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Die Welt

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01.11.2001
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Die Welt

6.11.01
Die Welt

365 Tage hat das Jahr, zu viele Sekunden zu zählen. Ich sitze auf meinem Kratzbaum und reinige in mühevoller Arbeit meine Pfoten von nasser Erde und kleinen Steinchen. Sie haben sich hartnäckig in den Zwischenräumen festgesetzt.
Ich habe gerade einen Auflug ins feindliche Territorium hinter mir, in dem sich ein riesiger Blumentopf befindet. Unter der kahlen Zierpalme habe ich einige dieser delikaten Maden geerntet. Eine wahrer Gaumenschmaus!
Ich hatte allerdings Glück, dass der graue Riese nicht in der Nähe war, da der ganze Raum zu seinem Gebiet gehört. Mich bei seinen Maden zu erwischen hätte unsere Beziehung erheblich belastet.
Uns als wirkliche Feinde zu bezeichnen wäre vielleicht übertrieben. Die meiste Zeit herrscht ein mehr oder weniger stabiler Waffenstillstand zwischen uns. Gelegentlich führen wir sogar kleinere diplomatische Verhandlungen über die Verteilung der besonders ergiebigen Jagdgebiete.
Doch vor allem wenn sich der graue Riese ungerecht behandelt fühlt, zum Beispiel deshalb, weil der Kratzbaum seit Urzeiten zu meinem Revier zählt, komme ich nicht umhin ihn in seine Schranken zu weisen. Der graue Riese ist der Meinung, denselben Anspruch auf die Benutzung des Kratzbaumes zu haben, doch schon meine Vorfahren waren Besitzer des Kratzbaumes, er gehört sozusagen zu meinem Familienerbe.
Unsere Welt umfaßt sieben Gebiete, wobei eines davon noch nahezu unerforscht ist, da eine massive Holztüre den Weg fast ununterbrochen versperrt. Nur ein oder zwei Mal hatte der graue Riese Gelegenheit einen Blick hinein zu werfen, aber er weigert sich beharrlich, seine Erkenntnisse darüber mit mir zu teilen.
Unsere Welt ist unheimlich groß. Sie ist besiedelt von einer Menge kleiner, weißer Larven, die sich bevorzugt in der Nähe der Pflanzen aufhalten, einigen fliegenden Insekten und großen, zweibeinigen Lebewesen, die unsere Hauptnahrungsquelle ausmachen (sie hinterlassen Schalen mit den verschiedensten Nahrungsmitteln). Doch wir sind die Herrscher über die Welt, sie wurde uns Füßen gelegt, lange bevor wir überhaupt geboren waren.
Die Gebiete sind von unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit und teilweise weisen sie riesige gläserne Fenster auf. Sie geben den Blick frei auf die unendliche Weite, die unsere Welt umgibt.
Der graue Riese hat es sich zum Hobby gemacht, sie zu beobachten, aber ich kann nicht viel damit anfangen, da sie doch unheimlich weit entfernt scheint.
Ich klettere vom Kratzbaum und sehe aus dem Fenster.
Obwohl es keiner von uns bisher geschafft hat, mehr als einen Blick davon zu erhaschen, bin ich überzeugt, daß diese Weite eine Art Kulisse für unsere Welt ist, und unsere Welt der Mittelpunkt von allem.

 

Eine tolle Geschichte aus der Sicht eines Tieres. Ich glaube es war eine Katze aber ich bin mir nicht ganz sicher.
Ich finde es toll wie du beschrieben hast das für diese Tiere die kleinsten Dinge etwas besonderes sind.

 

Hi Claudia,

eine schöne kleine Geschichte! Und das Experiment scheint gelungen zu sein, wenn man die Antworten liest 8-)
Denn wir haben alle unsere Maden, die uns alles bedeuten und um die wir uns mit anderen streiten, und wir haben alle unsere Türen hinter die wir schauen möchten aber nicht können, oder können und nicht wollen...
Nochmal viel Lob für die Geschichte :)

 

Hmm.. also ich muss sagen das Meine Katze wahrscheinlich etwas anders Denkt... aber der Ansatz ist sehr gut...Aber wie schon oben gesagt etwas länger hätte es sein dürfen (wenn auch nicht müssen). Gute Geschichte.

 

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