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Die Nacht

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15.04.2007
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Die Nacht

Ich drehe mich. Immer schneller, immer schneller. Das Gesicht zum Himmel gerichtet. Schwarz. Die einzelnen Sterne sind mit steigender Geschwindigkeit kaum noch zu erkennen. Der kalte Nachtwind streift mein Gesicht. Meine Füße bewegen sich wie von alleine; kleine Schritte immer um die eigene Achse und doch kommt es mir so vor, als würde sich die Welt um mich drehen und nicht andersherum. Ich kichere bei dem Gedanken. Ein leises, heiseres Kichern, kaum zu hören.
Michael lacht nicht. Ich weiß es. Er steht an die Mauer gelehnt und beobachtet mich, verständnislos. Doch mir ist es egal. Alles ist mir heute egal. Ich habe die Welt und sie hat mich, das reicht für den Moment.
Ich drehe mich weiter.
Langsam senke ich meinen Kopf etwas. Es ist schwer dabei das Gleichgewicht zu halten. Undeutlich nehme ich seine helle Jacke wahr, doch verschwimmt auch diese, wie der Rest meiner Umgebung immer weiter zu einem einzigen, schwarzen Bild.
Ich wünschte meine ganzen Probleme würden sich so einfach zu einem Ganzen zusammenfügen, würde so nahtlos ineinander übergehen, sich in der Masse auflösen. Langsam beginne ich zu straucheln, ich stolpere ein wenig und falle schließlich ins nasse, kalte Gras zu meinen Füßen. Ein Schauer durchläuft meinen Rücken, ich merke, wie die Feuchtigkeit langsam meine Jeans durchdringt, meine Haare benetzt, und doch bleibe ich liegen, spüre meinen Atem, höre mein Herz schlagen. Schon lange habe ich mich nicht mehr so gut, so klar und ganz gespürt.
Wann hatte das alles eigentlich begonnen? Diese Unruhe, diese innere Zerrissenheit, dieses Unzufriedene an mir, das mich so quält? An manchen Tagen hasse ich mich regelrecht und nicht nur mich, sondern auch alle anderen. Am unerträglichsten sind für mich in diesen Momenten genau die, die scheinbar alles richtig machen. Michael zum Beispiel.
Wir sind nicht zusammen und doch weiß ich, dass er mich mag. Eigentlich könnte ich mir keinen besseren Freund vorstellen, er ist nett, einfühlsam, zuverlässig, zielstrebig und doch ist es gerade diese Vielzahl an „guten“ Eigenschaften, die mich manchmal fast wahnsinnig zu machen scheint.
Ich hasse es, dass er immer die Hausaufgaben macht, immer rechtzeitig zu lernen anfängt, immer gute Noten schreibt und sich trotzdem nie in den Vordergrund drängt. Ich hasse es, wenn er versucht mir zu helfen, hasse diese Gutmütigkeit, hasse einfach, dass er mir nie böse ist, alles verzeiht und dabei auch noch so gelassen wirkt, als stünde er über allen Dingen.
In gewisser weise bin ich eifersüchtig auf seine Ausgeglichenheit, weil mir dadurch meine eigenen Schwächen nur umso deutlicher bewusst werden und je mehr die Wut auf mich selbst steigt, desto gemeiner werde ich gleichzeitig zu ihm. Ich weiß, dass ich unfair bin, dass ich ihm unrecht tue und doch kann ich nicht anders.
So gerne würde ich ihn einmal wütend erleben, ein einziges Mal den Hass in seinen Augen aufblitzen sehen. Und beinahe hätte ich es geschafft. Als ich nämlich sein liebstes Modellflugzeug umgeworfen hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob er bemerkte, dass ich mit voller Absicht, mit dem klaren Ziel den kleinen Kampfbomber zu zerstören, gegen den Tisch gerannt bin, oder nicht. Er war jedenfalls sauer, das konnte man ihm ansehen, doch anstatt seiner Wut freien Lauf zu lassen, wie ich es getan hätte, anstatt zu schreien, zu weinen, vielleicht auch um sich zu schlagen, hatte er nur ganz ruhig die einzelnen Teile des Fliegers vom Boden aufgesammelt und mehrfach gemurmelt: „Ist ok, vielleicht kann man das kleben. Oder ich bau ein neues. Ist ok…“
Verärgert war ich aus dem Raum gelaufen, ließ ihn allein. Wie schon gesagt, ich tue ihm unrecht.
Ich öffne langsam die Augen. Das Bild ist wieder klar, dreht sich nicht mehr. Der schwarze Himmel sieht mit den vielen, hellen Sternen wie ein leuchtender Teppich aus, irgendwie unecht. Meine Gedanken sind, so scheint es mir, ganz weit weg, soweit, dass ich sie nicht mehr fassen kann. Es ist ruhig.
Noch kurz bleibe ich liegen, dann hebe ich meine Jacke auf, von dem nassen Gras schwer geworden, schaue noch ein letztes Mal nach oben, erinnere mich an den einzigartigen Moment, schließlich sind Erinnerungen am Ende des Tages alles was bleibt, und laufe los, nach Hause.

 

Mir gefällt sehr, was du da geschrieben hast. Es hat etwas trauriges und trotzdem muss ich irgendwie schmunzeln. Ich finde deine beiden Figuren sehr ansprechend, man weiß nicht so recht welche einem besser gefällt.
Zum Schluss geht das Mädchen einfach, nachdem ihr weder etwas groß klar geworden ist, noch weil sie innerlich stocksauer ist Ich mag das Ende, es zeigt menschliches Handeln und nicht irgendwelche ausgedachte Fantasien.
Doch ich muss dich trotzdem etwas fragen. Wo war Michael zum Schluss? Stand er noch immer an der Mauer, ist er mit ihr mitgegangen oder war er längst weg? Das wird mir nicht ganz klar.
Ansonsten super. Genau die Sorte Geschichten, die mir gefallen! Mach weiter so...
Grün

 

hey tigris! :)
mir hat deine kg auch ganz gut gefallen, ich mag die art und weise, wie du schreibst :D
es sind zwar paar fehler mit drinne, aber ich hab grad keine zeit, die mir anzugucken... also dann: weiter so!
LG
mm

 

Hallo Grün!

Erst einmal danke fürs Lesen ... Es freut mich, dass dir der Text gefallen hat!

Zum Schluss geht das Mädchen einfach, nachdem ihr weder etwas groß klar geworden ist, noch weil sie innerlich stocksauer ist Ich mag das Ende, es zeigt menschliches Handeln und nicht irgendwelche ausgedachte Fantasien.

Ich hatte gehofft, dass es so rüberkommt und dass es, gerade wegen der geringen Handlung, nicht lanweilig/nichtssagend wirkt. Schön, dass du es so aufgefasst hast :) ...

Doch ich muss dich trotzdem etwas fragen. Wo war Michael zum Schluss? Stand er noch immer an der Mauer, ist er mit ihr mitgegangen oder war er längst weg? Das wird mir nicht ganz klar.

Ja, hatte ich mir doch gedacht, dass da jmd. nachfragen würde ... ;)
Um ehrlich zu sein, ich war mir selbst nicht ganz sicher, hatte mir das dann aber so gedacht, dass er einfach hinter ihr her läuft. Letzendlich hatte ich es dann bewusst offen gelassen, sodass es sich jeder selbst überlegen kann. Würdest du das trotzdem noch umschreiben?

Viele Grüße,

tigris

Hey mongmong!

Auch dir danke fürs Lesen und fürs "ganz gut finden" :D ...

ich mag die art und weise, wie du schreibst

Das hört man natürlich gerne und wurde mir bisher auch noch nicht gesagt, also danke ... :)

Welche Fehler meinst du denn? Vll könntest du mir ein paar zumindest noch aufzeigen?

LG,
tigris

 

Hallo tigris,

auch mir hat Deine Geschichte gefallen. Es ist eine Momentaufnahme, es passiert nicht viel, und doch schaffst Du es, dem Leser die Charaktere der Figuren nahezubringen. Vielleicht gefällt mir die Geschichte auch deswegen so gut, weil ich in meiner Jugend auch so einen Michael gekannt habe.

Ja, hatte ich mir doch gedacht, dass da jmd. nachfragen würde ...
Um ehrlich zu sein, ich war mir selbst nicht ganz sicher, hatte mir das dann aber so gedacht, dass er einfach hinter ihr her läuft. Letzendlich hatte ich es dann bewusst offen gelassen, sodass es sich jeder selbst überlegen kann. Würdest du das trotzdem noch umschreiben?
Nö. Für mich hat es sich so dargestellt, dass Michael die ganze Zeit über an der Mauer lehnt. Dass Du diesen Punkt offen lässt, stärkt die Geschichte meiner Meinung nach. Ein Autor muss nicht alles bis ins Kleinste erklären.
Welche Fehler meinst du denn? Vll könntest du mir ein paar zumindest noch aufzeigen?
Was mongmong gemeint hat, weiß ich nicht. Mir ist aufgefallen, dass Du ziemlich viele "hätte", "hatte" und "würde" in Deinem Text hast. Das sind irgendwie hässliche kleine Worte, die man wenn möglich vermeiden sollte. Beispiel:
Meine Füße bewegen sich wie von alleine; kleine Schritte immer um die eigene Achse und doch kommt es mir so vor, als würde sich die Welt um mich drehen und nicht andersherum.
...als drehte sich die Welt...
Als ich nämlich sein liebstes Modellflugzeug umgeworfen hatte.
Als ich nämlich sein liebstes Modellflugzeug umwarf.
Verstehst, was ich meine? Du kannst sie vielleicht nicht alle vermeiden, aber wo es geht, solltest Du es tun, zumal die Geschichte ja in der Gegenwartsform geschrieben ist.

Gruß, Stefan

 

hallo tigris
ich mag deine Geschichte auch, um mich mal den anderen anzuschließen.
Irgendwie hast du mit deiner Geschichte meine Stimmung getroffen und das gefällt natürlich!
Du beschreibst gut, man kann sich richtig reinfühlen und deine Geschichte hat einen schönen Klang weiß nicht wie ich das jetzt besser beschreiben soll.
Hab jetzt nicht die Zeit weiter ins Detail zu gehen sry.

lg
Orangenschale

 

Hallo Stefan S,

hatte gar nicht gesehen, dass meine 'Geschichte' noch kommentiert wurde. Deswegen auch die späte Rückmeldung!
Also, aber auch dir ersteinmal danke fürs Lesen ...

Mir ist aufgefallen, dass Du ziemlich viele "hätte", "hatte" und "würde" in Deinem Text hast. Das sind irgendwie hässliche kleine Worte, die man wenn möglich vermeiden sollte.

Ja, das stimmt. Ist mir davor gar nicht aufgefallen und hat mir auch noch keiner gesagt, aber diese "hässlichen kleine Worte" stecken tatsächlich in vielen meiner Texte. Werde das verbessern und in Zukunft mehr darauf achten. Also danke fürs Draufhinweisen :)

Viele Grüße,

tigris

Hallo Orangenschale,

danke für deine Kritik und dafür, dass auch dir die 'Geschichte' recht gut gefallen hat. ;)

Du beschreibst gut, man kann sich richtig reinfühlen und deine Geschichte hat einen schönen Klang

Schön, wenn das bei dir so ankam. Das zu hören freut einen natürlich... :)
Liebe Grüße,

tigris

 

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