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Die Katze im Sack- oder - der Hund in der Schachtel
Die Katze im Sack – oder - der Hund in der Schachtel
Es war an einem dieser Tage vor Weihnachten. Man hetzt los um noch schnell einige Geschenke zu ergattern, stürzt sich dabei todesmutig in Einkaufszentrum als gäbe es kein Morgen mehr.
Auch bei mir stand dieser letzte Adrenalinschub vor Weihnachten auf dem Plan. Mein Mann, war davon weniger begeistert. Er suchte verzweifelt nach Ausreden.
„Liebling, ich sollte besser zuhause bleiben und den Holzofen putzen, und meine Tante Emma sollte ich auch wieder mal besuchen. Sie kennt mich schon gar nicht mehr.“
Zu guter Letzt versuchte er mir zu erklären, wie arm dran unser Hund bei so einem Einkauf wäre:“ Bist du dir sicher, dass du Sammy mitnehmen willst? In seinem Alter hält er diese Strapazen sicher nicht mehr aus. Das ist nur Stress für ihn. Ich könnte mit ihm einen Spaziergang machen und danach kann er sich ausruhen.“ Vor dem Fernseher, bei einem Fußballmatch und mit Bier, vergaß er dabei zu erwähnen.
Es half ihm alles nichts. Eine halbe Stunde später brachen Mann, Hund und ich mehr oder weniger begeistert auf. Wider Erwarten lief bei den Einkäufen alles reibungslos, schnell war ein Parkplatz gefunden, die Tüten in unseren Händen wurden immer mehr- Weihnachten konnte kommen.
Wir gönnten uns eine kleine Pause auf einer Bank und schnauften tief durch. Auch unser Hund ließ sich zu unseren Füßen nieder. Nach einem 5 Minuten Päuschen wollten wir uns wieder erheben. Doch irgendetwas stimmte da nicht. Unser Hund rührte sich nicht und schlief friedlich weiter. Bei genauerem Hinsehen und mehreren Versuchen ihn aufzuwecken, mussten wir erkennen, dass er zu unseren Füßen entschlafen war. Einfach entschlafen, gestorben, tot.
Was nun?
Beide sanken wir zurück auf die Bank und schauten uns sprachlos an. Geschockt blickten wir auf die Passanten, doch die schienen nicht zu bemerken, was hier gerade geschehen war. Eilig liefen sie mit ihren Errungenschaften an uns vorbei.
„Ich hab ja gleich gesagt, ich geh mit ihm in Ruhe spazieren!“, konnte sich natürlich mein Mann nicht verkneifen. Ich warf ihm einen meiner gefürchteten Blicke zu und er verstummte augenblicklich.
„Überleg dir lieber wie wir unseren Hund hier rausbekommen, ohne, dass das ganze Einkaufszentrum dabei zusieht und uns vielleicht noch der Tierquälerei bezichtigt!“, zischte ich ihm zu.
Schnell waren wir uns einig, dass wir jedes Aufsehen vermeiden wollten. Ein Plan musste her. Mein Holder, ganz Mann, hatte die rettende Idee. Eine Schachtel, groß genug für unseren Hund, sollte besorgt werden.
Gesagt getan – er lief los ins nächste Elektrogeschäft um eine zu besorgen. Ich saß inzwischen tapfer mit meinem toten Hund an der Leine auf der Bank und war mir sicher, dass alle wussten, was wir da machten. Deswegen redete ich ausgiebig und beharrlich auf ihn ein und ließ seinen Schwanz, mit meiner Fußspitze, wedeln.
Da setzte sich plötzlich eine ältere Dame mit weißem Haar und Gehstock zu mir auf die Bank. "Schönen Hund haben sie da. Wie brav der ist. Und wie tief er schläft bei diesem Lärm. Wenn ich das nur auch könnte, aber in meinem Alter." Die Dame seufzte tief.
Ich brachte ein halbherziges: "Ja, ja" und den Anflug eines Lächelns zustande. "Wissen sie, ich hatte ja auch einmal einen Hund", erzählte sie und streichelte sanft über das Fell, "aber der ist vor einem Jahr gestorben."
Ihre Stimme drang an mein Ohr, aber ich hörte nicht mehr was sie sagte. Mein Fuß bewegte rhythmisch den Schwanz und meine Hände streichelten monoton den leblosen Körper.
Die wenigen Minuten erschienen mir wie Stunden und ich schwor dem lieben Gott am Sonntag gleich wieder mal in die Kirche zu gehen, wenn dies hier ohne großes Aufsehen vorüberginge.
Endlich bog mein Held mit einer Fernsehschachtel um die Ecke. Auch an einen Einkaufswagen aus dem Baumarkt, mit Ladefläche, hatte er gedacht. Er deutete mit seinen Augen fragend auf meine Sitznachbarin. Ich zuckte nur mit den Schultern und schenkte ihm ein Lächeln: "Na Liebling, hast du den Fernseher bekommen, den du so unbedingt wolltest? Wird die Größe auch passen? Nicht, dass du ihn nochmals umtauschen musst!" Die Dame warf einen Blick auf den Karton: "Wofür die Jugend heute so ihr Geld ausgibt. Ein kleiner hätte es sicher auch getan und sie hätten sich viel Geld gespart." Mit diesen Worten erhob sie sich und zog ihres Weges.
Nachdem sie um die Ecke gebogen war, drehte ich mich zu meinem Mann und sagte nur: "Frag nicht!"
So nun nur noch den Hund in den Karton und schon wäre es geschafft. Wir warteten einen günstigen Moment ab. „Los jetzt!“, flüsterte ich. Mein Mann packte die Vorderbeine und ich die Hinterbeine. „Warum haben wir nur einen so schweren Hund? Ein Pekinese wäre mir jetzt lieber“, stöhnte ich, während wir ihn rein hoben.
Deckel zu, Klebeband drüber- Mann, der hatte wirklich nichts vergessen- und einmal kräftig durchatmen.
„Der Karton hat uns übrigens zwanzig Euro gekostet. Ich musste ihn einem geschäftstüchtigen Mann abkaufen, nachdem es unmöglich war im Geschäft leere zu bekommen“, blaffte mich mein Mann an. „Naja Schatzi, dann hast du ja wenigstens schon mal den Karton von dem Plasmafernseher, den du dir so sehr wünscht“, gab ich trocken zurück.
Traurig, aber dennoch erleichtert, schoben wir schlussendlich unseren geliebten Hund zum Ausgang. Wir beratschlagten, wo wir ihn nun hinbringen sollten: „Im Garten vergraben können wir ihn nicht. Wenn das der liebe Nachbar sieht, zeigt er uns an. Wir müssen einen Tierarzt suchen, der ihn übernimmt.“ So in Gedanken schoben wir Richtung Auto.
Plötzlich schoss ein Junge auf einen Skateboard um die Ecke. Mein Mann verriss den Wagen. Der Karton begann zu rutschen und rutschte und fiel seitlich vom Einkaufswagen. Der Deckel sprang auf und der Großteil des Hundes schaute raus.
Der Junge blickte uns erschrocken an und auch ein Paar, das gerade vorbeikam blieb stehen, warf einen Blick auf den Hund und dann einen fragenden auf uns.
„Wir haben unseren Liebling präparieren lassen. Wir konnten ihn nicht einfach begraben, das hätten wir nicht übers Herz gebracht. Er hat uns so lange die Treue gehalten. Und nun haben wir ihn gerade abgeholt. Hier gibt es nämlich den besten aller Tierpräparatoren, müssen sie wissen“, schluchzte ich mit feuchten Augen. „Entschuldigen sie vielmals, aber ich dachte immer die Tiere wären nach dem Präparieren steif. Ihrer scheint mir so, so beweglich“,fragte die Frau nach. Mit ernstem Gesicht klärte mein Mann sie auf:“ Es handelt sich dabei um ein ganz neues Verfahren. Die Tiere bleiben beweglich und so kann man sie leichter an verschiedenen Orten platzieren. Einmal kann Sammy in seinem Körbchen schlafen und am anderen kann er im Garten liegen unter seinem Lieblingsbaum. So haben wir das Gefühl, er ist weiterhin bei uns.“
Er wurde nicht einmal rot dabei.
Freundlicher Weise halfen die beiden uns den Hund wieder zu verpacken und aufzuladen. Dann verabschiedeten sie sich und marschierten kopfschüttelnd weiter.
„Die müssen uns ja für komplette Idioten gehalten haben“, stellte ich grinsend fest.
Vorsichtig schoben wir den Wagen weiter.
Da stoppten uns zwei Damen ganz verschleiert. Es dauerte etwas bis wir verstanden was sie von uns wollten. Kein Wunder, unsere Erlebnisse hatte deutliche Spuren hinterlassen an unserem Verstand. Sie sagten etwas von Schulden, die die eine bei der anderen hatte und von einem Hunderter, den ihnen keiner wechseln wollte, vermutlich wegen ihres Gewandes. Wir hatte auch keine zwei Fünfziger, beschlossen aber das Wechseln für sie zu übernehmen.
Mit dem Hunderter in der Hand, marschierten wir zurück ins Einkaufszentrum. Im ersten Geschäft hielt man uns vermutlich für Geldfälscher oder so und wechselte uns den Hunderter nicht. Erst im zweiten half man uns weiter.
Über unser Entsorgungsproblem sprechend, kehrten wir zurück auf den Parkplatz zu den beiden Frauen. Oder sagen wir besser zu dem Platz wo die beiden mitsamt unserem Hund in der Schachtel gestanden hatten. Denn von allen dreien war nichts mehr zu sehen.
Verdutzt starrten wir auf die beiden Fünfziger in unseren Händen und auf den leeren Parkplatz.
Ohne ein Wort zu sprechen stiegen wir ins Auto.
Im Auto saßen wir zuerst schweigend nebeneinander, doch dann huschte ein gemeines Lächeln über unser beider Gesicht. Denn war der Verlust noch so groß, war er doch nichts gegen den Ausdruck in den Augen der beiden Frauen, beim Öffnen der Schachtel.