Die manisch mobile Frau
Die manisch mobile Frau betritt den engen Korridor. Die Klimaanlage verdrängt die feuchten Monsunmassen durch eisige Wolken, die sich gleichförmig von den Gepäckfächern abwärts ausbreiteten. Sie nimmt in der dritten Reihe Platz. Durch ihre Verspätung (sie verspätete sich immer) war sie in die Business Class heraufgestuft worden, einen Umstand, den sie den gängigen Buchungspraktiken der großen Airlines verdankte und durch ihre latente Unpünktlichkeit auch berechnend herausforderte. Sie verstaut ihre, den zulässigen Außenmaßen entwickelte Tasche unter ihrem Sitz und läßt sich ihre uniformähnliche Jacke wohlwollend von einem angenehm graumelierten Geschäftsmann in dem „overhead compartment“ verstauen. Sie ist die erste in der Dreierreihe und hofft, auch die einzige zu bleiben, um sich ihrer verschwenderischen Angewohnheit der Ausbreitung persönlicher Kultobjekte widmen zu können.
B heißt Mitte, denn sie fürchtet das Fenster. Schminkkoffer zur rechten, Handtasche zur linken beginnt das Ritual der Schönheitsreparatur am eigenen Körper. Der Lippenstift dreht sich aus dem Schaft und würde in jedem sorgsamen Beobachter Bewunderung auslösen, war er doch nach Manier einer Karotte oder eines Holzspans in akribischer Kleinarbeit auf der Damentoilette auf den Durchmesser einer Bleistiftmine zugespitzt worden, um den Auftrag trotz widriger Umstände in perfekter Ausführungsqualität zu gewährleisten. Die Konsistenz der starren Masse ist von einem unnatürlichen Rot, gleich frischem Blut, das die Arterien verläßt, angereichert mit Sauerstoff, unverbraucht, Theaterblut, Kapseln zum Zerbeißen. Es legte sich in einer ersten Schicht auf die Lippen. Durch den O-förmig geöffneten Mund werden die winzigen Falten zwischen den aufstehenden Rillen ausgespart, gleich dem Papier, das das Profil einer Münze durch den Druck einer Zeichenmine abbildet, eine originalgetreue Kopie des Negativs. Ein zweiter Auftrag mit E-förmigem Mund beseitigt diese Unzulänglichkeit und beendet denn Anstrich. Das ist genug. Die rastlose Reisende setzt auf die Basisreize ihrer Weiblichkeit : rote Lippen, straffer Busen ( der sich unter ihrem enganliegenden beigefarbenen Oberteil abzeichnet, Sport-BH), Parfumnote und das Ozeanblau ihrer Augen. Diese Frau möchte die Welt mit ihrem Auftreten reizen, sie will nicht den Mann, sie will an seiner Macht teilhaben, ihn betören und seine Position nutzen.
Platz A betritt den Gang. Sie ahnt nichts. Sein Gesicht gleicht einer Masse aus Brotteig. In seinen Augenhöhlen rollen wässrige Glaskugeln, die den Sauerteig am Leben erhalten. Ein Platzregen würde sein Gesicht in wenigen Augenblicken zu einem unförmigen Brei verschmelzen und in einen energieärmeren Aggregatszustand versetzen. Ein italienischen Essen lebt vom genüsslichen Zerreißen des Weissbrotes. Man drückt den großen Krumen zurecht und beschließt damit einen köstlichen Schluck Wein. Der hunrige Mund verschlingt dieses Gesicht. Weißbrotkrümel in der Pfütze, Teigstücke auf dem Asphalt. Der Bäckermeister nimmt neben der verdutzt dreinschauenden Schminktasche Platz und zerstörte ihren Tag.