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Donnerstag in drei Jahren

HGD

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11.12.2001
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Donnerstag in drei Jahren

Es war Donnerstagabend und ich schlenderte durch die vernebelten Straßen auf denen ich einst zu Hause war. Niemand erwartete mich, niemand wusste, dass ich hier war, einige sogar nicht, ob ich noch lebte. Mein Mantel hielt die Kälte ab, die von oben auf mich fiel. An den Ellenbogen war er schon etwas verschlissen, und der Dreckrand an der Unterkante erzählte mir, dass er schon bald in die Reinigung gehen wollte.
Die kleine Innenstadt gähnte vor Leere und aus meiner Stammkneipe schallte ein trauriges Lied, wurde aber in der Mitte abrupt abgebrochen. Ich entschloss mich weiter zu gehen; es standen eh nur unbekannte Gestalten im Fenster die mich nicht mehr er-/ kannten. Heute nacht hatte ich nicht, wie üblich, die leichten Ziaretten gezogen, sondern die, die schwer auf der Lunge liegen. Ich wusste gar nicht warum, als ein grüner Schleimbrocken vor mir auf der Straße lag. Auf dem Marktplatz lagerten wie immer die Fetzen der Partyansagen für diesen Freitag. Heute lag sogar etwas dort. Hühner-Rave auf der Kultfarm. Ich schenkte dem Moorhuhn und seiner vergangenen Popularität ein Lächeln und blickte in die Schaufenster der Kneipe, wo Frauen sich als vorletzter Versuch präsentierten. Einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde ein Gesicht aus dieser geschminkten Masse kennen, doch so alt war ich noch nicht.
Ich ließ den Platz einstigen pulsierendem Lebens hinter mir und ging auf das Haus meiner Eltern zu. Freilich war es noch weit, und ich konnte es noch nicht sehen, aber es konnte nur dorthin gehen, denn viel mehr war dort nicht. Ich nahm einen kleinen Umweg und an der Wohnung meiner Exfreundin vorbei. Ich hielt kurz inne. Es war vom jetzigen Standpunkt nicht viel Zeit gewesen, die wir verbracht hatten, aber damals... Es schien so klein und nichtig. Ich war ewig nicht mehr hier gewesen. Zu Hause. Ich atmete die Luft die mir so gut schmeckte. Ich ging auf dem Bürgersteig, den ich auswendig kannte; ich kannte ihn nun nicht mehr. Die rissigen Platten waren ausgewechselt worden und ich konnte ihnen nun nicht mehr, wie als kleines Kind, ausweichen. Eigentlich schade, denn es ging auf mein Gemüt. Mein Mantel wurde schwerer, es hatte angefangen zu regnen. Da stand ich nun vor dem Haus meiner Eltern, anzufangen auszusehen wie ein begossener Pudel.
Wir hatten uns nicht auseinandergelebt, nicht jeden Kontakt abgebrochen, nein, ich rief immer noch sonntags an, nur nahm ich meine Wäsche lieber mit in einen Waschsalon, als mit nach Hause und kaufte auch lieber gegen Geld als gegen ein Auf Wiedersehen ein. Zwar wussten meine Eltern auch von meinem heutigen Besuch nichts, aber es war schließlich Donnerstag, nicht Samstag live oder Sonntag am Telefon. Ein Hotelzimmer hatte ich mir genommen und wollte eh nur einen Tag bleiben, bevor die Illusion Wochenende die Realität einer toten Stadt zerstörte. Denn da kamen sie alle wieder zurück um alte / ihre Freunde wiederzusehen. Ich wollte die Kleinstadt einmal ungeschminkt sehen, wie übrigens auch diese Vorletzter-Versuch-Tussis. Im Prinzip ist es genau die gleiche Taktik, die diese Stadt verfolgt: Dick auftragen, betrink Dich, aber sei nicht so bescheuert mit ihr aufzuwachen, denn am Wochenende hält diese Stadt ihren Schönheitsschlaf. Und sie sieht schön friedlich dabei aus; sie will dich bezirzen, um bei ihr zu bleiben. Leider, oder Gott sei Dank, muss ich am Sonntag Abend in Zug oder Auto springen, um mein Studium zu verfolgen. Denn an so einem Donnerstag ist alles in Vorbereitung. Früher war es das zumindest. Denn eigentlich ist es ganz logisch, warum hier immer weniger für uns los ist: Es ist ja in der Woche keiner mehr von uns da, der einen Event organisieren könnte. Wir sind nur alle traurig, dass nichts mehr passiert. Ich ging weiter zu einer Tankstelle, die noch geöffnet hatte und kaufte eine Flasche Martini. Nur diesmal war niemand dabei, der sie mit mir noch auf dem Kinderspielplatz trinken wollte. Ich trank sie in fünf Minuten dreiviertel leer und schmiss sie in die Ems. Auf meinem Weg zum Hotel überholte sie mich, als ich auf einer Brücke stand; ihr Weg war direkter, einfacher. Ich beugte mich zu weit übers Geländer und schaute ihr nach. Zum Glück hatte meine Kraft in den Armen nicht nachgelassen und ich konnte den provozierten Fall ins Wasser auch heute vermeiden. Zufriedenheit machte sich breit und mein Gang beschleunigte sich. Allerdings war das eingetreten, was sich angedeutet hatte: Ich war ein begossener Pudel, auch wenn die letzte Regenwolke sich langsam verzog.
Ein Straßenlicht flackerte wild unter einem Fenster, wo ein Pärchen stritt. Eigentlich verfolgte ich solche Szenen mit Amüsement, doch diesmal sah ich nur, wie er ihr mitten ins Gesicht schlug. Ich rief die Polizei an, und gab die Adresse durch, und meinen Namen. Was machst Du denn in der Stadt? Ein alter Schulkollege war dran, der sich für die Laufbahn der Polizei entschieden hatte. Zum Glück konnte mein Dringlichkeitsersuch mich um das wie-geht’s-wie-steht’s-Spiel herumbuxieren und die Sturmklingelattacke verschaffte der jungen Frau und der Polizei die benötigte Pause, die ich zur Flucht in die Nacht nutzte. Da stand ich nun, wie ein kleiner Junge vor der Webelsburg, vor dem Hotel. Ob ich die junge Frau vielleicht kannte? Irgendwann kommen viele schließlich hierher zurück, so wie sie vielleicht und hatte ihn geheiratet? Ich entriss mich meinen Gedanken, sowie dem Nachtportier den Zimmerschlüssel und ging nach oben. Ich wurde langsam betrunken von dem Martini.
Auf meinem Zimmer stand ein kleines Tischkärtchen, was die Touristen in meiner Heimatstadt mit Überschwang begrüßte. Ich dachte nur laut: ‚Danke schön und Daumen hoch’, zog mich um, und ließ mich ins Bett fallen.
Morgens wachte ich durchgeschwitzt in Bett meiner Freundin auf. Es war Mittwoch und ich konnte eigentlich noch schlafen, denn ich hatte erst zur dritten Stunde Schule. Aber sie musste schon hin und hatte bereits Kaffee gekocht. Wir frühstückten auf dem Balkon ihrer Wohnung, denn es war der zweite heiße Sommertag. Ich erzählte ihr nichts von meinem Traum, und sie führte meine mangelnde Gesprächsfreude auf die Flasche Martini und etliche Biere zurück, die wir gestern bei ihr mit meinem besten Kumpel und seiner derzeitigen Liaison getrunken hatten. Ich war dann gleich da geblieben. Das Wohnzimmer roch noch gewaltig nach Qualm. Wir hatten uns unsere glorreiche Zukunft zurechtgelegt, und ich wollte nur noch kalt duschen und dann auch zur Schule gehen.

 

Na ja, wenn jeder nach der Schule so endet, dann gute Nacht...
...aber bekanntlich sind Träume ja nur Schäume! :dozey:

Hendek

 

...aber bekanntlich sind Träume ja nur Schäume!

Ja, genauso war's auch gemeint. Zumindest als mir kein anständiges Ende einfiel...

 

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