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Die Hunde des Herrn (Spätmittelalter)
Wie jeden Abend ging Gwen durch die spärlich beleuchteten Gassen ihrer Heimatstadt. Wie jeden Abend hatte sie das Gefühl, vielleicht auch durch die diffuse Beleuchtung verursacht, dass sie heimlich verfolgt würde. Es waren keine konkreten Anhaltspunkte, an denen sie erkennen hätte können, wer ihre Verfolger waren, aber es war diese Ahnung, die sie wissen ließ, dass sie nicht allein war in dieser sternenlosen Nacht. Kalt war es. Nicht verwunderlich für diese Gegend um diese Jahreszeit. Sie presste ihre Arme vor die Brust und zog den Mantel, ein altes abgerissenes Exemplar, fester um ihre Taille, um die bittere Kälte auszusperren.
Eine hübsche Frau war sie, von einer Schönheit, die manche Zeitgenossin vor Neid erblassen ließ. Es war offensichtlich, dass sie durch ihre elfengleiche Gestalt Aufsehen erregte. Die zwielichtigen Gestalten, die zu dieser Zeit zuhauf durch die Straßen des mittelalterlichen Prags zogen, ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie waren es aber nicht, die diese nie gekannte Angst in ihr auslösten! Es war diese unbestimmte Ahnung, die sie wissen ließ, dass Blicke auf ihr ruhten.
Es war nicht der olfaktorische Charakter dieser Stadt, der sie erschauern ließ. Manch andere würden sich spontan übergeben, wenn sie sich im Schlachterviertel aufhalten würden. Diese ekelerregende Komposition aus Verdorbenem und Verfaultem, aus Abfällen aller Facetten, aus Düften, die das Vorstellungsvermögen übersteigen, aus den Exkrementen der Zivilisation. Gegen dieses Bild war Gwen bereits immun. »Warum musste er ausgerechnet hier leben?«, fragte sie sich anfangs. »Warum war sie ihm hierher gefolgt?«. Je länger sie darüber nachdenken konnte, desto klarer wurde es ihr. Er. Wenn sie ihm in die Augen sah, konnte sie ein Abbild dieser verdorbenen Welt erkennen. Es schauderte sie, wenn sie an seine Augen dachte, die sowohl überschwängliche Güte ausstrahlen konnten, als auch wie kleine Teufelchen tanzen konnten. Es war etwas Faszinierendes in diesen Augen. Dieses boshafte Glitzern!
Eine gewisse Angst ergriff Besitz von ihr. »Was wenn sie uns dieses Mal entdecken?«.
Mit jedem Mal, wenn sie mit ihm arbeitete, wurde ihre Ehrfurcht vor dem Menschlichen Organismus größer. Mit jeder Obduktion sank ihre Schamgrenze. Mit jedem Leichnam, der zumeist eine verzerrte Fratze hatte, wurde ihre Seele abgestumpfter. Eine Seele, die wie sie hoffte, vor der Hölle verschont bleiben möge. Mit jedem Mal stieg die Angst entdeckt zu werden.
Dass heute ihr Versteckspiel zu Ende sein würde, sie ahnte es, nein, sie wusste es. Diese vage Vorahnung wurde zur grausamen Realität, als sie erschienen – lautlos, wie aus dem nichts – die domini canes. Man vernahm nur ein leises Wimmern, als Gwen fast lautlos davongeschleift wurde.
Das Netz der Inquisition hatte sie umspannt.