- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 19
Die Goldmünze
Die Goldmünze
Es leuchtete, als wäre ein Stern direkt vom Himmel auf den Strand gefallen. Der Junge rieb seine Augen. Zwischen Kieseln und weißgeschälten Ästen lag eine Münze aus Gold. Braungrüner Schimmer der Verwitterung lag auf ihr, ohne ihr glänzendes Antlitz gänzlich zu verwischen.
Der Junge sah sich um und als er niemanden entdeckte, hockte er sich vor das Geldstück. Eine Münze mit Kanten, eckig geschlagen. Er hatte schon gehört, dass man am Strand allerlei alte Gegenstände und Schiffszeug gefunden hatte.
Der Junge schloss die Augen und öffnete sie wieder. Die Münze war nicht verschwunden, kein Traum. Zögernd griff er nach ihr, als hätte er Angst, sie zu verjagen, wenn er zu schnell nach ihr packte. Sie fühlte sich gut an und er meinte, in den Rillen ihre Vergangenheit zu spüren. Der Junge drehte und wendete die Münze, fuhr mit den Fingern über die Prägungen.
*
Der Aufprall schleuderte ihn auf den Rücken. Sein Kopf knallte auf die Holzdielen, dass sich die Gegenstände um ihn herum zu einem Flimmern vermengten. In der Luft lag ein feiner Nebel aus Salz und setzte sich in seine Nase und seinen Mund.
„Hart Backbord!“
Eine dicke Frau mit einem Fleischzopf auf ihrem Rücken wirbelte das große Holzrad nach links. Es gab einen Ruck und der Junge rollte über den Boden, bis er gegen ein Paar salzbekrustete Stiefel prallte und sich an sie krallte. Der Mann, der in ihnen steckte, schien den Jungen nicht zu bemerken.
Wie war er an Bord dieses Schiffes gekommen?
Wieder gab es einen Ruck, doch diesmal war es nicht die dicke Frau am Ruder, die ihn verursacht hatte. Der Junge konnte sich so weit aufrappeln, dass er die aufgekochte See sehen konnte, auf der das Boot tanzte.
„Halt dich fest, Bursche!“ rief ihm der Mann zu und dann zur Frau: „Mittschiffs!“
Wer war dieser Mann und wer die Frau?
Der Junge sah, wie sich die dicken Pobacken der Frau hoben und senkten, während sie das Ruder packte und in die befohlene Stellung drehte. Er hörte die Frau schluchzen; leise bewegten sich ihre Schultern im Takt der heranstürmenden Wellen. Eine Welle, so hoch wie der Horizont, rollte heran und traf das Boot mit voller Breitseite an Steuerbord. Gischt peitschte in sein Gesicht und brannte in den Augen.
In dem Augenblick, in dem die dicke Frau zu beten begann, schlingerte das Schiff in böser Vorahnung. Es ritt auf dem Kamm der Welle, tauchte in die wühlende See, um wenig später ausgespuckt zu werden.
Der Junge verlor den Halt und rutschte über die nassen Dielen. Splitter bohrten sich in seine Haut. Instinktiv suchten seine Hände nach etwas Greifbarem. Einmal fasste er ein Bein der dicken Steuerfrau, aber er konnte es mit seiner Hand nicht umschließen. Rostiges Blech ritzte seinen linken Arm. Festhalten! Festhalten!, waren seine einzigen Gedanken. In seiner linken Hand spürte er die Goldmünze. Er schleuderte sie von sich, um die Hand frei zu haben.
*
Die Stille war wie eine Wolldecke, die ihm über den Kopf geworfen wurde. Der Junge stand vor der Stelle, an der er die Goldmünze entdeckt hatte. Aber sie war verschwunden. Von seinem linken Arm tropfte Blut in den weißen Sand.