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Ein anderes Leben aus dem Koffer

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07.10.2019
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Ein anderes Leben aus dem Koffer

Linas Küchentisch.
Bunte Ballons zieren den Boden, leuchten von den Zimmertüren. Über dem Fotokalender an der Wand hängt eine große Neun, ausgeschnitten aus rotem Karton mit weißen Punkten. Lina bastelt mit ihrer Mutter Girlanden aus Seidenpapier. Im Ofen steigt ein Kuchen in die Höhe, kleine Kerzen liegen neben Plastikbechern mit Schokoladenglasur auf der Arbeitsfläche.
„Du klebst schon wieder mit den Ärmeln fest“, sagt Linas Mutter und lacht, „sollen wir dich etwa mit aufhängen?“
„Dann hängen wir dich aber daneben“, scherzt Lina.
„Wie? Hab ich mich auch so eingesudelt?“
„Hast du“, Lina drückt ihren klebrigen Daumen auf Mamas Wange und grinst.
„Du kleine Hexe“, zischelt Linas Mutter sanft, bevor sie mit zwei weit ausladenden Monster-Tentakel-Armen ihre Tochter umschließt, um dann zu einem Kitzel-Angriff überzugehen.
Lina hält sich den Bauch: „Aufhören, Mamaaahahaha, biiitte!“
„Also gut, du freche Biene. Heute kommst du davon, weil ich noch was ganz Wichtiges erledigen muss, das nicht für deine neugierigen Kinderaugen bestimmt ist. Aber nächstes Mal, da jage ich dich durch die Wohnung“, Linas Mutter schnellt mit dem Kopf nach vorne und reißt die Augen auf, „und dann schnappe ich dich und kitzel dich von den Füßen bis hoch unter die Achseln.“
„Nein!“, kreischt Lina und kichert. Sie springt auf und bevor sie im Flur verschwindet, ruft ihre Mutter ihr noch etwas hinterher: „Wenn du magst, kannst du später mit deiner Schwester helfen beim Kuchen überziehen.“

Zimmer 356.
Lina kratzt sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf.
Irgendwann wird sie es geschafft haben. Irgendwann. Vor dem Fenster lichten sich die Wolken. Ein Sonnenstrahl fällt auf ihren Fuß; hastig zieht sie die Beine an ihren Körper. Zusammengekauert verharrt sie in der Stille, verharrt ihr Blick auf der weißen Raufasertapete gegenüber, einer Wand ohne Bild, ohne Ausblick. Ein Raum ohne Bewegung, bis jemand von außen die Türklinke betätigt. Ein Mann in weißem Kittel tritt herein und stellt einen Plastikbecher ab.
„Morgen, Lina. War die Nacht mal etwas ruhiger für dich?“
„Mittendrin wurde ich wach und konnte nicht mehr einschlafen.“
„Wieder die Träume von deiner Schwester?“
Lina nickt mit dem Kopf, dann reißt sie den Mund auf und gähnt. Sie starrt an ihrem gegenüber vorbei ins Nichts, überlegt, wann sie zuletzt die Löcher in der Deckenverkleidung gezählt hat, gähnt noch einmal.
„Nimmst du bitte noch deine Tabletten?“
„Muss ich die wirklich nehmen?“
„Müssen wir das jeden Tag wiederholen? Besprich’ das doch nachher mit deinem Arzt.“
„Den kann ich nicht leiden.“
„Und das am besten auch.“ Er lächelt das verschmitzte Lächeln, das Lina so mag und das nur auffällt, wenn man genau hinsieht.
„Ach Lina, pass auf: du nimmst die Tabletten und ich komme nach meiner Runde nochmal bei dir vorbei. Soweit ich weiß, schuldest du mir noch eine Revanche beim Damespiel.“
Jetzt entweicht auch ihr ein Schmunzeln, obwohl sie sich eigentlich gar nicht danach fühlt. Widerwillig greift sie nach Wasser, nimmt eine Pille, öffnet den Mund und schluckt. Mund auf. Zunge hoch. Pille zwei. Wasser. Schlucken. Mund auf. Zunge hoch. Bis zur letzten.
„Na also. Dann bis nachher, ich schau nochmal vorbei“
Der Pfleger geht hinaus durch die Tür und ohne es zu wissen, lässt er einen riesigen, weißen Saal mit einer winzigen Lina darin zurück.
„Wenn ich von dir träume, habe ich das Gefühl, du bist immer noch da“, spricht sie in den leeren Raum, während sie ihren Blick über den Nachttisch schweifen lässt: Jack London »Der Ruf der Wildnis«, zerfleddert und abgegriffen. Darunter ragt das Foto ihrer Schwester hervor, schnürt sich um ihren Hals. Schnell lässt sie es zwischen den Seiten des Buches verschwinden. Die Erinnerung an das schmerzhafte Vermissen. Und während die Stimmen in ihr verblassen, schlummert in der Tiefe ein bedrohliches Nichts, das alles zu schlucken und eine lähmende Leere in ihr zu hinterlassen droht. Wenn die Tabletten wirken und sie sich zu vergessen scheint, rückt auch ihre Wut in unerreichbare Ferne und die Hoffnungslosigkeit senkt den Kopf. 'Ich komme hier ja doch nicht raus.' In Lina kriecht eine Angst empor, als beobachtete man sie durch die Wände, als läge jemand unter ihrem Bett. Sie schlurft raus ins Bad, dreht den Wasserhahn auf und sperrt sich in einer Kabine ein. Einen Finger im Hals startet sie einen weiteren Versuch, Freiheit zu erlangen.
Und die Tage vergehen.
Magisch depressiv, genau wie ihre Mutter. Ganz gleich, wie oft die Ärzte Lina die Manie erklärten, es ist ein Umstand, den sie nicht verstehen will. Den sie nicht verstehen kann. Das alles ergab keinen Sinn und nun sollte sie auch so sein? Wie ihre Mutter, die mit einem Lachen im Gesicht zu lauter Musik durch die Wohnung tanzte, während sie tags darauf bei heruntergelassenen Jalousien geistesabwesend das Bett hütete? Wie an der Feier zu Linas neuntem Geburtstag, die nie stattgefunden hat, weil ihre Mutter an diesem Morgen die Mütter der anderen Kinder angerufen und von Linas hohem Fieber erzählt hat, bevor sie sich wortlos in ihr Schlafzimmer verzog und eine kerngesunde Lina weinend neben dem Telefon zurückblieb. Das waren Erlebnisse, die Lina anders nie begreifen wollte, als dass ihre Mutter mit einem bösen Fluch belegt war. Hilflos ausgeliefert. Ein verheerender Zauber, der sich nun ausbreitet, um auch Lina fest zu umklammern und in seinen Bann zu ziehen.

Behandlungszimmer 11.
„Seit drei Tagen kennen wir uns jetzt. Frau Doktor Neumann hat mir berichtet, dass du mit ihr bereits Fortschritte gemacht hast. Dass du dich ihr gegenüber öffnen konntest. Möchtest du mir nicht auch mal etwas von dir erzählen?“
„Was soll das bringen?“
„Das könnte bewirken, dass du dich besser fühlst.“
„So? Wirklich? Ist mir bisher nicht aufgefallen.“
„Das geht ja auch nicht von heute auf morgen. Mit der Zeit wird es aber besser. Man muss nur auch bereit sein, Hilfe anzunehmen.“
„Und das hab ich ja! Ich hab Frau Neumann von mir erzählt. Und ihr vertraut. Und mich endlich mal besser gefühlt.“
„Und was spricht dagegen jetzt weiterzumachen?“
„Was dagegen spricht? Frau Neumann hat gesagt, dass sie mir hilft. Und jetzt ist sie weg. So wie immer alle plötzlich weg sind. Und ich soll immer wieder von vorne anfangen. Warum kann sie nicht einfach hier sein?“
„Nun, sie ist ja nicht weg. Frau Doktor Neumann und ich arbeiten Hand in Hand miteinander, alle Kollegen verfahren so. Was ich entscheide, geschieht in Absprache mit ihr.“
„Aber …“, platzt es aus Lina heraus, die sich in diesem Augenblick die Nagelhaut ihres rechten Daumens einreißt und kurz zusammenzuckt - nicht wegen des Schmerzes, sondern weil sie sich geschworen hat, damit aufzuhören – doch ihr Gesprächspartner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Hin und wieder kommt es vor, dass ein Arzt auf eine andere Station versetzt wird. Das ändert nichts daran, dass wir vertrauensvoll mit den Berichten unserer Patienten umgehen. Da brauchst du dir keine Sorgen machen.“
„Aber ...“, haucht Lina dazwischen.
„Und am Ende macht es keinen Unterschied, ob du nun mit ihr oder mit mir sprichst. Wir alle sind gleichermaßen gut ausgebildet.“
Lina verschränkt die Arme und dreht den Kopf beiseite. Goldene Bilderrahmen mit Diplomen hängen neben unzähligen Auszeichnungen wie Tapetenbahnen an der Wand, davor steht eine von unten beleuchtete Skulptur und drängt sich auf, verstanden werden zu wollen, doch Lina steht der Sinn nach Kunst, wie nach allem anderen: „Es macht aber für mich einen Unterschied! Ich bin doch kein Auto. Ich habe es satt, durchgereicht zu werden. Ich bin ein Mensch! Ich hatte nicht das Glück, studieren zu dürfen. Ich kann nicht auf einem Thron sitzen und bestimmen, wie die Dinge laufen. Ich bin die Einzige, die noch nicht über mein Leben entscheiden durfte! Ich will mit Frau Doktor Neumann sprechen, sonst sage ich kein Wort mehr.“
Der Arzt nimmt seine Brille von der Nase und beugt sich ein kleines Stück zu Lina vor. Als er zum Sprechen ansetzt, ist der strenge Einschlag in seinem Ton verschwunden. Seiner Stimme wohnt der Hauch einer Umarmung inne, der Lina berührt und sie aufhorchen lässt.
„Wenn ich das richtig sehe, wirst du bald fünfzehn. Wenn du hier raus willst – wie du ja immerzu sagst – dann müssen wir gemeinsam Erfolge erzielen. Solange die Gefahr besteht, dass du dir wieder etwas antust, wirst du wohl hierbleiben müssen.“
Im Flur ertönt ein ohrenbetäubendes Gekreische: „Sie haben mir versprochen, dass ich heute hier rauskomme!“ Ein Wimmern steigt zu lautem Weinen an: „Ich will jetzt hier raus!“, doch die Schreie verhallen im Flur.
Der Arzt runzelt seine Stirn zu tiefen Furchen, seine Augenbrauen verdichten sich: „Ich denke, wir kommen heute nicht weiter. Dann machen wir an der Stelle erst mal Schluss. Ich sehe dich dann morgen wieder.“
Eine Tür reiht sich an die nächste, wie man sich auch dreht. Spiegelverkehrt, niemals endend.
Oft hat sie sich verlaufen, aber das ist lange her. Ein schmaler, weißer Tunnel ins Nichts, den Lina mutlos entlang schlurft, bevor sie in ihr Zimmer abbiegt. Sie öffnet die Türen zu ihrem Kleiderschrank, sinkt auf den Boden nieder und schaut gedankenverloren hinein.
„Irgendwann“, spricht Lina zu ihrem Koffer und streichelt seinen Rücken.

 

Die Erinnerung an das vergessene Vermissen, an dessen Stelle ein allgegenwärtiges Nichts gerückt ist, eine allumfassende Leere. Die Wut, die sie hier [rausbringen] sollte? Verblasst.

Wie Du den Raum beschreibst,

liebe Frieda,

kommt die sprachliche (und somit auf gesellschaftlicher Erfahrung fußende) Verwandtschaft der „Enge“ und der „Angst“ hervor, letztere klingt nicht grundlos im Plural „Ängste“ wie der Superlativ des Adjektives „eng“, „am engsten“, oder wie die Brüder Grimm in ihrem Wörterbuch sagen „angst ist nicht blosz mutlosigkeit, sondern quälende sorge, zweifelnder, beengender zustand überhaupt, von der wurzel enge, ahd. angi, engi, ...“*. Und zugleich die doppelte Abhängigkeit des/der Betroffenen von der „Anstalt“ und deren Mitarbeiter führt zu einer Entmündigung, wenn man wie‘s Mündel vom Vormund geduzt wird oder – wie ich es aus Krankenhäusern kenne, wenn der betreuende Arzt und gelegentlich gar Pfleger im Adhortativ fragt, wie es „uns“ denn gehe.

Lina kratzt sich den Schorf vo[m] Knie und isst ihn auf. Irgendwann würde sie es geschafft haben.
Alternativ fürs verlegene Nägelkauen?, aber warum am zwoten Satz die würde.Konstruktion, überhaupt die Verzwirbelung? Im Konj. klingt es allemal wie Hoffnungslosigkeit (die Du jaschon aufzeigst), wenn „irgendwann schafft sie es" um 1/3 kürzer ist und ohne Hilfsverb auskommt.

Ein Sonnenstrahl fällt auf ihren Fuß; hastig zieht sie die Beine ein.
Symbol für die schutzsuchende Schildkröte?, denn Lina kann sie nur „an“ sich, ihren Körper ziehen.

Dann gibt sie auf, fummelt müden Blickes die erste heraus, greift widerwillig nach Wasser. Sie öffnet den Mund und schluckt. Mund auf. Zunge hoch. Pille zwei. Wasser. Schlucken. Mund auf. Zunge hoch. Bis zur [l]etzten
eigentlich ein verkürztes "bis zur letzten Pille"

... zwischen den Seiten des Buches verschwinden:[...]Eine Angst ohne Kontur kriecht in Lina empor, als beobachte[te] man sie durch die Wände, als läge jemand unter ihrem Bett.
Konj. II!, beides ist unwirklich, drum Konjunktiv irrealis, wie's ja schon im zwoten Teil darestellt wird.

„Aber ...“, platzt es aus Lina heraus, die sich in diesem Augenblick die Nagelhaut ihres rechten Daumens einreißt und kurz zusammenzuckt - nicht wegen des Schmerzes, sondern weil sie sich geschworen hat[...], damit aufzuhören - doch ihr Gesprächspartner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Gezeitenwechsel

Mal ist wer Nettes dran und mal hat man Pech[...]“, sie lässt den Kopf hängen,
Abschlusspunkt im Falle, dass der übergeordnete Satz (hier: "sie lässt den Kopf hängen") erst den ganzen Satz bildet (gilt nur für Aussagesätze, nicht Ausruf und Frage)

ihr dünnes Haar fällt ihr strähnig ins Gesicht, der Rücken krumm wie ein Katzenbuckel.
„Nun, Lina, .., um dir zu helfen. Am Ende macht es keinen Unterschied, ob …** ein Wimmern steigt zu lautem Weinen an, „ch will jetzt hier raus!“, doch die Schreie verhallen im Flur.

(alternativ ginge auch mit Doppelpunkt, dann müsste das „ich“ mit Majuskel beginnen und bliebe bestehen).

Bedenkenswerter Abschluss, dass das Prinzip Hoffnung bleibt

“Irgendwann“, spricht Lina zu ihrem Koffer und streichelt seinen Rücken.

Darf man solch einen Text "gern" lesen, liebe Frieda?
Ich gkaube nicht.

Aber doch "nicht ungern" gelesen vom

Friedel,
der noch einen schönen Adventssonntag wünscht!


* Wörterbuchnetz - Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm
** da fehlt was, am wahrscheinlichsten auslaufende Gänsefüßchen

 

Grüß dich, @Friedrichard,

toll, dass Du dir erneut die Zeit für meinen Text genommen hast. Ein Experiment, bei dem der Leser sich gerne - und womöglich zurecht - fragen darf, ob man so etwas "gerne" liest oder lesen kann.

Der Inhalt zielt nicht auf ein wohliges Lese-Gefühl ab, es ist keine Geschichte, die den Leser glücklich zurücklassen soll. Ich habe auf einen detailliert festgelegten Plot verzichtet, um Gefühle in den Vordergrund zu stellen. Wer Lina ist, welche Diagnose sie hat, wo sie sich genau befindet (abgesehen von einer psychiatrischen Klinik, in der man nicht frei ein und aus gehen kann): das wollte ich dem Leser überlassen. Ob das der Geschichte dient oder eher schadet, darüber bin ich mir noch nicht im Klaren.

Der Koffer steht für Sehnsucht. Verlangen. Flucht vor der Verzweiflung. Und letztlich für Hoffnung, von der man nicht erfährt, ob es sie gibt. Dem wollte ich eine Szenerie entgegensetzen, die verstehen lässt, warum Lina ihren Koffer nehmen und hinaus spazieren möchte; umreißen, wodurch das beklemmende Gefühl hervorgerufen wird.

Insofern hat dein folgendes Zitat mich mutig gestimmt, denn es scheint, als ob die Aussichtslosigkeit und die Bedrängnis der Situation bei Dir angekommen sind:

Wie Du den Raum beschreibst, [...], kommt die sprachliche (und somit auf gesellschaftlicher Erfahrung fußende) Verwandtschaft der „Enge“ und der „Angst“ hervor
die doppelte Abhängigkeit des/der Betroffenen von der „Anstalt“ und deren Mitarbeiter führt zu einer Entmündigung, wenn man wie‘s Mündel vom Vormund geduzt wird oder – wie ich es aus Krankenhäusern kenne, wenn der betreuende Arzt und gelegentlich gar Pfleger im Adhortativ fragt, wie es „uns“ denn gehe.

Der Pfleger, der überprüft, ob die Tabletten geschluckt werden, wechselnde Ärzte. Aber auch durch die Umschreibung des Raumes, wobei ich beim Schreiben viel am "show, don't tell" zu knabbern hatte. Zwei Beispiele:
Die Erinnerung an das vergessene Vermissen, an dessen Stelle ein allgegenwärtiges Nichts gerückt ist, eine allumfassende Leere. Die Wut, die sie hier rausbringen sollte? Verblasst.
[...] startet sie einen weiteren Versuch, Freiheit zu erlangen.
Da hadere ich sehr, ob ich da nicht zu sehr dem Erzählen verfalle. Aber nun gut. Gleichzeitig empfinde ich es als notwendig :hmm:.

Dass ich trotz x-maligem Lesen beim Dativ "vom Knie" ein "n" stehen hatte, ist zum Haare raufen und wurde natürlich sofort überarbeitet! :bonk:

Alternativ fürs verlegene Nägelkauen?, aber warum am zwoten Satz die würde.Konstruktion, überhaupt die Verzwirbelung? Im Konj. klingt es allemal wie Hoffnungslosigkeit (die Du jaschon aufzeigst), wenn „irgendwann schafft sie es" um 1/3 kürzer ist und ohne Hilfsverb auskommt.
Du gibst Dir selbst die Antwort: Irgendwann schafft sie es - erscheint mir zu definitiv, zu hoffnungsvoll und stark. Man weiß es nicht. Man weiß ja nicht einmal WAS sie irgendwann geschafft haben würde. Den Schorf vollständig vom Knie zu pulen? Heilung? Oder ihren Ausbruch? Sie hätte auch Nägelkauen können. Oder in die Luft starren. Aber was spricht gegen den Schorf?
Der Konjunktiv II dient am Anfang des Textes schlicht als Träger von Hoffnungslosigkeit. Vielleicht funktioniert das Ganze auch ohne den Satz, da andere Stellen die "Zwangslage" ja schon beleuchten. Andererseits fehlt mir dann der Bezug zum Ende, wenn das "Irgendwann", das Lina zu ihrem Koffer spricht, wieder einen Hauch von Willenskraft, von Sehnsucht und Hoffnung beinhalten KANN - oder auch nicht ;).

Symbol für die schutzsuchende Schildkröte?, denn Lina kann sie nur „an“ sich, ihren Körper ziehen.
Es schockt mich, dass "Beine einziehen" tatsächlich nicht im Duden zu finden (so fest ist es in meinem Sprachgebrauch falsch verankert). Wird geändert. Die Schildkröte wäre zwar ein geeignetes Bild, hat aber zu viel Schutzpanzer, um hier authentisch zweckentfremdet (?) zu werden.

eigentlich ein verkürztes "bis zur letzten Pille"
Auch die "letzte Pille" hat den Substantiv gestrichen und reiht sich jetzt klein ein.
Danke Dir für solche Feinheiten. Da hab ich eindeutig noch Wissenslücken zu füllen.

Weiter zu den Zeitformen, denn das gibt mir Rätsel auf.

Konj. II!, beides ist unwirklich, drum Konjunktiv irrealis, wie's ja schon im zwoten Teil darestellt wird.
als beobachtete man sie durch die Wände, als läge jemand unter ihrem Bett. Sie schleicht raus ins Bad, dreht den Wasserhahn auf und sperrt [...] „Aber ...“, platzt es aus Lina heraus, die sich in diesem Augenblick die Nagelhaut ihres rechten Daumens einreißt und kurz zusammenzuckt - nicht wegen des Schmerzes, sondern weil sie sich geschworen hat[...], damit aufzuhören - doch ihr Gesprächspartner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Gezeitenwechsel
Die Handlung spielt im Präsens, im Hier und Jetzt. Der Konjunktiv Irrealis, den ich zwischenschiebe, beschreibt doch ein Gefühl, das nicht real ist. Da liegt ja zum Glück nicht wirklich jemand unter ihrem Bett. Danach geht die Handlung im Präsens weiter. Bis auf eine Ausnahme:
Die Wut, die sie hier rausbringen sollte?
Konjunktiv II, wobei "sollte" hier als Modalverb auftritt, aber im Präteritum, statt im Präsens. Jetzt! :idee: Daher"Die Wut, die sie hier rausbringen soll?"? Das hat gedauert. Vielen Dank, für die Stelle war ich offensichtlich blind. Obwohl die Erkenntnis noch kam, wenn auch spät, lasse ich das Geschriebene mal stehen - vielleicht hilft es ja jemand anderem weiter.

Abschlusspunkt im Falle, dass der übergeordnete Satz (hier: "sie lässt den Kopf hängen") erst den ganzen Satz bildet (gilt nur für Aussagesätze, nicht Ausruf und Frage)
Anstandslos übernommen. :thumbsup: Ebenso, wie sich nach dem lauten Weinen nun ein Doppelpunkt findet.

Letzter Punkt:

** da fehlt was, am wahrscheinlichsten auslaufende Gänsefüßchen
Am Ende macht es keinen Unterschied, ob du nun mit ihr oder mit mir sprichst. Wir sind alle gleichermaßen gut ausgebildet." Es wird dich aber niemand zwingen, wenn du dir nicht helfen lassen … “
Da sind doch Füßchen :susp:. Aber die falschen, jetzt sehe ich es auch. Wird geändert.

Übrigens: Dass das Mündel geduzt wird, wie du schreibst, könnte auch ein Hinweis auf das Alter der Protagonistin sein.

Lieber Friedel,
hab vielen Dank für dein großzügig geteiltes Wissen und die Adleraugen!
Einen schönen (bald schon) zweiten Advent.

Bis bald,
Frieda Kartell

 

Hallo Frieda,

mir ist dieses Schlaglicht auf Lina ein wenig dünn. Zudem beschleicht mich beim Dialog mit dem Arzt der Gedanke, dass sich das nicht "echt" für mich anfühlt, wie mit ihr gesprochen wird. Das hat für mich folgende Gründe:

Ein erwachsener Patient wird von einem Arzt nicht geduzt, ich habe das jedenfalls noch nie erlebt.
Auch inhaltlich komme ich durch das Gespräch keinen Deut näher an Lina heran.
Sie wirkt trotzig und fühlt sich nicht ernstgenommen. Aber reicht das? Mir nicht.
Die Gesprächsführung des Arztes finde ich merkwürdig. Hast du da Erfahrungswerte bzw. Recherche betrieben?

Oft hatte sie sich verlaufen, aber das ist lange her. Ein langer, weißer Tunnel ins Nichts, den Lina mutlos entlang schlurft, bevor sie in ihr Zimmer abbiegt.

Diese Aussage beißt sich für mich, wenn ich das lese:

„Seit vier Tagen kennen wir uns jetzt. Möchtest du mir nicht vielleicht doch etwas von dir erzählen?“
„Was soll das bringen?“
„Das könnte bewirken, dass du dich besser fühlst, Lina.“
„Ist mir bisher nicht aufgefallen.“
„Das geht ja auch nicht von heute auf morgen. So etwas braucht Zeit, für eine Genesung bedarf es oft jahrelanger Therapie und medikamentöser Begleitung.

Ich weiß als Leser nun überhaupt nicht, wie lange Lina schon in der geschlossenen Station ist. Beim ersten zitierten Satz denke ich an Jahre, beim zweiten Zitat an höchstens 1-2 Wochen.

Was mir auch noch auffiel:

Behandlungszimmer 4.
„Seit vier Tagen kennen wir uns jetzt.
Ich würde dem Behandlungszimmer eine andere Zahl geben. Liest man den Text laut, erhält die Doppelung vielleicht eine Bedeutung für den Zuhörer, die keine ist.

Eigentlich mag ich, wie du schreibst und hättest du dich einem längeren Text gewidmet, könnte ich sicher Gefallen daran finden. Mein eher verhaltener Kommentar ist der Kürze des Textes geschuldet, der es nicht schafft, mich mit prägnanten Informationen abzuholen.

Das in Kürze von mir.

Viele Grüße
bernadette

 

Muttertext: Lina kratzt sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf. Irgendwann würde sie es geschafft haben.
Mein Hinweis:
Alternativ fürs verlegene Nägelkauen?, aber warum am zwoten Satz die würde.Konstruktion, überhaupt die Verzwirbelung? Im Konj. klingt es allemal wie Hoffnungslosigkeit (die Du jaschon aufzeigst), wenn „irgendwann schafft sie es" um 1/3 kürzer ist und ohne Hilfsverb auskommt.
Du darauf:
Du gibst Dir selbst die Antwort: Irgendwann schafft sie es - erscheint mir zu definitiv, zu hoffnungsvoll und stark. Man weiß es nicht. Man weiß ja nicht einmal WAS sie irgendwann geschafft haben würde.

Ich noch mal,

liebe Frieda,

in einer Zeit, da man nicht mal weiß, was morgen passiert, geschweige klar ist, was in einem Jahr sein wird, erfüllt das schlichte Futur - ähnlich wie auf anderer Ebene das Verb "können" - in seiner binären Wertigkeit, dass etwas wird oder eben nicht genug Spielraum, finde ich, denn der Konjunktiv hat formal nix mit der Zeitenfolge zu tun, ist eher so was wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung mit den Extremwerten "0" und "1", unmöglich und wirklich, falsch und richtig, kann sein/werden oder eben nicht.

Das englische "would" hat auch mehr Bedeutungen als das dt. "würde". Und so ganz nebenbei fällt mir gerade ein, dass wer auch immer vor kurzem es auf den Punkt brachte zur verfassungsmäigen Würde des Menschen - "Würde" ist ein Konjunktiv ...

Bis bald und schönen zwoten Advent,

wünscht der Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @bernadette,

Danke, dass Du Dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast.

mir ist dieses Schlaglicht auf Lina ein wenig dünn.
Was ich weder bestreiten kann noch möchte, da ich mich nach langem Grübeln dagegen entschieden habe, Linas Werdegang zu beleuchten. Der Text "soll sein": Eine Momentaufnahme eines beschwerlichen Lebens, in dessen Verlauf die Psychiatrie eine begleitende Rolle spielt (von dem es doch manch eines gibt, wenn auch eher im Verborgenen, statt im "Fokus der Gesellschaft" - verzeih' die Plattitüden).

Daher auch hier meine volle Zustimmung:

Ein erwachsener Patient wird von einem Arzt nicht geduzt
Eben. Das soll der Hinweis auf ihr vergleichsweise noch "zartes" Alter sein, in meinem Kopf ist sie jugendlich. Sie formuliert klare Gedanken. Zeigt Willenskraft und Empörung. Sie hat schon mindestens einmal mit einem telefonischen Kundendienst gesprochen. Aber sie verlangt keinen Anwalt, keinen Direktor der Klinik. Das Buch von Jack London (bei mir zu Jugend- und Schulzeiten ein präsentes Werk), das Foto ihrer Schwester: für mich Indizien dafür, dass sie nicht erwachsen ist. Vielleicht habe ich da zu viel in zu wenig hinein projiziert?

Auch inhaltlich komme ich durch das Gespräch keinen Deut näher an Lina heran.
Sie wirkt trotzig und fühlt sich nicht ernstgenommen. Aber reicht das? Mir nicht.
Dass bei Dir der Eindruck einer trotzigen Lina geblieben ist, bedeutet für mich, dass ich ihr mit meiner Beschreibung womöglich keinen Gefallen getan habe. Lina
schnaubt, presst die Lippen aufeinander und dreht den Kopf beiseite.
Hier ist sie eindeutig trotzig, verweigert. Und gibt auf. Vermeintlich. Doch dann erbricht sie die Tabletten. Entscheidet für sich "ich will die nicht mehr nehmen" und findet einen Weg. Schließlich kann sie auch in einer Klinik mit geschlossenen Türen nicht ständig überwacht werden. Somit finde ich "Auflehnung" passender, es hätte einen Moment von Wut und Klarheit in sich, den sie durch das Erbrechen der Medikamente zu erlangen versucht. Sie trifft einen Entschluss, der Auflehnung beinhaltet, den ich aber von einem kindlichen Trotz-Impuls unterscheiden würde. Vielleicht ist Trotz dennoch das richtige Wort, da sie sich sträubt und das Auferlegte verweigert: die Tabletten und die Gespräche mit dem inzwischen behandelnden Arzt. Dennoch hat Trotz so einen kindlichen Beigeschmack, den ich Lina nicht verpassen wollte, weil er der Ernsthaftigkeit ihrer Lage schaden könnte; in der sie sich nicht zu helfen weiß, andere ihr aber zu helfen wissen, was sie zum Verzweifeln bringt. Wie du siehst und liest: Dein Kommentar lässt mich grübeln, denn er liegt mir quer im Magen. Vielleicht genau das, was es brauchte. Danke dafür. Ich werde überlegen, inwiefern und ob ich an Lina herumschraube.

Ich überlege auch, angestoßen durch Deine Sicht der Dinge, ob ich die Geschichte anders hätte aufrollen sollen. Tatsächlich ist Lina als Protagonistin nämlich nicht die Hauptfigur, nur eine mehr oder weniger zufällig ausgewählte Trägerfigur von Gefühlen, dem "eigentlichen Star" der Geschichte: Enge und Ausweglosigkeit, v.A. letzteres durch den tatsächlich nicht so selten vorkommenden Wechsel der Ärzte dargestellt (die ja bei psychisch Erkrankten im besonderen Maß eine Vertrauensperson darstellen sollten).
Antagonist ist der Koffer, der dem Gefühl der Enge und des Eingesperrt-Seins gegenübersteht. Ein Koffer als Sinnbild: nicht nur für Reiselust, Geschäftsreisen oder Erinnerungen, sondern auch für Sehnsucht, Flucht, ein Entrinnen aus der Verzweiflung. Ein Koffer als Bekannter für Menschen, die nicht wissen, wohin.

Zurück zu Dir:

Oft hatte sie sich verlaufen, aber das ist lange her.
Diese Aussage beißt sich für mich, wenn ich das lese:
„Seit vier Tagen kennen wir uns jetzt. Möchtest du mir nicht vielleicht doch etwas von dir erzählen?“
Ich weiß als Leser nun überhaupt nicht, wie lange Lina schon in der geschlossenen Station ist. Beim ersten zitierten Satz denke ich an Jahre, beim zweiten Zitat an höchstens 1-2 Wochen.
Auch das habe ich nicht konkretisiert, weil ich - auch wenn das seltsam klingt - wollte, dass Lina mehr eine "Projektionsfläche", als eine umfänglich gezeichnete Person ist. Es spielt keine entscheidende Rolle, ob sie zwei oder sechs Monate oder zwei Jahre dort ist. Ich habe gehofft, dass die Fragen, die beim Leser entstehen, Interesse wecken könnten, vielleicht auch daran, sich die Antworten selbst auszumalen. Nicht, weil ich zu faul war. Sondern, weil bisher jeder Versuch, Lina mehr Körper zu geben, von der Szenerie der Klinik, den Gefühlen und dem sehnsuchtsvoll gestreichelten Koffer abgelenkt hat.
Lina ist lange genug in der Klinik, um sich mittlerweile auszukennen. Und lange genug, um Vertrauen zu einer Ärztin gefasst zu haben, die unerwartet auf eine andere Station versetzt wird.
Der darauffolgende Arzt kennt sie nur aus der Akte und ist ihr nicht bekannt. Seit vier Tagen in seiner Behandlung, hat sie bisher kaum ein Wort mit ihm gesprochen. Sie ist nicht bereit, wieder jemand Neuem ihre Geschichte zu erzählen. Ärzte teilen sich untereinander mit und es gibt Krankenakten, aber für den Erfolg einer Gesprächstherapie ist doch maßgeblich, dass der Patient selber mit dem Arzt spricht. Daher halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass der Arzt und Lina sich erst seit vier Tagen kennen, sie aber schon länger dort auf Station lebt.

Schade, dass das für Dich nicht funktioniert hat. Und umso netter, dass Du Dir die Zeit genommen hast, mich das wissen zu lassen. Vielleicht hast du recht und durch meine Entscheidung fehlt etwas Entscheidendes, um den Leser abzuholen. Schwierig. Danke für den Gedankenanstoß.

Zu den Dialogen:
Sie lässt ihn nicht an sich ran, der Arzt ist und bleibt freundlich, aber beharrlich. Er versucht, auf einer Ebene mit ihr zu sprechen, dabei platzt an einer Stelle doch ein wenig, wenn auch für junge Ohren vereinfachter, ärztlicher Fachjargon heraus, als er folgende Worte in den Mund gelegt bekommt:

für eine Genesung bedarf es oft jahrelanger Therapie und medikamentöser Begleitung.
Das wirkt unecht, gekünstelt. Aber ist es unvorstellbar? Es ist mal keine Grundlage, auf der ein junger Mensch sagen würde: Hey, der ist ja sympathisch, dem vertraue ich mich an! Aber das ist so gewollt ...
Manch einer ist professionell, manch einer ist einfühlsam und manch einer ist professionell und einfühlsam. Manchmal ist es nur ein persönlicher Draht, den man eben hat oder nicht.
Ich fände es spannend zu erfahren, an welchen Stellen Du meinen Dialog als künstlich empfindest. Und ob der Umstand, dass Lina nicht erwachsen ist, etwas für Dich ändert.

Denn einen Kommentar wie diesen:

Es wird dich aber niemand zwingen, wenn du dir nicht helfen lassen …"
empfinde ich als "echter", als mir lieb ist.
Denn nicht dass Sich-nicht-helfen-Lassen ist entscheidend, sondern das Nicht-mal-eben-Vertrauen-fassen-Können. Oder die Hürde, wieder Vertrauen zu fassen, ohne zu wissen, ob der Arzt dann nicht auch eines Tages versetzt wird. Oder vielleicht will sie sich nicht öffnen, weil sie lieber mit einer Ärztin spricht? Was es auch ist, das dazu führt, dass Lina sich in sich verschließt: Lina ist dem ausgeliefert und bekommt es ausgelegt, als wolle sie sich nicht helfen lassen. Was für einen Menschen (die Professionalität eines Arztes mal beiseite geschoben) auch einfacher anzunehmen wäre, als "der Patient kann mich persönlich nicht leiden".

Dieser Text ist für mich wirklich ein Experiment, weil ich mich dazu entschieden habe, Hintergründe wegzulassen, um das - aus meiner Sicht - Wesentliche hervorzuheben.
Ich wollte wissen, ob ich mir das erlauben kann, oder ob, falls ja, ich es vielleicht anders aufziehen müsste. Sowas kann schiefgehen und das ist es in Deinem Fall leider auch. Aus Gründen, die nachvollziehbar erscheinen. Bevor ich mich jetzt wild in grundlegende Änderungen stürze, lasse ich Deine Anregungen noch ein bisschen wirken und bin vor Allem darauf gespannt, ob Du mit meinen Anmerkungen noch etwas anfangen kannst.
Wobei ja jede notwendig zu ergänzende Anmerkung auf eine Lücke in meinem Text hinweist. Irgendwie. :hmm:

Besonders gefreut hat mich das Folgende:

Eigentlich mag ich, wie du schreibst und hättest du dich einem längeren Text gewidmet, könnte ich sicher Gefallen daran finden.
Ich hoffe, dass ich Dich in Zukunft vielleicht mit einer anderen, handlungsreicheren Geschichte "abholen" kann, falls wir uns hier nicht nochmal begegnen.

Und zum Schluss:

Hast du da Erfahrungswerte bzw. Recherche betrieben?
Aus diesem Grund würde ich nie einen Text über einen Verbrennungsmotor schreiben, von dem ich keine Ahnung habe, es sei denn, ich hätte einen KFZ-Mechaniker an der Seite - um Dir mal ausweichend zu antworten.

Mehr fällt mir für heute nicht ein. Ich danke Dir für Deine Gedanken, bernadette. Und für den Neuanstrich des Behandlungszimmers, jetzt »11«.

Liebe Grüße,
Frieda Kartell


Hallo @Friedrichard,

was soll ich sagen? Schön erklärt. Ich danke Dir. Hätte ich die Grammatik so präsent, wie meine Deutschlehrer es eigentlich verdient hätten, wäre wohl kein Auffrischungskurs notwendig gewesen. Insofern toll, dass es hier eine "Lupe" wie Dich gibt, der ich verdanke, dass »Plusquamperfekt-Perfekt-Präteritum-Präsens-Futur I-Futur II« sich nach langem Winterschlaf abstauben und wieder in richtiger Reihenfolge aufstellen, weil der Imperativ alle zum Antanzen kommandiert, während der Indikativ sich längst in erster Reihe zeigt, der Konjunktiv aber gern noch länger schlafen würde. Und am Ende eben Können doch besser ist als sollten und würden ;).

Immer wieder gerne.
Liebe Grüße,
Frieda Kartell

 

Hallo @Frieda Kartell,
Dein Text geht für mich schon fast in Richtung Flash Fiction, weil er so kurz ist. Mir fehlt völlig das Kennenlernen des Charakters von Lina. Ich erfahre fast nichts über sie, kann nicht einmal erahnen, welches Problem sie hat, warum sie sich so verhält, wie sie sich verhält.

Auch das Arztgespräch erscheint mir sehr abstrakt. Für mich sind das eher Worthülsen, aber der Charakter des Arztes schimmert nicht durch, oder ich habe es einfach überlesen.

Der Text trägt den Tag "Seltsam". Vielleicht liegt es daran, aber ich kann das nicht wirklich greifen, was dieses Schlaglicht sein soll, was es auslösen soll. Dadurch, dass ich Lina nicht kennenlerne, weckt sie auch keine Emotionen in mir.

Ich habe ein wenig durch Deine Antworten im obigen Faden quergelesen, in denen Du viele Informationen nennst, die sich im Text aber nicht finden, und in denen Du viel erklärst.

Du schreibst

"Tatsächlich ist Lina als Protagonistin nämlich nicht die Hauptfigur, nur eine mehr oder weniger zufällig ausgewählte Trägerfigur von Gefühlen, dem "eigentlichen Star" der Geschichte: Enge und Ausweglosigkeit, v.A. letzteres durch den tatsächlich nicht so selten vorkommenden Wechsel der Ärzte dargestellt (die ja bei psychisch Erkrankten im besonderen Maß eine Vertrauensperson darstellen sollten).
Antagonist ist der Koffer, der dem Gefühl der Enge und des Eingesperrt-Seins gegenübersteht. Ein Koffer als Sinnbild: nicht nur für Reiselust, Geschäftsreisen oder Erinnerungen, sondern auch für Sehnsucht, Flucht, ein Entrinnen aus der Verzweiflung. Ein Koffer als Bekannter für Menschen, die nicht wissen, wohin."

Das kann man natürlich machen, aber ich glaube, dass darin auch die Schwierigkeit des Textes liegt. Du benutzt die Protagonistin als Gefäß für Enge und Ausweglosigkeit, anstatt Lina Charakter zu verleihen und zu zeigen, wie sich die Enge und Ausweglosigkeit für sie anfühlt.

Das ist ein Experiment, wie Du selbst schreibst, aber eines, welches bei mir leider nicht so richtig funktioniert hat, weil ich Lina als diese Gefäß wahrnehme und nicht als Mensch.

Aber vielleicht haben andere Leser ja einen anderen Zugang zu dem Text als ich.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hallo @Frieda Kartell

Der Rhythmus des Textes gefällt mir, die Sprachmelodie, auch das Gefühl für Leerstellen, die Leser*innen mit eignere Imagination füllen können. Insofern freue ich mich sehr auf weitere Texte von dir.

Was mMn (noch) nicht so ganz funktioniert: die Dialoge (klingen reichlich unnatürlich), die Gestaltung des Plots (wohin geht der Text, was will er zeigen, welche Prämisse durchzieht den Text), die inneren Monologe (konkret geschilderte Erinnerungen, die dem Text Kontur verleihen).
An all dem lässt sich arbeiten und dieser Text wäre eine gute Grundlage dafür. Du könntest zB. die inhaltlichen Lücken füllen.

Lina kratzt sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf.
richtig starker Anfang, der dann aber mit einer lauen Verortung völlig zerbröselt. Sonnenstrahlen, die über die Wände kriechen, wie oft hast du das schon gelesen?

zwei kleine mit Aufdruck und eine, groß wie ein U-Boot.
mm, wie ein U-Boot?

Eine Angst ohne Kontur kriecht in Lina empor, als beobachtete man sie durch die Wände, als läge jemand unter ihrem Bett. Sie schleicht raus ins Bad, dreht den Wasserhahn auf und sperrt sich in einer Kabine ein. Einen Finger im Hals startet sie einen weiteren Versuch, Freiheit zu erlangen.
gute Stelle

„Nun, Lina, ein Einzelgespräch mit einem Arzt, der sich meiner annimmt, würde ich nicht gerade als Pech bezeichnen. Ich bin doch hier, um dir zu helfen. Am Ende macht es keinen Unterschied, ob du nun mit ihr oder mit mir sprichst. Wir sind alle gleichermaßen gut ausgebildet. Es wird dich aber niemand zwingen, wenn du dir nicht helfen lassen …"
hier ein Dialog-Beispiel: echt, so spricht keiner, der sich meiner annimmt...

Ohren betäubendes
ohrenbetäubendes

„Irgendwann“, spricht Lina zu ihrem Koffer und streichelt seinen Rücken.
so, und jetzt? da müsste, könnte, mehr kommen.

viele Grüße und herzlich willkommen hier
Isegrims

 

Hallo @Geschichtenwerker,
Hallo @Isegrims,

erstmal danke ich Euch für die Zeit, die Ihr Euch für meine Geschichte genommen habt.
Mit euer beiden Kommentaren kann ich viel anfangen. Zum Teil decken sie sich mit den Einschätzungen von Friedrichard und bernadette, zum anderen mit meinen eigenen Befürchtungen, gegen die ich mich dann im Sinne von "wer nicht wagt" entschieden habe.

Ich freue mich, denn ich wollte wissen, ob das Experiment funktioniert. Ihr zeigt mir, dass es nicht der Fall ist, bzw dass es stark ausbaufähig ist. Bevor ich jetzt schon detailliert auf eure Kommentare eingehe, habe ich mir vorgenommen "Linas Koffergeschichte" zu renovieren und sobald fertig, mich dann euren Kommentaren in Anlehnung an die überarbeitete Fassung zu widmen.

Habt vielen Dank für Eure Unterstützung,
habt viele Kekse und viel Advent.

Liebe Grüße,
Frieda Kartell

 

Liebe @Frieda Kartell,

ein schöner kurzer Text, genau meine Kragenweite, da lass ich dir mal ein paar Gedanken da, hauptsächlich zur sprachlichen Umsetzung. Vielleicht kannst du ja mit ihnen etwas anfangen, wenn du dich demnächst an die Überarbeitung machst.

Lina kratzt sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf.
Nach dem ersten Satz bin satt. Es schüttelt mich. Aber wahrscheinlich machst du mit ihm alles richtig, denn er kann durch das Abartige beim Leser Neugierde schüren.

Irgendwann würde sie es geschafft haben. Irgendwann.
Der zweite Satz scheint sich direkt auf den ersten zu beziehen und mein Hirn schlussfolgert: Irgendwann wird sie den Schorf vollständig aufgegessen haben.
Klar, das nicht der Schorf gemeint ist. Vielleicht solltest du den zweiten auf die nächste Zeile setzen, um dem Leser eine gedankliche Verschnaufpause zu gönnen.

Vor ihrem Fenster lichten sich die Wolken. Ein Sonnenstrahl fällt auf ihren Fuß; hastig zieht sie die Beine an ihren Körper.
Ich finde ihre Reaktion auf die einfallende Sonne interessant. Ich sehe die Sonne wie ein Verbindungsglied zur Außenwelt, auch als Licht, das aufweckt, wärmt und heilt. Aber deiner Prota scheint die Situation unangenehm zu sein, sie zieht ihre Füße weg. Bringt sie sich in Sicherheit?

Sie umklammert und kauert sich auf ihrem Bett zusammen –
hier holpert es etwas, eigentlich umklammert sie den Oberkörper/sich oder die Beine,
wäre eine mögliche Lösung:

Ein Sonnenstrahl fällt auf ihren Fuß; hastig zieht sie die Beine an ihren Körper und umklammert sie. Sie kauert sich auf ihrem Bett zusammen …

regungslos verharrt sie in der Stille, verharrt ihr Blick auf der weißen Raufasertapete gegenüber, einer Wand ohne Bilder, ohne Fenster, ohne Ausblick.
Möchtest du die Doppelung? Im Verharren steckt außerdem mMn die Reglosigkeit schon drin.
Ich hätte ja gewettet, dass sie mit dem Oberkörper wippt.

Sechs Tabletten: zwei in grün, eine orangefarben, zwei kleine mit Aufdruck und eine, groß wie ein U-Boot.
Möchtest du wirklich den Größenvergleich? Ich habe doch einen ernsthaften Text vor mir liegen und diese Übertreibung trägt einen Hauch Komik und Sarkasmus rein. Zumal der Erzähler und nicht die Prota behauptet, die Pille hätte die Größe eines U-Bootes.
Vielleicht reicht es zu sagen: und eine sah aus wie ein U-Boot oder hatte die Form eines U-Bootes. Dass allerdings von einem U-Boot die Rede ist, könnte ein Hinweis darauf, dass die Prota noch nicht erwachsen ist. Das finde ich wichtig.

Dann wandert ihr Blick auf den Nachttisch: Jack London »Der Ruf der Wildnis«, zerfleddert und abgegriffen. Darunter ragt das Foto ihrer Schwester hervor, schnürt sich um ihren Hals, wandelt sich zu einem Kilo schweren Kloß. Schnell lässt sie es zwischen den Seiten des Buches verschwinden:
Ich mag das, wenn sich das Foto metaphorisch um ihren Hals schnürt. Dabei könntest du es aber auch schon belassen, weil es stark ist. Der Kilokloß ist nur eine Wiederholung und kann gar zur Irritation führen, da er innerhalb der Kehle steckt.

Ich denke, man sollte immer kritisch hinterfragen, ob nicht ein Bild das andere widerlegt oder gar meuchelt.

Die Erinnerung an das vergessene Vermissen, an dessen Stelle ein allgegenwärtiges Nichts gerückt ist, eine allumfassende Leere. Die Wut, die sie hier rausbringen soll? Verblasst.
Und die Aussage kapier ich nicht. Irgendwann hat die Prota ihre Schwester vermisst, dann hat sie das vergessen und jetzt erinnert sie sich, dass sie das Vermissen vergessen hat?

„Irgendwann“, spricht Lina zu ihrem Koffer und streichelt seinen Rücken.
Hat ein Koffer einen Rücken, so wie ein Buch?

Keine Angst, ich hab nicht vor, jeden Satz zu zerstückeln und auf die Goldwaage zu legen. Das waren einfach mal ein paar Beispiele, die belegen sollen, dass jedes Wort genau überlegt sein sollte. Ist ja ein kurzer Text, da springen kleine Schnitzer deutlicher ins Auge.

Dann will ich dir noch sagen, dass dein Setting einem meiner Lieblingsalbträume entnommen ist. Man bewahrt mich in einer geschlossen Abteilung auf. Ich fühle mich vollkommen gesund und sage das den Ärzten auch, aber keiner will mir glauben. Ich bin völlig hilflos, machtlos.
Was ich meine, die Umgebung ist generell schon mal beängstigend.

Ich bin nicht sicher, aber ich befürchte allerdings, dass das, was du mit der KG vermitteln willst und das, was beim Leser ankommt, sich nicht völlig deckt.

Ich fasse mal zusammen, wie ich die Geschichte lese:
Eine jugendliche Patientin befindet sich in psychiatrischer Behandlung, sogar auf der sogenannten Geschlossenen. Sie verletzt sich selbst, hat sich aber versprochen, damit aufzuhören. Spekulation: Grund des Aufenthaltes könnte der Tod der Schwester sein, den sie nicht verkraftet hat. Dass sie die Situation als trostlos und beängstigend empfindet, verwundert mich nicht, siehe Albtraum. Sie spuckt ihre Medizin aus, weil sie sich einen klaren Kopf wünscht, und sie will die Wut zurück, die sie einst rausbringen sollte? Anschließend verweigert sie das Therapie-Gespräch, weil sie ihre Vertauensperson vermisst. Sie arbeitet also gegen ihre Sehnsucht an, die Abteilung bald verlassen zu können. Das ist ihr bewusst. Trotzdem geht sie zum Koffer, streichelt ihn, der das Symbol für Freiheit, ein anderes, selbstbestimmtes Leben ist.

Sie hofft? Worauf? Dass sie irgendwann ihr kontraproduktives Verhalten verändern wird?

Bei deinen Erklärungen bin ich auf Folgendes gestoßen:

Antagonist ist der Koffer, der dem Gefühl der Enge und des Eingesperrt-Seins gegenübersteht. Ein Koffer als Sinnbild: nicht nur für Reiselust, Geschäftsreisen oder Erinnerungen, sondern auch für Sehnsucht, Flucht, ein Entrinnen aus der Verzweiflung. Ein Koffer als Bekannter für Menschen, die nicht wissen, wohin."

Liebe Frieda, ich bin verwirrt. Der Antagonist oder (die antagonistische Kraft) ist simpel ausgedrückt der Gegenspieler, der den Protagonisten daran hindert, sein erklärtes Ziel zu erreichen. Muss keine Person sein, darf auch Koffer sein. In deiner Geschichte ist der Koffer doch aber nur ein Sinnbild.

Wenn das Ziel der Prota ein Leben außerhalb der Psychiatrie wäre, dann ist nach meiner Leseart ihr eigenes, widerspenstiges Verhalten die antagonistische Kraft. Sie steht ihrem Ziel selbst im Wege.

Man weiß ja nie, vielleicht helfen dir die angesprochenen Punkte zu was auch immer.

Wünsche dir auf alle Fälle viel Freude bei der Überarbeitung.

Liebe Grüße von peregrina

 

Hallo @Frieda Kartell,

ich empfinde diese Kurzgeschichte als Allgemeinplatz. Es gibt zahllose Thriller und Horrorfilme, in denen irgendjemand unschuldig in der Psychatrie sitzt. Deine Geschichte könnte ein Ausschnitt aus nahezu jedem dieser Filme sein. Mir fehlt eine inspirierende Idee, etwas, was Deine Geschichte individuell macht. Tatsächlich könnte man den Dialog mit dem Koffer, der bei Dir am Ende erwähnt wird, als Grundlage für eine Geschichte nehmen.

Du verwendest zwei Leerzeilen zwischen den Absätzen, eine reicht.

Lina schnaubt, presst die Lippen aufeinander und dreht den Kopf beiseite. Dann gibt sie auf,

Was genau gibt sie auf, das Zusammenpressen der Lippen oder das Verdrehen des Kopfes? Natürlich meinst Du die Verweigerung, die Pillen zu nehmen. Der Bezug stimmt aber nicht; außerdem schreibst du nicht, warum sie aufgibt. Wird ihr das gewaltsam verabreicht?

„Wie beim telefonischen Kundendienst. Mal ist wer Nettes dran und mal hat man Pech.“, sie lässt den Kopf hängen

Sie vergleicht damit ihre Situation mit einem trivialen Alltagsproblem, willst Du das wirklich?

Ohren betäubendes

ohrenbetäubendes

Viele Grüße

Ephraim

 

Hallo @Frieda Kartell ,

interessante kleine Studie über eine Person, die irgendwo in einem psychiatrischen Krankenhaus eingeschlossen ist und nicht raus kann, aber irgendwiei wach genug ist, um sich das endlich Rauskommen zu wünschen und auch gezielt darauf hinzuarbeiten.
Zumindestens verstehe ich ihre Weigerung die Tabletten zu schlucken als ein Stück Normalität, die sie sich bewahrt. Auf jeden Fall, als sie die Tabletten wieder heraus würgt, zeigt sie wachen Verstand.
Natürlich könnte man auch genau das Gegenteil behaupten. Ich glaube, du hast es hier so angelegt, dass jeder wie er mag denken kann, dass "das Glas halbvoll" oder eben "halbleer ist".
Trotzdem und das gefällt mir an deiner Geschichte, gelingt es dir, derartig nebulös über die Sache mit der Schwester zu berichten, nein du berichtest ja nicht, du deutest nur an, dass man ahnt, dass bei deiner Prota der Hase ganz tüchtig im Pfeffer liegt und sie keinesfalls grundlos quasi inhaftiert ist.

Ihre Gedanken sind so eine Mischung auf klar und wirr.
Insoweit gute Milieustudie, aber leider nicht genug. Denn natürlich will man nun als Leser, nachdem du in das Thema eingeführt hast, wissen, was los ist und wie es weiter geht.
Aber genau an der Stelle endet deine Geschichte. Schade.


Hier noch ein wenig, was mir so innerhalb des Textes aufgefallen ist:


Zimmer 356.
Lina kratzt sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf.
Eklig ....ich musste mich schütteln. Aber schon irgendwie ein insoweit dann beeindruckender Anfangssatz.

„Na also, geht doch.“, der Pfleger lächelt und geht.
Der Pfleger scheint ein hochgradig unsympathischer Typ zu sein. Warum ist er es? Hier kommt es, weil du es nicht erklärst, etwas fremdbestimmt, aufgedrückt vor. Sein ja nicht angemessenes Verhalten, schmiegt sich nicht so homogen in den Text ein. Vielleicht ihn doch normal anlegen?

Ausdruckslos wie ein weißes Blatt Papier starrt Lina auf den grauen Vinylboden.
Das ist so ein Satz, der soll bedeutungsschwer daher kommen, aber bei mir verreckt er im Nichts. Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie sich deine Prota fühlt. Klar ist ein weißes Stück Papier ausdruckslos. Aber dieser Vergleich zündet irgendwie nicht bei mir. Keine Ahnung, ob es anderen auch so ergeht.

Die Erinnerung an das vergessene Vermissen, an dessen Stelle ein allgegenwärtiges Nichts gerückt ist, eine allumfassende Leere.
Da hast du so einen nochmals bedeutungsschweren Satz gebastelt und ich muss ihn mehrere Male lesen, um seinen Sinn zu begreifen.
Sie hat mal vermisst (wen?), dann hat sie das Vermissen vergessen (weshalb?), dann ist da jetzt nur noch die Erinnerung an dieses vergessene Vermissen (aber wenn man vergisst, erinnert man doch eigentlich nicht mehr oder?) und nun ist an Stelle des erinnerns, ein Nichts, eine Leere gerückt. (was hat sie dazu veranlasst, sich nicht mehr zu erinnern?)
Dieser Satz wirkt sehr wirr auf mich. Er möchte gern bedeutungsschwer sein, ist aber für mich leider nur schwer zu verstehen.

Sie schleicht raus ins Bad, dreht den Wasserhahn auf und sperrt sich in einer Kabine ein.
Du meinst mit Bad, die Duschkabine, nicht wahr?Weil sonst ist das mit der Reihenfolge kontra. Sie kann ja nicht erst den Wasserhahn aufdrehen, für mich der Wasserhahn im Bad und somit der des Waschbeckens und dann sich in einer Kabine einsperren. Oder sperrt sie sich in die Kabine ein, aber draußen im Waschbecken läuft der Wasserhahn weiter?
Du siehst, hier müsstest du vermutlich noch ein wenig nachbessern, damit man es richtig versteht.

„Irgendwann“, spricht Lina zu ihrem Koffer und streichelt seinen Rücken.
Starker Endsatz. Gefällt mir.

Lieben Gruß
lakita

 

:shy: Wow! Vielen Dank euch allen!

@peregrina, @Ephraim Escher, @lakita
und alle, die zuvor schon ihre Gedanken mit mir geteilt haben.

So viel Input! Da weiß ich kaum, wo ich anfangen soll, geschweige denn was sagen - außer Danke!
Ich bin begeistert. Als ich Eure "neuen", frischen Blickwinkel auf mich wirken lassen habe, war von schmunzeln bis Kopf nicken und Licht aufgehen von allem was dabei. Die Geschichte hat deutliche Schwächen, um die ich noch nicht wusste. In meiner Überarbeitung versuche ich Lina ein Gesicht zu geben, eine Geschichte. Damit sie greifbar wird und keine Hülle mehr sein muss.

Tut mir Leid, dass ich Euch den Schüttel-Schorf Moment zumute, trotzdem toll, dass - naja, darf man das jetzt sagen - ihr euch durchbeißt und es mitunter als starken Einstieg empfunden habt. Das freut mich. Eure Anmerkungen verleihen mir grad so viel Schwung, dass ich entschieden habe, den erstmal in die Geschichte zu stecken. Im Anschluss daran werde ich im Einzelnen auf eure Kommentare eingehen. Und dann hoffentlich noch Zeit finden für andere Koffer-Geschichten ...

Einen schönen Abend Euch.
Mit großer Freude,
Frieda Kartell

 

Hallo @Frieda Kartell,

Inhaltlich habe ich den anderen Kommentaren nicht wirklich etwas hinzuzufügen, deshalb ein wenig Textkram:

Sie umklammert (was denn, sie, die Beine?)und kauert sich auf ihrem Bett zusammen

fummelt müden Blickes die erste heraus
Tabletten herausfummeln? Klingt doch arg umgangssprachlich.

„Na also, geht doch.“, der Pfleger lächelt und geht.
Der Punkt hinter doch ist verkehrt.

damit aufzuhören - ()doch ihr Gesprächspartner
der Gedankenstrich ist zu kurz, ein Leerzeichen zuviel

und mal hat man Pech.“, sie lässt
Du weißt schon ...

Peace, linktofink

 

Hallo @Geschichtenwerker,

nachdem ich meine Geschichte nun überarbeitet habe, möchte ich mir die Zeit nehmen, im Einzelnen auf deine Anregungen zu antworten.

Mir fehlt völlig das Kennenlernen des Charakters von Lina. Ich erfahre fast nichts über sie, kann nicht einmal erahnen, welches Problem sie hat, warum sie sich so verhält, wie sie sich verhält.
Dadurch, dass ich Lina nicht kennenlerne, weckt sie auch keine Emotionen in mir.
Danke für die ehrliche Einschätzung. Da nicht nur Dir das so ergangen ist, habe ich verstanden, dass meine erste Lina nur in meinem Kopf rund war. Es ist super, dass ich hier die "Innen-& Außenwirkung" meiner Figur überprüfen lassen kann. Darauf einen Lösungsansatz zu finden, war ziemlich knifflig. Erst habe ich einen irrsinnigen Lebenslauf ausgearbeitet, drei Seiten Plot ausgetüftelt und getüftelt ... und dann alles verworfen, weil es Quatsch war. Ich glaube, mit meiner neuen Fassung ist es mir gelungen, im Stil der Geschichte derselben Lina etwas mehr Körper und Gesicht zu verleihen. Aber entscheidend ist ja, was ihr denkt. Bin auch überhaupt nicht aufgeregt :drool:.
Der Text trägt den Tag "Seltsam". Vielleicht liegt es daran, aber ich kann das nicht wirklich greifen, was dieses Schlaglicht sein soll, was es auslösen soll.
Das mit dem taggen ist so eine Sache, die mir echt nicht leichtfällt. Denn so ein Stempel verlangt ja auch, dass die damit einhergehenden Erwartungen erfüllt werden. Was aber, wenn ein Text zwischen den Hochzeiten tanzt? Gesellschaft hätte ich auch genommen, aber da die Geschichte eher "am Rand statt mittendrin" zu verorten ist, fand ich auch das schwierig.
Letztlich hat der Schorf mich dazu veranlasst, der Geschichte den Stempel "seltsam" zu verleihen.
Bin gerne für Verbesserungsvorschläge offen.
Auch das Arztgespräch erscheint mir sehr abstrakt. Für mich sind das eher Worthülsen, aber der Charakter des Arztes schimmert nicht durch, oder ich habe es einfach überlesen.
Wenn auch ungern zugegeben, aber ja, du hast Recht. In meiner ersten Fassung habe ich dem Arzt keine Beschreibung verliehen, in meiner neuen Version etwas mehr, aber auch die fällt wieder flach aus. Es gibt Ärzte, die reden sehr freundlich und zugewandt mit ihren Patienten und solche, bei denen eher mal der Fachjargon oder die gehobene Sprechweise durchschimmert. Das kann mitunter darüber entscheiden, zu wem man Vertrauen fasst und zu wem nicht.
Nichtsdestotrotz war der erste Versuch des Dialogs wohl ungelenk, daher habe ich ihn überarbeitet. Danke für deinen Hinweis. Was den Arzt als Menschen auszeichnet, neben seiner professionell distanzierten Art und den vielen Diplomen, empfinde ich eher als störend, als der Geschichte dienlich. Was ich aber geändert habe: Der Arzt ist jetzt weniger gestelzt und etwas greifbarer. Und man erfährt, warum Lina sich ihm nicht anvertrauen will.
Vielen Dank für deine Gedanken :gelb:


Hallo @Isegrims,

Der Rhythmus des Textes gefällt mir, die Sprachmelodie, auch das Gefühl für Leerstellen, die Leser*innen mit eignere Imagination füllen können. Insofern freue ich mich sehr auf weitere Texte von dir.
:herz: Balsam für meine Seele.

hier ein Dialog-Beispiel: echt, so spricht keiner, der sich meiner annimmt...
Jaaaa ... verdammt. Okay. Schlicht akzeptiert und mit fast ausschließlichem Dank angenommen.
Mein fiktiver Arzt wirkt in der neuen Fassung hoffentlich etwas natürlicher. Niemand nimmt sich mehr eines anderen an. Das war, zugegeben, irgendwie altbacken und konstruiert.

so, und jetzt? da müsste, könnte, mehr kommen.
Spannend, dass du es so siehst. Für mein Empfinden ist der Schlusssatz ähnlich kräftig wie der Schorf-Satz und kann für sich so stehenbleiben. Ich habe überlegt, ob ich deinem Gedanken nachkommen möchte und angefangen mir ein alternatives Ende auszudenken. Aber was kommt nach der Hoffnung? Und der Koffer, um den es ja eigentlich geht, der wird ja nur einmal ganz am Schluss erwähnt. Wenn ich jetzt erzähle was passiert, nachdem sie voller Sehnsucht den Koffer streichelt, gerät dann der Koffer nicht in Vergessenheit? Sie könnte brav sein und die Pillen schlucken, sie könnte versuchen auszubrechen, sie könnte schauspielern, usw. - und dann? In der Geschichte ist sie noch nicht soweit. Der Moment mit dem Koffer ist der Wendepunkt, an dem jedes weitere Vorgehen offen bleibt. Was mir aus deinem Hinweis bleibt, ist die Überlegung, ob ich am Ende der Geschichte Potential verschwende. Da ich bei dieser Geschichte aber nicht weiß, welches, werde ich das für die nächste Geschichte im Hinterkopf behalten.
Hab vielen Dank für Deine Zeit und Deine Anregungen. :)


Liebe @peregrina,
für Deinen Kommentar möchte ich Dir besonders danken, weil es mich sehr berührt hat, dass Du mir offen über Dein Albtraum-Szenario berichtest. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den ich sehr schätze. :shy: Zudem konnte ich mit Deinen Kommentaren viel anfangen, als es an die Überarbeitung meiner Geschichte ging. Nacheinander:

Der zweite Satz scheint sich direkt auf den ersten zu beziehen und mein Hirn schlussfolgert: Irgendwann wird sie den Schorf vollständig aufgegessen haben.
Klar, das nicht der Schorf gemeint ist. Vielleicht solltest du den zweiten auf die nächste Zeile setzen, um dem Leser eine gedankliche Verschnaufpause zu gönnen.
:lol: Danke. Ja. Tut mir Leid. Hab ich anstandslos umgesetzt. Eine Verschnaufpause ist eine ausgezeichnete Idee nach einem solchen Ekel-Moment. Dennoch freue ich mich über die Schlussfolgerung deines Gehirns, denn genau diesen Twist wollte ich erzielen. Natürlich würde sie es nicht irgendwann geschafft haben, sich durch ihr Knie ... nun ja.
hier holpert es etwas, eigentlich umklammert sie den Oberkörper/sich oder die Beine,
wäre eine mögliche Lösung:
Das holpert wirklich. Die aktuelle Fassung ist knackiger: "Zusammengekauert verharrt sie in der Stille, verharrt sie [...]", womit wir schon zum Nächsten kommen:
Möchtest du die Doppelung? Im Verharren steckt außerdem mMn die Reglosigkeit schon drin.
Ich hätte ja gewettet, dass sie mit dem Oberkörper wippt.
Ja, hier möchte ich die Doppelung. Da verharren im Text kein drittes Mal vorkommt, habe ich mir die Doppelung erlaubt, um dem Verharren, dem apathischen Still-Sitzen mehr Nachdruck zu verleihen. Ich bin selbst aber auch von der Sorte Leser, die gezielt gesetzte Doppelungen sehr mag. Vielleicht also nur meine Vorliebe, aber das bleibt drin. Der wippende Oberkörper ist ein tolles Bild, ist mir hier aber zu scharf. Zu heftig. Zu apathisch?

Möchtest du wirklich den Größenvergleich? Ich habe doch einen ernsthaften Text vor mir liegen und diese Übertreibung trägt einen Hauch Komik und Sarkasmus rein.
Danke! Nein, möchte ich nicht. Ist mir auch nicht aufgefallen, so betriebsblind war ich an der Stelle.
Hab ich gelöscht und es gefällt mir ohne besser! :thumbsup:
Ich mag das, wenn sich das Foto metaphorisch um ihren Hals schnürt. Dabei könntest du es aber auch schon belassen, weil es stark ist. Der Kilokloß ist nur eine Wiederholung und kann gar zur Irritation führen, da er innerhalb der Kehle steckt.
Scharfsinnig. Und richtig. Was soll ich mehr dazu sagen, außer Danke und: übernommen!
Und die Aussage kapier ich nicht. Irgendwann hat die Prota ihre Schwester vermisst, dann hat sie das vergessen und jetzt erinnert sie sich, dass sie das Vermissen vergessen hat?
:rolleyes: Offensichtlich gut, wenn einem die eigenen bedeutungsschwangeren Sätze mal auseinanderklamüsert "um die Ohren gehauen" werden. Ich wollte mit dem vergessenen Vermissen auf die Wirkung der Antidepressiva anspielen, gegen die sie sich zu wehren versucht. Da ich das aber an anderer Stelle nicht sauber ausgearbeitet habe, blieb am Ende bloß ein Satz, der zuviel können wollte, als in ihn hineingepasst hat. Ich habe ihn in der Aussage leicht verändert und mit mehr Logik in die neue Fassung eingeflochten.

Hat ein Koffer einen Rücken, so wie ein Buch?
Ich glaube, ja. Ein Koffer hat einen Griff, Füße und viele auch noch Rollen. Es gibt zumindest einen Deckel und einen Boden, sowie eine Vorder- und Rückseite. Warum nicht auch Rücken? Das vornehme Volk ist auf langen Reisen mit Schrankkoffern gereist, im Grunde ein Koffer zum Aufstellen und Aufklappen, ähnlich einem Schrank. Der auch eine Rückseite hat. Und dann wäre da noch das Leder, aus dem viele Koffer waren oder sind, vom Rücken eines Tieres ... Du merkst, ich sinniere mich hier um Kopf und Kragen und kann natürlich nicht fundiert behaupten, dass ein Koffer einen Rücken hat. Aber Linas Koffer personifiziert sich auch ein Stück weit durch den Rücken. "Irgendwann", spricht Lina zu ihrem Koffer, empfinde ich als lahmen Schlusssatz.

Liebe Frieda, ich bin verwirrt. Der Antagonist oder (die antagonistische Kraft) ist simpel ausgedrückt der Gegenspieler, der den Protagonisten daran hindert, sein erklärtes Ziel zu erreichen. Muss keine Person sein, darf auch Koffer sein. In deiner Geschichte ist der Koffer doch aber nur ein Sinnbild.
Stimmt. :hmm:
Wenn das Ziel der Prota ein Leben außerhalb der Psychiatrie wäre, dann ist nach meiner Leseart ihr eigenes, widerspenstiges Verhalten die antagonistische Kraft. Sie steht ihrem Ziel selbst im Wege.
Vollkommen richtig. :idee:
Und so ein guter Hinweis, der mich dazu veranlasst hat, meiner neuen Version einen Augenblick einzubauen, in dem Lina für einen Moment in sich geht, oder zumindest hellhörig wird, und einen Anstoß erlangt, ihr eigenes Verhalten zu überdenken. Deshalb auch nochmal meinen Dank an Dich für deine reflektierende Zusammenfassung. Und dafür, mich auf folgende Frage gestoßen zu haben:
Sie hofft? Worauf? Dass sie irgendwann ihr kontraproduktives Verhalten verändern wird?
Die mich maßgeblich dazu veranlasst hat, Linas Motivation zu überdenken.
Lina darf sein, wie sie ist. Mir gefällt auch ihre gewisse Widerspenstigkeit, die ich in Fassung 1 aber nur präsentiert, statt für den Leser zugänglich gemacht habe. Ich hoffe, dass die Informationen, die man in Fassung 2 über Lina erhält, ein Gespür dafür vermittelt, warum sie so ist, wie sie ist.

Wünsche dir auf alle Fälle viel Freude bei der Überarbeitung.
Zwischen Haare raufen, grübeln und Freude war alles mit dabei. :gelb:
Hab vielen Dank. Für eine so ausführliche Stellungnahme möchte ich mich unbedingt revanchieren.
Zumal ich Deine Koffer-Geschichte selbst schon mit Freude gelesen habe.
Die Zeit rennt.


Hallo @Ephraim Escher,

ich empfinde diese Kurzgeschichte als Allgemeinplatz.
Darüber musste ich grübeln. Beziehe ich das nämlich auf den Ort des Geschehens, kann ich Dir an der Stelle nicht folgen. Deine weiteren Erklärungen lassen mich erahnen, was Du meinst.
Es gibt zahllose Thriller und Horrorfilme, in denen irgendjemand unschuldig in der Psychatrie sitzt.
Dass Lina "unschuldig" ist, habe ich nicht behauptet oder angedeutet. Aus der ersten Fassung geht nur hervor, dass sie verordnete Tabletten nur widerwillig einnimmt. Und dass sie wohl nicht ihrem freien Willen folgen und aus der Klinik spazieren kann. Wobei ja spannend wäre, inwiefern eine psychische Erkrankung und ein "freier" Wille vereinbar sind. Außerdem möchte ich mich - besonders in Anlehnung an meine zweite Fassung, in der noch deutlicher wird, dass Lina eine Gefährdung für sich selbst ist - deutlich von dem Begriff der Schuld distanzieren. Die Schuldfrage bei einem suizidalen Patienten empfinde ich als Fehl am Platz.

Deine Geschichte könnte ein Ausschnitt aus nahezu jedem dieser Filme sein.
Ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen kann oder will, vehement abstreiten möchte ich es aber nicht. Denn auch wenn es so wäre, wüsste ich nicht, was daran verkehrt sein sollte. Es sei denn Du wolltest mir, wie auch mit folgendem Kommentar, verdeutlichen, dass der Inhalt der Geschichte zu wenig greifbare Eckdaten, ein zu schmales Fundament, hat:
Mir fehlt eine inspirierende Idee, etwas, was Deine Geschichte individuell macht.
Das filtere ich jetzt mal und ordne es den Kommentaren anderer Mitglieder bei, die mir auf etwas freundlichere Art mitgeteilt haben, dass die Protagonistin zu "dünn" gestaltet ist - was ja für mich ein Experiment war. Ich bin zuversichtlich, dass ein Gedankenblitz, der mir beim Schreiben der überarbeiteten Version gekommen ist, die individuelle Idee sein könnte, die Du vermisst zu haben scheinst.

Tatsächlich könnte man den Dialog mit dem Koffer, der bei Dir am Ende erwähnt wird, als Grundlage für eine Geschichte nehmen.
Autsch! :susp: Ist das tatsächlich so?

Was genau gibt sie auf, das Zusammenpressen der Lippen oder das Verdrehen des Kopfes? Natürlich meinst Du die Verweigerung, die Pillen zu nehmen. Der Bezug stimmt aber nicht; außerdem schreibst du nicht, warum sie aufgibt. Wird ihr das gewaltsam verabreicht?
Gewaltsam. Wieder so ein Begriff. Schuld. Gewalt. Puuuh. Also gegen den Willen ist mal nicht freiwillig. Und zwingen wie nötigen eine Form der Gewalt, je nach Ausführung psychisch oder physisch. Aber irgendwie führt das alles vorbei an der Enge, der Verzweiflung und der Sehnsucht im Koffer. Ich behaupte nicht, dass meine Geschichte solche Assoziationen nicht aufkommen lassen würde, aber ich habe beim Schreiben versucht, mich davor zu hüten, solche Begriffe schwarz auf weiß aufzuschreiben.

Sie vergleicht damit ihre Situation mit einem trivialen Alltagsproblem, willst Du das wirklich?
Nein, absolut nicht. Daher habe ich diesen Part des Dialogs gestrichen.
Danke für Deinen Hinweis. Und auch die ohrenbetäubende Fluse ist korrigiert. :)


Hallo @linktofink,
Danke für das Fehler-Schnüffeln, das hilft immer. :gelb:
Die Flusen haben sich aus der zweiten Fassung raus geschlichen. Und auch wenn ich wünschte, es wäre nicht so, dass sich dafür womöglich neue rein geschlichen haben, die Hoffnung bleibt.
"Pech" hat in Fassung 2 niemand mehr, das war im Rückblick betrachtet wirklich klobig.


Euch allen vielen Dank! :kuss: natürlich auch @lakita, die ich nicht vergessen habe. Jetzt wird gekocht und gegessen und anschließend setze ich mich nochmal in aller Ruhe dran. Vorab aber Dankeschön an Dich für so einen umfangreichen Kommentar.
Es bleibt die Erkenntnis, die so flüchtig wie bekannt ist: was man zum Text erklärt, steht noch nicht drin. Sollte aber. Ich bin froh, dass Ihr mir helft, den Text auf Beine zu stellen, die ihn selber tragen.

Liebe Grüße -
gemütliche Kerzen und einen glühenden Advent euch allen.

Frieda Kartell

 

Hallo @lakita,

Zumindestens verstehe ich ihre Weigerung die Tabletten zu schlucken als ein Stück Normalität, die sie sich bewahrt. Auf jeden Fall, als sie die Tabletten wieder heraus würgt, zeigt sie wachen Verstand.
Das wollte ich bewirken, insofern toll, das hier von Dir zu lesen.
Natürlich könnte man auch genau das Gegenteil behaupten. Ich glaube, du hast es hier so angelegt, dass jeder wie er mag denken kann, dass "das Glas halbvoll" oder eben "halbleer ist".
Danke für diese Einschätzung. Ich muss zugeben, dass ich in die erste Fassung mehr hineinprojiziert, als tatsächlich geschrieben habe. Dank eurer Kommentare wurde mir das klar. Umso mehr freut mich aber, dass die "Bandbreite des Möglichen" (besseres fällt mir grad nicht ein) bei dir angekommen ist. Dieses "es könnte so, aber auch so sein". Daher, auch wenn ich den Begriff wiederhole, ein Experiment, bei dem es mir darauf ankam, dass möglichst viele Fakten in der Schwebe hängen.
Trotzdem und das gefällt mir an deiner Geschichte, gelingt es dir, derartig nebulös über die Sache mit der Schwester zu berichten, nein du berichtest ja nicht, du deutest nur an, dass man ahnt, dass bei deiner Prota der Hase ganz tüchtig im Pfeffer liegt und sie keinesfalls grundlos quasi inhaftiert ist.
Schön. Das tut gut.
Insoweit gute Milieustudie, aber leider nicht genug. Denn natürlich will man nun als Leser, nachdem du in das Thema eingeführt hast, wissen, was los ist und wie es weiter geht.
Aber genau an der Stelle endet deine Geschichte. Schade.
Danke, dieser Kommentar (und viele vorherige dieser Art) haben mich dazu veranlasst, Lina für den Leser greifbarer zu machen. Dabei habe ich einen Spagat versucht zwischen "ausreichend Infos geben, aber nicht zu viel verraten" und bin wirklich gespannt darauf, ob die neue Lina "ankommt".
Auf das "nicht wissen, was los ist und wie es weiter geht" hat auch @Isegrims mich aufmerksam gemacht. Der Einfachheit halber kopiere ich ein Stück der Antwort, die dabei herauskam, als ich über eure Frage nachgedacht habe:
Für mein Empfinden ist der Schlusssatz ähnlich kräftig wie der Schorf-Satz und kann für sich so stehenbleiben. Ich habe überlegt, ob ich deinem Gedanken nachkommen möchte und angefangen mir ein alternatives Ende auszudenken. Aber was kommt nach der Hoffnung? Und der Koffer, um den es ja eigentlich geht, der wird ja nur einmal ganz am Schluss erwähnt. Wenn ich jetzt erzähle was passiert, nachdem sie voller Sehnsucht den Koffer streichelt, gerät dann der Koffer nicht in Vergessenheit? Sie könnte brav sein und die Pillen schlucken, sie könnte versuchen auszubrechen, sie könnte schauspielern, usw. - und dann?
Braucht der Leser einen gewissen Ausgang?

Der Pfleger scheint ein hochgradig unsympathischer Typ zu sein. Warum ist er es? Hier kommt es, weil du es nicht erklärst, etwas fremdbestimmt, aufgedrückt vor.
Absolut. Stimmt. Ich habe dem Pfleger kaum Raum geboten und ihn in seinem "minimalistischen" Miteinander ziemlich unsympathisch erscheinen lassen. Das habe ich geändert, weil ein freundlicher, mitfühlender Pfleger die Geschichte weicher macht. Ich danke Dir.
Das ist so ein Satz, der soll bedeutungsschwer daher kommen, aber bei mir verreckt er im Nichts.
Ja, manchmal können harte Worte wahr und wahre Worte hart, dafür aber umso aufschlussreicher sein. Ich war so verliebt in diesen Satz, dass nur Deine knallharte Wortwahl des "Verreckens" mich so aufgerüttelt hat, dass ich "meinen Liebsten" töten konnte. Danke. Ohne den Satz sieht die zweite Fassung besser aus. :thumbsup:

Sie hat mal vermisst (wen?), dann hat sie das Vermissen vergessen (weshalb?), dann ist da jetzt nur noch die Erinnerung an dieses vergessene Vermissen (aber wenn man vergisst, erinnert man doch eigentlich nicht mehr oder?) und nun ist an Stelle des erinnerns, ein Nichts, eine Leere gerückt. (was hat sie dazu veranlasst, sich nicht mehr zu erinnern?)
:lol: oh man. Äh.. ich antworte mal mit ja. Und verzeih mir, wenn ich Dir dieselbe Antwort gebe, wie zuvor schon @peregrina:
Offensichtlich gut, wenn einem die eigenen bedeutungsschwangeren Sätze mal auseinanderklamüsert "um die Ohren gehauen" werden. Ich wollte mit dem vergessenen Vermissen auf die Wirkung der Antidepressiva anspielen, gegen die sie sich zu wehren versucht. Da ich das aber an anderer Stelle nicht sauber ausgearbeitet habe, blieb am Ende bloß ein Satz, der zuviel können wollte, als in ihn hineingepasst hat. Ich habe ihn in der Aussage leicht verändert und mit mehr Logik in die neue Fassung eingeflochten.

Du meinst mit Bad, die Duschkabine, nicht wahr?Weil sonst ist das mit der Reihenfolge kontra. Sie kann ja nicht erst den Wasserhahn aufdrehen, für mich der Wasserhahn im Bad und somit der des Waschbeckens und dann sich in einer Kabine einsperren. Oder sperrt sie sich in die Kabine ein, aber draußen im Waschbecken läuft der Wasserhahn weiter?
Ich meine so ein Bad, das hinter der Türe gleich zwei bis vier Waschbecken in einer Reihe hat, und abgezweigt in einer Seitenachse dann mehrere Toiletten-Kabinen nebeneinander. Sie geht also durch eine Tür, dreht den Wasserhahn voll auf, weil sie beim Würgen nicht gehört werden möchte, dann erst geht sie in die Toiletten-Kabine, in der sie sich einsperrt. Der Wasserhahn läuft, bis sie fertig ist. Ist das störend/irritierend? Ich denke nochmal über einen Satz nach, der keinen Stolperstein enthält.

Vielen Dank für Deinen Kommentar, der mir sowohl Mut zuspricht, als auch kritische Anregungen enthält, mit denen ich viel anfangen kann.

Einen schönen vierten Advent
und lieben Gruß zurück
Frieda Kartell

 

Hallo @Frieda Kartell

ein lesenswerter Text. Sowohl vom Thema her, als auch die Ausführung.
Ich würde aber empfehlen, gründliche Füllwort- und Plattitüden-Reinigung zu betreiben. Die "magische" Depression ist eine herrliche Verballhornung, vor allem im Kontext mit der nachfolgenden Erläuterung über die Mutter. Ich würde die Kürze noch extremer gestalten. Da kann noch einiges gestrichen werden.
Ein Problem habe ich mit dem Setting. Ich vermute sie befindet sich nicht in einer psychotherapeutischen Einrichtung, sondern in der Kinderpsychiatrie. Ich weiß, dass dort in real leider viele Dinge falsch laufen, aber ist ihre Psychiaterin wirklich so unfähig? Das scheint überzogen.
Damit will ich keine Diskussion über reale Verhältnisse einleiten, sondern nur mein Empfinden beim Lesen darstellen.

Ein, zwei Sätze die der Figur Lina ein bisschen Komplexität verleihen, wären sicher nicht schlecht.

Schönen Gruß!
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Aber nächstes Mal, da jage ich dich durch die Wohnung“, Linas Mutter schnellt mit dem Kopf nach vorne und reißt die Augen auf, „und dann schnappe ich dich und kitzel dich von den Füßen bis hoch unter die Achseln.“
[...]
„Wieder die Träume von deiner Schwester?“
[…]
Oft hatte sie sich verlaufen, aber das ist lange her. Ein schmaler, weißer Tunnel ins Nichts, den Lina mutlos entlang schlurft, bevor sie in ihr Zimmer abbiegt.

Was zwischen den beiden zitierten Stellen geschieht,

liebe Frieda,

kann gegensätzlicher nicht sein. Zwischen den vergnüglichen Vorbereitungen zum neunten Geburtstag

an der Wand hängt eine große Neun, …
der Schwester und dem „Tunnel“, an sich ein unterirdischer Verkehrsweg, um relativ bequem von A nach B zu kommen, hier aber als Flur mit diversen Zimmertüren, die zum „Verlaufen“ einlädt in einer „Anstalt“.
Vom geschilderten Symptom
,,, kratzt [Lina] sich den Schorf vom Knie und isst ihn auf.
, Symptom für eine Selbstverstümmelung (der Schorf soll „schließ“lich die wunde Stelle schließen und schützen und warum ist die (hoffnungsvolle oder utopische Vorstellung)
Irgendwann würde sie es geschafft haben. Irgendwann.
Und ich kann mich getrost selbst zitieren
.., aber warum ... die würde.Konstruktion, überhaupt die Verzwirbelung? Im Konj. klingt es allemal wie Hoffnungslosigkeit (die Du ja schon aufzeigst), wenn „irgendwann schafft sie es" um 1/3 kürzer ist und ohne Hilfsverb auskommt.

... Wand ohne Bilder, ohne Fenster, ohne Ausblick.
Warum die Pluralbildung, wenn nicht ein „einziges“, eben „kein“ Bild dort hängt (das Fenster ist da in der Pluralbildung günstiger und der Ausblick ist schließlich singulär. Hab ich bestimmt schon erzählt, wenn ich gefragt werde „Kinder“ oder gar „haben Sie Kinder“ wahrheitsgemäß mit „nein“ antworte bei „einem“ Kind ... und schon stimmt Protokoll oder Statistik nicht mehr.

Widerwillig greift sie nach Wasser, nimmt sich eine Pille, öffnet den Mund und schluckt.
Nicht falsch, aber das Reflexivpronomen ist an „sich“ entbehrlich, denn dass die Pille für sie bestimmt ist, klärt sich doch sofort ...

„Wenn ich von dir träume, habe ich das Gefühl[,] du bist immer noch da“, spricht sie in den leeren Raum, während sie ihren Blick über den Nachttisch schweifen lässt: Jack London »Der Ruf der Wildnis«, zerfleddert und abgegriffen. Darunter ragt das Foto ihrer Schwester hervor, schnürt sich um ihren Hals.
Natürlich kennt ein Liebhaber des Wolfes und seiner Derivate und Dorit Feddersen-Petersen Jack London (zuzüglich dem Nachfolger „Wolfsblut“), wenn Hunde quasi anfangen, ihr Leben selbst zu bestimmen.

Genug für heute vom Friedel,
und noch einen guten Abend und vor allem schöne Tage!

 

Nabend @Frieda Kartell ,
du beschreibst ein Mädchen, aufgewachsen mit einer manisch depressiven Mutter, dem Schatten eines Unglückes bezüglich der Schwester und der vorläufigen Endstation: Psychatrie.
Die abgesagte Geburtstagsfeier hat mich da sehr berührt. Diese eine Anekdote, die doch für alles Schreckliche steht, wenn man als Angehöriger, noch dazu einem Kind, mit einem psychisch Erkrankten lebt.
Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass du bestimmte Bilder im Kopf und aus diesen eine Geschichte zusammengepuzzelt hast. Bis auf die Geburtstagsfeier-Szene kamen mir diese Puzzelstücke allerdings sehr bekannt vor. Da gibt es den strengen, aber doch charmanten Pfleger, der ihr Herz erweichen kann, das typische "trotz professionellem Pillenschluck-Beobachten doch Pillen ausspuck, um sich der ganzen Sache zu widersetzen", der Therapeut, der nichts versteht von seinem hohen akademischen Ross, der eine Therapeut, der ihr Vertrauen gewonnen hat, aber dann entfernt wurde und die große "Ausbruchssehnsucht". Ich bin nur bedingt vom Fach, aber es klingt mir in deinem Text sehr nach Fernseh-Psychatrie-Dramaturgie und wird meist auch nur oberflächlich in seinen stereotypen Ansätzen abgehandelt.
Die Metapher des Puzzles aus nicht sehr originellen Versatzstücken wird mir besonders deutlich anhand der Emotionen deiner Protagonistin. Du reihst da Befindlichkeiten, Symbole und Gedanken aneinander, die nicht zusammenpassen. Manchmal nutzt du auch schräge Bilder.
Ich geh mal durch den Text:

mitaufhängen
mit aufhängen
„Und das am besten auch“, er lächelt das verschmitzte Lächeln
Hier müsste das Komma weg und der Satz danach groß. Ist ja kein direkter Redebegleitsatz.
Eine Angst ohne Kontur kriecht in Lina empor, als beobachtete man sie durch die Wände, als läge jemand unter ihrem Bett.
Die Angst ist konturlos, aber danach kommen sehr deutliche Vergleiche, die sie erklären, ihr Form geben. Da bin ich gestolpert.
Darunter ragt das Foto ihrer Schwester hervor, schnürt sich um ihren Hals.
Das Foto an sich schnürt sich ja nicht um ihren Hals. Selbst der Anblick, der sich um den Hals schnürt, ginge nicht. Eventuell das Gefühl beim Anblick des Fotos?
Die Erinnerung an das schmerzhafte Vermissen – das langsame Vergessen, an dessen Stelle ein allgegenwärtiges Nichts gerückt ist, eine allumfassende Leere. Die Wut, die sie hier rausbringen soll? Verblasst. Eine Angst ohne Kontur kriecht in Lina empor,
Hier ist so ein Mix aus allen Gefühlen, für mich nicht nachvollziehbar aneinandergereit. Aus dem Schmerz des Verlustes wird Vergessen und Leere, soweit klar. Aber dann wird von Wut gesprochen. Wo ist die her? Dann verblasst diese und plötzlich hat sie Angst. Wie genau sich das in deiner Figur äußert, erzählst du nebenbei auch nicht. Also nur "tell", kein "show".
Magisch depressiv, genau wie ihre Mutter. Ganz gleich, wie oft die Ärzte Lina die Manie erklärt haben, es blieb ein Umstand, den sie nicht verstehen wollte.
Hier kommt mir der Zeitformwechsel komisch vor, aber ich bin grad zu unkonzentriert, um es gut zu erklären (Ist vielleicht auch in einem Vorkommentar schon passiert).
als dass ihre Mutter mit einem bösen Fluch belegt und hilflos ausgeliefert war
Da fehlt ein "ihm" vor "hilflos ausgeliefert war.
Goldene Bilderrahmen mit Diplomen hängen neben unzähligen Auszeichnungen wie Tapetenbahnen an der Wand, davor steht eine von unten beleuchtete Skulptur und drängt sich auf, verstanden werden zu wollen, doch Lina steht der Sinn nach Kunst, wie nach allem anderen:
Hier wechselt in einem Satz drei Mal das Subjekt. Erst sind es die Diplome und Auszählungen, dann die Skulptur und dann Lina. Das ist schwer zu lesen, weil der Fokus so hin und herwechselt. Und ob ein Kunstwerk aktiv verstanden werden will? Und keine Ahnung wonach Lina gerade der Sinn steht. Ihre Emotionen sind ziemlich "all over the place"
Ich folge deiner Figur mal emotional: Sie ist traurig, dann muss sie doch schmunzeln beim Pfleger, dann tut ihr das Bild der Schwester weh, dann ist es aber wieder eine Leere, die sie ergreift. Schließlich ist sie ängstlich, gegenüber der Zimmereinrichtung des Therapeuten gleichgültig (?), ihm gegenüber wieder wütend, im Flur mutlos, aber beim Koffer plötzlich wieder hoffnungsvoll.
Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass du ganz viel Drama unterbringen willst und stellenweise hattest du auch eindringliche Bilder (Der Schorf, die Geburtstagsfeier, die magische Depression), die mir echt gefallen haben, aber die meiste Zeit war es wie eine wilde Achterbahnfahrt, während der ich mir eine Galerie ansehen sollte.

Ich würde dir mehr Mut zu leisen Tönen und konkreten Bildern empfehlen. Die verstecken sich schon jetzt im Text.

man liest sich
huxley

 

Hallo @Kellerkind, @Huxley,
habt vielen Dank für Eure Beiträge. Ich habe auf meine Antwort warten lassen, weil es mir zum Teil schwerfällt, Eure Anregungen einzuordnen. Vielleicht wäre es klüger von mir gewesen, mit einer Geschichte an der challenge teilzunehmen, die mir inhaltlich weniger bedeutet, als die jetzige. In meinem Anfangsstadium bin ich aber froh über jeden Hinweis, daher würde ich Eure Beiträge gerne einordnen und besser verstehen. Hier also ein paar Gegenfragen:

@Kellerkind
Vorab danke ich Dir hierfür:

ein lesenswerter Text. Sowohl vom Thema her, als auch die Ausführung.
Freut mich sehr, dass auch das Thema gefällt.

Ich würde aber empfehlen, gründliche Füllwort- und Plattitüden-Reinigung zu betreiben.
Wie an welchen Stellen? Meinst Du mit Füllwörtern Adjektive? Zum Beispiel:
Weltverloren starrt sie
Da stimme ich Dir zu, Danke für den Hinweis. So zu schreiben ist zwar mein Stil, hier ist es aber eher umständlich, statt sinnvoll. Ist gestrichen. Einen Raum als Raum ohne Bewegung darzustellen oder die Erinnerung an ein vergessenes Vermissen einzuflechten, falls ich Dich denn richtig verstehe und Du das als Plattitüde bezeichnest, das sind Formulierungen die mir persönlich sehr gefallen und die sich nach meinem Empfinden flüssig lesen lassen. Ich versuche zu verstehen, was du als Plattitüde empfindest, also als abgedroschene Redewendung oder belanglose Aussage. Weiß denn jemand, der noch niemanden verloren hat, dass man das Erinnern auch verlieren und das Vermissen auch vergessen kann? Ist das vergessene Vermissen eine banale Redewendung?

Die "magische" Depression ist eine herrliche Verballhornung
Nachdem ich inzwischen herausgefunden habe, was es mit der Verballhornung auf sich hat, möchte ich hinzufügen, dass es nicht meine Absicht war, die Manische Depression zu "verschlimmbessern" oder dem ganzen einen parodistischen Charakter einzuhauchen. Eine Wortneuschöpfung sicherlich, aber doch eher der Versuch eines kleinen Mädchens, einen greifbaren Begriff für etwas Unerklärliches zu erschaffen.

Ich würde die Kürze noch extremer gestalten. Da kann noch einiges gestrichen werden.
Sehr interessant. Echt, hier musste ich schmunzeln. Angesichts der Fülle an Texten, die es hier gibt, gehe ich davon aus, dass Du meine erste Fassung dieses Textes nicht gelesen hast. Das war fast mehr ein Stimmungsbild, als eine Kurzgeschichte. Eine A 4 Seite weniger. Erst in der jetzigen Version erfährt man etwas über Linas Hintergrund. Ich muss wohl noch herausfinden, welche Infos ich zu welchem Zweck gewichte und an anderer Stelle dann kürze.

Kinderpsychiatrie. Ich weiß, dass dort in real leider viele Dinge falsch laufen, aber ist ihre Psychiaterin wirklich so unfähig? Das scheint überzogen.
Die Psychiaterin ist gar nicht unfähig. Sie hat es geschafft, eine Vertrauensbasis zu Lina aufzubauen. Ich würde auch nicht sagen, dass sich der darauffolgende Arzt durch "Unfähigkeit" auszeichnet, wenn dann eher durch Empathie, die zu wünschen übrig lässt. Vielleicht könnte man auch Ungeduld zwischen den Zeilen lesen, aber was Du mit unfähig und überzogen meinst, erschließt sich mir nicht.

Danke Dir für Deine Zeit und, um abschließend mit einer soeben erlernten Verballhornung abzuschließen: Einen guten Rutsch ins neue Jahr.

@Huxley

Ich bin nur bedingt vom Fach, aber es klingt mir in deinem Text sehr nach Fernseh-Psychatrie-Dramaturgie und wird meist auch nur oberflächlich in seinen stereotypen Ansätzen abgehandelt.
Was bedeutet Fernseh-Psychiatrie-Dramaturgie? Und ist das etwas schlechtes? Da Du noch stereotype Ansätze ansprichst, scheinen Dir Elemente meine Geschichte eher missfallen zu haben, sodass ich geneigt bin, das als "negative Kritik" (blödes Wort) aufzufassen. Aber es gelingt mir einfach nicht, zu verstehen, was Du damit meinst.
Die stereotypen Ansätze. Ist jemand schon ein Stereotyp, weil er freundlich ist? Ein freundlicher Pfleger? Ist dann ein unfreundlicher Pfleger auch ein Stereotyp? So einer oder eine hätte es auch sein können, in meiner ersten Fassung war es sogar ein "gesichtsloser" Pfleger, ein einfacher "Pillen-Überbringer", aber dann habe ich Lina bei dem Schock über die "verlorene" Therapeutin den Lichtblick mit dem Pfleger gegönnt. Vielleicht verstehe ich Dich auch falsch und greife jetzt Erklärungen vor, die nicht mit dem zusammenhängen, was Du angeführt hast. :confused:

Die Metapher des Puzzles aus nicht sehr originellen Versatzstücken wird mir besonders deutlich anhand der Emotionen deiner Protagonistin
Das Puzzle mit den Versatzstücken. Da habe ich lange drüber nachgedacht. Ich kann dem folgen, wenn ich mir überlege, was ich mit den einzelnen Abschnitten zu sagen versucht habe. Die Bausteine bestehen ja aus einer zum Großteil nebulösen Vergangenheit, die vorübergehend in eine eingesperrte Gegenwart führt. Das allein könnte, statt als Puzzle-Teil, zu einer eigenständigen Geschichte dienen. Dann der nicht sehr vorteilhafte Umstand, dass behandelndes Personal wechselt. Auch das könnte eigenständig funktionieren. Aber eben auch zusammen. Als versuch die Sehnsucht erlebbar zu machen, die der Koffer personifiziert. "Die Metapher des Puzzles aus nicht sehr originellen Versatzstücken" lässt mich eher ratlos zurück, als mir weiterzuhelfen. Zu den Emotionen meiner Protagonistin komme ich später noch.

Das Foto an sich schnürt sich ja nicht um ihren Hals. Selbst der Anblick, der sich um den Hals schnürt, ginge nicht. Eventuell das Gefühl beim Anblick des Fotos?
Darunter ragt das Foto ihrer Schwester hervor, das Gefühl beim Anblick des Fotos schnürt sich um ihren Hals. Da frage ich mich, wie viel Genauigkeit, Logik und Realismus Sprache inne haben muss. Ich verstehe, was Du meinst, und danke Dir für den Hinweis, aber an der Stelle bleibe ich bei meiner Variante. Dass das Foto sich nicht buchstäblich um ihren Hals schnürt, dürfte klar sein. Aber wenn ich mir diese Formulierung aus dem Sinn schlagen soll, könnte das auch wehtun.

Da fehlt ein "ihm" vor "hilflos ausgeliefert war.
Brauche ich wirklich ein Reflexivpronomen, obwohl der Bezug doch offensichtlich ist?
Sicherheitshalber habe ich die Stelle überarbeitet: "Hilflos ausgeliefert."

Und ob ein Kunstwerk aktiv verstanden werden will?
Aber absolut. Was sonst könnte ein Kunstwerk wollen? Laut, leise, schrill, massiv, filigran? Als Botschafter zwischen Künstler und Betrachter, um eine Botschaft und/oder ein Gefühl zu vermitteln.

Und keine Ahnung wonach Lina gerade der Sinn steht. Ihre Emotionen sind ziemlich "all over the place"
Auch wenn sich das eher negativ liest, finde ich an der Stelle doch, dass mein Konzept aufgegangen ist. Denn wären alle von Linas Handlungen, Gedanken und Aussagen logisch nachvollziehbar, ordentlich sortiert und ohne beim Leser Irritierung auszulösen, könnte man sich doch auch fragen, wie ein so "normaler" Mensch in eine solche Situation geraten konnte. Ich könnte ihre Emotionen allerdings in einem komplex gestalteten Plot "showen" - danke hierfür, ich werde es behalten -, habe mich aber dagegen entschieden, ohne den genauen Grund dafür zu kennen.

Ich folge deiner Figur mal emotional: Sie ist traurig, dann muss sie doch schmunzeln beim Pfleger, dann tut ihr das Bild der Schwester weh, dann ist es aber wieder eine Leere, die sie ergreift. Schließlich ist sie ängstlich, [...]
Danke für die Aufdröselung. So eine nüchterne Übersicht über die eigene Geschichte ist eine gute Methode, sich Klarheit über die eigene Arbeit zu verschaffen. In Zukunft will ich das anwenden.

Ich würde dir mehr Mut zu leisen Tönen und konkreten Bildern empfehlen. Die verstecken sich schon jetzt im Text.
:)

Danke für Deine Zeit, einen guten Rutsch ins neue Jahr und herzlichen Glückwunsch zu Deiner Empfehlung!


@Friedrichard
Geschätzter Friedel,
wie Du die Bilder zusammensetzt (um es mal in deinem schönen Stil zu sagen) erfüllt mich echt mit Freude.

der Schwester und dem „Tunnel“, an sich ein unterirdischer Verkehrsweg, um relativ bequem von A nach B zu kommen, hier aber als Flur mit diversen Zimmertüren, die zum „Verlaufen“ einlädt in einer „Anstalt“.
Schön, dass das angekommen ist. So wie auch das:
Symptom für eine Selbstverstümmelung (der Schorf soll „schließ“lich die wunde Stelle schließen und schützen
und doch das Verlangen danach ihn einzureißen.

Trotz meiner Sturheit machst Du Dir die Mühe, dich getrost selbst zu zitieren

.., aber warum ... die würde.Konstruktion, überhaupt die Verzwirbelung? Im Konj. klingt es allemal wie Hoffnungslosigkeit (die Du ja schon aufzeigst), wenn „irgendwann schafft sie es" um 1/3 kürzer ist und ohne Hilfsverb auskommt.

Danke für Deine Hartnäckigkeit, mit der Du mich auf eine Schwäche aufmerksam machst. Ich liebäugele mit dem Konjunktiv UND ich werfe Zeiten durcheinander. Dabei bin ich so im Klang der Sätze gefangen, dass mir die Grammatik entgleitet. Ich habe, auch wenn das vielleicht amüsant ist, eine Woche lang den Satz "Irgendwann wird sie es geschafft haben" in meinem Kopf wiederholt, bis ich mich mit ihm anfreunden und ihn der Richtigkeit des Textes halber einfügen konnte.

Wand ohne Bilder, ohne Fenster, ohne Ausblick.

Warum die Pluralbildung, wenn nicht ein „einziges“, eben „kein“ Bild dort hängt (das Fenster ist da in der Pluralbildung günstiger und der Ausblick ist schließlich singulär. Hab ich bestimmt schon erzählt, wenn ich gefragt werde „Kinder“ oder gar „haben Sie Kinder“ wahrheitsgemäß mit „nein“ antworte bei „einem“ Kind ... und schon stimmt Protokoll oder Statistik nicht mehr.
Auch hier. Übernommen. Geändert. Jetzt nur noch "eine Wand ohne Bild, ohne Ausblick."

Nicht falsch, aber das Reflexivpronomen ist an „sich“ entbehrlich
und verschwunden.

Ich danke Dir und wünsche einen guten Start ins neue Jahr.

Schöne Grüße
Frieda Kartell

 

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