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Die Königin der Meere
Das Schicksal kommt bestimmt
Karibik 1672
Vier Wochen, dachte er. Vier verdammte Wochen.
Gedankenverloren beobachtete er die aufgehende Sonne am Horizont, wie sie die wenigen aufgetürmten Wolken mit rosafarbenen Schleiern versah. Daniel Owens stand am Heck einer alten englischen Galeone, die schon einiges über sich hatte ergehen lassen müssen.
„Sir, wir steuern auf die Passage zu.“
Owens fuhr herum. Eine raue Böe verwehte sein dichtes braunes Haar. Jack Kerry, der Erste Offizier des Schiffes und sein treuester Freund, stand vor ihm und wartete auf seinen Befehl. Der Kapitän starrte sein Gegenüber ungläubig an.
„Sir?“, hakte Kerry nach.
Owens räusperte sich. „Volle Kraft voraus“, befahl er mit gequälter Stimme, bevor er sich schnell wieder umdrehte. Der Erste Offizier nickte gelassen, verließ aber nur zögernd das Achterdeck. Die Abwesenheit des Kapitäns beunruhigte ihn. Bereits seit einigen Tagen hatte Owens mehr Zeit auf dem Achterdeck verbracht und war in sich gekehrt, als sich auf sein Schiff zu konzentrieren und seine Mannschaft zu führen. Eine ständige Unruhe plagte ihn, die mit jeder Meile, die sie näher an die gefürchtete Windward-Passage kamen, zu nahm. Selbst Kerry konnte die Mauer der Verschlossenheit nicht durchbrechen.
„Sir“, störte er den Kapitän erneut. „Der Nebel in der Passage hat stark zu genommen. Wir werden blind durch die Klippen steuern müssen.“
Owens drehte sich um und blickte nur widerwillig auf die Passage, die mehr und mehr vom grauen feuchten Ungetüm verschlungen wurde. Ein dunkler Schatten legte sich über sein Gemüt und Erinnerungen brachen über ihn herein. Vor wenigen Wochen hatte diese Fahrt schon einmal angetreten. Eine Fahrt ins Ungewisse. Eine Fahrt, die der Gouverneur von Port Royal angeordnet hatte, um den Aufenthalt einer wichtigen Fregatte auszumachen, die der englischen Krone unterstellt war. Bereits
seit vielen Monaten wurde sie vermisst.
Doch auf seiner letzten Fahrt durch die Passage wurde die Selebcir überfallen. Als es Owens schließlich gelungen war, das Schiff zurück zu steuern, war es schon zu spät.
„Daniel. Du musst deine Trauer beiseite legen“, unterbrach Kerry seine Gedanken. Er war seinem Blick gefolgt und spürte die Verzweiflung in seinen Augen. “Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast. Und das kann dir auch keiner nehmen, aber jetzt sind wir hier und deine Männer brauchen dich. Ihre Angst bedeckt das ganze Schiff. Du musst sie beruhigen. Wenn ihr Kapitän es nicht einmal schafft, der lauernden Gefahr ins Auge zu sehen, wie sollen sie es dann schaffen? Diese Mannschaft will geführt werden, Daniel.“
Der Kapitän senkte betreten den Kopf.
„Wenn du dich aufgibst, dann gibst du auch das Schiff auf. Und ich weiß, wie viel die Selebcir dir bedeutet.“, bemerkte Kerry nachdrücklich.
Owens schwieg. Das salzige Meerwasser peitschte wütend gegen den Kiel des Schiffes. Owens holte tief Luft. „Du hast recht, Kerry.“
Entschlossen lief er auf´s Vorderdeck, wo die Männer unruhig dem Nebel entgegen starrten. Erst jetzt bemerkte er ihre Anspannung.
„Männer“, rief er mit sicherer Stimme und umgriff bezeichnend den Griff seines Schwertes, das im Heft des Gürtels steckte. Die Matrosen fuhren herum. „Ich weiß, dass dies keine Vergnügungsfahrt ist. Die alte Selebcir hat schon bessere Tage gesehen, und ehrlich gesagt, wir auch.“
Die Männer lachten.
„Zwar ist es ein Befehl, dem wir hier nachkommen. Das sollte uns aber nicht davon abbringen, zu vergessen, warum wir diese Fahrt angetreten haben. Keineswegs aus Pflicht, sondern eher als Privileg. Wir werden den Piraten zeigen wozu wir fähig sind.“
Seine Stimme wurde immer fester und lauter.
„Schon einmal haben wir es geschafft, sie zu überlisten. Und wir werden es auch diesmal wieder schaffen.“ Ausgelassen stimmten die Männer ihrem Kapitän mit erhobenen Fäusten zu. Owens schluckte unmerklich.
Ich werde meine Familie rächen, dachte er. Seid auf der Hut, ihr Piraten.
„Auf die Posten, Männer“, befahl er energisch. Die Matrosen stürzten wild durcheinander, um die alte Lady auf eine harte Durchfahrt durch die Todespassage vor zubereiten, während Owens wieder auf´s Achterdeck marschierte. Kerry schaute besorgt nach, weil er Angst hatte, sein Freund würde erneut den Qualen der Vergangenheit erliegen. Stattdessen übernahm Owens jedoch das Steuer und schickte den Matrosen unter Deck. Kerry lächelte erleichtert.
Nur wenige Stunden später hatten sie den Eingang der Passage hinter sich gelassen. Trotz der ermutigenden Worte ihres Kapitäns, überfiel ein unbehagliches Gefühl die Männer. Unheimliche Stille lag in der Luft. Keiner wagte zu atmen. Manche spürten ihren heftig pochenden Puls in der Schläfe, andere hatten das Gefühl, ihr Herz würde aus der Brust springen. Wachsame Augen durchsuchten den undurchdringlichen Nebel nach Anzeichen eines anderen Schiffes. Der Nebel brachte Kälte mit sich, die sich tief in die Haut der Männer biss. Einigen lief ein kalter Schauer über den Rücken. Nur der Kapitän und sein Erster Offizier standen unbeeindruckt auf dem Achterdeck und konzentrierten sich auf den Kurs, während die Selebcir ruhig auf dem Wasser dahinglitt.
Plötzlich donnerten dumpfe Geschütze in den Nebel, gefolgt von blitzenden Flammen, die nur schwer zu sehen waren.
„In Deckung“, brüllte Owens, als ein Kanonenhagel auf die Selebcir einschlug. Die unglaubliche Wucht der Geschosse ließen das massive Eichenholz der alten Lady zersplittern wie dünne Eiszapfen. Die Matrosen schrien wild durcheinander, denn einige der Kugeln hatten blutige Schneisen in die Reihen der Männer geschlagen. Einige lagen zerstümmelt und blut überströmt auf dem Deck verstreut, andere liefen wild umher.
Und das unsichtbare Schiff gab weiter Feuer.
Infernalisches Donnern drang an Owens Ohren, Wasser peitschte aufgeschlagen gegen die Planken und weitere Kanonenkugeln schlugen auf die Selebcir ein. Diesmal traf es den Bug des Schiffes, unter Verlust der stolzen Galionsfigur. Die Selebcir erzitterte.
„Mehrere schwere Treffer, Sir“, meldete der Erste Offizier. „Am schlimmsten hat es die Bugpartie erwischt. Die alte Dame wurde in die Tiefe gerissen.“
„Verdammt“, wetterte Owens, als erneutes Geschützfeuer die Selebcir erschütterte. Die Männer brüllten durcheinander, geplagt vom brennenden Schmerz der Treffer. Das fremde Schiff war noch immer nicht zu erkennen, was ihm einen enormen Vorteil brachte. Aber Owens sah das anders.
„Diese Hunde“, brüllte er außer sich vor Wut. „Solange meine alte Lady noch manövrierfähig ist werden wir nicht aufgeben. An die Geschütze, Männer!“
Schiffskommandos wurden gebrüllt und lautes Fußgetrappel erschütterte die unteren Decks, die Bugklappen wurden aufgerissen und die Geschütze ausgefahren und bestückt. Der Kapitän riss das Ruder hart Steuerbord, um die Selebcir nach eigenem Ermessen längsseits zu dem unsichtbaren Angreifer zu bringen – auch wenn es aufgrund der vernebelten Sicht kaum zu sehen war. Außerdem barg die Längsseite eines Schiffes ein hohes Risiko, vernichtend getroffen zu werden. Aber das nahm Owens gerne auf sich.
Im nächsten Moment krachte und splitterte es erneut. Tosende Geschosse schlugen dicht aufeinander achtern ein und brachten denen Verderben, die an den Geschützen hockten.
„Feuer!“, befahl der Kapitän mit donnernder Stimme, bevor eine Kanonenkugel direkt neben ihm einschlug. Die Wucht warf ihn zur Seite und drückte ihn gegen die Planken, Holz splitterte und schoss ihm entgegen. Blutbesudelt und etwas verwirrt lehnte er an der Planke des Achterdecks. Kerry kam auf ihn zu gestürmt, der ebenfalls einige blutige Verletzungen davon getragen hatte. Energisch riss er den Kapitän auf die Beine, der taumelnd zur Seite wankte. Beißender Pulvergeruch stieg ihnen in die Nase.
„Welchen Schaden konnten wir anrichten?“, wandte sich Owens mit zitternder Stimme an Kerry.
Dieser verzog besorgt das Gesicht. „Wir haben den Großteil der Heckgeschütze eingebüßt, konnten aber zuvor noch einige Geschütze abfeuern. Einige verfehlten ihr Ziel. Der Rest schlug krachend in den Rumpf des anderen Schiffes. Trotzdem werden wir nicht mehr lange Stand halten können, die Selebcir wurde schwer beschädigt.“
Owens schaute sich hektisch um: das Deck war mit verstümmelten Körpern und Laichen übersät, die Selebcir hatte große Löcher im Rumpf, Blut bedeckte die Planken und Schreie hallten unter Deck wider.
„Du hast recht, Kerry. Die Selebcir wird dem Beschuss nicht länger Stand halten können.“
„Was gedenkst du zu tun, Daniel?“
„Hart Backbord“, fasste sich Owens kurz und lief zum Ruder.
„Willst du etwa direkt auf sie zu steuern?“, fragte Kerry verwirrt.
„Eher an ihnen vorbei ziehen“, meinte Owens lächelnd.
Kerry schaute ihn entgeistert an. „Das ist wahnsinn. Wir wissen nicht, wo genau sie sich befinden.“
Owens schwieg und konzentrierte sich auf den dichten Nebel, der sie umgab. Widerwillig gab Kerry nach. Er wusste, dass er seinem Freund in solchen Situationen nichts vor machen konnte. Schließlich hatte es Owens schon einmal geschafft der drohenden Gefahr, die von den Piraten ausging, zu entkommen – aber mit verheerenden Folgen.
Doch diesmal war es anders.
Die Selebcir drehte bei und fuhr ruhig aus der anhaltenden Belagerung des fremden Schiffes. Doch nachdem einige Kugeln auffallend im Wasser gelandet waren, stellte das Geisterschiff den Beschuss ein. Stille kehrte ein. Erleichterung überfiel die Mannschaft der Selebcir. Dennoch wagte keiner ein Wort zu sagen.
Owens lächelte verschmitzt. Er war sich seiner Sache sicher und brach nach wenigen Minuten das Schweigen. „Volle Kraft voraus, Männer! Wir haben einen Auftrag zu erfüllen.“ Kerry fiel in Owens Übermut ein und steckte auch die Männer an, die den Angriffen getrotzt hatten.
Doch plötzlich hallte ein nah gelegenes Donnern an ihre Ohren. Rasend schnell bewegte sich etwas auf die Längsseite des Schiffes zu und schlug vernichtend unter Deck ein. Weitere Geschosse folgten. Die Selebcir wurde schnell manövrierunfähig. Die eigenen Geschütze schossen nicht mehr. Schmerzerfüllte Schreie überkamen das Schiff. Entsetzen zeichnete Owens Gesichtszüge. Dann schaute er zum Himmel hinauf. Soll es wirklich so enden, fragte er sich. Ist es das was du willst? Mich zu dir
holen? Während Owens in Gedanken versunken war, nutzte das Piratenschiff, das näher gekommen war, den Überraschungsangriff voll aus und feuerte unaufhaltsam weiter. Die Selebcir hatte nichts mehr entgegen zu setzen.
Innerhalb kürzester Zeit war das Schiff vollkommen zerstört. Die Frackteile sanken, und mit ihnen die Mannschaft.