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Die Melodie über der Erde
Im Lichte eines blutenden Sonnenuntergangs sah ich eine kleine schwarze Silhouette am Horizont. Sie sah aus wie die Rückseite eines kleinen Schokoladenkäfers. Ich atmete. Ich zitterte. Ich schaute auf den düsteren Erdboden vor mir.
Als ich wieder aufschaute, unsicher, da tanzte die Silhouette. Entfernt hörte ich eine Melodie, oben im Himmel. Auf und ab schob sich der plumpe Körper, passend zur Melodie.
Käferflügel konnte ich keine erkennen, auch keine kleinen Arme. Natürlich - es hätte ein Mensch sein können. Ein alter Mensch vielleicht. Die Figur war zerzaust an allen Rändern, ganz besonders am kleinen Kopf. Aber alles war sehr weit weg und die Figur selbst war nur etwa so groß wie eine 2 Cent-Münze. Es hätte auch ein Käfer sein können. Vielleicht war es auch nur ein Käfer, wenn ich darüber nachdenke. Es wäre jedenfalls besser - wenn es ein Käfer gewesen wäre.
Schwere Wolken zogen heran. Tief und schwarz schoben sie sich in den Himmel. Musiknoten tanzten still in der Luft.
Dreidimensionale Bilder drehten sich gleich neben den Noten. Sie drehten sich vorwärts und rückwärts. Ich sah Bilder mit merkwürdigen Menschenköpfen darin, sah faule Zahnstümpfe, welke Haut. Die Menschenköpfe verschwammen, die Münder klappten mechanisch auf. Licht zitterte und zuckte. Verblühter Lebensatem umfloss mich. Rosenköpfe tauchten auf. Ein Rabe krächzte, flatterte und startete seinen Flug in die Wolken!
Immer wieder ertönte die selbe Musik. on einer hellen, feinen Kinderstimme gesungen. Mir war, als wäre es kurz davor, dass etwas Furchtbares geschah. Ich riss mich zusammen, und konzentrierte mich auf die schwarze krabbelige Figur.
Da geschah es! Ein rauschendes Brausen verdichtete die Luft! Gehen schien mir unmöglich, so dicht war der Sauerstoff gepresst. Ein Musikkreisel drehte heran. Mächtige, große Noten konnte ich in ihm erkennen. Das bekannte Kinderlied wurde nun mit Pauken und Trompeten gespielt. Die Kinderstimme erhöhte sich noch um eins, zwei Noten. Alles dröhnte und stampfte, bis . . . ja bis aus dem Kopf der Figur auf einmal die Augen traten. Stück für Stück schlüpften sie aus den Augenhöhlen. Die Silhoutte stand dabei ganz still. Das Weiß konnte ich als guten Kontrast zur schwarzen Fläche des kleinen Etwas erkennen. Und dann fielen auf einmal hopp, hopp, die Augen auf den Boden.
Da wurde das Schwarze dann komplett von dem Kreisel der Melodie erfasst; die Augäpfel blieben liegen. Mit einem starken Sog wurde die Figur in die Luft gehoben. Ganz oben war der schwarze Gnom nun und sauste und sauste, Käfer oder Mensch, um eine unsichtbare Achse. Sausend in großen Kreisen, zog sich das Unbekannte immer mehr in die Länge. Es dauerte nicht lange bis es sich zu einer Musiknote verwandelte! Ich sehe es noch: ganz dünn und schwarz war die Figur nun, gar nicht mehr dick und plump. Unten bildete sich ein kleines rundes Köpfchen heraus, dann kam ein langer schwarzer Stab und ganz oben formte sich das Fähnchen wellenförmig.
Ich drehte mich von all dem Unbegreiflichen weg und betete zu Gott. Nach einer Ewigkeit wurde die Musik schließlich leiser und entschwand. Der Boden aber blieb, düster wie vorher, nur der Mond streifte ein paar Erdbröckchen und ließ die Spitzen glänzen.