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Die Schneekugel
Langsam schlendere ich die Straße hinunter. Der glitzernde Schnee knirscht unter meinen schweren Winterstiefeln. Dutzende von Menschen hetzen an mir vorbei. Die meisten halten prall gefüllte Einkaufstüten, aus denen Geschenke in Weihnachtspapier hervorblitzen, in den Armen. An einem Stand mit Keksen und Glühwein bleibe ich stehen. Der Duft von Zimt und Tannenzweigen liegt in der Luft. Für einen Moment schließe ich die Augen. Kalter Wind weht und ich kuschle mich weiter in meine dicke Jacke. Die Weihnachtszeit ist die schönste Zeit des Jahres. Ja. Obwohl ich dieses Fest heute morgen noch lieber ausfallen lassen hätte, freue ich mich jetzt total darauf. Plötzlich rempelt mich jemand an. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen und sehe nur noch, wie eine junge Frau weiterrennt. Nicht mal ein „Entschuldigung“. Jetzt fällt mir wieder der Stress in der Adventszeit ein. Weihnachtsfeiern hier, Weihnachtsfeiern da, noch keine Geschenke, Kaffeeklatsch bei Oma, immer noch keine Geschenke,... nur noch Stress statt besinnlicher, ruhiger Tage vor dem Kamin mit warmen Kakao. Ich gehe weiter und betrete das Einkaufszentrum am Ende der Straße. Alles ist weihnachtlich dekoriert und „Jingle Bells“ ertönt zum X-ten mal an diesem Tag aus den Lautsprechern. Die Verkäufer hetzen wie wild durch den Laden, an den Kassen bilden sich lange Warteschlangen und Mütter suchen verzweifelt nach der Barbie, die sich ihre kleinen Töchter so sehr wünschen, damit Ken nicht länger allein im pinkfarbenen Traumhaus sitzen muss. Eigentlich wollte ich nur eine Kleinigkeit für meine Tante kaufen, jetzt bin ich schon seit zwei Stunden unterwegs und finde einfach nichts passendes. Man hat einfach keine Ruhe und so langsam bin ich genervt von all dem. Was soll ich ihr bloß schenken?
Einige Meter weiter sehe ich ein verliebtes Pärchen stehen. Die beiden nehmen sich in die Arme und küssen sich sanft. Der Trubel um sie herum scheint ihnen egal zu sein. Ich beneide die beiden.
Plötzlich höre ich hinter mir laute Stimmen und drehe mich um. Jemand, als Weihnachtsmann verkleidet, gibt den Kindern kleine Päckchen mit Süßigkeiten. Die Kinder lachen und ihre Augen funkeln als sie zurück zu ihren Müttern laufen. Auch ich lächele und beobachte den Mann mit dem aufgeklebten, langen Rauschebart, wie er laut lachend die Geschenke aus dem Jutesack zieht. Ich erinnere mich, wie sehr ich Weihnachten als kleines Kind liebte. Im Kindergarten haben wir Geschenke für unsere Eltern gebastelt und bei Keksen Geschichten vorgelesen bekommen. Ich sollte meiner Tante auch etwas basteln. Selbstgemachte Geschenke sind doch viel mehr wert als die im Einkaufszentrum gekauften und von den gestressten Verkäuferrinnen in zwei Minuten in vorgestanztes Weihnachtspaper gewickelten. Gerade als ich mich entschließe nach Hause zu gehen und mich an die Arbeit zu machen, sehe ich, wie der „Weihnachtsmann“ auf mich zukommt. Aus einer Tasche in seinem roten Mantel zieht er ein kleines Päckchen das in Papier mit weißen Engeln darauf verpackt ist und gibt es mir. Verdutzt nehme ich es und möchte gerade zu sprechen anfangen, als sich unsere Blicke treffen. Diese blauen Augen kannte ich. Die dazugehörige Person geht auf meine Schule und ist der Grund, dass ich im Unterricht nicht aufpassen und abends nicht einschlafen kann. Mein Herz pocht wie wild. Er zieht seinen Bart vom Gesicht und lächelt mich an. Für einige Sekunden blicken wir uns einfach schweigend in die Augen. Meine Beine sind mittlerweile weich wie Pudding und mir wird abwechselnd heiß und kalt. Während ich ihm überrascht, mit dem Päckchen in der Hand hinterher sehe, geht er zurück zu der Gruppe Kinder, die sich dort angesammelt hat und verteilt wieder die kleinen Päckchen mit Süßigkeiten.
Den ganzen Heimweg denke ich darüber nach und halte das Päckchen fest in der Hand. In meinem Zimmer öffne ich es vorsichtig. Mein Herz schlägt wieder wie wild und ständig habe ich sein Lächeln und seine Augen vor mir. Dann reiße ich dass Papier ab. In einem kleinen Karton liegt eine Schneekugel. In ihr befinden sich ein Mann, der einen Engel zärtlich im Arm hält. Ein Zettel fällt aus der Schachtel:
„Für den schönsten Engel im Universum“