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Die letzten Meter
Neue, überarbeitete Fassung weiter unten!
Hinter der Ecke, um die er gerade bog, lag das Viertel der dunkeln, engen und geheimnisvollen Gässchen - im Volksmund auch gern ‚Labyrinth der Verkommenheit‘ genannt - durch das er wandeln musste, wenn er an seinem allzu innig ersehntes Ziel ankommen wollte - und dies war der stärkste Wille, die Motivation, der unglaubliche Antrieb jenes Mannes, der in graue Lumpen gekleidet war, die so zerfetzt waren von seiner Lebensreise, dass sie nur noch undefinierbare Fetzen waren und man vor lauter Grau und Schmutz der alten, längst vergangen und vergessenen Jahre, nicht mehr erahnen konnte, ob es Haut oder Stoff waren, so bedeckt war der Mann von dem Staub der alten Zeit, den er nun endlich loszuwerden gedenkte, weil er seine Last nicht länger auf den niedergedrückten Schulter zu tragen wusste.
So schlürfte er nun durch die Gässchen, vorbei an grauen Häusern, die genau wie er, von einem erdrückenden Staub bedeckt zu sein schienen, weiter auf seiner Reise, mit der Landschaft verschmelzend, als wäre er schon immer auf die gleiche Art dort hergewandert und würde schon immer zu den Requisiten des ‚Labyrinths der Verkommenheit‘ gehören, wie die leeren Gassen, denn außer dem Mann war es menschenleer und auf eine traurige, trostlose Weise still, was vielleicht an der nächtlichen Stunde oder aber daran liegen konnte, dass dieser Mensch keine Geräusche zuließ, nicht mehr hören oder sehen wollte, und obwohl das Bild, was er abgab, seltsamerweise nicht abschreckte oder erschreckte, auch wenn die Endgültigkeit dieser Schritte dem ein oder anderen Bedachter, der seine Geschichte erahnen konnte, sicherlich die Tränen in die Augen getrieben hätte und selbst dem, dem nichts schwante, doch eine Bedrücktheit hinterlassen hätte, die das Herz für einen Moment umschließen würde, wagte nichts und niemand in seine Nähe zu kommen oder ihn gar auf seinem Weg zu stoppen.
Nach einer nicht bestimmbaren Zeit gelangte man, wenn man den Weg so gut kannte, wie dieser Mann es tat, an ein schwarzes, schmiedeeisernes Tor am südlichen Ende des ‚Labyrinths der Verkommenheit‘, ein Überbleibsel aus dem Mittelalter, dass mit seinen fremd scheinenden Ornamenten unpassend wirkte in dieser eigenen Welt aus kleinen Gassen und hohen Häusern ohne jeglichen Schmuck; und durch dieses Tor schreitend, entdeckte der Mann, als er den Blick zum ersten Mal vom Boden erhob, den kleinen, steinigen Pfad, der stark ansteigend in ein dunkles Wäldchen führte, sein Pfad, das letzte Stück, das er sich mühsam hinauf quälen musste um endlich dort zu sein.
Als er schließlich das Licht am Ende des Pfades sah, verschwanden sowohl Anspannung als auch Druck, die ihm den ganzen Weg hinüber lässtige Begleiter gewesen waren, und er sammelte, während er einen Schritt vorwärts trat und die Luft einsog, die hier nicht vom Staub geprägt war, einen kurzen Augenblick seine Gedanken, um sich auf das Bild vorzubereiten, was sich ihm gleich zeigen würde - aus seiner Erfahrung wusste er, dass es ihn überwältigen würde - und öffnete die Augen: er war oben, am Ziel, erschöpft, entkräftigt, müde, aber nicht zu müde um den Blick vom Rand der Klippe aus in sich aufzunehmen, von jener Klippe, die der einzige Ausblickpunkt war über das sonst ebene Land, jene Klippe, dieser idyllische, unberührte Ort für den er all die Strapazen auf sich genommen hatte, nur weil er hier noch einmal stehen wollte, noch ein letztes mal sich den Erinnerungen an seine mit diesem Ort fest verwurzelten Träume hingeben wollte und weil er spüren wollte, wie der kalte Wind mit all seinen erstaunlichen Gerüchen durch sein nun spärliches und verfilztes Haar streifte, denn dort, wo alles begonnen hatte, sollte alles enden.