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Die Ordonnanz

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26.10.2001
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Die Ordonnanz

Die Ordonnanz/ + überarbeitete Version

Die Ordonnanz
(Überarbeitet/Interpretiert am 05.01.2004 von A. P./ Nick.L.Arion)
(Überarbeitet und neu interpretiert 01/2004 von. A. P/Nick.L.Arion)


Leise, fast wie von Geisterhand bewegt öffnete sich die schwere Türe, liess einen Schatten hindurchhuschen, und schloss sich mit einem satten Geräusch, gefolgt vom knallen der Hacken, welches den vorschriftsmäßigen Deutschen Gruß zu begleiten hatte.
„ Herr Major ?“
Die halblaut ausgesprochene Frage verhallte scheinbar ungehört im Raum.
„Herr Major, ich bitte sie...“
Der Major, bislang in ein Buch versunken, lies dasselbe sinken und schaute auf.
„Schulz. Was gibt es denn so wichtiges?“
Schulz verharrte fast regungslos neben der schweren, von innen mit grünem Leder gepolsterten Türe.
„Herr Major, ich...“
„Kommen sie erstmal her, Schulz.“
Vorsichtig trat Schulz, ein schmächtiger Mann um die vierzig Jahre näher an den festungsartig im Raum vor den barocken Fenstern aufragenden Schreibtisch heran, hinter welchem der Major in einem großen Ohrensessel mit geschnitzten Adlern thronte und Schulz durchdringenden Blickes fragend entgegenschaute.
Etwas unsicher blieb Schulz hinter dem mittleren der drei wuchtigen Sessel stehen, welche mit schwerem Brokat bezogen, im Halbkreis vor dem mächtigen Schreibtisch des Majors aufgereiht waren.
Schulz räusperte sich, bevor er sagte: “Herr Major, es geht um...“
Wieder wurde er unterbrochen.
Diesmal von einer flüchtigen, einladenden Geste des Majors.
„Aber lieber Schulz, so setzen sie sich doch erst einmal, dann sagen sie mir, in aller Ruhe, was sie auf dem Herzen haben.“
Der Aufforderung seines Vorgesetzten folgend, versank Schulz in dem riesigen Fauteuil, und schaute dem Major nun von unten ins Gesicht.
Der Major liebte es, wenn seine Untergebenen und Gäste zu ihm aufschauen mussten.
Er betrachtete sinnierend das blasse Gesicht seiner Ordonnanz und stellte fest, dass Schulz draußen an der Front wohl keine Stunde überlebt hätte. Ein gönnerhaftes Lächeln überflog das Gesicht des Majors. Wahrlich, Schulz war die perfekte Ordonnanz.
Unscheinbar, treu ergeben, zu zart, um ihm ernsthaften Wiederstand entgegenzusetzen, nicht zu intelligent, aber trotzdem pflichtbewusst und akkurat in allem was er für dem Major zu erledigen hatte, mit einem Wort: perfekt für seine Zwecke.
„Nun?“ grollte der Major leise, ohne Schulz aus der Fessel seines Blickes zu entlassen.
„Herr Major, es ist wegen den Vorräten. Sie reichen selbst bei strengster Rationierung nur noch für drei Wochen.
Darf ich Herrn Major also fragen, wie lange wir noch hier bleiben müssen?“
Schweigend sah der Major seiner Ordonnanz in die Augen.
Wie erwartet erzielte er damit den von ihm gewünschten Effekt, denn Schulz begann fast unmerklich, aber dennoch nervös mit den Augen zu blinzeln und auf der Vorderkante des Sessels hin und her zu rutschen. Es war nur minimal, aber dem Major genügte es, um innerlich zufrieden zu sein.
Wieder einmal hatte er treffsicher die Rolle des Herrgotts vor Schulz eingenommen.
Wie einfach es doch war, diese schlichten Bauerngemüter zu beeindrucken.
Manchmal empfand der Major so etwas wie Zuneigung zu seiner Ordonnanz, dessen fast kindliche Naivität manchmal etwas anrührendes in sich trug, was selbst den ehernen Schutzwall, den der Major schon lange um sein Herz errichtet hatte, zeitweilig zu durchbrechen drohte.
Und dennoch, Schulz, genau wie alle anderen Mitglieder seines Kommandos brauchten ihn, wie auch er sie brauchte.
Sie brauchten die Gottgestalt seiner Führung, und er brauchte ihre blinde, gläubige Ergebenheit. Sie waren fast Symbiotisch mit einander verbunden.
„ Wissen sie, was ich gerade las, als sie mich störten, Schulz?“
Grummelte der Major nicht unfreundlich.
„N.. Nein, Herr Major.“
Langsam und Theatralisch lies sich der Major in seinem Sessel zurücksinken, nahm mit einer versonnen Geste das kleine Buch in die Hand, welches auf der Kante des mächtigen Schreibtisches gelegen hatte, schaute kurz hinein, legte es zurück, griff nach einem silbernen Zigarettenetui, welches links neben der grünen, ledernen Schreibtischauflage zu liegen pflegte, entnahm ihr eine Zigarette, und steckte sie mit sparsamen Bewegungen in eine silberne Zigarettenspitze mit schwarzem Ebenholzmundstück.
Schulz sprang auf, reichte ihm Feuer und setzte sich, als der Major den ersten Rauchkringel ausstieß wieder gehorsam auf die Kante seines Sessels.
„ Nietzsche. Schulz. Nietzsche. Schon gelesen?
Schulz schüttelte verneinend den Kopf.
„Menschlich, allzu Menschliches, Schulz...“
Ehrfürchtig sah Schulz in das abwesend aus dem Fenster blickende Gesicht des Majors.
„ Er referiert über den Sieg. Der Sieg sei das Allheilmittel, ja, geradezu die Wunderwaffe gegen die Lähmung in tobendem Kampfesgeschehen. Ich bin geneigt, diese Ansicht Nietzsches zu teilen.“
Ruckartig wandte der Major sein Gesicht in Richtung seiner gespannt lauschenden Ordonnanz.
„Und sie, Schulz, was denken sie über den Sieg?“
„Der Sieg ist gut für uns, und schlecht für unsere Gegner, Herr Major.“
Antwortete Schulz nach einer kleinen Pause.
„ Richtig erkannt, Schulz, und was noch?“
„Herr Major?“
„ Was sie sonst noch so über den Sieg denken, Schulz. Sie sind doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.“
„Nein, Herr Major...“
„Also ?... Schulz, ich warte...“
„Darf ich offen sprechen, Herr Major?“
„Nur immer frei von der Leber weg, Schulz. Der frische Gedanke ist oft der beste.“
„ Es ist nur so, Herr Major, dass ich mich immer frage was, und vor allem wo der Sieg ist.“
„ Was, und wo der Sieg ist...“
Wiederholte der Major stirnrunzelnd.
„Gar nicht dumm, Schulz, gar nicht dumm...“
„Zunächst zu der Frage was der Sieg ist, Schulz. Der Sieg ist der Sieg des starken Geistes über den schwachen, oder wenn sie so wollen, der Triumph des überlegenen Geistes über das innere Vieh, über das schwache, nicht lebensfähige, über das verweichlichte und degenerierte.
Und nun zum wo. Na, was denken sie Schulz? Hier, in diesen Mauern? Falsch, Schulz, ganz falsch.
Der Sieg ist draußen auf dem Feld der Ehre, dort wo die starken Herzen geschmiedet werden, im Brüllen der Kanonen, in den Stahlgewittern der tödlichen Klarheit. Dort, wo sich Geist und Fleisch zu einer unbesiegbaren Einheit verschmelzen, dort, wo das Ideal des wahren Volkes über den Untermenschen seine blutigen Triumphe feiert, dort, Schulz, wo nur die besten und stärksten überleben, nur dort, Schulz, ist der Sieg.
Sieg ist Überleben, Schulz. Überleben zwischen krepierenden Granaten, dröhnenden Motoren, dem Heulen unserer Stukas, die den Feind unerbittlich zerreiben; ihn zermahlen zwischen den ehernen Rädern der göttlichen Vorsehung und der Unerbittlichkeit des geschichtlichen Wandels.
Das ist der Sieg, und dort ist der Sieg, Schulz.“
Während dieser Rede hatte sich der Major in seinem Sessel aufgerichtet, seine Augen begannen zu leuchten, und während der Major sprach, wurde Schulz in gleichem maße kleiner, in welchem der Major vor ihm zu wachsen schien.
„Ich verstehe, Herr Major.“
„So, Schulz, tun sie das?“
„Ich denke...“
„Haben sie eine Seele, Schulz?“
„Herr Major?“
„Haben sie außer ihrem Hasenherz eine Seele im Leib, die der Garant für den unausweichlichen, heroischen Sieg ist? Schulz?“
„ Ich verstehe nicht, Herr Major...“
„ Das dachte ich mir“
Zufrieden schaute der Major in Schulz gutmütiges, verwirrtes Gesicht.
„Nun Schulz, draußen an der Front, dort, wo sie noch nie waren, da hat ihre Seele zwischen all dem Kämpfen keine Zeit, das einzelne des Geschehens zu erfassen und einzuordnen. Dort, Schulz, werden sie Automat. Teil eines großen Ganzen, eines Ganzen, wie es die Welt noch nie zuvor gesehen hat. Ein Teil dieses Ganzen aber können sie nur sein, wenn ihr Herz zuvor in der glühenden Esse der Erkenntnis geschmiedet wurde, zum lauteren, klingenden Stahl des wahren Heldentums, des Bewusstseins ein Auserwählter in einer großen Zeit sein zu dürfen.
Da ist es bedeutungslos, wie viele Untermenschen auch aus höllischen Tiefen auf uns zugestürmt kommen mögen, ruhig hält die heldische Hand des Kriegers die Maschinenpistole, beschreibt einen langsamen, exakten Kreisbogen, alles anstürmende niedermähend, des einzelnen nicht achtend und kühlen Herzens, mit kühlem Mut und klarem Blick.
Dort siegt der Heldenmut über die lächerliche Angst des Kleinmütigen, dort siegt der wahre
Glaube gegen verworrene Ideale, Schulz. Das ist der Sieg des Reflexes über das zerdachte, zerzweifelte, zersetzte. Dieser Reflex, geboren aus dem Wissen um die Unverwundbarkeit des großen Ganzen macht uns unschlagbar.
Gib diesem Volk eine ganze Generation von Kriegern, und alle werden sein wie ein Ganzes, stolz, stark und unbesiegbar.
Der Sieg, den ich meine Schulz, ist zuerst der in uns selbst. Der Sieg über die lächerliche Angst und den Kleinmut derer, die sich einen Dolch in den Rücken stoßen ließen ohne sich zu wehren, aber dann, ist dieser innere Sieg erst vollbracht, siegen wir an allen Fronten der Welt.“
Krach!
Plötzlich, blitzschnell hatte der Major die Parabellum aus seinem Halfter gerissen, und in Schulz` Richtung einen Schuss abgegeben.
Eine gewöhnliche Schmeissfliege hatte Schulz` Kopf umschwirrt und sich dann rechts neben Schulzens Kopf auf der Lehne des Sessels niedergelassen, in welchem sich nun, anstelle der grünschillernden Fliege, ein gezacktes Loch befand.
„Ein guter Schuss, Herr Major.“
Stammelte Schulz während sich Schweißperlen auf seiner Stirne zu bilden begannen.
„Ein üblicher Schuss, Schulz“, sagte der Major, während er wie beiläufig die Waffe in das Gürtelholster zurücksteckte und wieder in seinem Sessel Platz nahm.
„Noch etwas, Schulz? Mit unseren Insassen alles in Ordnung?“
„Herr Major, die im Westflügel weigern sich zu essen, sie haben versucht, mit ihren Betten die Türen zu verbarrikadieren, was empfehlen sie für eine Vorgehensweise?“
„Wenn sie nicht leben wollen Schulz, dann sollen sie eben sterben, was macht das schon für einen Unterschied?, für wie lange, sagten sie reichen die Vorräte noch? Drei Wochen?“
„Drei Wochen, Herr Major, und ich frage mich, wann wir wieder verproviantiert werden...“
Schweigend schaute der Major seiner Ordonnanz ins Gesicht, als warte er auf etwas wesentliches.
„Haben Herr Major schon etwas von der Division gehört, über unsere weitere Verwendung? Vor zwei Wochen schon sollten wir hier aufgelöst werden...“
Staub flirrte vor den Fensterscheiben, ein schwacher Geruch von Kordit vermischte sich allmählich mit dem Oevre der kalten Asche im erloschenen Kamin, welcher schwer, wuchtig und kühl atmend das Dunkel des rückwärtigen Zimmers ausfüllte.
Erkaltend zog sich der Schweiß auf Schulz` Stirne zusammen und ließ ihn frösteln.
Eisiges Schweigen durchtoste den Raum, brachte ihn vor Schulz`Augen in eine drehende Bewegung, die aprupt endete, als der Major erneut zu sprechen begann.
„ Wir werden sehen, Schulz, wir werden sehen.“
Schulz starrte ihn erwartungsvoll an.
„ Was glauben sie Schulz, wer hier über alles die Übersicht behält?“
Erneut fröstelte es Schulz, denn er hasste diese zweideutigen, und dennoch eindeutig scheinenden Fragen des Majors, welche ihn immerfort auf den Prüfstand der Gnade des Majors zu stellen schienen.
Natürlich war Schulz bewusst welche Gnade es für ihn war dass der Major ausgerechnet ihn als Ordonnanz zu sich befohlen hatte und ihn so vor der Front bewahrte.
Aber Schulz konnte nicht verstehen, warum der Major ihm die Gunst der ideologischen Schulung angedeihen liess, die er nicht zu verdienen glaubte.
„ Das Divisionshauptquartier, der Generalstab, der Führer, oder...“
„Ja, Schulz, oder?“
„ Möglicherweise auch... niemand?“
Ein gefährliches Lächeln breitete sich über das kantige Gesicht des Majors aus als er sich vorbeugte, als habe er nicht richtig verstanden.
„Niemand...“ wiederholte er leise.
„Nicht übel, Schulz, nicht übel. Man merkt meine Schule bei Ihnen... gar nicht übel.“
Mit gemessener Bewegung nahm der Major eine Reitpeitsche, die ihm zur rechten gelegen hatte vom Tisch, stand langsam auf und schritt, die Peitsche langsam zwischen seinen Fingern drehend um den Schreibtisch herum bis er sich hinter Schulz befand, welcher unverändert geradeaus starrte und sich nicht zu rühren wagte.
„ Sie lagen fast richtig, mit ihrer Vermutung Schulz, aber wie gesagt, nur... fast.“
Die Ordonnanz hielt den Atem an.
„Das was ich ihnen jetzt sage, Schulz, bleibt unter uns, verstanden?“
„Wer wirklich Bescheid weiß, ist... niemand. Niemand weiß etwas genaues. Fabriken müssen mit Rohstoffen beliefert werden, deren Produkte an die Bevölkerung und die Wehrmacht verteilt werden, 200 Divisionen wollen verpflegt und richtig eingesetzt werden, der Gegner will richtig eingeschätzt sein, die Bevölkerung möchte nach der Arbeit ins Kino, oder auf ein Schützenfest gehen, die Verbindungen zwischen den Stäben und den Fronttruppen wollen gehalten sein, Kampfverbände warten auf Material aus der Etappe, frische Truppen warten auf Transport, Fronttruppen warten auf Urlaub und niemand hat die Übersicht, niemand außer dem Einen... Nur einer hat die Übersicht, Schulz, nur einer...“
Mit einem lauten Klatschen fuhr die Reitpeitsche auf die Rückenlehne eines Sessels nieder.
„Na kommen sie Schulz, lassen sie mich nicht warten, das ist doch nicht so schwer...“
„Herr Major?“ Schulz saß kerzengerade im Sessel, und starrte verzweifelt aus dem Fenster.
„Es ist der Krieg , Schulz, der Krieg hat als einziger die Übersicht über alles was geschieht.“
„Herr Major sprechen vom Krieg, als sei er eine Person ... ich meine, der Krieg ist doch kein Mensch, er kann doch nicht denken... Herr Major... Verzeihung...“
„Irrtum, Schulz. Irrtum. Der Krieg ist eine Person. Wenn ein Volk, wie das unsere einen Krieg beginnt, dann wird das ganze Volk zum Krieg.
Der Krieg manifestiert sich in den Herzen und Köpfen aller zur unumstößlichen Realität. Er formt aus den Söhnen Soldaten, aus Töchtern Mütter und Bewahrerinnen der Rasse. Das Individuum geht auf in ein allumfassendes Ganzes. Der Verlauf des Krieges schafft eine unsichtbare Verbindung zwischen der Heimatfront und der Front in der Ferne, vom Flieger bis zum Landser, vom U-Bootmann bis zum Gebirgsjäger, vom Kneipenwirt oder der Hebamme bis zum General an der Front oder Krankenschwester im Lazarett. Sie alle sind eins. Jeder für sich nur ein winziges Individuum, und dennoch Teil eines übermächtigen Ganzen, Ameisen, Schulz, Ameisen...“
Hart und klar drangen die Worte an Schulz` Ohren, während sie von den energischen Schritten des Majors auf dem kühlen terakottagefliesten Boden mit unbarmherzigem Rhythmus untermalt wurden.
„Der Gedanke an Sieg und Ehre verbindet die Menschen in ihren Köpfen und Herzen zu einem Millionenorganismus. Jeder kleinste Teil dieses Organismus wäre alleine für sich gestellt verloren, dennoch weiß ein jeder, was zu tun ist um zu überleben, darum weiß auch der Organismus zu überleben und darum steuert er sich selbst. Wir sind ein gewaltiges Kollektiv Schulz.
Jeder weiß, was er zu tun hat, sie, ich, alle.
Und weil wir es wissen, weiß es auch der Komplex.
Würde der Krieg, wie ich vorhin wünschte, eine Generation lang andauern, so würde dieses kollektive Empfinden in unser Erbgut übergehen, in die kommenden Generationen als unauslöschliches Erbe eingebrannt werden und uns zum mächtigsten Volk auf diesem Planeten machen.
Und die Welt würde sich unserem Willen zu beugen haben, aber auch endlich daran gesunden.“

„Das... das wäre wunderbar, Herr Major...“Fast schon ergeben senkte Schulz seinen Blick auf den alten Terrakottaboden eine einzelne Träne fiel herab.
Sein Herz erbebte unter einem neuen Gedanken...
„ Das wäre wunderbar, Herr Major,“ wiederholte er.
„ Aber was wäre dann mit der Liebe, wenn alle Menschen Teil des Krieges wären, könnten unsere Kinder noch lieben, oder ein Mann eine Frau aus, sagen wir, einem anderen Volk...?
„Würden wir siegen, Schulz, dann müssten alle Frauen der Welt uns siegreiche Helden lieben, das sei gewiss.“
„Abgöttisch würden sie uns lieben, Schulz, abgöttisch.“
Er wandte sich um und ging mit schnellen Schritten auf die große Flügeltüre zu, die den Raum von seinen Privatgemächern trennte.
„Schulz ?“
„Herr Major?“
„Mein Tee um fünf, Abendessen um sieben und bis dahin ist die Sauerei hier verschwunden. Gestört werde ich nur im dringendsten Fall. Verstanden?“
„Verstanden, Herr Major!“
Krachend flog die Türe ins Schloss.
Stumm machte sich Schulz an die Arbeit während die brutale Wahrheit in dem Worten des Majors sich eiskalt in seinem Herz auszubreiten begann.
Schulz bewegte sich leise, und unauffällig, während er seine Arbeit tat.
Wie immer.


Zwei Tage später kam der von Schulz so sehnsüchtig erwartetet Anruf vom Divisionsstab.
Er stellte ihn ins Zimmer des Majors durch, und machte sich neben der Türe bereit, dem sicher bald erschallenden Ruf des Majors sofortige Folge leisten zu können.
Die immer noch von innen verbarrikadierten Zimmer der renitenten Insassen des Westflügels hatten zu stinken begonnen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sich dieses Problem von selber lösen würde, hatte der Major beiläufig am Morgen bemerkt.
Der ersehnte Ruf schallte durch die Tür und Schulz betrat eilig das Zimmer.
Dort bekam er den Befehl, die verbarrikadierten Zimmer öffnen zu lassen, alle darin befindlichen Personen zwangsweise einer Säuberung zu unterziehen, und sie Transportbereit in zwei Stunden in der Eingangshalle bereit zu halten, dann käme ein Sonderkommando der SS um sie in eine andere Klinik zu verbringen.
Sie wehrten sich nicht, als das Wachkommando mit der Axt durch die Türen brach, sie in den Sanitärräumen mit einem Feuerwehrschlauch und eiskaltem Wasser abspritzte, um sie dann, nass wie sie waren in einem kleinen, neben der großen Eingangstüre gelegenen Abstellraum zusammenzupferchen.
Es waren 24 Mann. Kritiker, Schriftsteller und Künstler, deren Schaffen als „Entartet“ galt und die sich dem Zugriff der Herrschenden nicht, wie manch andere Kollegen durch Flucht ins Ausland entzogen hatten.
Gebeugt und ausgezehrt standen sie nun dort, aneinandergedrängt und stumm. Nur ihre großen, tief liegenden Augen unter den kahl geschorenen Köpfen starrten Schulz ins Gesicht.
Jeder Blick ein stummer Schrei, jeder Blick eine ebenso tödlich – präzise Frage wie die Worte des Majors, Tage zuvor.
Fröstelnd ging Schulz hinaus auf die große Freitreppe vor dem Portal um den Transport zu erwarten.
Nach endlos scheinendem Warten bogen die Fahrzeuge endlich mit knirschenden Ketten und Reifen in den Schlosshof ein und kamen quitschend zum Stillstand.
Es waren eine dunkle Mercedes Limousine der zwei Offiziere in schwarzer Uniform mit silbernen Runen am Kragenspiegel entstiegen, zwei Opel Blitz Lastkraftwagen, im Feldgrau der Wehrmacht gestrichen, sowie ein Hanomag Halbkettenfahrzeug mit aufmontiertem Maschinengewehr, von denen nun Soldaten heruntersprangen und in zwei Reihen vor der Freitreppe Aufstellung nahmen.
Der Major begrüßte die beiden Offiziere, dann besprachen sie leise etwas miteinander, zu leise für Schulz, um etwas davon zu verstehen, dann machte der schwarz Uniformierte Hauptmann eine knappe Bewegung mit der Hand und verschwand mit dem Major im Schloss.
„Ordonnanz!“
Eiskalt und hart wie Stahl spie der schwarze Leutnant die Worte in die stille Juniluft.
„Die Untermenschen angetreten!“
Schulz salutierte, drehte sich um, und gab den Befehl an die Wachmannschaft weiter, welche die ausgemergelten Gestalten in den Hof zu führen begannen.
Nun wurden sie zu den Lastwagen getrieben und begannen mühsam, die Ladeflächen zu erklimmen.
Einer von ihnen rutschte ab, fiel rücklings auf den Boden, und konnte sich nicht mehr erheben.
Der schwarze Leutnant trat hinzu, und kommandierte: “Aufgestanden. Sofort!“
Der Mann am Boden stöhnte nur leise und blieb liegen.
Laut peitschte ein Schuss durch den stillen Hof, der Mann am Boden sank in sich zusammen und der schwarze Leutnant sagte kalt:“ Noch 23. Vermerken sie das in den Transportpapieren. Herzversagen.“
Dann lachte er kurz und trocken auf, und wandte sich ab, um sich eine Zigarette anzuzünden.
Die Wagen waren beladen, die Ladeklappen verriegelt, die Mannschaften aufgesessen, die Motoren liefen.
Der schwarze Hauptmann kam, mit dem Major ins Gespräch vertieft die Freitreppe heruntergeschlendert, warf einen beiläufigen, desinteressierten Blick auf den am Boden hinter dem zweiten Lastwagen liegenden Leichnam, hob die Hand zum Gruß, wie auch der Major, und stieg in den Mercedes, dessen Türe vom Fahrer aufgehalten wurde.
Dann brüllten die Motoren auf, und der kleine Konvoi setzte sich in Bewegung.

Gedankenverloren starrte die Ordonnanz den sich immer weiter entfernenden Fahrzeugen nach, als ihn eine Stimme in die Realität zurück schleuderte.
„Schulz! Hören sie auf zu träumen. Wir haben zu tun.“
„ Verzeihung, Herr Major, was sagten sie gerade?“
„ Wir haben zu tun, Schulz. Wir Packen.“
„Packen, Herr Major?“
„Ja, Schulz, packen. Morgen werden die anderen Idioten abgeholt, und wir fahren heim, ins Reich. Zwei Wochen Sonderurlaub.“
Schulz starrte dem Major verständnislos ins Gesicht.
„ Was ist los, Schulz? Hat es ihnen die Sprache verschlagen? Haben sie sich etwa in dieses schöne Ambiente hier verliebt?“ Der Major machte eine weit ausholende Geste mit der Hand.
Sein Lachen, mit dem er diese Theatralische Geste untermalte klang metallisch und unangenehm.
„ Nein, Herr Major,“ beeilte sich Schulz zu sagen, und folgte dem Major die Treppe hinauf, ins Schloss.
Langsam sank der von den abfahrenden Fahrzeugen aufgewirbelte Staub in die gebochenen Augen des Mannes, der immer noch auf dem feinen Kies des Schlosshofes lag, als sei er eine von Kindern achtlos weggeworfene Lumpenpuppe.


„Wo kommen sie eigentlich alle hin, Herr Major?“ Fragte Schulz, der gerade damit beschäftigt war, den Schrankkoffer des Majors einzuräumen während sich der Major im Bad die Hände wusch.
„Nach Auschwitz. Der Hauptmann sagte, der „Weiße Engel“ bräuchte neues Forschungsmaterial.“
Ein dumpfer Schlag hallte durch das Zimmer.
„Schulz?“
Schulz saß kreidebleich auf dem Bett, und ihm zu Füßen lagen die Scherben einer Flasche Kognac, die er eben noch in der Hand gehalten hatte um sie in einer Schublade des Schrankkoffers zu verstauen.
„Donnerwetter, Schulz, sind sie noch bei Trost? Der gute Kognac.“
„Verzeihung, Herr Major, ein Moment der Schwäche...“ stammelte Schulz und machte sich auf, um eine Kehrichtschaufel und einen Lappen zu holen, vorbei am Major, der kopfschüttelnd, die Hände in die Seiten gestützt dastand, und Schulz verwundert nachstarrte.


Es war schon lange nach Mitternacht, als Schulz durch die stillen Gänge des Schlosses lief. Er bewegte sich fast unhörbar, ganz so, wie es seine Art war, bis er am Ende des Ganges vor einer verschlossenen, weißen Türe mit einer messingnen Türklinke stand, welche wie zur Erbauungszeit des Schlosses wohl üblich, fast auf Schulterhöhe angebracht war.
Er atmete schwer, so als könne er mit jedem Atemzug das Grauen in und um sich herum wegwischen und ungeschehen machen. Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, wählte einen Schlüssel aus und öffnete leise die Türe.
Rasch trat er hindurch, verschloss die Türe sorgfältig von innen und gewöhnte seine Augen an das Zwielicht des nur vom durch die vergitterten Fenster hereinströmenden Mondlicht erhellten Zimmers.
„ Magdalena“ sagte er leise...
Ein leises Rascheln war die Antwort.
Er nahm eine Bewegung unweit des Fensters wahr und ging langsam auf sie zu.
„Magdalena“ sagte er nochmals leise, nahm sie sanft in die Arme, und grub sein Gesicht in die Flut ihrer schwarzen Locken. Schulz begann sie zu streicheln und spürte, wie seine Zärtlichkeiten erwidert wurden.
Er zog sie sanft vom Fenster fort, hin zum Bett, ließ es zu, dass sie ihn entkleidete, und streifte ihr mit einer zärtlich, fließenden Bewegung das lange Nachthemd über den Kopf.
Sie gab einen erstickten, leisen, gutturalen Laut von sich, als er begann, sie zu lieben.
“Magdalena,“ flüsterte Schulz in Ihr Ohr.
„Das ist unsere letzte Nacht“.
Von Ihr kam keine spürbare Reaktion.
Schulz hatte nie herausgefunden ob sie ihn überhaupt verstehen konnte, denn sie war nicht fähig, zu sprechen.
Sie hatte keine Zunge mehr. Keiner wusste zu sagen, warum, und wie lange schon. Man hatte sie vor langer Zeit verwahrlost auf der Straße aufgegriffen und hierher gebracht, lange bevor Schulz mit dem Major in dieses Schloss kommandiert wurde.
„Ich lasse nicht zu, dass sie dir etwas antun.“
Sagte Schulz mit tränenerstickter Stimme, richtete sich auf, und tastete im dunklen nach seiner Mauser.
Sie zuckte kurz zusammen, als das kalte Metall der Waffe ihre nackte Brust berührte.
Dann gab sie ihm einen langen, zärtlichen Kuss, löste sich gerade so weit von ihm, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, lächelte, und nickte.
Der Schuss klang wie eine gewaltige Detonation.
Zäh rann die Zeit durch das Schloss bis sich hastende Schritte näherten.
Türen klapperten, Menschen riefen.
Schließlich rasselte ein Schlüsselbund im Türschloss, die Türe sprang auf, Licht flammte auf, ein Posten kam, das Gewehr im Anschlag herein gelaufen, sah die Ordonnanz in sich zusammengesunken nackt auf dem Bett kauern, die Hände Blutüberströmt, die zarte Gestalt einer Frau in den Armen haltend.
Schließlich kam der Major, von den Rufen des Postens herbeigeholt, ins Zimmer gelaufen.
„Schulz, Donnerwetter, sind sie noch bei Trost?“
Dann erkannte er, was sich hier abgespielt haben musste.
„Raus!“ herrschte der Major den Posten an, der immer noch mit ungläubigem Gesicht in der Nähe der Türe stand.
„ Und nun zu ihnen, Schulz. Sie sind vielleicht ein verrückter Mensch. Aus ihnen soll einer schlau werden.
Da ist der Kerl meine Ordonnanz, tut so, als könne er kein Wässerlein trüben, und betreibt hinter meinem Rücken Rassenschande.
Mann, was haben sie sich bloß dabei gedacht?“

Schulz ließ behutsam den Leichnam der Frau aufs Bett sinken und stand langsam auf.
„Herr Major, ich...“ seine Stimme versagte.
„Verstehe, Schulz, verstehe vollkommen. Morgen hätte der Krieg sie getötet, und sie wollten ihr dieses Ende ersparen... aus Liebe.“
Kopfschüttelnd ging der Major einen Schritt auf seine Ordonnanz zu.
Schulz schaute blicklos an ihm vorbei. Sein Blick fiel auf das kleine, hölzerne Kruzifix an der gegenüberliegenden Wand.
„Alle Achtung, Schulz, das hätte ich ihnen nicht zugetraut. Ich glaube sie haben das Wesen des Krieges verstanden.“
„Ja Herr Major, ich habe verstanden“ sagte Schulz, und mitten in der Stirne des Majors öffnete sich plötzlich ein blutiges Loch.
„Ich habe verstanden.“ wiederholte Schulz. „Endlich.“ Er hielt seinen Blick auf die rauchende Waffe in seiner Hand gerichtet. Hinter ihm flog die Türe erneut auf, während der Major in sich zusammenbrach.
Mit einem dritten und letzten Schuss bezahlte die Ordonnanz Eberhard Schulz ihr letztes Lösegeld.

(Überarbeitet/Interpretiert am 05.01.2004 von A. P./ Nick.L.Arion)
Die Ordonnanz
(1985-2002 von Heiko Tessmann/ Überarbeitet und neu interpretiert 01/2004 von. A. P/Nick.L.Arion)

Leise, fast wie von Geisterhand bewegt öffnete sich die schwere Türe, liess einen Schatten hindurchhuschen, und schloss sich mit einem satten Geräusch, gefolgt vom knallen der Hacken, welches den vorschriftsmäßigen Deutschen Gruß zu begleiten hatte.
„ Herr Major ?“
Die halblaut ausgesprochene Frage verhallte scheinbar ungehört im Raum.
„Herr Major, ich bitte sie...“
Der Major, bislang in ein Buch versunken, lies dasselbe sinken und schaute auf.
„Schulz. Was gibt es denn so wichtiges?“
Schulz verharrte fast regungslos neben der schweren, von innen mit grünem Leder gepolsterten Türe.
„Herr Major, ich...“
„Kommen sie erstmal her, Schulz.“
Vorsichtig trat Schulz, ein schmächtiger Mann um die vierzig Jahre näher an den festungsartig im Raum vor den barocken Fenstern aufragenden Schreibtisch heran, hinter welchem der Major in einem großen Ohrensessel mit geschnitzten Adlern thronte und Schulz durchdringenden Blickes fragend entgegenschaute.
Etwas unsicher blieb Schulz hinter dem mittleren der drei wuchtigen Sessel stehen, welche mit schwerem Brokat bezogen, im Halbkreis vor dem mächtigen Schreibtisch des Majors aufgereiht waren.
Schulz räusperte sich, bevor er sagte: “Herr Major, es geht um...“
Wieder wurde er unterbrochen.
Diesmal von einer flüchtigen, einladenden Geste des Majors.
„Aber lieber Schulz, so setzen sie sich doch erst einmal, dann sagen sie mir, in aller Ruhe, was sie auf dem Herzen haben.“
Der Aufforderung seines Vorgesetzten folgend, versank Schulz in dem riesigen Fauteuil, und schaute dem Major nun von unten ins Gesicht.
Der Major liebte es, wenn seine Untergebenen und Gäste zu ihm aufschauen mussten.
Er betrachtete sinnierend das blasse Gesicht seiner Ordonnanz und stellte fest, dass Schulz draußen an der Front wohl keine Stunde überlebt hätte. Ein gönnerhaftes Lächeln überflog das Gesicht des Majors. Wahrlich, Schulz war die perfekte Ordonnanz.
Unscheinbar, treu ergeben, zu zart, um ihm ernsthaften Wiederstand entgegenzusetzen, nicht zu intelligent, aber trotzdem pflichtbewusst und akkurat in allem was er für dem Major zu erledigen hatte, mit einem Wort: perfekt für seine Zwecke.
„Nun?“ grollte der Major leise, ohne Schulz aus der Fessel seines Blickes zu entlassen.
„Herr Major, es ist wegen den Vorräten. Sie reichen selbst bei strengster Rationierung nur noch für drei Wochen.
Darf ich Herrn Major also fragen, wie lange wir noch hier bleiben müssen?“
Schweigend sah der Major seiner Ordonnanz in die Augen.
Wie erwartet erzielte er damit den von ihm gewünschten Effekt, denn Schulz begann fast unmerklich, aber dennoch nervös mit den Augen zu blinzeln und auf der Vorderkante des Sessels hin und her zu rutschen. Es war nur minimal, aber dem Major genügte es, um innerlich zufrieden zu sein.
Wieder einmal hatte er treffsicher die Rolle des Herrgotts vor Schulz eingenommen.
Wie einfach es doch war, diese schlichten Bauerngemüter zu beeindrucken.
Manchmal empfand der Major so etwas wie Zuneigung zu seiner Ordonnanz, dessen fast kindliche Naivität manchmal etwas anrührendes in sich trug, was selbst den ehernen Schutzwall, den der Major schon lange um sein Herz errichtet hatte, zeitweilig zu durchbrechen drohte.
Und dennoch, Schulz, genau wie alle anderen Mitglieder seines Kommandos brauchten ihn, wie auch er sie brauchte.
Sie brauchten die Gottgestalt seiner Führung, und er brauchte ihre blinde, gläubige Ergebenheit. Sie waren fast Symbiotisch mit einander verbunden.
„ Wissen sie, was ich gerade las, als sie mich störten, Schulz?“
Grummelte der Major nicht unfreundlich.
„N.. Nein, Herr Major.“
Langsam und Theatralisch lies sich der Major in seinem Sessel zurücksinken, nahm mit einer versonnen Geste das kleine Buch in die Hand, welches auf der Kante des mächtigen Schreibtisches gelegen hatte, schaute kurz hinein, legte es zurück, griff nach einem silbernen Zigarettenetui, welches links neben der grünen, ledernen Schreibtischauflage zu liegen pflegte, entnahm ihr eine Zigarette, und steckte sie mit sparsamen Bewegungen in eine silberne Zigarettenspitze mit schwarzem Ebenholzmundstück.
Schulz sprang auf, reichte ihm Feuer und setzte sich, als der Major den ersten Rauchkringel ausstieß wieder gehorsam auf die Kante seines Sessels.
„ Nietzsche. Schulz. Nietzsche. Schon gelesen?
Schulz schüttelte verneinend den Kopf.
„Menschlich, allzu Menschliches, Schulz...“
Ehrfürchtig sah Schulz in das abwesend aus dem Fenster blickende Gesicht des Majors.
„ Er referiert über den Sieg. Der Sieg sei das Allheilmittel, ja, geradezu die Wunderwaffe gegen die Lähmung in tobendem Kampfesgeschehen. Ich bin geneigt, diese Ansicht Nietzsches zu teilen.“
Ruckartig wandte der Major sein Gesicht in Richtung seiner gespannt lauschenden Ordonnanz.
„Und sie, Schulz, was denken sie über den Sieg?“
„Der Sieg ist gut für uns, und schlecht für unsere Gegner, Herr Major.“
Antwortete Schulz nach einer kleinen Pause.
„ Richtig erkannt, Schulz, und was noch?“
„Herr Major?“
„ Was sie sonst noch so über den Sieg denken, Schulz. Sie sind doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.“
„Nein, Herr Major...“
„Also ?... Schulz, ich warte...“
„Darf ich offen sprechen, Herr Major?“
„Nur immer frei von der Leber weg, Schulz. Der frische Gedanke ist oft der beste.“
„ Es ist nur so, Herr Major, dass ich mich immer frage was, und vor allem wo der Sieg ist.“
„ Was, und wo der Sieg ist...“
Wiederholte der Major stirnrunzelnd.
„Gar nicht dumm, Schulz, gar nicht dumm...“
„Zunächst zu der Frage was der Sieg ist, Schulz. Der Sieg ist der Sieg des starken Geistes über den schwachen, oder wenn sie so wollen, der Triumph des überlegenen Geistes über das innere Vieh, über das schwache, nicht lebensfähige, über das verweichlichte und degenerierte.
Und nun zum wo. Na, was denken sie Schulz? Hier, in diesen Mauern? Falsch, Schulz, ganz falsch.
Der Sieg ist draußen auf dem Feld der Ehre, dort wo die starken Herzen geschmiedet werden, im Brüllen der Kanonen, in den Stahlgewittern der tödlichen Klarheit. Dort, wo sich Geist und Fleisch zu einer unbesiegbaren Einheit verschmelzen, dort, wo das Ideal des wahren Volkes über den Untermenschen seine blutigen Triumphe feiert, dort, Schulz, wo nur die besten und stärksten überleben, nur dort, Schulz, ist der Sieg.
Sieg ist Überleben, Schulz. Überleben zwischen krepierenden Granaten, dröhnenden Motoren, dem Heulen unserer Stukas, die den Feind unerbittlich zerreiben; ihn zermahlen zwischen den ehernen Rädern der göttlichen Vorsehung und der Unerbittlichkeit des geschichtlichen Wandels.
Das ist der Sieg, und dort ist der Sieg, Schulz.“
Während dieser Rede hatte sich der Major in seinem Sessel aufgerichtet, seine Augen begannen zu leuchten, und während der Major sprach, wurde Schulz in gleichem maße kleiner, in welchem der Major vor ihm zu wachsen schien.
„Ich verstehe, Herr Major.“
„So, Schulz, tun sie das?“
„Ich denke...“
„Haben sie eine Seele, Schulz?“
„Herr Major?“
„Haben sie außer ihrem Hasenherz eine Seele im Leib, die der Garant für den unausweichlichen, heroischen Sieg ist? Schulz?“
„ Ich verstehe nicht, Herr Major...“
„ Das dachte ich mir“
Zufrieden schaute der Major in Schulz gutmütiges, verwirrtes Gesicht.
„Nun Schulz, draußen an der Front, dort, wo sie noch nie waren, da hat ihre Seele zwischen all dem Kämpfen keine Zeit, das einzelne des Geschehens zu erfassen und einzuordnen. Dort, Schulz, werden sie Automat. Teil eines großen Ganzen, eines Ganzen, wie es die Welt noch nie zuvor gesehen hat. Ein Teil dieses Ganzen aber können sie nur sein, wenn ihr Herz zuvor in der glühenden Esse der Erkenntnis geschmiedet wurde, zum lauteren, klingenden Stahl des wahren Heldentums, des Bewusstseins ein Auserwählter in einer großen Zeit sein zu dürfen.
Da ist es bedeutungslos, wie viele Untermenschen auch aus höllischen Tiefen auf uns zugestürmt kommen mögen, ruhig hält die heldische Hand des Kriegers die Maschinenpistole, beschreibt einen langsamen, exakten Kreisbogen, alles anstürmende niedermähend, des einzelnen nicht achtend und kühlen Herzens, mit kühlem Mut und klarem Blick.
Dort siegt der Heldenmut über die lächerliche Angst des Kleinmütigen, dort siegt der wahre
Glaube gegen verworrene Ideale, Schulz. Das ist der Sieg des Reflexes über das zerdachte, zerzweifelte, zersetzte. Dieser Reflex, geboren aus dem Wissen um die Unverwundbarkeit des großen Ganzen macht uns unschlagbar.
Gib diesem Volk eine ganze Generation von Kriegern, und alle werden sein wie ein Ganzes, stolz, stark und unbesiegbar.
Der Sieg, den ich meine Schulz, ist zuerst der in uns selbst. Der Sieg über die lächerliche Angst und den Kleinmut derer, die sich einen Dolch in den Rücken stoßen ließen ohne sich zu wehren, aber dann, ist dieser innere Sieg erst vollbracht, siegen wir an allen Fronten der Welt.“
Krach!
Plötzlich, blitzschnell hatte der Major die Parabellum aus seinem Halfter gerissen, und in Schulz` Richtung einen Schuss abgegeben.
Eine gewöhnliche Schmeissfliege hatte Schulz` Kopf umschwirrt und sich dann rechts neben Schulzens Kopf auf der Lehne des Sessels niedergelassen, in welchem sich nun, anstelle der grünschillernden Fliege, ein gezacktes Loch befand.
„Ein guter Schuss, Herr Major.“
Stammelte Schulz während sich Schweißperlen auf seiner Stirne zu bilden begannen.
„Ein üblicher Schuss, Schulz“, sagte der Major, während er wie beiläufig die Waffe in das Gürtelholster zurücksteckte und wieder in seinem Sessel Platz nahm.
„Noch etwas, Schulz? Mit unseren Insassen alles in Ordnung?“
„Herr Major, die im Westflügel weigern sich zu essen, sie haben versucht, mit ihren Betten die Türen zu verbarrikadieren, was empfehlen sie für eine Vorgehensweise?“
„Wenn sie nicht leben wollen Schulz, dann sollen sie eben sterben, was macht das schon für einen Unterschied?, für wie lange, sagten sie reichen die Vorräte noch? Drei Wochen?“
„Drei Wochen, Herr Major, und ich frage mich, wann wir wieder verproviantiert werden...“
Schweigend schaute der Major seiner Ordonnanz ins Gesicht, als warte er auf etwas wesentliches.
„Haben Herr Major schon etwas von der Division gehört, über unsere weitere Verwendung? Vor zwei Wochen schon sollten wir hier aufgelöst werden...“
Staub flirrte vor den Fensterscheiben, ein schwacher Geruch von Kordit vermischte sich allmählich mit dem Oevre der kalten Asche im erloschenen Kamin, welcher schwer, wuchtig und kühl atmend das Dunkel des rückwärtigen Zimmers ausfüllte.
Erkaltend zog sich der Schweiß auf Schulz` Stirne zusammen und ließ ihn frösteln.
Eisiges Schweigen durchtoste den Raum, brachte ihn vor Schulz`Augen in eine drehende Bewegung, die aprupt endete, als der Major erneut zu sprechen begann.
„ Wir werden sehen, Schulz, wir werden sehen.“
Schulz starrte ihn erwartungsvoll an.
„ Was glauben sie Schulz, wer hier über alles die Übersicht behält?“
Erneut fröstelte es Schulz, denn er hasste diese zweideutigen, und dennoch eindeutig scheinenden Fragen des Majors, welche ihn immerfort auf den Prüfstand der Gnade des Majors zu stellen schienen.
Natürlich war Schulz bewusst welche Gnade es für ihn war dass der Major ausgerechnet ihn als Ordonnanz zu sich befohlen hatte und ihn so vor der Front bewahrte.
Aber Schulz konnte nicht verstehen, warum der Major ihm die Gunst der ideologischen Schulung angedeihen liess, die er nicht zu verdienen glaubte.
„ Das Divisionshauptquartier, der Generalstab, der Führer, oder...“
„Ja, Schulz, oder?“
„ Möglicherweise auch... niemand?“
Ein gefährliches Lächeln breitete sich über das kantige Gesicht des Majors aus als er sich vorbeugte, als habe er nicht richtig verstanden.
„Niemand...“ wiederholte er leise.
„Nicht übel, Schulz, nicht übel. Man merkt meine Schule bei Ihnen... gar nicht übel.“
Mit gemessener Bewegung nahm der Major eine Reitpeitsche, die ihm zur rechten gelegen hatte vom Tisch, stand langsam auf und schritt, die Peitsche langsam zwischen seinen Fingern drehend um den Schreibtisch herum bis er sich hinter Schulz befand, welcher unverändert geradeaus starrte und sich nicht zu rühren wagte.
„ Sie lagen fast richtig, mit ihrer Vermutung Schulz, aber wie gesagt, nur... fast.“
Die Ordonnanz hielt den Atem an.
„Das was ich ihnen jetzt sage, Schulz, bleibt unter uns, verstanden?“
„Wer wirklich Bescheid weiß, ist... niemand. Niemand weiß etwas genaues. Fabriken müssen mit Rohstoffen beliefert werden, deren Produkte an die Bevölkerung und die Wehrmacht verteilt werden, 200 Divisionen wollen verpflegt und richtig eingesetzt werden, der Gegner will richtig eingeschätzt sein, die Bevölkerung möchte nach der Arbeit ins Kino, oder auf ein Schützenfest gehen, die Verbindungen zwischen den Stäben und den Fronttruppen wollen gehalten sein, Kampfverbände warten auf Material aus der Etappe, frische Truppen warten auf Transport, Fronttruppen warten auf Urlaub und niemand hat die Übersicht, niemand außer dem Einen... Nur einer hat die Übersicht, Schulz, nur einer...“
Mit einem lauten Klatschen fuhr die Reitpeitsche auf die Rückenlehne eines Sessels nieder.
„Na kommen sie Schulz, lassen sie mich nicht warten, das ist doch nicht so schwer...“
„Herr Major?“ Schulz saß kerzengerade im Sessel, und starrte verzweifelt aus dem Fenster.
„Es ist der Krieg , Schulz, der Krieg hat als einziger die Übersicht über alles was geschieht.“
„Herr Major sprechen vom Krieg, als sei er eine Person ... ich meine, der Krieg ist doch kein Mensch, er kann doch nicht denken... Herr Major... Verzeihung...“
„Irrtum, Schulz. Irrtum. Der Krieg ist eine Person. Wenn ein Volk, wie das unsere einen Krieg beginnt, dann wird das ganze Volk zum Krieg.
Der Krieg manifestiert sich in den Herzen und Köpfen aller zur unumstößlichen Realität. Er formt aus den Söhnen Soldaten, aus Töchtern Mütter und Bewahrerinnen der Rasse. Das Individuum geht auf in ein allumfassendes Ganzes. Der Verlauf des Krieges schafft eine unsichtbare Verbindung zwischen der Heimatfront und der Front in der Ferne, vom Flieger bis zum Landser, vom U-Bootmann bis zum Gebirgsjäger, vom Kneipenwirt oder der Hebamme bis zum General an der Front oder Krankenschwester im Lazarett. Sie alle sind eins. Jeder für sich nur ein winziges Individuum, und dennoch Teil eines übermächtigen Ganzen, Ameisen, Schulz, Ameisen...“
Hart und klar drangen die Worte an Schulz` Ohren, während sie von den energischen Schritten des Majors auf dem kühlen terakottagefliesten Boden mit unbarmherzigem Rhythmus untermalt wurden.
„Der Gedanke an Sieg und Ehre verbindet die Menschen in ihren Köpfen und Herzen zu einem Millionenorganismus. Jeder kleinste Teil dieses Organismus wäre alleine für sich gestellt verloren, dennoch weiß ein jeder, was zu tun ist um zu überleben, darum weiß auch der Organismus zu überleben und darum steuert er sich selbst. Wir sind ein gewaltiges Kollektiv Schulz.
Jeder weiß, was er zu tun hat, sie, ich, alle.
Und weil wir es wissen, weiß es auch der Komplex.
Würde der Krieg, wie ich vorhin wünschte, eine Generation lang andauern, so würde dieses kollektive Empfinden in unser Erbgut übergehen, in die kommenden Generationen als unauslöschliches Erbe eingebrannt werden und uns zum mächtigsten Volk auf diesem Planeten machen.
Und die Welt würde sich unserem Willen zu beugen haben, aber auch endlich daran gesunden.“

„Das... das wäre wunderbar, Herr Major...“Fast schon ergeben senkte Schulz seinen Blick auf den alten Terrakottaboden eine einzelne Träne fiel herab.
Sein Herz erbebte unter einem neuen Gedanken...
„ Das wäre wunderbar, Herr Major,“ wiederholte er.
„ Aber was wäre dann mit der Liebe, wenn alle Menschen Teil des Krieges wären, könnten unsere Kinder noch lieben, oder ein Mann eine Frau aus, sagen wir, einem anderen Volk...?
„Würden wir siegen, Schulz, dann müssten alle Frauen der Welt uns siegreiche Helden lieben, das sei gewiss.“
„Abgöttisch würden sie uns lieben, Schulz, abgöttisch.“
Er wandte sich um und ging mit schnellen Schritten auf die große Flügeltüre zu, die den Raum von seinen Privatgemächern trennte.
„Schulz ?“
„Herr Major?“
„Mein Tee um fünf, Abendessen um sieben und bis dahin ist die Sauerei hier verschwunden. Gestört werde ich nur im dringendsten Fall. Verstanden?“
„Verstanden, Herr Major!“
Krachend flog die Türe ins Schloss.
Stumm machte sich Schulz an die Arbeit während die brutale Wahrheit in dem Worten des Majors sich eiskalt in seinem Herz auszubreiten begann.
Schulz bewegte sich leise, und unauffällig, während er seine Arbeit tat.
Wie immer.


Zwei Tage später kam der von Schulz so sehnsüchtig erwartetet Anruf vom Divisionsstab.
Er stellte ihn ins Zimmer des Majors durch, und machte sich neben der Türe bereit, dem sicher bald erschallenden Ruf des Majors sofortige Folge leisten zu können.
Die immer noch von innen verbarrikadierten Zimmer der renitenten Insassen des Westflügels hatten zu stinken begonnen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sich dieses Problem von selber lösen würde, hatte der Major beiläufig am Morgen bemerkt.
Der ersehnte Ruf schallte durch die Tür und Schulz betrat eilig das Zimmer.
Dort bekam er den Befehl, die verbarrikadierten Zimmer öffnen zu lassen, alle darin befindlichen Personen zwangsweise einer Säuberung zu unterziehen, und sie Transportbereit in zwei Stunden in der Eingangshalle bereit zu halten, dann käme ein Sonderkommando der SS um sie in eine andere Klinik zu verbringen.
Sie wehrten sich nicht, als das Wachkommando mit der Axt durch die Türen brach, sie in den Sanitärräumen mit einem Feuerwehrschlauch und eiskaltem Wasser abspritzte, um sie dann, nass wie sie waren in einem kleinen, neben der großen Eingangstüre gelegenen Abstellraum zusammenzupferchen.
Es waren 24 Mann. Kritiker, Schriftsteller und Künstler, deren Schaffen als „Entartet“ galt und die sich dem Zugriff der Herrschenden nicht, wie manch andere Kollegen durch Flucht ins Ausland entzogen hatten.
Gebeugt und ausgezehrt standen sie nun dort, aneinandergedrängt und stumm. Nur ihre großen, tief liegenden Augen unter den kahl geschorenen Köpfen starrten Schulz ins Gesicht.
Jeder Blick ein stummer Schrei, jeder Blick eine ebenso tödlich – präzise Frage wie die Worte des Majors, Tage zuvor.
Fröstelnd ging Schulz hinaus auf die große Freitreppe vor dem Portal um den Transport zu erwarten.
Nach endlos scheinendem Warten bogen die Fahrzeuge endlich mit knirschenden Ketten und Reifen in den Schlosshof ein und kamen quitschend zum Stillstand.
Es waren eine dunkle Mercedes Limousine der zwei Offiziere in schwarzer Uniform mit silbernen Runen am Kragenspiegel entstiegen, zwei Opel Blitz Lastkraftwagen, im Feldgrau der Wehrmacht gestrichen, sowie ein Hanomag Halbkettenfahrzeug mit aufmontiertem Maschinengewehr, von denen nun Soldaten heruntersprangen und in zwei Reihen vor der Freitreppe Aufstellung nahmen.
Der Major begrüßte die beiden Offiziere, dann besprachen sie leise etwas miteinander, zu leise für Schulz, um etwas davon zu verstehen, dann machte der schwarz Uniformierte Hauptmann eine knappe Bewegung mit der Hand und verschwand mit dem Major im Schloss.
„Ordonnanz!“
Eiskalt und hart wie Stahl spie der schwarze Leutnant die Worte in die stille Juniluft.
„Die Untermenschen angetreten!“
Schulz salutierte, drehte sich um, und gab den Befehl an die Wachmannschaft weiter, welche die ausgemergelten Gestalten in den Hof zu führen begannen.
Nun wurden sie zu den Lastwagen getrieben und begannen mühsam, die Ladeflächen zu erklimmen.
Einer von ihnen rutschte ab, fiel rücklings auf den Boden, und konnte sich nicht mehr erheben.
Der schwarze Leutnant trat hinzu, und kommandierte: “Aufgestanden. Sofort!“
Der Mann am Boden stöhnte nur leise und blieb liegen.
Laut peitschte ein Schuss durch den stillen Hof, der Mann am Boden sank in sich zusammen und der schwarze Leutnant sagte kalt:“ Noch 23. Vermerken sie das in den Transportpapieren. Herzversagen.“
Dann lachte er kurz und trocken auf, und wandte sich ab, um sich eine Zigarette anzuzünden.
Die Wagen waren beladen, die Ladeklappen verriegelt, die Mannschaften aufgesessen, die Motoren liefen.
Der schwarze Hauptmann kam, mit dem Major ins Gespräch vertieft die Freitreppe heruntergeschlendert, warf einen beiläufigen, desinteressierten Blick auf den am Boden hinter dem zweiten Lastwagen liegenden Leichnam, hob die Hand zum Gruß, wie auch der Major, und stieg in den Mercedes, dessen Türe vom Fahrer aufgehalten wurde.
Dann brüllten die Motoren auf, und der kleine Konvoi setzte sich in Bewegung.

Gedankenverloren starrte die Ordonnanz den sich immer weiter entfernenden Fahrzeugen nach, als ihn eine Stimme in die Realität zurück schleuderte.
„Schulz! Hören sie auf zu träumen. Wir haben zu tun.“
„ Verzeihung, Herr Major, was sagten sie gerade?“
„ Wir haben zu tun, Schulz. Wir Packen.“
„Packen, Herr Major?“
„Ja, Schulz, packen. Morgen werden die anderen Idioten abgeholt, und wir fahren heim, ins Reich. Zwei Wochen Sonderurlaub.“
Schulz starrte dem Major verständnislos ins Gesicht.
„ Was ist los, Schulz? Hat es ihnen die Sprache verschlagen? Haben sie sich etwa in dieses schöne Ambiente hier verliebt?“ Der Major machte eine weit ausholende Geste mit der Hand.
Sein Lachen, mit dem er diese Theatralische Geste untermalte klang metallisch und unangenehm.
„ Nein, Herr Major,“ beeilte sich Schulz zu sagen, und folgte dem Major die Treppe hinauf, ins Schloss.
Langsam sank der von den abfahrenden Fahrzeugen aufgewirbelte Staub in die gebochenen Augen des Mannes, der immer noch auf dem feinen Kies des Schlosshofes lag, als sei er eine von Kindern achtlos weggeworfene Lumpenpuppe.


„Wo kommen sie eigentlich alle hin, Herr Major?“ Fragte Schulz, der gerade damit beschäftigt war, den Schrankkoffer des Majors einzuräumen während sich der Major im Bad die Hände wusch.
„Nach Auschwitz. Der Hauptmann sagte, der „Weiße Engel“ bräuchte neues Forschungsmaterial.“
Ein dumpfer Schlag hallte durch das Zimmer.
„Schulz?“
Schulz saß kreidebleich auf dem Bett, und ihm zu Füßen lagen die Scherben einer Flasche Kognac, die er eben noch in der Hand gehalten hatte um sie in einer Schublade des Schrankkoffers zu verstauen.
„Donnerwetter, Schulz, sind sie noch bei Trost? Der gute Kognac.“
„Verzeihung, Herr Major, ein Moment der Schwäche...“ stammelte Schulz und machte sich auf, um eine Kehrichtschaufel und einen Lappen zu holen, vorbei am Major, der kopfschüttelnd, die Hände in die Seiten gestützt dastand, und Schulz verwundert nachstarrte.


Es war schon lange nach Mitternacht, als Schulz durch die stillen Gänge des Schlosses lief. Er bewegte sich fast unhörbar, ganz so, wie es seine Art war, bis er am Ende des Ganges vor einer verschlossenen, weißen Türe mit einer messingnen Türklinke stand, welche wie zur Erbauungszeit des Schlosses wohl üblich, fast auf Schulterhöhe angebracht war.
Er atmete schwer, so als könne er mit jedem Atemzug das Grauen in und um sich herum wegwischen und ungeschehen machen. Er zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, wählte einen Schlüssel aus und öffnete leise die Türe.
Rasch trat er hindurch, verschloss die Türe sorgfältig von innen und gewöhnte seine Augen an das Zwielicht des nur vom durch die vergitterten Fenster hereinströmenden Mondlicht erhellten Zimmers.
„ Magdalena“ sagte er leise...
Ein leises Rascheln war die Antwort.
Er nahm eine Bewegung unweit des Fensters wahr und ging langsam auf sie zu.
„Magdalena“ sagte er nochmals leise, nahm sie sanft in die Arme, und grub sein Gesicht in die Flut ihrer schwarzen Locken. Schulz begann sie zu streicheln und spürte, wie seine Zärtlichkeiten erwidert wurden.
Er zog sie sanft vom Fenster fort, hin zum Bett, ließ es zu, dass sie ihn entkleidete, und streifte ihr mit einer zärtlich, fließenden Bewegung das lange Nachthemd über den Kopf.
Sie gab einen erstickten, leisen, gutturalen Laut von sich, als er begann, sie zu lieben.
“Magdalena,“ flüsterte Schulz in Ihr Ohr.
„Das ist unsere letzte Nacht“.
Von Ihr kam keine spürbare Reaktion.
Schulz hatte nie herausgefunden ob sie ihn überhaupt verstehen konnte, denn sie war nicht fähig, zu sprechen.
Sie hatte keine Zunge mehr. Keiner wusste zu sagen, warum, und wie lange schon. Man hatte sie vor langer Zeit verwahrlost auf der Straße aufgegriffen und hierher gebracht, lange bevor Schulz mit dem Major in dieses Schloss kommandiert wurde.
„Ich lasse nicht zu, dass sie dir etwas antun.“
Sagte Schulz mit tränenerstickter Stimme, richtete sich auf, und tastete im dunklen nach seiner Mauser.
Sie zuckte kurz zusammen, als das kalte Metall der Waffe ihre nackte Brust berührte.
Dann gab sie ihm einen langen, zärtlichen Kuss, löste sich gerade so weit von ihm, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, lächelte, und nickte.
Der Schuss klang wie eine gewaltige Detonation.
Zäh rann die Zeit durch das Schloss bis sich hastende Schritte näherten.
Türen klapperten, Menschen riefen.
Schließlich rasselte ein Schlüsselbund im Türschloss, die Türe sprang auf, Licht flammte auf, ein Posten kam, das Gewehr im Anschlag herein gelaufen, sah die Ordonnanz in sich zusammengesunken nackt auf dem Bett kauern, die Hände Blutüberströmt, die zarte Gestalt einer Frau in den Armen haltend.
Schließlich kam der Major, von den Rufen des Postens herbeigeholt, ins Zimmer gelaufen.
„Schulz, Donnerwetter, sind sie noch bei Trost?“
Dann erkannte er, was sich hier abgespielt haben musste.
„Raus!“ herrschte der Major den Posten an, der immer noch mit ungläubigem Gesicht in der Nähe der Türe stand.
„ Und nun zu ihnen, Schulz. Sie sind vielleicht ein verrückter Mensch. Aus ihnen soll einer schlau werden.
Da ist der Kerl meine Ordonnanz, tut so, als könne er kein Wässerlein trüben, und betreibt hinter meinem Rücken Rassenschande.
Mann, was haben sie sich bloß dabei gedacht?“

Schulz ließ behutsam den Leichnam der Frau aufs Bett sinken und stand langsam auf.
„Herr Major, ich...“ seine Stimme versagte.
„Verstehe, Schulz, verstehe vollkommen. Morgen hätte der Krieg sie getötet, und sie wollten ihr dieses Ende ersparen... aus Liebe.“
Kopfschüttelnd ging der Major einen Schritt auf seine Ordonnanz zu.
Schulz schaute blicklos an ihm vorbei. Sein Blick fiel auf das kleine, hölzerne Kruzifix an der gegenüberliegenden Wand.
„Alle Achtung, Schulz, das hätte ich ihnen nicht zugetraut. Ich glaube sie haben das Wesen des Krieges verstanden.“
„Ja Herr Major, ich habe verstanden“ sagte Schulz, und mitten in der Stirne des Majors öffnete sich plötzlich ein blutiges Loch.
„Ich habe verstanden.“ wiederholte Schulz. „Endlich.“ Er hielt seinen Blick auf die rauchende Waffe in seiner Hand gerichtet. Hinter ihm flog die Türe erneut auf, während der Major in sich zusammenbrach.
Mit einem dritten und letzten Schuss bezahlte die Ordonnanz Eberhard Schulz ihr letztes Lösegeld.

 
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Interessant und sehr wortstarkes Gesellschaftsbild der Zeit um 1940.
Man kommt gut rein in die Materie weil die Prots und ihre Umwelt so detailliert gezeichnet sind.
Allerdings zwei Dinge stoßen mir auf:

1. Die Sprünge:
-erst erklärt der Major der "Sieg" sei der Sieg draußen auf dem Felde wenn man den
Feind niedergeworfen hat
-dann ist der Sieg mit einemmal alleine das nackte Überleben
-um schließlich zum Sieg über sich selbst zu werden, was in bei der ersten Definition
des "Sieges" mVn ausgeschlossen wurde

2.Die Geschichtlichen Hintergründe:
War die Wehrmacht und vor allem ihre Offiziere nicht etwas weniger fanatisch was die Rassenfrage anging als die Nazis. Ich dachte die Offiziere wären in der Rassenfrage uneins mit den Nazis gewesen, da einige bedeutende O. und Helden des 1.W.K.'s sogar angesehene und einflussreiche Juden waren, und sich die O. allgemein als höher gestellt und privilegiert betrachteten während sie die Nazis oft nur als Asoziales Pack ansahen.
Natürlich hat die Wehrmacht auch Kriegsverbrechen begangen, allerdings war sie, glaube ich, in der Rassenfrage nicht dermaßen verblendet wie bei der Betrachtung deiner Geschichte der Eindruck entstehen könnte. Ich dachte die Wehrmacht war mehr darauf aus Deutschland unter eine Militärdiktatur zu zwingen und die Macht an sich zu reißen (vor allem zum Ende hin so um 1943-45).

Hat aber (trotz der Länge) Spaß gemacht die Geschichte zu lesen, weil sie den Leser vom ersten Moment an fesselt und nicht mehr loslässt.
HAND Nice

 

moin, Hand niece
Danke für s Lesen und kommentieren.
Zum 1. Punkt: den schau ich mir nochmal an, danke dafür.
Zum 2. Punkt: Du hast recht, mit dem, was du sagst, nur handelt es sich hier in der Geschichte um die Bewachung einer nervenklinik, deren Bewachung wegen relativer Unwichtigkeit der WEehrmacht unterlag, zumindest organisatorisch, zumal sich das ganze im "Okkupierten "Gebiet befindet.
Viele Offiziere bekamen halt ihre Befehle und führten sie aufgrund ihres Ehrenkodex gegenüber ihrem Obersten feldherren, ohne Murren aus.
Das Herrenmenschenideal war auch bei ihnen , gerade nach der "Schmach von Versailles durchaus beliebt, zumal Nietzsche eh den Zeitgeist traf...

@ Mirko, zwischen den beiden Geschichten steht es doch???
ich schreibs nochmal an den Anfang.

Lord

 

Lord: Sorry, hatte die Zwischenbemerkung überlesen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Arion,
meine Bemerkungen hab ich ja in Heidelberg geäußert. (Auch) aufgrund der starken Vorlage waren diese ja großtenteils kleinkariert. Die generellen Bedenken darüber, ob es ein solches Lager gegeben hätte habe ich immer noch, schließlich ist es ein Unterschied zwischen dem Irrenhaus aus Morphins Vorlage und deinem Gefängnis für Intellektuelle und Künstler. Kann man allerdings unter dem Punkt "künstlerische Freiheit" abstreichen.
Allerdings finde ich auch gerade deshalb, dass diese Geschichte besser unter "Gesellschaft" aufgehoben wäre; Hauptmotiv ist in meinen Augen das Verhalten des Einzelnen vor dem, allerdings gut ausgebauten, Hintergrund eines totalitären ideologischen Regimes.
Wobei ich zugeben muss, dass unser Bemühen, die "Historik"-Rubrik auch wirklich nur mit einwandfrei "historischen" Geschichten zu füllen oftmals zu einem Dilemma führt; es ist schwierig, die Grenze zu umreißen.
Deshalb verschiebe ich diese Geschichte für zwei Wochen nach "Historik" und warte mal die Meinung der Mitglieder ab.
Viele Grüße,
...para

 

Thanx... da werde ich dann auch die nochmals überarbeitete Version reinstellen...
Danke.

 

Frievolle Grüße

das eine Geschichte aus einer anderen Rubrik hier nach Historik verschoben wird, freut mich sehr. Normalerweise geht's ja leider anders herum.

Die Geschichte selber lässt mich aber schon recht unbefriedigt zurück. Und mit einigen Fragen noch dazu.

Zunächst aber mal eine historische Anmerkung. In der Nazizeit gab es nicht nur Irrenanstalten oder KZs, in denen unerwünschte Menschen untergebracht wurden, sondern auch ganz normale Gefängnisse für Diebe, Räuber, Mörder und was weiß ich nicht noch für Verbrecher. Regimegegner landeten zunächst mal in jenen Gefängnissen. Diese unterstanden der Justizverwaltung, und sowohl Wehrmacht als auch SS hatten formal nur durch richterlichen Beschluß Zugriff auf die Gefangenen. :read:

Meine erste Frage ist, warum postest Du die Geschichte zwei mal? Ich habe die erste Geschichte ganz gelesen, die zweite nur in Abschnitten, und sie scheinen sich nicht zu unterscheiden, das heist, die zweite Version wird nicht in neuer Perspektive erzählt. Handelt es sich etwa nur um eine überarbeitete Fassung?

Mit der Geschichte kann ich leider auch nicht allzuviel anfangen, was allerdings an meiner geringen, oder besser, nicht vorhandenen Kenntnis von Nitsche liegen könnte. Daher kann ich auch nur spekulieren, das der Major in seinem Monolog am Anfang Nitsche interpretiert. Was diese Sequenz allerdings mit dem Ausgang der Geschichte zu tun hat, ist mir nicht ganz klar geworden. Vielleicht muß ich die Geschichte daraufhin noch mal lesen. :confused:

Zudem hat mich die Formatierung bisweilen irritiert. Normalerweisen werden in Geschichten auf dieser Website wie auch in gedruckter Literatur wörtliche Rede und begleitende Handlung der Protagonisten in einem Abschnitt zusammengefasst. Bei Dir erstreckt sich das allerdings oftmals über mehrere Zeilen. Zum Beispiel hier:

„ Was, und wo der Sieg ist...“
Wiederholte der Major stirnrunzelnd.
„Gar nicht dumm, Schulz, gar nicht dumm...“

Das hat mich aus dem Lesefluß gebracht. Da derartiges leicht zu editieren ist, empfehle ich hier eine Überarbeitung. Und wo ich gerade dabei bin:

Vorsichtig trat Schulz, ein schmächtiger Mann um die vierzig Jahre näher an den festungsartig im Raum

Jahre, näher

Ist mir noch nebenbei aufgefallen.

Ingesamt ließt sich der erste Teil wie eine Satire, zum Beispiel die Stelle, wo der Major eine Schmeißfliege vom Sessel schießt. Der Rest der Geschichte hat nichts satirisches mehr an sich. Kommt mir so vor, als hättest Du Dich nicht entscheiden können zwischen Veralberung der Nazi-Ideologie und dramatischer Schilderung ihrer Verbrechen. So wirken auch die Charaktere: Der Major satirisch überspitzt, Schulz dagegen tragisch wie die Helden griechischer Sagen.

Kane

 

Moin Kane. Danke erstmal für´s Lesen und kommentieren.
Die zweite Version ist die überarbeitete... die neue Version in welcher auch deine Anmerkungen berücksichtigt werden, gibt es in ca. 3 Wochen.
Zunächst nochmal zum Sanatorium, um welches es sich hier handelt...es wurde beim Einmarsch übernommen, und unter Wehrmachtsverwaltung gestellt, ein damals üblicher Vorgang... ich werde dies aber deutlicher zur Sprache bringen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Der Major ist bewusst überspitzt und überzeichnet um die tragische Gestalt des Schulz im Kopf des jeweiligen Lesers entstehen zu lassen, ohne zu sehr zu führen... ich denke aber auch darüber nochmals nach, da mich die Geschichte selber noch nicht befriedigt.

Vielen Dank einstweilen.
Lord

 

Hi Arion.
Ich bin neu in diesem Forum und habe Deine Geschichte gelesen Ich finde
sie stilistisch und sprachlich recht gelungen. Eine historische Kleinigkeit hätte ich
noch anzumerken:
Die SS-Dienstränge heissen anders als die Wehrmachtsdienstränge:
Statt Hauptmann wäre Sturmbannführer angebrachter. Ganz sicher bezüglich der
entsprechung bin ich mir auch nicht.
Für den Leutnant kannst Du einen Scharführer nehmen.
Gruppenführer ist ein SS-General.

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo Bagration...
Vielen Dank für´s Lesen und Kommentar.
Dieser Lapsus mit den SS - Rängen ist mir bereits aufgefallen, und wurde bereits in der Version III berücksichtigt.
Diese Version ist aber noch nicht gepostet, da sie gerade redigiert wird, und ich sie erst in ca. 14 Tagen zurückerhalte... Vielen Dank dennoch für diesen Hinweis...
Frohes lesen und schreiben wünsch ich dir...
Lord

 

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