Was ist neu

Ein gerissener Kaufmann

Seniors
Beitritt
03.07.2004
Beiträge
1.585
Zuletzt bearbeitet:

Ein gerissener Kaufmann

In einem kleinen Land weit hinter den Bergen lebte ein Müller. Er hatte recht gut zu tun, aber er war dennoch nicht zufrieden mit dem Lohn für seine Arbeit. Für jeden Sack Korn erhielt er einen Viertel Scheffel von dem Mehl, das er gemahlen hatte. Gold wäre ihm viel lieber gewesen, aber in dieser Gegend lebte gewiss kein Landwirt, der Gold in seinem Säckel hätte.
Der Müller hatte auch eine Tochter, die zu einem sehr liebreizenden Mädchen herangewachsen war. Da ihm seine Frau schon vor Jahren gestorben war, fehlte ihm ein Sohn, der ihm bei seiner Arbeit helfen und seine Mühle einmal übernehmen könne.
Seine Sehnsucht nach glänzendem Gold hatte ihn eigenbrötlerisch und ein wenig seltsam werden lassen und so fand sich auch keine Maid, die bereit gewesen wäre, ihn zu ehelichen und er blieb allein mit seiner schönen Tochter, die ob ihrer zarten Gesundheit den ganzen Tag nur spinnen konnte. Für die Arbeit in dem kleinen Gärtchen an der Mühle war sie nicht kräftig genug und so wuchs hier bald nur noch Unkraut und auch im Haushalt konnte sie immer nur wenig schaffen, so dass das Haus ein wenig schlampig wirkte.
In einem kleinen Land bleibt es nicht aus: der Liebreiz der Müllerstochter sprach sich herum und einige Burschen aus der Umgebung zeigten Interesse an dem Mädchen. Alleine der Müller wollte einen Schwiegersohn, der ihm genug Gold für sein Kind zahlte, damit er die Mühle dahinfahren lassen und ein angenehmes Leben führen könne.
Einmal im Monat fuhr der Müller zum Markttag in die Stadt, um sein Mehl, das er nicht zum Leben verbrauchte, einzutauschen gegen andere Dinge, die er benötigte. Das Garn, das seine Tochter gesponnen hatte, bot er ebenfalls auf dem Markt an und bekam gutes Geld dafür, denn die Müllerstochter spann ein feines festes Garn und färbte es oft mit denn Säften verschiedener Pflanzen, die sie sammelte. Besonders dieses farbige Garn war sehr begehrt und eines Tages kam schon sehr früh ein recht kleiner Mann zu dem Stand es Müllers, schaute sich die Garne ans und kaufte dann alle Spindeln mit farbigem Garn. Der Müller forderte zwei Heller, aber das Männlein gab dem Müller einen goldenen Gulden. Der Müller erstarrte fast und stöhnte dann:
„Das .. das kann ich nicht wechseln, nie im Leben.“ Aber er mochte die goldene Münze in seiner Hand gar nicht mehr hergeben. Sie schien ihm an seiner Hand fest zu kleben.
„Nun,“ erwiderte das Männlein, „ich bin der Kaufmann Stiltz und ich handele mit feinen Tuchen aus vielen Landen. Gebt mir eure Tochter, dass sie für mich ihr Garn spinne und ihr bekommt von mir jeden Monat am Markttag einen goldenen Gulden.“
Der Müller dachte gar nicht darüber nach, dass dies doch ein recht hoher Preis sei, den der Kaufmann zu zahlen gewillt war. Er schlug sofort ein und schon fuhr ihn der Kaufmann in seiner Kutsche zur Mühle. Dort erhielt Jungfer Kathrin, die Müllerstochter, gerade Zeit, um ihre Sachen zusammenzupacken und schon war der Kaufmann mit ihr und ihrem Spinnrad in der Ferne verschwunden.
Aber der Müller ging weiterhin jeden Monat zum Markt und tauschte sein Mehl und erhielt pünktlich am Ende des Markttages einen goldenen Gulden. Der Haushalt in der Mühle verschlampte immer weiter, aber wen störte es. Jetzt, wo er Gold genug hatte, um sich eine willige Haushälterin oder gar Ehefrau zu suchen, interessierte den Müller nur noch das Gold. Und teilen wollte er es auf keinen Fall. Ja, er fragte sich langsam, ob er seine Tochter nicht viel zu billig verkauft habe. Denn dass der Kaufmann ihm so viel bezahlte, könne doch nur bedeuten, dass seine Tochter eine wahre Goldgrube sei. Und der Müller steigerte sich immer weiter in seine Phantasien und eines Tages begann er heimlich zu erzählen, seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen und deshalb habe sie ein reicher Kaufmann entführt.
Wie es nun mit solchen Lügengeschichten ist, sie breiten sich viel schneller aus als die Wahrheit und sehr bald hörte der König von der Müllerstochter und beauftragte seinen Hauptmann, das Kind zu finden und ins Schloss zu bringen. Sobald sie dort mitsamt ihrem Spinnrad angekommen war, wurde sie in eine große Scheune, die bis zum Dach mit Stroh gefüllt war, gebracht.
„Morgen früh will ich die ersten Spindeln mit Gold sehen, sonst bekommt ihr kein Frühstück.“ drohte der Hauptmann und verschloss seine Ohren vor Kathrins Beteuerungen, sie könne kein Gold spinnen. Anschließend verschloss er auch das Scheunentor
Kathrin aber durchsuchte die Scheune im Licht einer einsamen Laterne, die über dem Spinnrad hing, nach einem Schlupfloch. Als sie keines fand, warf sie sich ins Stroh und begann bitterlich zu weinen.
„Nu nu, du brauchst nicht zu weinen:“ hörte sie eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Und tatsächlich: vor ihr stand der Kaufmann Stiltz und lächelte sie freundlich an.
„Wo kommt Ihr denn her und was soll ich denn bloß tun, ich kann doch kein Gold spinnen.“ heulte Kathrin.
Da setzte sich der Stiltz neben sie, legte seinen Arm um ihre Schultern und redete beruhigend auf sie ein, bis sie aufhörte, so erbärmlich zu schluchzen.
„Ich werde dir helfen, wieder frei zu kommen.“
„Und was verlangt Ihr dann von mir?“
„Ich wünsche mir nur Eines. Ich bin dir schon lange zugetan und möchte dich gerne heiraten.“
Kathrin musste ein paar Mal schlucken, doch dann erwiderte sie mit fester Stimme: „Ihr seid mir auch nicht gleichgültig und ich bin gerne bereit Euch zu heiraten. Aber ich weiß ja nicht einmal Euren ganzen Namen.“
Nun, der Stiltz verriet ihr daraufhin flüsternd seinen Vornamen und erklärte ihr, was sie am nächsten Tag zum König sagen solle. Dann trug er ihr auf, sich schlafen zu legen.
Am nächsten Morgen erwachte Kathrin erfrischt und fröhlich. Hatte sie nun den Abend geträumt. Sie schaute sich in dem blassen Morgenlicht, das durch die Dachgauben drang, in der Scheune um und da stand ihr Spinnrad und auf dem Tischchen lagen sechs Spindeln dick umwickelt mit feinen Goldfäden. Und noch während sie ungläubig auf die Spindeln starrte, erschien der Hauptmann, erfasste die Lage mit einem Blick und verschwand wieder. Schon nach wenigen Minuten betrat der König mit seinem Hofstaat die Scheune.
„Nun, Jungfer Kathrin, ihr wart erfreulich fleißig.“ lobte sie der König.
„Aber ich bitte Euch, Majestät, lasst Euch von mir vor einer großen Gefahr warnen.“ erwiderte das Mädchen.
„Was für eine Gefahr?“ platzte der Hauptmann heraus und zog sein Schwert halb aus der Scheide.
Aber der König winkte ihm ab und meinte: „Erzählt.“
„Eure Majestät, hat es Euch nicht gewundert, dass mein Vater arm ist, obwohl ich doch Gold spinnen kann?“
„Ist er arm?“ fragte der König den Hauptmann.
„Oh ja, er lebt in einem rechten Dreckloch.“ erwiderte dieser.
„Nun, also?“ wandte sich der König wieder an die Müllerstochter.
„Es ist ein Feenzauber, der auf dem Spinnrad liegt und mit mir gar nichts zu tun hat. Aber weil das Spinnrad Feengold spinnt, hält das Gold immer nur bis zum hellen Mittag.“
„Das werden wir ja bald prüfen können.“ entgegnete der König in aller Ruhe und befahl, die königliche Mittagstafel in der Scheune aufzubauen. Denn auch wenn er gerne mehr Gold in der Schatzkammer hätte, Feengold, das sich gar noch vor den Augen seiner Untertanen verwandelte - nein, darauf verzichtete er lieber.
Die Bediensteten bauten in der Scheune eine Tafel auf und deckten sie für das königliche Mittagsmahl ein. Die goldenen Spindeln wurden vor dem königlichen Platz auf der Tafel zu einer Pyramide aufgestellt. Während der Hofstaat dann in dass Schloss zum Mittagsmahl zurückkehrte, blieben nur der König, sein Hauptmann und Kathrin in der Scheune. Und als die Sonne am höchsten stand, nahm sich der König von den köstlichen Vorspeisen und lud die beiden, die protokollgemäß neben der Tafel standen, ein, sich auch zu bedienen. Aber alle drei vergaßen das Essen und schauten nur noch auf die Spindeln. Das Gold verwandelte sich vor ihren Augen zusehends in ganz ordinären Dreck und so lag auf dem königlichen Tischtuch schließlich ein großer Haufen, der nicht nur aussah wie ein Kuhfladen. Angesichts des durchdringenden Geruches, der über der Tafel schwebte, entschwand auch der Appetit.
Nachdem der König seinen Ekel vor der ungewohnten Tischdekoration überwunden hatte, war er dankbar, dass diese Geschichte letztlich gut ausgegangen war. Der Hauptmann würde nichts erzählen und die Müllerstochter wurde vorsorglich auch zum Stillschweigen ermahnt. Und dann schickte der König die Müllerstochter samt Spinnrad wieder zurück. Zwei Wochen später heiratete Kathrin Müller den Kaufmann Rumbold Stiltz. Und Vater Müller, der zur Hochzeit geladen war, zerriss es fast vor Ärger, denn der Kaufmann hatte ihm bedeutet, er müsse ja eigentlich noch eine Aussteuer zahlen und einen Brautpreis bekomme er gewiss nicht. Der Müller riss dann aber doch nicht auseinander, sondern blieb heil und ganz.

 

Hallo jobär,

mich erinnerte Dein Märchen natürlich sehr an Rumpelstilzchen. An einer Stelle dachte ich, das kann er doch nicht ernst meinen, aber dann nahm die Geschichte doch noch eine andere Wendung. Der Anfang hat mir gut gefallen mit dem Kaufmann und der regelmäßigen Zahlung des Goldtalers. Du hast auch gut beschrieben, was das Geld mit einem Menschen machen kann.

Denn das Gold verwandelte sich vor aller Augen zusehends in ganz ordinären Dreck und so lag auf dem königlichen Tischtuch schließlich ein großer Haufen, der nicht nur aussah wie ein Kuhfladen.
Der König war dankbar, dass diese Geschichte letztlich gut ausgegangen war und schickte die Müllerstochter samt Spinnrad wieder zurück.

Das verstehe ich nicht ganz. Der König wollte doch das Gold und plötzlich ist alles gut, wenn er einen Haufen Kuhmist auf dem Tisch hat? Nee.

Der Müller riss dann aber doch nicht auseinander, sondern blieb heil und ganz, schließlich sind wir hier ja nicht im Märchen.

Wenn wir nicht im Märchen sind, wo sind wir denn? Aber gut, dass er ganz geblieben ist. :)

Schönen Gruß
khnebel

 

Hallo khnebel,

vielen Dank für Deine Kritik. Der Schluss ist etwas kurz geraten, ich habe jetzt versucht, das verhalten des Königs mehr zu erklären und hoffe nur, dass es die Geschichte nicht zu sehr aufbauscht.

Naja und da der Müller heil bleibt können wir ja kaum im "typischen" deutschen Märchen sein. Aber ich lasse diese Frage lieber offen.

Schöne Grüße

Jobär

 

Hallo jobär,

im Grunde genommen eine schöne Geschichte, wobei ich auch zuerst an Rumpelstilzchen denken musste.

Spachlich ist mir folgendes aufgefallen:

"Ich wünsche mir nur eines" <- Eines groß

"Der Müller hatte auch eine Tochter, die zu einem sehr liebreizenden Mädchen herangewachsen war. Da ihm seine Frau schon vor Jahren gestorben war, nannte er keine weiteren Kinder sein eigen. So fehlte ihm ein Sohn, der ihm bei seiner Arbeit helfen und seine Mühle einmal übernehmen könne."

Da bin ich kurz hängen geblieben, auch wenn es sicherlich nur eine Kleinigkeit ist. Vermutlich liegt es daran, dass du dreimal hintereinander den gleichen Satzbau verwendest (HS,NS)

Sonst konnte ich nichts entdecken. Schönes Werk!

Grüße,

Frank

 

Zitat aus Rumpelstilzchen:
Das hat dir der Teufel gesagt!

Hallo jobär,

bei dir war es hoffentlich nicht der Fall, dass der Teufel beim Schreiben an deinem Märchen mitgewirkt hat. Aber auch wenn es so wäre, finde ich, hat er seine Sache gut gemacht.

Dein Märchen an Rumpelstilzchen anzulehnen war natürlich deine volle Absicht. Du stellst in deiner Geschichte allerdings nicht Rumpelstilzchen alias Rumbold Stiltz als hinterlistigen Bösewicht hin, sondern den Vater. Und damit brichst du mit der Tradition, wie sie sonst in den Märchen vorherrscht, dass die Eltern immer aus Not heraus handeln, wenn sie ihre Kinder derartigen Situationen aussetzen. Denn eigentlich geht es dem Vater ja recht gut, es ist seine Gier nach immer mehr, die ihn so handeln lässt. Finde ich gut, ist eben mal eine etwas andere Botschaft und umgelegt auf die heutige Zeit viel treffender.

Aber er mochte die goldene Münze in seiner Hand gar nicht mehr hergeben. Sie schien ihm an seiner Hand fest zu kleben.

Schön.

Das Gold verwandelte sich vor ihren Augen zusehends in ganz ordinären Dreck und so lag auf dem königlichen Tischtuch schließlich ein großer Haufen, der nicht nur aussah wie ein Kuhfladen.

Sondern? Auch so roch? Das kannst du uns schon mitteilen. Überhaupt finde ich, könntest du bei dieser Szene gern ein bisschen übertreiben, beispielsweise, wie sie dann auch noch auf diesen Dreck reagieren oder was mit dem leckeren Essen passiert, das daneben steht.

Der Müller riss dann aber doch nicht auseinander, sondern blieb heil und ganz, schließlich sind wir hier ja nicht im Märchen - oder?

Auch ich finde, dass es den letzten Zusatz hier nicht braucht. Es ist ein Märchen.
Der Müller riss dann aber doch nicht auseinander, sondern blieb heil und ganz.
Der Leser versteht auch so deine Absicht, dein Märchen nicht im traditionellen Stil (was auch zu sehr an Rumpelstilzchen angelehnt wäre) enden zu lassen.
Ich habe wo gelesen, dass du deine Geschichten oft in der Runde vorträgst, wenn du diesen letzten Satz dort beim Vorlesen bringst und sich das hier auf euch Anwesenden in dem Raum bezieht, lass ich mir das eingehen, aber hier im Kurzgeschichtenforum als in sich geschlossenes Märchen braucht's das meiner Meinung nach nicht.

Den Titel finde ich übrigens auch gut. Können immerhin zwei Personen damit gemeint sein. Rumbold Stiltz, der im übertragenen Sinne gerissen ist und der Vater, der fast (!) im wortwörtlichen Sinn gerissen wäre.

Ich hab's gern gelesen.

Grüße,
rehla

 

Hallo Frank und rehla,

vielen Dank für eure Kritiken. Ich denke, ich habe alles in den Text eingearbeitet. Der Satz mit dem fehlenden Sohn hieß ursprünglich anders und ich hab bei der Korrektur wohl des Guten zuviel getan. Jetzt also wieder zurückkorrigiert.

Viele Grüße

jobär

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom