Du bist raus!
Du bist raus!
Er beugte sich vor und begann zu weinen. Ein krampfhaftes Weinen, kein erlösendes. Der Wind flatterte durch sein T-Shirt und ihm wurde kalt, unangenehm kalt.
Ich werde mir eine Lungenentzündung holen, dachte er und lachte bitter. Haha, eine Lungenentzündung, sehr komisch. Das, was du gleich tun wirst, ist ein bisschen schlimmer als eine verschissene Lungenentzündung.
Er überlegte, ob er nicht einfach nach Hause gehen sollte. Einfach gehen und diese Scheisse hier vergessen.
Aber er hatte Angst nach Hause zu gehen. Die kalten hohen Räume würden ihn fertigmachen. Eine grausame Atmosphäre.
(Wer hatte damals diesen absolut bescheuerten Gedanken gehabt, sie weiss zu streichen? Ausgerechnet weiss!)
Ein neuer Heulkrampf schüttelte ihn.
Nein, lieber jetzt und hier.
Er stellte sich auf das Brückengeländer und sah nach unten. Es war nicht so hoch, wie er erwartet hatte. Reichte das überhaupt? Vielleicht schlug er sich nur das Schlüsselbein an einem vorüberschwimmenden Ast an und das war´s dann. Nein, es musste reichen. Ansonsten hast du noch einen Freisprung. Haha. Was war er heute wieder witzig.
Friedlich gurgelte der Fluss unter ihm entlang. "Komm schon, trau´ dich", blubberte er. "Hier unten ist es ganz nett!"
Er hielt sich an den Verstrebungen des Brückenpfeilers fest und schloss die Augen.
Bitte, dachte er, wenn es irgendeine Gerechtigkeit auf diesem Planeten gibt, dann soll sie jetzt vor mir erscheinen.
Er öffnete die Augen. Es erschien keine. Weder vor seinen Augen noch in seinem Innern tat sich etwas Erwähnenswertes.
Was habe ich denn erwartet, fragte er sich. Einen leuchtenden Engel, der mir seine Hand reicht und mich wieder ´runterführt. Mein Leben wieder in Ordnung bringt, oder was? Eine mit mir raucht (und ich sterbe an Lungenkrebs, das wäre ein Kracher!) oder mich mitnimmt zu sich nach Hause?
Scheisse, dachte er.
Das war doch wohl ein schlechter Witz, oder?
Aber ein sehr schlechter!
Er dachte an zu Hause.
Er dachte an den Morgen, den er nicht mehr erleben würde.
Und er dachte an Mark Knopfler.
Where do you think you´re going, don´t you know it´s dark outside?
Dann sprang er.
Und während er seinem nassen Grab entgegenflog, zu einem Platz, der hoffentlich sehr viel schöner war als die regennassen Stahlknochen der Brücke, drängten sich tausende von Stimmen um ihn herum und wisperten leise aber eindringlich: "Du bist ein erbärmlicher Feigling! Ein Feigling! EIN FEIGLING! Vergiss´ das nicht!"
Er vergass es nicht.
Er fiel und starb.