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Eimer für Eimer

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21.04.2015
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Eimer für Eimer

Das Nachbarhaus ist umstellt von Baugerüsten.
Von der Fensterbank beobachte ich Arbeiter hinter trägem Zigarettenqualm. Sie schleppen Eimer voll Schutt aus dem Dachgeschoss, schütten alles in ein Plastikrohr.
Eimer für Eimer.
All die ausgeschlagenen Betonbrocken,
manche größer als ein Herz,
andere zerbröselt zu Steinen und Staub,
rauschen das Rohr hinab.
Stoßen sich am harten Plastik, stürzen, stolpern durcheinander, krachen in die Tiefe, fallen unaufhaltsam in den Container vor dem Haus.
Staub steigt auf, hält einen Moment inne – sinkt hinab, legt sich sanft auf Autos und Kopfsteinpflaster.
Langsam und lautlos ... bis es von vorne losgeht.
Gegenüber knallt eine Frau kopfschüttelnd das Fenster zu. Ihre Locken tanzen dabei.
Ich schließe die Augen und lächle.
Warte auf den nächsten Eimer.
Voll mit meinem Schutt.
Er stürzt das Rohr hinunter, zurück bleibt feiner Staub auf meinem Haar.
Die Luft schmeckt sandig.
Ich wünsche mir, es wäre so einfach.

 

Ihr Lieben,

ich experimentiere gerade mit wenigen Worten, mit kurzen Texten, mit Beobachtungen, Szenen, hinter denen noch eine weitere Schicht liegt, als nur das Offensichtliche. Ich hoffe, ihr verzeiht, dass ich auch diese Versuche mit euch teile.

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo AWM,

ja, es stimmt, das Knirschen passt hier nicht so recht, habe das gestrichen. Und auch das Ende habe ich noch mehr gekürzt, um es nicht ganz so offensichtlich zu machen. Danke für deine Rückmeldung.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo,

Mme. Wou,

und willkommen im Labor!

Wie sollte ich an Experimenten mäkeln, insbesondere wenn das Bild eine gesamtgesellschaftliche Misere aufzeigt: Wir produzieren den Schrott/Schutt und andere müssen ihn wegräumen - wobei ja auch schon im Text eingeschlossen wir(k)dt, dass nicht nur die Produktion von potentiellem Müll Gewinn verspricht, sondern auch dessen Beseitigung kein schlechtes Geschäft sein kann - sonst müssten wir uns ja persönlich drum kümmern ...

Zudem geht der Rauch der Zigaretten eine Brüderschaft mit dem Staub der Ruine ein, was in der Idylle

Staub steigt auf, hält einen Moment inne und sinkt langsam wieder hinab, legt sich sanft auf die parkenden Autos und das Kopfsteinpflaster.
einen Höhepunkt findet, wenn Dreck sich auf eine Dreckschleuder senkt ...

Das Anthropozän zieht sich selbst die Zähn', sagt der

Friedel

 

Hallo RinaWu,
hat mir gefallen das Experiment. Es hat mich auch nicht gestört, dass in er ersten Fassung anhand der letzten drei Sätze klar wurde, worum es geht. Ich fand das nicht zu viel, denn ich habe ja erstmal nicht damit gerechnet, und so hat sich deine Vorarbeit zum Schluss zu einer Überraschung/Auflösung gefügt.
Tja, wenn's denn so einfach wäre ...

Gerne gelesen.

Viele Grüße,
Chai

 

Lieber Friedrichard,

vielen Dank für deinen Kommentar zu meinem kleinen Experiment. Ich weiß auch nicht, ich kriege gerade nichts längeres zustande, mir ist nach kurz und knackig, nach schreiben, aber eben eher sehr szenenhaft. Schön, dass ihr das akzeptiert, denn ich weiß, eine richtige Kurzgeschichte ist das nicht.

Ja, stimmt, die Beseitigung von Müll ist ein Geschäft, auf weiterer Ebene kann es sich aber auch sehr befreiend anfühlen.

Ich schick dir liebe Grüße!
RinaWu

Hallo Chai,

danke für deine Worte, es freut mich, dass dir dieser kleine Text gefallen konnte. Ich hadere noch mit mir, wie deutlich ich werden soll. Denn eigentlich ist ja die Intention, dass man eher zwischen den Zeilen liest, für was diese krachende Lärmbeseitigung noch stehen soll. Im Moment habe ich das Gefühl, der kleine Satz "voll mit meinem Schutt" reicht, alles weitere stört mich auch nicht, ist aber eventuell für die Kürze des Textes doch zu erklärend ...?! Naja, der Text ist noch sehr offen, mal sehen, was ich daran noch herumschraube. Es ist jedoch gut zu wissen, dass für dich diese Auflösung am Schluss selbst mit ein paar mehr Sätzen nicht zu plakativ rüberkam.

Viele Grüße zurück!
RinaWu

 

Hallo RinaWu,
sprachlich finde ich den Text gut. Auf der inhaltlichen Ebene – dieses metaphorische Bild des Schutt Abladens – berührt er mich leider gar nicht. :schiel: Vllt. kapier ich auch den tieferen Sinn nicht. Aber dein Protagonist könnte genauso gut einem Fensterputzer zuzuschauen und darüber sinnieren, wieviel klarer die Sicht jetzt ist und das auf sein Leben projizieren, oder? :Pfeif:

Nichts für ungut.
Viele Grüße
wegen

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe RinaWu,
mir kommt’s vor wie ein Hybridtext, ein bisschen Kurzgeschichte, etwas mehr Gedicht. Wenn du das Volumen weiter reduzierst, verwandelt der Text sich zu einem großartigen Gedicht. Ich verscch’s mal:

Ein Baugerüst

Schutt rauscht
Munter durch ein Plastikrohr
Nach unten, nach unten
krachtknirscht unaufhaltsam
Kieselsteingroß, sandklein
Herzstücke darunter

Mein Trümmereimer ist dran

Staub sinkt auf die Straße
fällt sanft
Auf den Asphalt
Auf Autos
Auf meine Haut
Wär’s doch so einfach.
(nur schnell hingeschrieben, und keinesfalls als „Eigenleistung“ gedacht.)

Die Frage, die sich mir stellt, ist die: wie groß darf der Zwischenraum sein? Was erwarte ich von einer Kurzgeschichte, was von einem Gedicht. Wenn ich da an meine eigenen Erfahrungen mit meiner letzten Geschichte denke, die, obwohl sehr kurz, doch die doppelte Wortzahl enthält, spüre ich doch, dass man diesen Zwischenraum besser füllen muss, sonst wird der Inhalt sehr leicht plakativ, oberflächlich, vielleicht sogar beliebig.

Paar Textstellen:

trägem Zigarettenqualm.
ich weiß nicht, ob ich hier ein Adjektiv verwenden würde und wenn schon, ob träge das ist, was du ausdrücken möchtest

All die ausgeschlagenen Betonbrocken,
manche so groß wie ein Herz,
hübsch

Sie reiben sich am harten Plastik, stoßen aneinander, stolpern übereinander, krachen in die Tiefe, unaufhaltsam fallen sie in den großen Container vor dem Haus.
erzählerisch stark, da könntest du gleichzeitig den Text ausbauen, Beziehungen herstellen

Ihre wilden Locken tanzen dabei.
komische Nebenhandlung, die sich aber auch ausweiten ließe

lausche dem Knirschen und Krachen und wünsche mir, es wäre so einfach.
hier wäre es womöglich besser das Knirschen und Krachen nicht zu wiederholen, dem Twist mehr Wirkung zu verleihen.

Viele Grüße und bring mal paar Herzstücke mit, frisch angerührt, von Schutt keine Rede, wenn wir uns am Samstag sehen
Isegrims

 

Hallo wegen,

das macht gar nichts, wann ein Text berührt und wann nicht, ist von so vielen Dingen und Stimmungen abhängig, damit kann ich leben, alles fein ;) Zumindest sprachlich hat er dir gefallen, das ist doch auch was Schönes. Ich möchte den kleinen Text jetzt ungern erklären, daher lasse ich deinen Kommentar und meine kleine Antwort darauf jetzt einfach so stehen.

Liebe Grüße
RinaWu

Hey Isegrims,

ich bin so gespannt auf Samstag. Wie ihr alle ausseht und so. Und was ihr für Stimmen habt. Ob das so ist, wie in meinem Kopf zusammengereimt oder total anders. Spannend ist das ...

Aber erst einmal, danke für deinen Kommentar. Hybridtext trifft es ganz gut. Ich habe mich davor an einem kleinen Gedicht versucht über das Death Valley, das war noch reduzierter. Hier wollte ich tatsächlich so eine Art Mischung versuchen, etwas das vor allem klingt und auch dadurch wirkt. In meiner Originalfassung in meinem Kritzelbuch sind die Zeilenumbrüche noch gedichtartiger, ich wollte mir aber keine komplette Watschn hier abholen, weil ich weiß, dass ich Gedichte hier eigentlich nicht darf ... Aber du siehst, diese Idee, noch weiter zu reduzieren, stößt bei mir auf offene Ohren, da bastel ich gerade immer wieder dran rum.

Vielen Dank für deine Gedanken hierzu, ich lasse das mal weiterwirken.

Claro que sí, am Samstag bring ich einen Sack voll frischer Herzstücke mit (klingt irgendwie seltsam :lol:)

Liebe Grüße
RinaWu

 

... auf weiterer Ebene kann es sich aber auch sehr befreiend anfühlen.

Ja klar,

Mme. Wou,

ist ja auch ein Akt der Befreiung wie (ver-)fluchen,(aus/be-)schimpfen oder gar wegwünschen. Du glaubst gar nicht, wie befreiend es von Hendrix bis Townshend war, Gitarren zu zerdeppern oder anzustecken (natürlich immer nur die preiwertesten). Und hör Dir mal den Schluss vom Sgt. Pepper - "A Day in the Life" - an, quasi synfonische Wut - und dann im Kleinen Neil Young und Crazy Horse im Hyde Park mit der gleichen Lennon-Nummer, der sich dann noch McCartney zugesellt, um die Lärmorgie um seinen Part auf Sgt. Pepper zu ergänzen ... der dann aber auch wieder ganz versöhnlich zum Abschluss klimpert ...

So wat mut auch ma' sein!

Tschüss

Friedel

 

Hey Bea Milana,

wow, was für ein toller Kommentar, vielen Dank. Ich merke jetzt schon, dass ich viel davon umsetzen werde, weil ich das Gefühl habe, du triffst genau die Punkte, die mir wichtig sind, Klang, Bilder, ein gewisses Schwingen. Deine Vorschläge sind toll.

Ja, diese Lust mit Worten zu spielen, bzw. genau hinzuhören/zu erfühlen, was sie sagen und wie sie nachklingen, das reizt mich gerade auch total.

Ich setze mich heute Abend gleich mal an die Überarbeitung.

Liebe Grüße!
RinaWu

 

Hallo RinaWu ,

Yeah, wieder so eine Superkurzgeschichte. Ich liebe diese Dinger! Vorallem weil man da so richtig den Shit rausinterpretieren kann. Freu.

Eimer für Eimer
Bei dem Titel hab' ich spontan an "Einer für Alle" gedacht. Ob es in dem Text wirklich um Solidarität geht? Vermutlich nicht. Ich schätze, es geht eher um ein Fegefeuer der Alltagsroutine.

Das Nachbarhaus ist umstellt von Baugerüsten.
Nach ""von" habe ich eine kleine Pause gemacht, weil sowohl "von" als auch "Bau" betont sind. Ich weiß nicht, ob das Absicht war, oder ob das einfach nur meine Lesart ist, aber das gefällt mir. Meiner Meinung nach ist bei so kurzen Texten das Tempo ganz besonders wichtig.

schütten alles in ein Plastikrohr.
Da habe ich anfangs an ein kleines Röhrchen gedacht. Weiß' nicht, warum.


All die ausgeschlagenen Betonbrocken,
manche größer als ein Herz,
andere zerbröselt zu Steinen und Staub,
Wolltest du, dass diese Stelle gewalttätig wirkt? Denn ich denke hier an eine vergrabene Leiche.


Stoßen sich am harten Plastik, stürzen, stolpern durcheinander, krachen in die Tiefe, fallen unaufhaltsam in den Container vor dem Haus.
Dieses brutale Beschreiben von Alltagsszenen erinnert mich an diese komische Butterblumengeschichte von Döblin. Da steht ja auch Kram im Sinne von "Ich habe die Blume gepflückt und jetzt verrottet ihr Kadaver auf der Wiese" oder so :D

Also, deine Hauptfigur ist entweder ein Mörder ist. (Ich habe das Gefühl, dass dein Prot ein Mann ist, denn eine jedenfalls heterosexuelle Frau wäre wohl mehr auf das Aussehen der Arbeiter eingegangen und weniger auf das Aussehen der Nachbarin mit den Locken. Und da heterosexuelle Frauen ca. 90% aller Frauen sind, bin ich mir zu 90% sicher, dass der Prot da keine Frau ist.)

Ich schließe die Augen, lächle und warte.
Warte auf den nächsten Eimer.
Voll mit meinem Schutt.
Er stürzt das Rohr hinunter, zurück bleibt feiner Staub auf meinem Haar.
Also, hier habe ich das Gefühl, dass sich der Prot regelrecht sexuell an dem Schutt erregt. Ich denke nicht, dass das eine psychische Krankheit ist. Vielleicht Objektsexualität …


Ich wünsche mir, es wäre so einfach.
Also, entweder ist es schwer, damit umzugehen, dass man jemanden ermordet hat, oder es ist schwer, eine so spezielle Sexualität zu haben.

Die zweite Interpretation gefällt mir viel mehr. Die erste mit "Oh mein Gott, ich hab jemanden umgebracht, aber ich hab kein schlechtes Gewissen" wirkt etwas 08/15 auf mich.

… und das Gedicht von Isegrims ist schön.

Liebe Grüße,
alexei

 

Hallo RinaWu,
ich habe Deine poetische Momentaufnahme vor ein paar Tagen gelesen. Da war sie noch länger, hat mir da schon gefallen und jetzt in der strengeren Form ist sie natürlich noch besser, so verdichtet und eingedampft, dass tatsächlich ein Gedicht daraus geworden ist. Die Sprache hat jetzt eben das Umschweifige abgelegt, das vorher noch störte, hat lyrisch an Schwung gewonnen, oder ist eben Lyrik, weil sie sich musikalisch liest, weil man sie nicht von einer rhythmischen Lesart trennen kann.

Man könnte da sogar das Verb weglassen.

Das Nachbarhaus ist umstellt von Baugerüsten.

Ich fände da "hinab" überlegenswert. Ist altertümlicher, aber auch rasanter.
rauschen das Rohr hinunter.

Schöne Stelle. Der personifizierte Staub, der inne hält und überlegt, ob er sich legen soll. Leise beinhaltet eine akustische Erscheinung, wenn auch kaum hörbar. Hört man Staub, der sich legt? Lautlos? Still?
Staub steigt auf, hält einen Moment inne – sinkt hinab, legt sich sanft auf Autos und Kopfsteinpflaster.
Langsam und leise ... bis es von vorne losgeht.

Für mich ist es ihr Staub und ihr Schutt, weil jeder Schutt ihr Schutt ist. Auch der des Nachbarhauses. Brocken schleppt jeder mit sich rum, mindestens in Herzgröße, und jeder würde sie gerne entsorgen durch ein praktisches Plastikrohr. Geht aber nicht und ist nicht so einfach, wie es am Schluss heißt. Man trägt daran herum und auch der Staub aus den Haaren lässt sich nicht einfach rausbeuteln. Irgendwas bleibt immer. Gestern war eine interessante Doku über André Heller im TV. Er definierte in seinem Leben einen Punkt, erzählte er, an dem er sich auf Anfang zurücksetzte und versuchte, alle diese Brocken an Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen abzulegen. Schöne Idee finde ich und passt als Gegenentwurf gut zu Deinem Text, der den bei weitem gängigeren Umgang mit dem Lebensballast darstellen dürfte.
Schöne und berührende Darstellung der Parallelen "äußerer und innerer Bauschutt" und der Grenzen, die diese Gleichsetzung hat.
Herzliche Grüße
rieger

 

Hallo RinaWu,

ich liebe Gedichte und kurze Geschichten, die in wenigen Zeilen ganz viel sagen. Deshalb habe ich auch diese Geschichte sehr gern gelesen.

Besonders gefallen hat mir dieser Teil:

Gegenüber knallt eine Frau kopfschüttelnd das Fenster zu. Ihre wilden Locken tanzen dabei.
Ich schließe die Augen, lächle und warte.

Das schöne an so kurzen Texten ist, finde ich, dass häufig jeder eine etwas andere Interpretation haben kann. In der aktuellen Form deiner Geschichte ist das für mich auf jeden Fall so. Ich verstehe sie als Bild für den inneren "Schutt", den wir über das Leben so ansammeln und wie man dann damit umgeht. Die Frau, die den Kopf schüttelt und das Fenster zuknallt ist für mich eine von den Personen im Leben, die nicht sehen und hören wollen, wie es anderen wirklich geht. Das ist für mich hier toll dargestellt.

Danke dir, dass du uns an deinem Experiment hast teilhaben lassen, für mich hat es total funktioniert.
Liebe Grüße,
Maria

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Bea Milana,

danke dir für die tollen Anregungen, mir gefällt der Klang nun auch viel besser. Es macht jedes Mal wieder echt Spaß zu sehen, wie ein Text sich dann doch noch einmal verändert, wenn man ihn hier zur Diskussion stellt.

Zu deiner Frage: Deine Sichtweise ist echt interessant, wenn auch nicht von mir beabsichtigt, als ich das kleine Teil geschrieben habe. Ich würde lügen, wenn ich da jetzt zustimmen würde ;) Aber ich bin ja immer der Meinung, jeder Leser deutet und versteht einen Text für sich selbst auf eine ganz eigene Weise und deshalb möchte ich gar nicht widersprechen und sagen: "Nein nein, sie beobachtet das Nachbarhaus nur", denn auch deine Betrachtungsweise wäre hier möglich. Ursprünglich ist es aber tatsächlich so gewesen, dass dieses "voll mit meinem Schutt" eher im übertragenen Sinne gemeint war.

Viele Grüße an dich!
RinaWu

Hallo alexei,

Meiner Meinung nach ist bei so kurzen Texten das Tempo ganz besonders wichtig.
Ja, das stimmt, und es freut mich, dass dir das hier gefällt. Ich muss sagen, ich habe das nicht kalkuliert so geschrieben, sondern mir die Sätze immer laut vorgelesen und einfach das stehen lassen, was ich vom Klang besser fand.

Wolltest du, dass diese Stelle gewalttätig wirkt? Denn ich denke hier an eine vergrabene Leiche.
Ja, etwas Brutales durfte es schon haben. Weil hier aber auch Schmerz eine Rolle spielt, innerer Schmerz. An eine Leiche habe ich eher weniger gedacht ;)

Womit wir auch schon bei deiner Interpretation des Textes wären. Ich sage dir das gleiche wie Bea: Jeder liest da ganz eigene Dinge heraus und das finde ich total spannend zu beobachten. Ich kann dir nur sagen, dass ich selbst weder an einen Mörder, noch an einen speziell sexuell orientierten Mann gedacht habe. Aber wenn der Text das für dich hergibt, werde ich einen Teufel tun und da widersprechen. Nur eins muss ich loswerden:

Ich habe das Gefühl, dass dein Prot ein Mann ist, denn eine jedenfalls heterosexuelle Frau wäre wohl mehr auf das Aussehen der Arbeiter eingegangen und weniger auf das Aussehen der Nachbarin mit den Locken.
Also das, lieber alexei, ist doch reichlich in Schubladen gedacht. Und entspricht nicht der Wahrheit, ich bin selbst eine Frau und beschäftige mich tatsächlich manchmal mit der Beobachtung von anderen Frauen, die mir auffallen, anstatt mir Bauarbeiter genauer anzusehen ;) Und vielleicht spielen die Bauarbeiter hier auch keine Rolle, habe keine andere Berechtigung im Auge des Betrachters als dass sie den Schutt beseitigen ... Aber dies nur als Denkanstöße für dich :)

Viele Grüße
RinaWu

Hallo rieger,

Die Sprache hat jetzt eben das Umschweifige abgelegt, das vorher noch störte, hat lyrisch an Schwung gewonnen, oder ist eben Lyrik, weil sie sich musikalisch liest, weil man sie nicht von einer rhythmischen Lesart trennen kann.
Oh man, danke, das freut mich sehr. Ich bin ja so eine, die kategorisch immer erstmal zu viel schreibt. Früher, als ich bei einer Musikzeitschrift gearbeitet habe, sagte mir der Chef auch immer, ich schreibe viel zu blumig. Also ist der zweite Schritt immer, den Text zu entschlacken, da muss ich jedes Mal durch. Und dann ist es oft immer noch einen Ticken zu viel. Deshalb reizt mich dieses reduzierte Schreiben gerade so. Nicht, dass ich blumige Texte nicht auch mag, auch als Leserin, aber wenige Worte, die viel transportieren, faszinieren mich schon auch.

Ich fände da "hinab" überlegenswert. Ist altertümlicher, aber auch rasanter.
Ja, stimmt, das klingt schneller. Habe ich gerne übernommen.

Der personifizierte Staub, der inne hält und überlegt, ob er sich legen soll. Leise beinhaltet eine akustische Erscheinung, wenn auch kaum hörbar. Hört man Staub, der sich legt? Lautlos? Still?
Das sind so die Feinheiten, vielen Dank für dein aufmerksames Auge. Leise ist hier tatsächlich nicht das richtige Wort. Ich habe "lautlos" genommen. Das klingt dann auch schön zusammen: "langsam und lautlos ..." Danke!

Man trägt daran herum und auch der Staub aus den Haaren lässt sich nicht einfach rausbeuteln. Irgendwas bleibt immer.
Treffender hätte ich es nicht sagen können.

Er definierte in seinem Leben einen Punkt, erzählte er, an dem er sich auf Anfang zurücksetzte und versuchte, alle diese Brocken an Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen abzulegen.
Das ist wirklich eine schöne Idee. Und ich glaube, das sollte jeder mal probieren. Es ist das eine, aus der Vergangenheit zu lernen, aber es ist einfach nicht gut, sich von schlechten Erfahrungen oder Verletzungen die Gegenwart vermiesen zu lassen. Ich arbeite da auch seit einiger Zeit sehr an mir, denn dieses ständige Hinterfragen und immer wieder mit einer gewissen Schuld zu hadern raubt einfach viel zu viel Energie. Man verliert da den Blick für das, was JETZT gerade eigentlich gut ist. Ich hab da letztens auch was darüber gelesen, wie wichtig es ist, aus Fehlern zu lernen, aber sie dann auch gut sein zu lassen.

Vielen Dank jedenfalls für deine Worte, die fand ich sehr schön.
RinaWu

Hallo MariaSteffens,

wow, vielen Dank für deine Worte, das geht runter wie Zuckerguss ;) Besonders schön finde ich, dass du die Frau von gegenüber erwähnst. Denn auch sie hat eine Bedeutung und ich bin froh, dass dir das aufgefallen ist. Für mich war sie so das Gegenstück zum Erzähler/zur Erzählerin. Das was von dem Prot als angenehm empfunden wird, ist für die Frau von gegenüber einfach nur nervig und laut und sie schottet sich wütend davon ab. Für mich persönlich auch eine andere Möglichkeit mit Schmerz umzugehen - sich einfach von ihm abschotten. Ob das die richtige Lösung ist, sei mal dahingestellt, aber da gibt es ja durchaus auch verschiedene Herangehensweisen. Jedenfalls hat es mir sehr gefreut, dass sie dir aufgefallen ist und ich mag deine Interpretation dieser Szene.

Viele Grüße!
RinaWu

 

Hi RinaWu,

sehr, sehr schön!
Gerade merke ich, dass ich bei einem solch kurzen Text mehr Skrupel habe, Veränderungen vorzuschlagen. Egal. :D.

Von der Fensterbank beobachte ich Arbeiter hinter trägem Zigarettenqualm.

Ich kann das schwer begründen, aber mir fehlt da ein Wort, ich würde erwarten: Von der Fensterbank aus beobachte ich …

Sie schleppen Eimer voll Schutt aus dem Dachgeschoss, schütten alles in ein Plastikrohr.

Schutt und schütten - ist ja der gleiche Wortstamm!
Schutt.
So schön lautmalerisch.
Schutt.
Schutt!
Gefällt mir.

All die ausgeschlagenen Betonbrocken,
manche größer als ein Herz,
andere zerbröselt zu Steinen und Staub

Herz ist das Schlüsselwort des ganzen Textes.
Genial.

Gegenüber knallt eine Frau kopfschüttelnd das Fenster zu. Ihre wilden Locken tanzen dabei.

Ich fänds ohne „wilden“ noch schöner. Dass die Bewegung sich mehr auf den Schutt fokussiert.
Nee, willste wahrscheinlich nicht, kann ich mir schon denken.

Ich schließe die Augen, lächle und warte.
Warte auf den nächsten Eimer.

Ich schließe die Augen und lächle.
Warte auf den nächsten Eimer.
- Tät mir genügen.

Danke für den Text, hast mein Kopfkino angeworfen, hat mir sehr gut gefallen!

Liebe Grüße
Anne

 

Liebe Anne49,

vielen Dank für deine lieben Worte. Es freut mich wirklich sehr, wie ihr meinen kleinen Versuch hier aufnehmt und mich dabei unterstützt, an den richtigen Stellen noch zu feilen.

Ich kann das schwer begründen, aber mir fehlt da ein Wort, ich würde erwarten: Von der Fensterbank aus beobachte ich …
Ja, das verstehe ich. Ich glaube aber, es geht beides. Ohne das "aus" klingt der Satz irgendwie straffer, finde ich, deshalb habe ich es weggelassen. Aber ich war da anfangs auch unschlüssig. Friedrichard, kannst du helfen?

Schutt und schütten - ist ja der gleiche Wortstamm!
Schutt.
So schön lautmalerisch.
Schutt.
Schutt!
Gefällt mir.
Mir auch :) Also das Wort Schutt. In meinem Kritzelbuch heißt der Text hier nun nach der Überarbeitung tatsächlich auch Schutt, weil ich nach ein paar Tagen dachte, das passt irgendwie besser. Nur kann ich den Titel hier nicht eigenhändig ändern und möchte jetzt gerade niemandem damit auf die Nerven gehen :D

Herz ist das Schlüsselwort des ganzen Textes.
Vielleicht sogar Herz und Schutt.

Ich fänds ohne „wilden“ noch schöner. Dass die Bewegung sich mehr auf den Schutt fokussiert.
Nee, willste wahrscheinlich nicht, kann ich mir schon denken.
Würde ich so kategorisch jetzt gar nicht ablehnen. Ich muss mal beides ausprobieren, aber eigentlich hast du recht und das Adjektiv braucht es hier eigentlich nicht. Und wenn ich mal danach gehe, dass ich hier so reduziert wie möglich schreiben möchte ... Dann sollte ich das raushauen.

Danke für den Text, hast mein Kopfkino angeworfen, hat mir sehr gut gefallen!
Ohhhh, das find ich toll, sehr gern geschehen :shy:

Liebe Grüße
RinaWu

 

Hallo RinaWu

die Meisterin des Achterbahnfahrens, diesmal mit Aufräumaktion im freien Fall, kawumm.

Mir gefällt das total gut. Auch wenn da jetzt mehr so eine Szene/Bild, als ein kompletter Plot zu lesen ist, so erzeugt der Text in mir sofort ein Gleichnis zur Gemütslage deines Erzählers. Wer hat sich nicht schon mal gewünscht, Schmerzen einfach wie eine Lampe ausknipsen, schlechte Gedanken wie saure Milch in den Ausguss, oder eben den ganzen Müll im Kopf wie Bauschutt die Röhre hinab in die Tonne kippen zu können.

Ja, mir gefällt das Teil, ich mochte es schon vor der Überarbeitung und jetzt in der bereinigten Version, besonders mit der Aufteilung des Schlusssatzes, noch viel mehr.

Ich schließe die Augen und lächle.
Warte auf den nächsten Eimer.
Voll mit meinem Schutt.
Er stürzt das Rohr hinunter, zurück bleibt feiner Staub auf meinem Haar.
Die Luft schmeckt sandig.
Hier übernimmt der Erzähler seine Beobachtung und münzt es auf seine Gemütslage um, legt seinen Seelenschutt (hui, schon fast isegrimelig) in den Eimer gegenüber und hört zu, wie er das Rohr runterkracht, spürt die Erleichterung, in Form feines leichten Staubes auf den Haaren, der Beweis für getane Arbeit.


Ich wünsche mir, es wäre so einfach.
Willkommen zurück in der Realität.

Doch, das gefällt mir und nein, ich brauch in diesem Fall nicht mehr Hintergrund, steht für mich alles zwischen den Zeilen, und auf der Fahrt zum Baumarkt.
:gelb:

Lieben Gruss,
dot

 

Mein lieber dotslash,

hach, ist das schön, von dir zu lesen und nun auch zu wissen, wer dahinter steckt. Toll!

Vielen Dank für dein Lob, das freut mich wirklich sehr. Ich sitze seit gestern tatsächlich an einer kleinen Geschichte für die Wörterbörse, ihr habt da bleibenden Eindruck in meinen Ohren hinterlassen :) Die wird immerhin schon ein bisschen länger, als dieses Fragment hier, ist aber auch eher eine Momentaufnahme. Aber vielleicht hangel ich mich so wieder zum Erzählen einer richtigen Geschichte. Stück für Stück eben ...

Wer hat sich nicht schon mal gewünscht, Schmerzen einfach wie eine Lampe ausknipsen, schlechte Gedanken wie saure Milch in den Ausguss, oder eben den ganzen Müll im Kopf wie Bauschutt die Röhre hinab in die Tonne kippen zu können.
Ja, das stimmt. Den Text ausgelöst hat tatsächlich die Baustelle neben meinem Haus, weil ich eines Nachmittags mal zu Hause war und die unaufhörlich Schutt das Rohr runtergeschüttet haben und irgendwie fand ich dieses Geräusch total beruhigend, während gegenüber die Fenster zuflogen. So ist dann dieser Minitext entstanden.

Doch, das gefällt mir und nein, ich brauch in diesem Fall nicht mehr Hintergrund, steht für mich alles zwischen den Zeilen, und auf der Fahrt zum Baumarkt.
Danke!!

Liebe Grüße
Rina

p.s.: Ich werde wohl nie wieder in einen Baumarkt fahren können, ohne an dich und ernst offshore zu denken ;)

 

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