ist Macht, Macht die behütet werden muss“
Als er sich umdrehte hatte sich der Dschinn bereits in Rauch verwandelt und war verschwunden. Der Säbel viel klirrend zu Boden.
Der Wesir zuckte zusammen und schritt schließlich die Gänge ab und suchte.
Nach einer Weile fand er es schließlich in einem abgelegenen Regal. Das Buch hatte einen grünen mit Schnörkeln und goldenen Intarsien geschmückten Einband. Auf dem Umschlag prangte ein silbernes Auge.
Ja das ist das Richtige, dachte er, der Kalif wird erfreut sein. Er nahm den schweren Folianten aus dem Regal. Eine Sand und Staubwolke schlug im entgegen. Er hustete, doch die Gier trieb ihn weiter.
Der Wesir trat leise kichernd durch den Gang und war so vom Anblick des alten Buches gefesselt das er nicht merkte das der Gang nun im gespenstischen matten Fackellicht erstrahlte.
Ein warmer Wind zog in den uralten Gängen auf und wirbelte den Sand auf. Er umspielte das Gewand des Wesirs. Dieser blieb stehen und horchte auf. erst jetzt schien ihm aufzufallen das der Gang hell erleuchtet war.
Ein kalter Schauer lief im den Rücken herunter. Was war hier am Werk?
Hektisch schaute er sich um. Der Windzug wurde immer stärker, Sand peitschte ihm ins Gesicht, schmerzte ihn auf der Haut.
Er wurde nervös. Sein Turban wehte ihm vom Kopf, während der Wind fauchend um seine Ohren schoss. Er wurde in die Luft gehoben, den Wesir packte nackte Todesangst. Er schrie und kämpfte gegen die geheimnisvolle Kraft an, die ihn in der Luft hielt, doch seine Schreie verhallten in der Dunkelheit. Das Letzte, was der Wesir sah, war eine ungewöhnlich spitze Nase und feurig leuchtende Augen.
Flüsternd sprach eine Stimme: „Wissen ist Macht, Macht die behütet werden muss“.
Schließlich fiel ein weiteres Skelett, in Stofffetzen gehüllt, auf die Fliesen, schließlich herrschte wieder Totenstille und das Licht erlosch.
Die Bibliothek verschwand im Sturm und der Sand begrub das uralte Wissen für die nächsten Jahrhunderte.