Die Meute
Es war mal wieder einer dieser gottverdammten Samstage, die mies anfingen, noch mieser aufhörten und nie enden wollten. Ich musste Schicht schieben, weil mein Partner Bill sich das Bein gebrochen hatte. Das Bein gebrochen - lächerlich! Eigentlich war Bill kein schlechter Partner, aber dass er zufällig immer kurz vor Antritt seines Urlaubs krank wurde, das machte ihn zu einem Dreckschwein sondergleichen. Mir war klar, dass Bill noch die ganze nächste Woche fehlen würde - anschließend begann sein Urlaub...
Ich fuhr also an jenem Samstag mit meinem Pickup - Truck den staubigen Highway 32 hinunter. Der Weg sollte mich zu Crane’s Farm führen. Seine Frau hatte merkwürdige Geräusche ums Haus gehört und die Cops verständigt. Und weil das nächste Revier über 45 Meilen weit entfernt lag, wurde der Auftrag an die Parkranger weitergeschoben.
Langsam wurde es dämmrig. Die Luft war inzwischen beinahe un-erträglich schwül geworden, aber was blieb mir anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und aufs Gaspedal zu treten? Außerdem musste Crane’s Farm gleich in Sicht kommen, ich war schließlich schon über eine Stunde unterwegs. Über eine Stunde nur öde Graslandschaft, hier und da ein vertrockneter Strauch, Hitze und weit und breit keine Menschenseele...
Ich beschloss nach meinem Besuch auf Crane’s Farm nicht mehr zum Revier, sondern gleich noch Hause zu fahren - Feierabend! Ich nahm noch einen Schluck aus meiner Cokedose - es schmeckte widerwärtig und warm aber Alkohol war im Dienst nun mal verboten. Und am Steuer erst recht. Welche Geräusche die Frau wohl gehört hatte? Sicher war es nur der Wind, der ums Haus pfiff. Frauen bekamen eben leicht Angst.
Endlich war ich an der Abzweigung angekommen, von der eine Landstraße zu Crane’s Farm führte. Ich bog links ab, verließ den Highway und fuhr auf dem schäbigen und rissigen Weg weiter. Nach einer kurzen Weile, es war inzwischen dunkel geworden, sah ich die Lichter der Farm in der Ferne. Der Weg wurde immer holpriger und zwang mich dazu nur noch im Schritttempo zu fahren. Mir fiel auf, dass auf der Farm die Flutscheinwerfer eingeschaltet waren - es war taghell! Hatte Mrs. Crane die Scheinwerfer eingeschaltet? Nur aus Angst vor Geräuschen? Ich musste zugeben, dass mir die Sache langsam unheimlich wurde. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass irgendetwas nicht stimmte. Jetzt verschwand die Farm hinter einem Hügel. Die Straße machte einen Knick noch rechts, ich fuhr den Hügel hinauf, durch einen Torbogen auf dem "Crane’s Farm und Reiterhof" stand und an der anderen Seite wieder hinunter. Nun konnte ich das Haus sehen. Und nicht nur das.
Der Anblick, der sich mir bot, war grauenhaft: Auf dem Weg und um das ganze Haus lagen Pferdeleichen, aufs grausamste verstümmelt. Manchen fehlte der Kopf, andere lagen da mit aufgeschlitzten Bäuchen, aus denen die Gedärme hervorquollen. Viele der Tiere waren an mehreren Stellen bis auf die Knochen abgenagt. Wer konnte hinter diesem Gemetzel stecken?
Der Schock saß bei mir so tief, dass ich vergaß meinen Fuß vom Gas zu nehmen und immer weiter aufs Haus zufuhr. Erst einige Meter davor, als ich einen Hund vor mir auf der Straße liegen sah, erwachte ich aus diesem tranceartigen Zustand und trat auf die Bremse. Dem Hund vor meinem Wagen - einem Dobermann - fehlte der Kopf. Er lag einige Meter entfernt vom Rumpf und es schien mir als würden die glasigen Augen mich anstarren. In meinem Kopf drehte sich alles. Der Dobermann zählte, soweit ich mich erinnern konnte zu den Kampfhunden. Dies konnte nicht das Werk eines Menschen sein, aber welches Tier schaffte es, einen Kampfhund zu töten? Selbst einem Grizzly würde so etwas nicht gelingen...
Ich stellte den Motor ab und sah mich um. Das Tier war weg, aber wann würde es wiederkommen? Ich hatte keine Wahl, ich musste aussteigen und Mrs. Crane suchen. Wenn sie sich noch im Haus befand und am Leben war, dann war es meine Pflicht ihr zu helfen. Mein Puls raste. Mir fiel auf, dass ich wahrscheinlich wenig Chancen hatte einen Angriff dieses Tieres zu überleben, wenn ich im Wagen sitzen blieb. Ein Griff über meinen Sitz und ich hatte meine Remington 870 in der Hand. Dann nahm ich die Beretta 92 F aus meinem Gürtelholster und zog den Schlitten zurück - geladen! Ich stieg aus.
Zögernd ging ich auf das Haus zu, die Remington schussbereit in der Hand. Ängstlich sah ich mich um, jeden Moment damit rechnend, dass irgendein Tier aus der Dunkelheit auftauchen würde. Nichts rührte sich. Als ich an dem Hund, besser gesagt am Kopf des Hundes, vorbeilief konnte ich "Timmy" auf dem Halsband lesen. Armes Schwein dachte ich, man sollte eben nicht immer Kopf und Kragen riskieren. Zugegeben, das war ganz schön schwarzer Humor, aber ich bekam wieder ein bisschen Mut.
"Mrs. Crane", rief ich, "wenn Sie im Haus sind, dann können Sie jetzt herauskommen, alles in Ordnung!"
Ich blieb stehen, um zu lauschen, ob sich im Haus etwas regte. Nichts.
"Antworten Sie" schrie ich.
Meine Stimme sollte zwar sicher klingen, hatte aber einen ziemlich hysterischen Unterton.
Plötzlich hörte ich drinnen eine Türe zuschlagen, dann flog die Haustüre auf. Mrs. Crane stand im Türrahmen, zitternd, weinend und mit einem Küchenmesser in der Hand. Als sie mich sah, ließ sie es fallen, rannte auf mich zu und fiel mir, immer noch weinend um den Hals. Ich war mindestens genauso erleichtert hier einen Menschen anzutreffen wie sie, aber das sagte ich ihr natürlich nicht.
"SIE haben alle Pferde getötet, alle" schluchzte sie.
Alle? Die Crane’s waren sehr bekannt in der Gegend, sie arrangierten Reitausflüge. Jeden Sommer rissen sich die reichen Touristen darum, boten großzügige Geldsummen, nur um einmal durch die Steppe zu reiten und vielleicht die eine oder andere Bisonherde zu sehen. Der Andrang wurde jedes Jahr größer, Mr. Crane kaufte ständig neue Pferde, inzwischen mussten es schon über zwei Dutzend sein. Und die sollten alle ... tot sein?
"Wer sind >SIE<?" fragte ich.
"Sie werden mich jetzt wahrscheinlich für verrückt halten, aber..." - sie stieß einen spitzen Schrei aus:
"Timmy!"
Erst jetzt hatte sie den Hund bemerkt. Sie stieß mich weg und wollte zu den Überresten ihres Hundes laufen. Doch sie blieb nur wie erstarrt stehen. Dann packte sie mich am Arm und zeigte mit schreckensgeweiteten Augen zu meinem Pickup. Dort machte sich gerade - ich zuckte zusammen – ein Wolf daran den Hund vollständig zu fressen. Aber ein einziger Wolf konnte doch nicht zwei Dutzend...
Nein, konnte er nicht. Aber ein ganzes Rudel. Wie auf Kommando tauchte der Rest des Rudels aus der Dunkelheit auf. Es mussten über zwanzig Tiere sein. Zwei besonders aggressive Tiere rannten bereits auf mich zu. Ich war selbst über meine Reaktion überrascht. Dem ersten Biest füllte ich den Bauch mit Schrot, den zweiten Wolf streckte ich mit zwei Schüssen aus meiner Pistole nieder. Nun griff auch der Rest des Rudels an. Schnell packte ich Mrs. Crane am Arm, rannte mit ihr ins Haus und warf die Türe hinter uns zu.
Erst jetzt begriff Mrs. Crane, dass ich sie soeben vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Zum Glück brach sie nicht gleich wieder in Tränen aus. Draußen begannen die Wölfe zu heulen, was mich ziemlich nervös machte.
"Können diese Bestien hier herein?" fragte ich.
"Ich denke nicht" antwortete sie mit monotoner Stimme.
Ich packte sie am Arm und schüttelte sie.
"Ich will nicht wissen, was sie denken, sondern ob wir hier sicher sind!" schrie ich.
"Klirr" - irgendwo im Haus splitterte eine Fensterscheibe. Mir rutschte das Herz in die Hosentasche.
"Na gut, nehmen Sie die Schrotflinte, ich hab' die hier!", ich warf ihr das Gewehr zu und zeigte ihr die Pistole.
"Wenn wir warten bis diese Wölfe hier hereinkommen, dann sitzen wir in der Falle. Wir müssen sofort zurück zum Wagen, irgendwie werden wir uns schon durchschlagen!"
Sie nickte.
"Ach übrigens,", fügte ich hinzu, "zum Nachladen ziehen Sie den Vorderschaft des Gewehrs zurück, klar?"
"Klar!" antwortete sie und lud die Waffe wie zur Bestätigung durch.
Das Heulen vor der Türe wurde immer lauter. Der Leitwolf rief das Rudel zusammen. Obwohl ich schon seit unzähligen Jahren Ranger war hatte ich hier im Custer State Nationalpark noch nie einen Wolf gesehen. Allerdings geschah es häufiger, wenn man den Erzählungen der Farmer glaubte, dass die hier weit verbreiteten "Grauwölfe" Vieh töteten. Trotzdem war nie ein Fall bekannt geworden, in dem ein Wolf einen erwachsenen Menschen attackiert hatte.
"Klirr" - wieder splitterte eine Scheibe und jetzt konnte man Geräusche von umfallenden Stühlen aus dem Nebenzimmer hören. Sie waren im Haus. Jetzt oder nie dachte ich und riss die Haustüre auf.
Ein Tier, dass sich mit den Vorderpfoten gegen die Tür gelehnt hatte, verlor das Gleichgewicht und purzelte genau vor Mrs. Crane’s Füße. Geistesgegenwärtig drückte sie den Abzug durch und erledigte das Tier, bevor es wieder aufstehen konnte.
Zielsicher sprang ein zweiter Wolf auf mich zu, ich verpasste ihm noch während des Fluges einen sicheren Kopfschuss.
"Laufen Sie zum Wagen," brüllte ich, "ich schieße Ihnen den Weg frei!"
Sie rannte los. Es waren zwar nur wenige Meter bis zu meinem Wagen, aber ich hatte alle Hände voll zu tun, ihr den Weg zu "säubern" und mir dabei selbst diese Bestien mit Schüssen und Fußtritten vom Leib zu halten. 2 – 3 - 4, ich erschoss ein Tier nach dem anderen und dennoch, es schienen immer mehr zu werden.
Endlich ließen die Wölfe wieder von mir ab, es wurde auch höchste Zeit, ich hatte gerade mein Magazin leergeschossen. Dafür rannten die Wölfe jetzt zu Mrs. Crane, die inzwischen am Wagen angekommen war. Sie riss die Tür auf – aber zu spät: Einer der Wölfe hatte sich bereits an ihrem Handgelenk festgebissen und versuchte sie zu Boden zu reißen. Sie zielte mit der Schrotflinte auf dessen Kopf und drückte ab. Nichts passierte.
„Nachladen!“ brüllte ich.
Zu spät, sie lag bereits am Boden und ein zweiter Wolf stürzte sich auf sie. Helfen konnte ich ihr nicht, dazu war ich zu weit weg. „Aus“ dachte ich. Gleich wird ihr eine der Bestien den Gar ausmachen...
„Klatsch, klatsch“ – ein paar Meter von Mrs. Crane entfernt knallten zwei Tiere gegen die Stoßstange eines Landrovers, ein drittes wurde vom rechten Vorderrad überrollt. Der Landrover gehörte nicht mir – Mr. Crane war nach Hause gekommen...
Er sprang aus dem Wagen und ich erkannte erleichtert, dass er einen Revolver in der Hand hatte. Zwei Schüsse und er hatte die Tiere, die seine Frau bedrängten erschossen.
Danach ging alles ziemlich schnell: Mrs. Crane schaffte es endlich die Schrotflinte nachzuladen und mir fiel ein, dass ich noch ein Ersatzmagazin in der Tasche hatte. Gegen so viel Feuerkraft hatten die Wölfe nichts mehr auszurichten. Nach wenigen Schüssen sah selbst der angriffslustigste Wolf ein, dass wir die besseren Argumente hatten. Der Rest des Rudels, ergriff die Flucht und verschwand in der Dunkelheit.
Mrs. Crane hatte Glück im Unglück. Hätte ihr Mann nur eine Sekunde gezögert zu schießen, dann hätte ihr mit Sicherheit einer der Wölfe die Kehle durchgebissen. Bis auf ihre Hände und Unterarme, die deutliche Bissspuren zeigten, schien Crane’s Frau unverletzt.
„Na, Cowboy!“. Mr. Crane konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er mir auf die Schultern klopfte. Sein Gesicht wurde wieder ernst. „Ich stehe tief in ihrer Schuld – ohne Sie wäre meine Frau jetzt sicher tot“
„Wo waren Sie? Haben Sie eine Berechtigung für diesen Revolver?“ fragte ich. Zum Lachen war mir nicht zu mute.
„Immer langsam, eines nach dem Anderen“. Wieder grinste er. Er schien den Ernst der Lage nicht zu begreifen, seine Frau war verletzt, all’ seine Pferde tot....
„Also, ich war in Jonny’s Bar, etwa fünf Meilen weit entfernt von hier und hab’ mich vollaufen lassen mit Whiskey. Anschließend bin ich wieder nach Hause gefahren. Ist das etwa verboten?“
„In die Bar zu gehen nicht, aber betrunken Auto zu fahren! Für den Revolver haben Sie sicher auch keine Besitzkarte.“ entgegnete ich verärgert.
„Ich brauche keine Besitzkarte – was ist das überhaupt? Hören Sie, diese Farm gehörte bereits meinem Urgroßvater, der war ein echter Cowboy. Der hatte schließlich auch das Recht alle abzuknallen, die ihm seine Farm streitig machen wollten, also wieso ich nicht?“ lallte er.
Es hatte keinen Sinn mit ihm über solche Fragen zu streiten. Ich beschloss ihm den Revolver nicht wegzunehmen. Den Führerschein sollte er ruhig auch behalten. Das morgige Erwachen würde für ihn Strafe genug sein. Dann würde er endlich registrieren, dass sein Lebenswerk – die Pferde – zunichte gemacht war. Armer Kerl!
Ich ging mit Mr. und Mrs. Crane ins Haus. Wir versperrten die Fenster mit Schränken oder vernagelten sie mit Brettern. Mehr konnte ich in dieser Nacht nicht für die Crane’s tun. Alles andere würden ich morgen mit ihnen klären.
Eine dreiviertel Stunde später befand ich mich wieder auf dem Highway 32. Feierabend! Nach einem solchen Erlebnis hatte dieses Wort eine ganz andere Bedeutung. Die Luft war inzwischen abgekühlt und ich öffnete das Fenster, um nicht im warmen Wagen während der Fahrt einzuschlafen. Mir fiel auf, dass ich mal wieder Urlaub nötig hatte...