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- 24.01.2009
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Ein »J« sucht seinen »asper«
Mit dem Fahrrad sauste Jasper blitzeschnell den Berg hinab. Fast hätte er die alte Katze nicht gesehen, die sich mitten auf der Straße sonnte. Fast hätte er sie überfahren. Doch in allerletzter Sekunde trat Jasper in die Bremse.
»Das hätte beinahe ein Unglück gegeben!«, schimpfte er die alte Katze aus.
Nun, die Katze hatte er nicht überfahren, aber ein Unglück war trotzdem geschehen. Er hatte es nur noch nicht bemerkt. Still und leise war das »J« aus seinem Namen gefallen.
Das »J« kullerte ein Stück die Straße entlang und landete direkt vor dem Hof vom Bauern Eder. Kurz schüttelte es sich, stand auf und sah, wie »asper« um die Ecke radelte.
Das »J« kratzte sich am Kopf. Nanu? War es denn möglich, dass es hinunterfiel? Dass Wörter ihre Buchstaben verlieren? Einfach so? Das war ja schrecklich!
Das »J« überlegte. »asper« wird wohl bald bemerken, dass er mich verloren hat. Er wird mich suchen und zurückkommen. Also setzte es sich auf seinen Hosenboden und wartete. Es zählte die Hühner auf dem Bauernhof: elf, zählte die Fenster vom Pferdestall: fünf und dort standen drei Apfelbäume. Und als es fertig war mit Zählen, begann es von vorn: elf Hühner, fünf Fenster und drei Apfelbäume. Gleich noch einmal: elf Hühner, fünf Fenster und ... da kletterte der Bauer Eder auf seinen grünen Traktor.
Oh, dachte das »J«. Traktorfahren macht sicher Spaß. Bestimmt ist es lustiger, als hier rumzusitzen. Traktor wollte es schon immer mal fahren. Geschwind lief das »J« zum Bauern und sprang ihm auf den Schoß. So wurde aus dem Bauern Eder der Bauer Jeder.
Schnell fuhr so ein Traktor zwar nicht, aber er knatterte und ratterte so schön. Als der Bauer Jeder von der Straße aufs Feld einbog, rumpelte es noch viel wilder. Kurz darauf endete die Fahrt. Als der Bauer von seinem Sitz aufstand, purzelte das »J« aus seinem Schoß. Es fiel auf den Boden, rollte ein Stück über das Feld, direkt auf ein Loch zu. Schon plumpste es hinein.
»Aua!«, rief das »J« und rieb sich den Po. Dunkel war es mit einem Mal. Und kalt. Das »J« saß tief in der Erde und schaute nach oben zu dem Loch. Wie soll ich nur hinauskommen? Wenn ich fliegen könnte, ja dann. Aber Buchstaben haben keine Flügel. Und wie es hoch zu dem Loch schaute, da wurde ihm Angst und Bange.
»Hilfe! Hiilllffffeeeee! So hilft mir doch wer!«, rief es. Niemand antwortete dem »J«. So rief es etwas lauter und dann nochmal lauter. Nichts. Keiner kam, um das »J« zu retten.
Also schaute das »J« sich in Ruhe um. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg. Es rollte Steine von hier nach dort, zog an Wurzeln und staunte: Ein Tunnel! Es hatte einen Tunnel gefunden! Bestimmt führt er zu einem richtigen Ausgang. Voller Hoffnung lief das »J« in den dunklen Gang hinein. Es war noch gar nicht weit gelaufen, da gelangte es an eine Kreuzung. Welcher Weg wohl der richtige ist?, fragte es sich still. Soll ich nach rechts oder nach links abbiegen? Das »J« konnte sich nicht entscheiden, also versuchte es sein Glück mit einem Abzählreim: »Ein Floh aus Mönchshausen, ließ am liebsten Furze sausen. Erst ein, dann zwei, dann drei, hier lang bin ich frei!« Und so wählte das »J« den linken Weg. Doch schon bald stand es wieder vor einer Kreuzung. Und danach an noch einer. Und später an noch einer. Und weil ihm langsam die Beine wehtaten, setzte es sich, um ein wenig zu verschnaufen.
Auf ewig werde ich unter der Erde durch dunkle Tunnel wandern und »asper« wird für immer ein »asper« bleiben, seufzte es. Mir kann nur noch ein Wunder helfen. Aber Wunder kommen nicht so daherspaziert, nur weil man gerade ein Wunder braucht. Die lassen sich auch nicht rufen, so wie die Hühner vom Bauern Eder. Hühner rufen, das ging pipileicht. Vielleicht aber doch, überlegte das »J«. Vielleicht hat es nur noch nie jemand probiert. Also rief es: »Put, put, put! Wunder komm!« Erwartungsvoll schaute das »J« sich nach allen Seiten um. Aber es kam weder ein Wunder noch ein Huhn. Also probierte das »J« etwas anderes und rief: »Wunder komm! Das Essen ist fertig!«
Da antwortete ihm eine Stimme aus der Dunkelheit: »Essen? Wer hat hier was von Essen gesagt?«
»Ich!«, rief das »J«. »Ich bin hier!« Es ging also doch, ein Wunder herbeizurufen. Man muss eben nur wissen wie. Sehen konnte das »J« das Wunder zwar noch nicht, aber hören. Es schnaufte wie »aspers« Opa. Wahrscheinlich war es ein altes Wunder. Je mehr sich das Schnaufen näherte, desto aufgeregter wurde das »J«. Wie so ein Wunder wohl aussah? Endlich konnte es das Wunder sehen. Es sah aus wie ein Maulwurf. Das Fell war struppig und um die Nase herum grau. Ein bisschen humpelte er auch.
»Wer bist denn du?«, fragte der Maulwurf, als er ganz nah vor dem »J« stand.
»Ich bin das »J« vom »asper« und ich habe mich verlaufen.«
»Aha. Und wo hast du das Essen?«
»Ich glaube, es hat eine furchtbare Verwechslung gegeben«, sagte das »J« kleinlaut. »Ich habe doch gar kein Essen.«
»Weckst mich aus dem Schlaf, lässt mich den ganzen Weg laufen und dann hast du gar kein Essen«, grummelte der Maulwurf. »So eine Frechheit!«
»Es tut mir leid. Wirklich«, sagte das »J«.
Der Maulwurf interessierte sich nicht weiter für das »J«. Er drehte sich um und machte sich auf den Rückweg.
»So warte doch!«, rief das »J« und lief ihm nach. »Kannst du mir nicht zeigen, wo der Ausgang ist? Ich muss doch zum »asper« zurück.«
»Was? Was? Was? Wer soll das sein? Von einem »asper« habe ich ja noch nie gehört«, sagte der Maulwurf.
»Ich bin sein »J« und zusammen sind wir der Jasper. Aber ich bin runtergefallen und dann bin ich mit dem Bauern Traktor gefahren, kullerte aufs Feld und fiel durch ein Loch, direkt in dein Labyrinth. Du weißt doch bestimmt, wo es hier einen Ausgang gibt.«
»Buchstaben verlieren! So ein Quatsch.«
»Bitte, zeige mir, wo der Ausgang ist«, flehte das »J« den alten Maulwurf an.
»Nein, nein. Man verliert nicht so einfach seine Buchstaben. Du glaubst wohl, ich bin so dumm wie ein Regenwurm!«
Da nahm das »J« in seiner Not dem Maulwurf sein »M« fort und setzte sich an dessen Stelle. So wurde aus dem Maulwurf ein Jaulwurf.
»Ahhahhahh«, jaulte der Jaulwurf. »Was hast du getan? Hör damit auf. Sofort! Hörst du!«
»Erst, wenn du mir zeigst, wo der Ausgang ist«, forderte das »J«.
»Das ist mein Platz. Geh da weg!«, protestierte das »M«.
Das »J« klammerte sich noch fester an den »aulwurf«. Jaulend und schnaufend machte sich der Jaulwurf auf den Weg. Das »M« muffelte allen hinterher. Sie liefen dreimal links und zweimal rechts und schon konnte das »J« einen Ausgang sehen. Da sprang das »J« vom »aulwurf« und rannte hinaus aufs freie Feld.
Inzwischen war es Nacht geworden. Der Mond schien und die Sterne funkelten. Wohin das »J« auch blickte, es sah nichts als Mais. Groß und hoch, richtige Maisbäume waren das. Es stand allein mitten in einem Maiswald.
Lieber wäre das »J« bei »asper« im warmen Bett und nicht in diesem doofen Wald. Hier werde ich mich doch nur wieder verlaufen. Und ein Wunder rufe ich bestimmt nicht noch einmal. Das »J« begann in seiner Not bitterlich zu weinen und zu schluchzen.
»Wer heult denn da?«, hörte es eine Stimme, die von weit oben zu kommen schien.
»Ich!«, schniefte das »J« und schaute hoch. Über dem Maisfeld zog ein Uhu seine Kreise.
»Bist du eine Maus? Uhhuu?«
»Nein. Ich bin das »J« und habe meinen »asper« verloren.«
»So, so! Ein verlorener Buchstabe bist du also!« Der Uhu landete vor dem »J«. »Ich habe auch einmal mein »U« verloren. Da war ich nur noch ein »hu«. Es war schrecklich. Mir kam ja nur noch »Huhu, Huhu« über den Schnabel. Als wäre ich ein Gespenst!«
»Das war sicher gar nicht schön«, sagte das »J«.
Der Uhu pickte das »J« vorsichtig vom Boden auf und kuschelte es zwischen die Federn auf seinem Rücken. Da riefen die beiden gleichzeitig: »Zusammen sind wir ein Juhu! Juchuuu!«
»Wo soll es denn hingehen?«, fragte der Juhu.
»In die Büchergasse 13, bitte«, sagte das »J«.
»Und wo genau ist das?«
»Du weißt es nicht?«
»Ich dachte, du kennst den Weg«, sagte der Juhu.
»Und ich dachte, du kennst den Weg«, sagte das »J«.
»Dann fliegen wir so lange, bis dir etwas bekannt vorkommt. Ein Kirchturm oder ein Park«, schlug der Juhu vor. Und weil ihm so fröhlich zumute war, tanzte er wild durch die Luft. Mal flog er nach Norden, mal nach Süden, er drehte Kreise im Osten und schlug Purzelbäume im Westen. Immer wieder rief er: »Juhu.«
»Pass auf!«, rief das »J«. Beinahe hätten die beiden sich in einer Stromleitung verheddert.
»Vorsicht! Windrad voraus!«, rief das »J« kurze Zeit später.
»Das war knapp«, sagte der Juhu, der gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte. »Ich glaube, es ist sehr gefährlich ein Juhu zu sein.«
»Viel zu gefährlich. Besser ich steige wieder ab. Sonst gehen wir beide noch kaputt«, sagte das »J«.
Der Juhu landete und das »J« hopste von seinem Rücken. Der Uhu winkte ihm ein letztes Mal aus der Luft zu, dann war er fort. Wo es wohl diesmal gelandet war?
Das hier war ein Bauernhof. Genau wie der vom Bauern Eder. Es zählte drei Apfelbäume, fünf Fenster im Pferdestall, aber nur zehn Hühner. Der Bauer Eder hatte elf Hühner. Also war dies nicht der Hof vom Eder, sondern ein Bauernhof, der genau so aussah, aber doch ein anderer war. Ach, dachte das »J«, wie schön wäre es gewesen, jetzt beim Eder zu sein. Dann könnte es sich an die Straße setzen und auf »asper« warten. Und wie das »J« so drüber nachdachte, wie gern es jetzt auf dem Ederhof wäre, da fuhr ein Fahrrad am Tor vorbei. Es war genau so blau wie das vom »asper« und darauf saß: »asper«! So schnell es konnte lief es über den Hof, kletterte durch das Tor, aber da war »asper« längst schon oben auf der Hügelkuppe und all das Rufen und Winken des »J« konnte »asper« weder hören noch sehen. Gleich darauf war er hinter dem Hügel verschwunden. Diesmal werde ich keinen einzigen Schritt von hier fortgehen. Zehn Hühner hin, elf Hühner her, dachte das »J«.
Und so wartete das »J«, ganz außer sich vor Freude, schon bald wieder mit »asper« zusammen zu sein.
Es dachte an dies und das und … oh, welch schrecklicher Gedanke. Was, wenn »asper« blitzeschnell den Hügel hinab sauste und wieder einfach vorbeifuhr? Das darf nicht passieren! Das »J« brauchte einen Plan. Es grübelte und grübelte, während die alte Katze neben ihm saß und sich das Fell leckte. Unter einem Busch saß ein Frosch und quakte wie ein Superstar.
»Kannst du dir nicht auf der Straße das Fell lecken?«, fragte das »J« die Katze.
Die Katze schüttelte den Kopf. »Störe mich nicht. Ich muss mich schön machen. Ich treffe mich gleich mit dem Kater vom Müller.«
»Aber du würdest mir damit einen großen Gefallen tun«, bettelte das »J«.
»Ich habe nein gesagt und damit Basta. Und jetzt gib Ruh.«
»Aber ...«
»Still!«, sagte die Katze, »oder ich fress' dich auf.«
Da blieb das »J« mucksmäuschenstill. Und wie es dem Froschkonzert lauschte, kam ihm eine Idee. Schnell lief es zum Frosch und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Und schon tauchte »asper« wieder auf dem Hügel auf. Jetzt musste alles ganz schnell gehen.
Der Frosch übergab dem »J« zwei seiner Buchstaben, damit rannte das »J« zur Katze, nahm ihr das »K« und ersetzte es durch das »Fr« vom »osch«. So wurde aus der Katze eine Fratze.
»Was hast du getan?«, jammerte die Fratze. »Wenn mich so der Kater sieht …«
Der »osch« hielt sich den Bauch vor Lachen. Das Katzengesicht sah wirklich zu komisch aus.
Das »J« warf das »K« in hohem Bogen auf die Straße.
»Lauf und hole es dir zurück!«, rief es.
Sofort sprang die Fratze ihrem »K« hinterher.
Fast hätte »asper« sie überfahren, doch in allerletzter Sekunde konnte er das Rad bremsen.
»Das hätte beinahe ein Unglück gegeben!«, rief er.
Nun, die Katze hatte »asper« nicht überfahren. Und statt eines Unglücks war diesmal ein großes Glück geschehen. Die »atze« nahm sich ihr »K«, der »osch« sein »Fr« und still und leise kletterte das »J« zurück in Jaspers Namen.