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Die Wahrheit über Rudolph oder "Am Heiligen Abend wird immer alles gut ..."
(Zugleich eine Weihnachtsgeschichte in Moll)
Wie soll man eine Geschichte beginnen, in der man den süßen kleinen Bälgern, die mit leuchtenden Kinderaugen und bis an die Ohren vollgestopft mit Schokolade auf das Fest der Feste warten, eine unliebsame Wahrheit über gewisse Vorgänge am Nordpol und ihr Lieblingsrentier näher bringen muss?
Da sich Märchen an Kinder immer gut verkaufen lassen, vielleicht mit:
"Es war einmal ein Weihnachtsmann"?
Etwas unpassend, denn das würde bedeuten, es gäbe mehrere.
Mag in gewisser Weise sogar zutreffen, aber hier geht es um den einen.
Also:
"Es war einmal der Weihnachtsmann"?
Auch schlecht, denn das würde bedeuten, er ist heute nicht mehr, was, psychologisch gesehen, sicher nicht zu verantworten wäre.
Also:
"Es ist einmal der Weihnachtsmann"
Hört sich nicht wirklich gut an.
Bleibt nur noch:
"Es ist der Weihnachtsmann!"
"Schick ihn weg!", rief Rudolph.
"Ich will ihn nicht sehen!"
"Mensch, Rudi!", rief Dancer durch die verschlossene Schlafzimmertür.
"Mach kein’ Scheiß! Du bist doch kein Kalb mehr! Öffne endlich!"
"Nein!"
Jetzt mischte sich auch der Weihnachtsmann, der die ganze Zeit geduldig vor der Tür ausgeharrt hatte, in das Gespräch ein:
"Rudolph, Du weißt, dass nur noch zehn Wochen Zeit bis zum Tag W sind! Wir müssen jetzt endlich den Fahrplan durchgehen. Kann ich auf Dich zählen, mein kuscheliger Freund?"
Es kam keine Antwort.
Tief seufzend verließen der Weihnachtsmann und Dancer den Hausflur und gingen ins Hauptgebäude, um die Arbeiten an den Geschenken zu überwachen.
Rudolph hatte auf dem Bett gelegen, die Läufe weit von sich gestreckt. Nun rappelte er sich mühsam auf und hielt einen Huf auf Augenhöhe.
Traurig betrachtete er seinen zitternden Vorderlauf.
Wie sollte er damit den Schlitten des Weihnachtsmannes ziehen?
Wie sollte er überhaupt irgendeine ihm übertragene Aufgabe bewältigen?
Er durchwühlte sämtliche Schubladen, fand aber nichts.
Dancer hatte was spitzgekriegt und ihm seine Vorräte genommen!
Wo sollte er hier am Nordpol an Nachschub gelangen?
Merkte Santa denn gar nicht, wie schlecht es ihm ging?
Rudolph schwankte ins Bad und übergab sich in die Kloschüssel.
"Was ist denn nur mit Rudolph los?"
Fragend blickte der Weihnachtsmann Dancer an.
"Die Sache ist ernst.", erwiderte Dancer.
"Santa, wir haben die Anzeichen lange ignoriert ... zu lange."
"Welche Anzeichen?"
"Das weißt Du nicht? Das Zittern seiner Hufe, der teilnahmslose Blick, der torkelnde Gang. Und seine seit kurzem rote Nase ..."
"Was meinst Du damit? Du hast doch gesagt, er sei mit einer Zaubernase gesegnet worden, als sie uns vor einiger Zeit zum ersten Mal in all ihrer Pracht entgegenleuchtete."
"Sei doch nicht so blöd, Santa! Wer glaubt schon an solch einen Schwachsinn wie Zaubernasen? Das habe ich gesagt, um ihn nicht völlig bloßzustellen! Ich hätte nicht geglaubt, dass Du das tatsächlich für bare Münze nimmst"
"So so, keine Zaubernase, wie?" maulte der Weihnachtsmann gekränkt.
"Welchen Grund sollte die rote Nase dann haben?"
"Du musst jetzt tapfer sein, Santa! Rudolph ist schwer krank. Er ist von einem Teufel besessen."
"Von einem Teufel?" Santas Augen weiteten sich.
"In der Tat! Der Teufel Alkohol hat von ihm Besitz ergriffen! Wir hätten schon vor einem Jahr eingreifen müssen. Erinnerst Du Dich noch daran, als wir die Geschenke bei Klein-Peter im Haus der Müllers in der Eichenstraße ablieferten?"
"Ja, das war der Junge Nummer siebenundfünfzigmillionenzweihundert-vierundfünzigtausendsiebenhundertvierzehn, stimmt’s?"
"Genau den meine ich!", erwiderte Dancer.
"Weißt Du auch noch, wie wir Dir gesagt haben, Rudolph sei mal kurz für kleine Rentiere, als Du wieder aus dem Kamin geklettert kamst?"
"Ja, das weiß ich noch."
"Nun ja, in gewisser Weise war er das, aber nicht so, wie Du denkst!"
"Ach nein?"
"Nein! Als er nach fünf Minuten noch nicht zurückgekommen war, hatte ich mich, wie Du sicher auch noch weißt, aufgemacht, um ihn zu holen."
"Genau! Und irgendwann kamt Ihr wieder und wart ganz schmutzig, Ihr kleinen plüschigen Racker!"
Dancer verzog kurz das Gesicht, dann erzählte er weiter:
"Richtig! Und weißt Du auch, woher der Schmutz kam?"
"Nein. Erzähl!"
"Rudolph war im Nebenhaus durch den Kamin geklettert."
"Ist nicht Dein Ernst! Wo das doch meine Aufgabe ist! Ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden! Dieser kleine süße Schlawiner!"
"Claus, er war nicht in dem Haus um Geschenke zu verteilen! Ich erwischte ihn in der guten Stube von Familie Schmidt, unterm Weihnachtsbaum hockend."
Santa war irritiert: immer wenn Dancer ihn mit Claus ansprach, wusste er, dass etwas nicht stimmte.
"Und was hat er da unterm Weihnachtsbaum gemacht?"
"Er hat in den Christbaumständer gepinkelt, weil nach seinen Worten 'nicht genug Wasser drin war'."
"Pfui, dieser Schlawiner!"
"Willst Du nicht wissen, warum er da hineingepinkelt hat?"
"Du hast es mir doch gerade gesagt: es war nicht genug Wasser drin ..."
"Mein Gott! Es ist ja auch das natürlichste auf der Welt, dann mit Pisse nachzugießen, oder was? Warum hat er keine Gießkanne genommen?"
Nun lächelte der Weihnachtsmann.
"Na komm, Dancer! Schau Dir doch mal Deine Hände an!"
Er betonte 'Hände' dabei so, dass Dancer ihm am liebsten in den Hintern getreten hätte.
"Na, merkst Du was? Ihr könnt doch überhaupt keine Gießkanne halten geschweige denn einen Wasserhahn aufdrehen! Das macht aber nichts, ich habe Euch trotzdem unwahrscheinlich lieb! Soll ich Dich mal kurz in den Arm nehmen?"
"Nein danke! Claus, wir reden aneinander vorbei! Rudolph hat das nicht getan, um dem Baum etwas Flüssigkeit zukommen zu lassen, sondern weil er sich erleichtern musste und anscheinend den Ständer kurzzeitig für ein Pinkelbecken gehalten hat!"
"Was soll das heißen?"
"Herrje! Er war betrunken! Sturzbesoffen, verstehst Du?
Die Hausbar hatte er schon restlos geplündert und war nun dabei die süße, mit Alkohol gefüllte Schokolade leer zu trinken. Sogar die Eierlikörfässer hat er nicht verschont!"
"Lecker, Eierlikör!", rief der Weihnachtsmann.
Einen Moment betrachtete Dancer ihn irritiert. Dann fuhr er fort:
"Ich habe ihn sofort ins Bad geschleift und unter die kalte Dusche gestellt. Glücklicherweise hat uns niemand dabei gehört. Danach habe ich Rudolph eindringlich ins Gewissen geredet und bin mit ihm wieder den Kamin hinaufgeklettert. Ich dachte damals, es wäre nur ein einmaliger Ausrutscher von ihm gewesen, aber ich habe mich geirrt!"
"Und seine Nase ...?"
" ...hat leider nichts mit Zauberei zu tun, Claus! Das ist die typische Nase eines exzessiven Trinkers!"
"Das ist doch Unsinn!", rief der Weihnachtsmann energisch, so energisch, wie jemand rufen kann, der Eierlikör liebt.
"Meine Mitarbeiter haben keine Probleme. Ich bin der Weihnachtsmann und wo ich bin, da gibt es solche Probleme nicht!"
"Wenn Du meinst: Lass jedenfalls nirgendwo Deine Flachmänner rumliegen! Wir werden versuchen ihm einen Therapieplatz bei den AAR zu beschaffen."
"Unfug!", antwortete der Weihnachtsmann.
"Rudolph hat kein Alkoholproblem! Außerdem wird rechzeitig zum Fest der Liebe immer alles wieder gut!"
'Träum weiter, Schwachkopf' dachte sich Dancer und ging zu Rudolph.
Santa war ja eigentlich ein netter Kerl, aber ein naives Weichei und leider auch doof wie Brot, wenn er glaubte, dass Rudolphs Probleme wirklich allein durch Liebe gelöst werden konnten.
Dancer versuchte Rudolph eine Entzugstherapie schmackhaft zu machen.
Leider war der damit nicht ganz einverstanden:
"Fick dich in den Hinterlauf, Dancer!", war noch das höflichste, das Rudolph, unter starken Entzugserscheinungen leidend, ihm zukommen ließ.
Dancer berief tags darauf eine Krisensitzung mit Dasher, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen ein.
Der Weihnachtsmann war auch dabei, er hatte darauf bestanden.
So schwer es für Dancer war, er weihte alle Kollegen in das wohlgehütete Geheimnis ein: dass Rudolph schwer alkoholkrank war.
Einige hatten schon lange etwas geahnt, andere waren schockiert.
Der Weihnachtsmann bagatellisierte natürlich alles und schlug vor sie alle einmal in den Arm zu nehmen, dann würde schon alles gut werden.
Dieser Vorschlag wurde abgelehnt.
Man beratschlagte lange, was nun zu tun sei und einigte sich schließlich darauf, dass ein Ersatz für ihn gefunden werden müsse.
Santa behauptete zwar, wie er es schon so oft behauptet hatte, dass zum Fest der Liebe automatisch alles gut werden würde, aber er gab auch zu, dass er nicht abschätzen könne, ob Rudolph dann sofort voll einsatzbereit wäre, weil er in letzter Zeit sein Konditionstraining für die Nacht der Nächte stark vernachlässigt hatte. Immerhin mussten sie in der Heiligen Nacht, statistisch gesehen, achthundert Haushalte pro Sekunde beliefern. Das war nicht wenig.
Comet hatte noch einen entfernten Verwandten namens Waldemar, der zur Zeit arbeitslos war und in Lappland von einem Jäger angefüttert wurde, um ihn im nächsten Sommer als kapitalen Hirsch schießen zu können. Verständlich, dass Waldemar kein Verlangen danach hatte, noch im nächsten Sommer dort zu sein. Er war zwar faul wie die Sünde, das gab Comet offen zu, aber ein fauler Mitarbeiter war immer noch besser als gar keiner.
Plötzlich schwangen die schweren Flügeltüren auf und Rudolph torkelte in den Konferenzraum.
Die anderen hatten ihn seit Tagen nicht gesehen. Umso schockierter waren sie jetzt von seinem Anblick.
Jedem war klar: Rudolph hatte Nachschub gefunden!
Er bot ein Bild des Grauens.
Blutunterlaufene Augen, die Nase in einem noch leuchtenderem Rot als sonst.
Er hatte sich selbst sein Zaumzeug angelegt, das ihm nun auf halb acht hing.
Jegliches Zeitgefühl verloren, war er der Meinung, es sei schon der Vierundzwanzigste.
"Wir können, alter Sack!", lallte er in Richtung des Weihnachtsmannes.
"Was hockt Ihr alle hier noch so blöd rum?"
"Mann, Rudolph!", rief Donner böse.
"Schau Dir mal an, was Du mit Deinem schönen, weißen Unterfell gemacht hast!"
Leicht vor und zurückschaukelnd blickte Rudolph auf seinen Bauch.
"Ja und?", rief er dann.
"Versuch Du doch mal zu pinkeln, wenn Du am ganzen Körper zitterst! Fragt doch Dancer, warum ich so zittere! Er hat mir schließlich meine Medizin weggenommen!"
"Alkohol ist keine Medizin! Und auch keine Lösung! Du brauchst Hilfe, Rudolph!", sagte Vixen.
Dasher und Blitzen nickten.
"Quatscht keine Opern und lasst uns endlich losziehen!"
"Weihnachten ist noch nicht. Außerdem wirst Du uns dieses Jahr nicht begleiten!"
Rudolph starrte Dancer mit offenem Mund an.
"Warum nicht?"
"Weil Du ein Alkoholproblem hast!"
Rudolphs Augen funkelten böse.
"So ist das also! Ihr wollt mich hier raushaben, Ihr intriganten Schweine?"
Mit dem rechten Huf fegte er die Lebkuchenschale vom Tisch.
Der Weihnachtsmann meldete sich zu Wort:
"Beruhige Dich, Rudolph! Es ist nur für dieses Jahr, weil die anderen glauben, dass Du momentan nicht in der Verfassung ..."
"Nicht in der Verfassung? NICHT IN DER VERFASSUNG?", schrie Rudolph, wobei sich seine Stimme überschlug.
"Ich hock’ 364 Tage im Jahr blöd rum und warte auf diesen einzigen verschissenen Tag, an dem ich Vollzeit arbeite und jetzt kommst Du mir mit so einem Scheiß, dass ich nicht in der Verfassung bin meinen Job zu machen?! Warum bin ich denn wohl nicht in der Verfassung? Hast Du denn eine Ahnung, warum es mir so dreckig geht?"
"Ehrlich gesagt nein ...", entgegnete der Weihnachtsmann, wie immer freundlich.
"Es wird doch nicht an mir liegen?"
Rudolph lachte irre.
"Ob’s an Dir liegt? Ob’s an Dir liegt? Alles, was hier nicht stimmt, liegt an Dir!"
"Das ist doch Unsinn, Rudolph!"
Der Weihnachtsmann erhob sich von seinem Stuhl.
"Lass mich Dich mal kurz in den Arm nehmen und knuddeln!"
"Wag’ es ja nicht!", sagte Rudolph drohend.
Schmollend setzte sich der Weihnachtsmann wieder.
"Ich werde Dir jetzt mal ein paar unangenehme Wahrheiten unterbreiten, die einfach mal rausmüssen! Ich häng' an der Flasche, weil ich Dein ganzes verlogenes Heile-Welt-Getue und Deinen schmalzigen Zuckerguss über allem nicht mehr ertragen kann!
Du hast mich doch krank gemacht! Ihr alle habt mich kaputtgemacht! Ich bin ein seelisches Wrack!
Mich kotzt Deine Scheiß-Freundlichkeit an und dass Du immer die gleichen Klamotten trägst!
Dass Dir seit Jahrhunderten nichts besseres als 'Hoh Hoh' einfällt!
Dass wir hier das ganze Jahr aufeinander hocken!
Dass wir tagein tagaus nur Lebkuchen fressen und Punsch saufen!
Dass die beknackten Wichtel durchgehend Weihnachtslieder singen und jeder jeden so unwahrscheinlich lieb hat!
Dass Du glaubst, jeder Ärger ließe sich dadurch lösen, dass Du uns einmal drückst und zwischen den Hörnern kraulst!
Und dass Du grundsätzlich der Meinung bist, dass sich jedes noch so große Problem am Heiligabend wie von selbst erledigt!
Das ist doch zum Kotzen!"
Nun wandte er sich an seine Kollegen:
"Seht Ihr denn nicht, dass das nicht die Welt ist, die da draußen existiert? Dort herrschen Streit, Hass und Neid. Da werden wir erschossen und unsere Geweihe als Trophäen an die Wand gehängt! Da werden wir auf einsamen Landstraßen überfahren, weil besoffene Jugendliche nicht schnell genug zur Disco kommen können. Macht Ihr Euch denn überhaupt keine Gedanken darüber, was für billige Klischees wir hier bedienen als die Helfer dieses Hampelmannes?"
"Nun ...", sagte der Weihnachtsmann.
"Ich gebe ja zu, dass es da draußen ein klitzekleines bisschen Not und Leid gibt, aber ..."
"Aber was?", fragte Rudolph.
"Aber im Grunde genommen gefällt Dir das Lebkuchenessen, das Punschtrinken, die Weihnachtsmusik und die herzerwärmende Freundlichkeit hier, stimmt’s, mein kleines Kuschel-Puschel-Rentier?"
"Nein! Und ich bin nicht Dein Kuschel-Puschel-Rentier, Santa! Wenn Du das noch einmal zu mir sagst, schwöre ich Dir, werde ich Dir den Arsch aufreißen!"
Rudolph ließ sich auf einen Stuhl sacken.
"Was mich noch mehr deprimiert ist die Tatsache, dass wir rein gar nicht gegen das Leid unternehmen!"
"Das brauchen wir doch auch gar nicht, Rudolph! Am Heiligabend wird automatisch immer alles gut!"
Schreiend lief Rudolph aus dem Haus. Er brauchte wieder einen Schluck!
"Sollten wir ihm nicht nachgehen?", fragte Cupid.
"Das ist nicht nötig.", entgegnete der Weihnachtsmann.
"Aber in seinem Zustand! Wenn er sich nun in den Schnee zum Schlafen legt?"
"Der arme Rudolph befindet sich in einer klitzekleinen Sinnkrise.", sagte der Weihnachtsmann.
"Habt aber keine Furcht, meine treuen kuscheligen Freunde! Ich werd’ ihn bei Gelegenheit in den Arm nehmen. Außerdem weiß ich, dass am Heiligen Abend alles wieder gut wird. Das war schon immer so und wird immer so sein."
Kopfschüttelnd sahen sich die Rentiere an.
Am nächsten Morgen trugen Dancer und Prancer den steifgefrorenen, bewusstlosen Rudolph in das Arbeitszimmer des Weihnachtsmannes, wo dieser gerade die letzten Wunschzettel durchging.
"Wir haben ihn draußen im Schnee liegend gefunden. Wie es aussieht, hat er den Kühlerfrostschutz aus Deinem Motorschlitten getrunken."
Der Weihnachtsmann nickte.
"Das war klug von ihm. Sonst wäre er erfroren."
"Claus! Er hat den Frostschutz nicht getrunken, um Erfrierungen vorzubeugen, sondern weil Alkohol drin war!"
"So ein Unsinn, Jungs! Bringt ihn zu den Wichteln. Die sollen ihm Punsch und Lebkuchen bringen und ein paar Weihnachtslieder singen, dann geht es ihm gleich besser!"
Kopfschüttelnd trugen Dancer und Prancer den immer noch bewusstlosen Rudolph fort.
"Allmählich glaube ich", sagte Prancer, "der Kerl will uns verarschen! Punsch für einen Alkoholiker ... Ich fass es nicht!"
"Keine Verarsche ...", sagte Dancer traurig.
"Er kann nichts dafür. Er ist wirklich so ..."
"Der Kerl regt mich so auf! Ich bring ihn noch um!", flüsterte Prancer.
"Geh nicht so hart mit ihm ins Gericht. Er meint es nur gut ...", entgegnete Dancer.
In der nächsten Nacht hielten die Rentiere eine Geheimversammlung ab und sie beschlossen das, was schon lange hätte beschlossen werden müssen.
Sie brachten ihren Kollegen fort.
Am nächsten Tag begann ein schwerer Weg für Rudolph, aber es war ein guter Weg.
Und es war der einzig gangbare Weg:
"Hallo, mein Name ist Rudolph und ich bin Alkoholiker."
"Hallo Rudolph!"
Santa Claus fragte natürlich nach dem Verbleib seines Lieblingsrentieres.
Die anderen erzählten ihm, dass Rudolph ein paar Tage ausspannen wolle und das akzeptierte er, obwohl er die Meinung vertrat, dass ihm genauso gut geholfen worden wäre, wenn er ihn einmal fest an sich gedrückt hätte.
Als dann der faule Waldemar eintraf, begann man mit ihm die Fahrtroute für die Heilige Nacht zu besprechen.
Am Vormittag des Heiligen Abends, als die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, tauchte Rudolf wieder auf. Ein wenig blass, aber okay.
Die anderen stürmten auf ihn zu und klopften ihm anerkennend auf die Schulter.
"Ich hab’s geschafft!", verkündete Rudolph stolz.
"Ich habe seit drei Wochen keinen Tropfen mehr angerührt!"
"Rudolph, da bist Du ja wieder!", rief Santa erfreut.
Er lief auf ihn zu und drückte ihn an sich, was dieser sich zähneknirschend gefallen ließ.
"Ich hab’ gesehen, dass Ihr einen Ersatz für mich aufgetrieben habt. Darf ich trotzdem noch mitkommen?"
"Klar darfst Du! Aber dieses Jahr fährst Du zur Abwechslung mal mit mir im Schlitten und lässt Waldemar ziehen, ja?"
Dem faulen Waldemar passte das zwar nicht, aber da er vor dem Erschießungstod bewahrt worden war, durfte er keine besonderen Ansprüche stellen.
In dieser Nacht bot sich den Menschen, die an die Fenster getreten waren, ein merkwürdiges Bild. Ein kleines rotes Licht, weithin sichtbar, zog am Firmament vorbei.
Santa Claus war zufrieden, sie waren in dieser Nacht sogar zweieinhalb Sekunden schneller gewesen als sonst, hatten also zweitausend Haushalte gutgemacht.
Vielleicht konnte man das im nächsten Jahr noch überbieten!
Zurück am Nordpol wurde ein rauschendes Fest gefeiert, bei dem Santa Rudolph immer wieder Punsch anbot, was dieser dankend ablehnte.
"Was ist jetzt eigentlich mit Deiner Nase, Rudolph?", fragte Santa irgendwann.
Dancer, der wusste, dass Rudolph leider für immer mit diesem Makel behaftet sein würde, erklärte:
"Es ist so, wie ich es Dir gesagt habe, Santa! Es ist seine leuchtend rote Zaubernase!"
"Wusst’ ich’s doch!", rief der Weihnachtsmann triumphierend.
"Von nun an ..." sagte er, " ... von nun an sollst Du für alle Zeiten
'Rudolph mit der roten Nase'
heißen! Na? Ist das ein schöner Name?"
Eigentlich fand jeder, dass dies ein Scheißname sei, aber man wollte Claus nicht die Freude nehmen, also klatschten sie alle höflich Beifall.
Und tatsächlich: dieser Name hat sich bei den Menschen eingeprägt!
Zu vorgerückter Stunde kam Santa auf Dancer und Prancer zu, stieß beiden in die Rippen und sagte zwinkernd:
"Hab’ ich’s Euch nicht gesagt? Am Heiligen Abend wird automatisch immer alles wieder gut!
Und Ihr dachtet, Rudolph hätte ein 'Alkoholproblem', hehe! Wisst Ihr, wie ich solche Probleme zu lösen pflege?"
"Ich nehme an, Du wirst es uns gleich sagen, Claus."
Der Weihnachtsmann lächelte verschmitzt und drückte Dancer einen Zettel in die Hand.
Dann wünschte er allen eine Gute Nacht und begab sich zu Bett.
Dancer entfaltete das Papier und las zusammen mit Prancer die Zeilen darauf:
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Santas Rezept gegen 'Alkoholismus' :
Ein Teelöffelchen Liebe in einem Glas
Punsch verrühren, eine klitzekleine
Prise Verständnis und eine
Messerspitze Vertrauen zugeben,
dem Patienten einflößen und ihn
anschließend einmal fest drücken ...
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"Ich bringe diesen Schwachkopf um! Ich bring ihn um!", flüsterte Prancer.
"Ich fahre das Fluchtauto!", entgegnete Dancer.
Aber das, lieber Leser, ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden ...