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Ein letzter Anruf

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15.10.2015
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Ein letzter Anruf

„Bist du noch da?“
Ihre Stimme klang rau, wackelig, zitterte. Mit jedem Atemzug wurde der Kloß in ihrer Kehle größer, mit jeder Sekunde, die verstrich, lief sie Gefahr, an ihrer eigenen Angst zu ersticken. Wie ein faustgroßer Klumpen steckte sie fest in ihrer Kehle und ließ sie gleichzeitig nach Luft schnappen und würgen. Würde es ihm genauso ergehen, wenn die Wassermassen ihn erst verschluckt hatten?Sie konnte nichts tun, bloß tatenlos herumsitzen, meilenweit entfernt.
Es knisterte in der Leitung und für einen schrecklichen Moment dachte sie, es wäre bereits geschehen, doch dann...
„Ich bin noch hier.“
Seine Stimme klang gefasster als ihre, doch sie kannte ihn. Sie wusste, wie er sich anhörte, wenn er sich sorgte, Angst hatte, in der verdammten Hoffnungslosigkeit zu versinken drohte. Dieses leichte Zittern in der Stimme, wenn sein Körper bis in die letzte Faser gespannt war, bereit zu fliehen oder zu kämpfen. Seine Tonlage zu einem tiefen Grollen hinuntergeschraubt, etwas, das sie an jedem anderen Tag belächelt hätte, weil er dachte, es lasse ihn selbstbewusster und ruhiger klingen. Sie fand es machohaft. Doch nicht heute.
Wie hatte das geschehen können? Wieso traf es ausgerechnet sie beide?
„Ich komme am Dienstag vielleicht spät, Honey“, sagte er rau, „Wie wäre es um Acht?“
Ein kurzes Lächeln zitterte auf ihren Lippen, wurde jedoch sofort von neuen Tränen weggewaschen.
„Ich kann warten“, erwiderte sie mit belegter Stimme, „Hauptsache, du kommst.“
„Ich verpasse doch nicht unseren Jahrestag.“
Sie hatte nie verstehen können, warum Menschen so sehr an bestimmten Daten festhielten. Bis jetzt. Sie wünschte sich nichts mehr, als ihn an diesem Dienstag zu sehen, ihrem Jahrestag, unter der Brücke, unter der sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Er hatte einen ruhigen Platz zum Schreiben gesucht und sie war buchstäblich über ihn gestolpert, während sie den Ohrring suchte, der ihr bei der Betrachtung aus den Händen gefallen war. Den Ohrring sollte sie nicht finden, dafür aber einen wunderbar Verrückten, der ihr sein Herz schenkte.
Ein Krachen ertönte, ließ sie zusammenzucken.
„Was war das?“, flüsterte sie, nicht mehr dazu imstande, die Stimme zu erheben.
Stille schlug ihr entgegen, wieder knisterte die Leitung. Der Hörer in ihrer Hand war schweißnass und sie umklammerte ihn so stark, dass sie meinte, er müsse gleich unter ihrer Kraft zerbrechen, doch sie konnte nicht anders und sie wollte nicht glauben, konnte nicht glauben...
„Nur ein Stuhl, der umgekippt ist.“
Er log, natürlich log er. Ein Teil der Yacht musste unter dem ungeheuren Wasserdruck weggebrochen sein. Bald schon wäre sie am tiefen Meeresgrund. Sie hörte Rauschen im Hintergrund und etwas, das sich wie ein Körper anhörte, der gegen Holz krachte. Weit entfernt vernahm sie seine Stimme, wie sie einen Schmerzenslaut ausstieß, bevor sein gehetzter Atem wieder direkt an ihrem Ohr erschien.
„Ich kann immer noch nicht tanzen“, murmelte sie und der Kloß in ihrer Kehle wurde größer und ließ sie keuchen.
Sie zog die Knie an und vergrub das Gesicht im freien Arm. Ihr Körper wurde von einer unsichtbaren Kraft geschüttelt und die Erkenntnis schlug wie eine Welle über ihr zusammen. Alles in ihr verkrampfte und sie vergrub die Hand in ihrem Haar und zog und sie hieß den körperlichen Schmerz willkommen, denn er war das Einzige, was sie zusammenhielt, das Einzige, was sie daran hinderte, hier und jetzt zu zerbrechen.
Sie wollte ihm so vieles sagen, sie musste ihm so vieles sagen. Er wusste nicht, dass sie es heimlich genoß, wenn er überall in der Wohnung ihre penible Ordnung durcheinanderbrachte, denn es war seine persönliche Note, sagte ihr, dass er bei ihr war und er wusste nicht, dass sie ihm nie wirklich böse gewesen war, dass er die Vase ihrer Mutter zerbrochen hatte, denn sie hatte sie genauso abscheulich gefunden wie er und er wusste nicht, dass sie für ihren Jahrestag einen Heiratsantrag geplant hatte und er wusste nicht, dass sie endlich bereit war, einen Hund für ihn zu adoptieren und er wusste nicht... Er wusste so vieles nicht. Und sie wusste nicht, wie sie all das in Worte kleiden sollte. Ihr lief die Zeit davon.
„Ich bring es dir bei, Honey.“ Seine Stimme klang so rau, so gebrochen. „Habe ich doch versprochen.“
„Ja, das hast du“, flüsterte sie, das Telefon fest ans Ohr gepresst, um jedes noch so kleine Geräusch zu hören.
Wie sehr wünschte sie sich, jetzt bei ihm zu sein. Ihm beizustehen, bis in die Ewigkeit. Was machte ihr Leben noch für einen Sinn, wenn er nicht dort war? Wenn er auf dem Grund des Ozeans lag? Sie konnte ohne ihn leben, doch wollte sie es? Jeden Tag müsste sie auf dem Weg zur Arbeit die Brücke, ihre Brücke, überqueren und jeden Abend würde sie den einsamen Ohrring in ihrem Badezimmerschrank sehen und jede Nacht wäre das Bett zu groß für sie. Nein, nein, sie konnte das nicht.
Ein lautes Knarren durch die Leitung ließ sie zusammenzucken, ein leiser Fluch ertönte. Sie musste unwillkürlich lächeln, ein tränenreiches Lächeln. Er hielt nicht viel vom Fluchen. Sonst war sie es immer, die die unflätigen Worte in den Mund nahm. Und er setzte dann stets diese missbilligende Miene auf, sah plötzlich so ernst aus mit der gerunzelten Stirn und den zusammengezogenen Augenbrauen. Würde sie diesen Ausdruck jemals wiedersehen? Würde sie ihn wenigstens in Erinnerung behalten können? Oder würde er verblassen, so wie auch das Gesicht ihres Vaters in ihrem Kopf durch die Zeit verwischt wurde?
Ein weiterer gedämpfter Fluch ertönte, ein erneutes Krachen, dann sein schwerer Atem.
„Hero?“, fragte sie, zögernd, in der Angst, keine Antwort mehr zu bekommen. „Hero?“
Selbst in ihren Ohren hörte sich ihre Stimme nun schrill und hysterisch an. Das konnte es nicht gewesen sein, nein, nein, so durfte es nicht enden!
„Hero!“
„Ich bin hier, Honey.“
Ein Laut zwischen Schluchzen und Lachen entschlüpfte ihren Lippen, als seine Stimme ein weiteres Mal innerhalb weniger Minuten diesen Kloß in ihrer Kehle daran hinderte, sie zu ersticken.
„Sag mir, was bei dir passiert“, bat sie krächzend, „Rede mit mir, sag irgendetwas.“
„Alles unter Kontrolle. Nur ein paar Wellen.“
Und wieder log er. Das stetige, zornige Rauschen im Hintergrund strafte ihn Lügen, sein angestrengter Atem und seine unterdrückten Flüche widersprachen ihm. Für einen Moment war sie nicht in der Lage, einen Ton von sich zu geben und lauschte nur, wie die stürmische See seinen zerbrechlichen, sterblichen Körper hin- und herwarf und sein Schiff langsam aber sicher auseinandernahm. Drei Tage hatte sie ihn nicht gesehen und nun sollte der letzte Moment mit ihm nur aus einem Ferngespräch bestehen? Sie wollte ihre Finger durch sein borstiges Haar fahren lassen, sie wollte ihren Kopf an seine Schulter lehnen und seiner Stimme lauschen, die seinen Geschichten Farbe verlieh. Sie würde seine Hände halten, über die Narbe an seinem linken Ringfinger streichen, die er sich als Kind beim Schnitzen zugezogen hatte, und den türkischen Kräutertee trinken, den sie so mochte. Doch sie war meilenweit entfernt und das Einzige, was ihr von ihm geblieben war, war seine verwaiste Hälfte des Bettes.
Viele Nächte hatte sie schon allein geschlafen, weil er auf einer seiner Touren gewesen war. Er plante sie nicht, manchmal wachte er morgens einfach auf und fing an zu packen. Nicht, weil er ihre Nähe nicht mehr ertragen konnte oder weg von ihr wollte, sondern weil er sich wie stets zum Meer hingezogen fühlte. Manchmal brauchte er die stille Einsamkeit auf seiner Yacht inmitten des Atlantiks und sie ließ ihn gewähren. Er brachte ihr immer etwas mit, eine Muschel, eine Kette, eine neue Geschichte. Sie würde all das aufgeben, wenn er nur überhaupt zurückkäme.
Jemanden wie ihn hatte sie noch nie getroffen, jemanden, den es so sehr nach Freiheit lechzte. Er war ein Freidenker, ein Künstler, ein abstraktes Individuum. Und der Mann, den sie liebte. Der Mann, der kurz davor stand, vom Meer, das er so schätzte, verschlungen zu werden.
„Dienstag um Acht, Hero“, flüsterte sie verzweifelt, „Vergiss es nicht.“
„Natürlich nicht.“
Wieder krachte es am anderen Ende des Telefons, stürmischer Wind heulte erbost wie eine Horde Höllenhunde. Die Leitung knisterte und rauschte, für einen Moment schien die Verbindung unterbrochen zu sein, doch dann hörte sie wieder seinen gehetzten Atem an ihrem Ohr.
Sie wusste nicht einmal, wieso seine Yacht sank. Aber wollte sie es überhaupt wissen? Vielleicht hatte ein plötzlicher Wind sich zu einem Sturm entwickelt und ihn vom Kurs abgebracht. Vielleicht hatte er dabei in der tiefschwarzen, tückischen Nacht einen Felsen gerammt. Vielleicht stand er schon knietief im Wasser. Er hatte ihr nur gesagt, dass er es nicht nach Hause schaffen würde. Dass es ein Problem mit dem Boot gäbe.
Sie presste fest die Augen zusammen und umklammerte krampfhaft das Telefon, damit es ihr nicht aus den schweißnassen Händen rutschte. Weiße Sternchen tanzten vor ihren Augen.
Er musste eine schnelle Entscheidung getroffen haben. Er hatte immer ein Satellitentelefon dabei, um erreichbar zu sein, aber er musste erkannt haben, dass jede Rettung zu spät käme. Und so hatte er entschieden, nicht um Hilfe zu bitten, sondern sie anzurufen. Sie, um die letzten Minuten seines Lebens mit ihr zu verbringen.
„Honey?“
„Ja?“, krächzte sie.
„Ich liebe dich.“
Sie biss sich fest auf die Unterlippe und schmeckte Blut.
„Ich dich auch, Hero. Ich liebe dich auch.“
„Lebewohl.“
Die Verbindung brach ab.

 

Hola Krizzle,

Du legst ein ganz schönes Tempo vor! Aber ich muss Dir ja nicht folgen.
Nein, ich habe wirklich nicht vor, einen Komm nach dem anderen auf Dich abzufeuern.
Doch diese Geschichte ist dermaßen gut in Schreibstil und Inhalt, dass ich loben muss, was es zu loben gilt!

Man hörte die Tränen, die über ihre Wangen liefen, ...
Von Anfang an großartige Lektüre – da bleibe ich als Leser dran, bis zum letzten Punkt.

Und so hatte er entschieden, nicht um Hilfe zu bitten, sondern sie anzurufen. Sie, um die letzten Minuten seines Lebens mit ihr zu verbringen.
Oh ha, da werden einem alten Seefahrer die Augen feucht. Du hast, wie Du schon schriebst, eine Vorliebe für Dramatik. Das ist beim Lesen spürbar; Du hast wirklich großes Talent, eindringliche Szenen zu entwerfen. Da ist von Kitsch meilenweit nichts zu sehen.
Krizzle, ich bin echt beeindruckt.
Nur eines macht mich wütend: Dass Du nicht nur mich, sondern jedes einzelne Mitglied und das gesamte Forum überhaupt so dreist belügst mit der Behauptung, Du seiest gerade mal siebzehn Jahre. Und Deine Urgroßmutter war die Kaiserin von China?

Herzliche Grüße!

José

 

Hallo Krizzle,

unsere Team-Bossy Bernadette hat mich neulich mal wieder ermahnt, nett zu den Neuen zu sein, und ich geb mir jetzt alle Mühe :) Das Problem, das dieser Text meiner Ansicht nach hat, besteht darin, dass dem Leser eine Szene beschrieben wird, die zwar dramatisch ist – klar, da geht ein Boot im Atlantik unter – aber eben nicht tragisch. Der Text soll und will als Tragödie funktionieren, aber das kann er nicht, weil dazu wesentliche Elemente fehlen.

Das entscheidende Element, das da fehlt, ist meiner Ansicht nach der eskalierende Konflikt des Hauptcharakters. Es gibt zwar einen Konflikt, aber dieser ist statisch – die Beiden telefonieren zum letzten Mal, denn das Boot wird sinken, der Mann wird sterben. Keiner der Beteiligten kann noch irgendetwas tun.

Und deshalb reduziert sich das Ganze auf Sentimentalitäten. Und die führen in Literatur, Musik und Film sehr schnell in die Nähe des Kitsch. (Da sehe ich die Sache ein bisschen anders als José.) Es ist ja wirklich traurig, dass da ein Mensch sterben wird, aber solange Du es nicht schaffst, dem Leser diesen Menschen wirklich nahe zu bringen, wird sich das Mitgefühl in Grenzen halten. Und es ist auch traurig, dass die Frau nun schmachtend auf ihre leere Betthälfte schauen muss, statt von ihrem stattlichen Helden in die Arme genommen zu werden, aber weil Du in Deiner Geschichte quasi ohne Umschweife zum letzten Akt dieser Liebe preschst, wirkt es wie ein Appell an meine Tränendrüsen.

Romeo und Julia sterben bei Shakespeare im letzten der fünf Akte, und das hat einen Grund. Man muss dem Leser klarmachen, dass dieser Tod wirklich ein Verlust ist, und zwar nicht im allgemeinen Sinn, wo jeder Tod eines Menschen beklagenswert ist. Der Tod muss ein Verlust für den Leser sein und zwar, weil er eine Beziehung zu den Figuren aufgebaut hat und Mitgefühl für sie empfindet.

Vom Schreibhandwerk her finde ich vieles schon gut gelungen. Ich würde das Lechzen, Schluchzen und die gebrochenen Herzen rausnehmen, aber das mag Geschmackssache sein. Freu mich auf weitere Geschichten von Dir.

Gruß Achillus

 

Hallo, Adconaswaa,

Wow, ich freu mich, dass die Geschichte dir so gut gefällt, vielen lieben Dank!
Ich habe tatsächlich einen Hang zum Dramatischen und Traurigen, ich muss nur aufpassen, dass es nicht ins Kitschige abrutscht :D
Mit den Kosenamen hast du meinen wunden Punkt getroffen - mir ist klar, dass die Namen nicht so ganz passen, allerdings kann ich mit den geläufigen deutschen Spitznamen wie "Schatz", "Liebling" ect nicht so viel anfangen. Ich muss zugeben, mein Kopfkino dieser Story war auf Englisch, deshalb auch die Namen. Aber ich werde schauen, ob ich das noch ein wenig "deutscher" und passender gestalten kann, danke :)

Hallo, José,
was soll ich sagen, ich bin regelrecht beseelt, dass dir meine Geschichte so gut zu gefallen scheint. Ein großes Dankeschön, das tut doch echt gut zu hören! Zugegeben, auf diesen Text bin ich auch ziemlich stolz, offenbar habe ich mit dieser Einschätzung nicht nur ganz extrem mein Ego gestreichelt haha :)
Ich muss dich aber enttäuschen: Ich bin 17. Mache nächstes Frühjahr mein Abitur, werde im April 18 und habe mich hauptsächlich hier angemeldet, um mir ordentlich Kritik um die Ohren hauen zu lassen, damit die Texte, die ich für meine Bewerbung an einer Filmuni (auf Drehbuch/Dramaturgie) brauche, so gut wie möglich sind. Aber falls es dich beruhigt, ich glaube, meine Urgroßmutter war zu beschäftigt, nach West-Berlin zu fliehen, um gleichzeitig als Kaiserin China zu regieren :P
Ich nehme das jetzt einfach als Kompliment, aber wie gesagt "Ein letzter Anruf" ist eines meiner besten Werke, wenn ich das selbst einmal so überheblich sagen darf. Ich bin leider kein Mozart des Schreibens :D

Hallo, Achillus,

vielen Dank für deine Kritik :)
Du hast Recht, es ist mir vorher zwar gar nicht so aufgefallen, aber jetzt, wo du mich mit der Nase draufgestoßen hast, sehe ich es natürlich auch: Dieser Text beschreibt eine einzige Situation, die sich rein handlungsmäßig nicht verändert. Mir wurde schon einmal gesagt, dass etwas mehr "Action" meinem Geschreibsel guttun würde, offenbar sollte ich darauf wohl mehr achten. Ich finde zwar, dass eine Kurzgeschichte nicht immer nur Handlung braucht, wenn Atmosphäre und Gedanken der Charaktere stimmen, aber so etwas sollte man wohl doch lieber den Meistern dieses Faches überlassen :D Ich werde es bei weiteren Geschichten jedenfalls im Hinterkopf behalten, danke für den Hinweis.
Bei Themen, wie ich es gewählt habe, muss man natürlich akribisch aufpassen, keinen Kitsch zu produzieren, aber da liegt wohl die Grenze des Aushaltbaren bei jedem etwas anders - ein wenig habe ich aber vermutlich mit dem Lechzen, Schluchzen und gebrochenen Herzen übertrieben :D

Vielen Dank noch einmal für eure Kritiken!
LG Krizzle

 

Hallo Krizzle,
ja, ist schon beeindruckend für eine Siebzehnjährige. Das soll nicht überheblich klingen, im Gegenteil. Wenn du wüsstest, was ich mit 17 gemacht habe, dann wärst du auf deine Geschichte noch stolzer. :D
Aber Lob ist das eine, die braucht man, aber Kritik brauchts auch. Die ist sogar superwichtig, wenn man weiterkommen will.
Deshalb ärger dich auch bitte nicht, auch wenn ich an manchen Stellen sehr deutlich werde, vielleicht der Anschaulichkeit wegen etwas übertreibe.


Plot:
Den ersten Punkt hat Achillus schon gesagt. Man kann das machen, dass man auf einem Punkt der Erzählung bleibt, statisch ist, aber das birgt Gefahren. Die hat er dir genannt. Ich finde leider auch, dass du ein Stück weit in die Sentimentalitätsfalle reingetappt bist. Ein solches Thema den Meistern überlassen, das finde ich nun wiederum nicht. Ich bin der Ansicht, man kann alles ausprobieren. Manchmal lernt man für sich sogar mehr, wenn man sich ein wenig überfordert hat. Ich finde es nur wichtig, dass du dir dessen bewusst wirst, dass du hier eine Ein-Punkt-Handlung gewählt hast. Ich weiß leider keinen anderen Namen dafür. Jedenfalls bei solchen Geschichten musst du sehr darauf achten, dass du in diesem Falle es auf andere Weise schaffst (denn hier geht Spannung ja nicht ) eine Identifikation oder einen Wiedererkennungswert für den Leser zu ermöglichen. Oder einen Gedankengang, etwas Neues, etwas, über das es sich nachzudenken lohnt in ihn einzupflanzen.
Also Ein-Punkt-Handlungen sind nicht verboten, die können sogar sehr toll geschreiben sein, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass man diese Erzählmöglichkeit gewählt hat. Und ich weiß ja nicht, was auf so einer Filmuni an Texten mit welchen Erzählabsichten gewünscht wird, aber davon mal abgeshen, würde ich einfach eh mal alles Mögliche ausprobieren. Also auch eine Handlung mit der entsprechender Entwicklung, dem Konflikt zwischen Pro- und Antagonist usw. Das ist schon wichtig, dass man, wenn man schreiben will, sich darüber klar wird, welche Art von Geschichte man wählt. Und welche Intention du hast.
Hier enthält die Handlung für mich noch etwas Unlogisches. Das Gespräch zwischen den beiden erinnert mich von der Idee her an das Telefongespräch zwischen Rob Hall und seiner Frau bei der Everest-Expedition. Googel mal danach, falls du das nicht kennst, Da ruft er seine Frau an und während er oben langsam erfriert, unterhalten sie sich über den Namen des Babys, das seine Frau gebären wird. Die Bücher zu der Expedition waren auf ihre Weise sehr interessant, ich hab sie alle verschlungen, der Film, der grad läuft ist aber doof.
So mal zurück zu dem Telefonat. Beim Rob Hall weiß seine Frau Bescheid, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, ihn zu retten. Sie weiß, dass er sterben wird. Nur dadurch, weil es so völlig aussichtslos ist, können die beiden überhaupt so miteinander reden und sich verabschieden.
In deiner Geschichte ist das am Anfang überhaupt nicht klar. Du schreibst darüber auch nichts. Du gehst einfach in die Situation rein und unterstellst die Aussichtslosigkeit. Ich finde das einerseits okay, das kann man so machen. Dann muss aber irgendwann eine Rückblende kommen, ein Bezug zum Anfangstelefonat, irgendetwas, woher weiß die Frau denn sonst, dass er sich in einer lebensgefährlichen Lage befindet. Stell dir mal vor, du kriegst von deinem Gatten ein Telefonat von offener See und da krachts und bollerts im Hintergrund. Da gehts mit Sicherheit mit anderen Fragen los. Was los ist, in welcher Situation er überhaupt ist, ob er um Hilfe angefunkt hat. Hier unterstellst du all das und dann (fast schon am Ende der Geschichte) rückst du mit der Info hier raus:

Das Einzige, was sie wusste, war, dass er eine schnelle Entscheidung getroffen hatte. Er hatte immer ein Satellitentelefon dabei, um erreichbar zu sein, aber er hatte erkannt, dass jede Rettung zu spät käme. Und so hatte er entschieden, nicht um Hilfe zu bitten, sondern sie anzurufen. Sie, um die letzten Minuten seines Lebens mit ihr zu verbringen.
Woher weiß sie all das? Und jetzt auf einmal? Das Erklärende muss Hand und Fuß haben. Zu Beginn deines Textes ist es einfach unterstellt. So, wie es jetzt hier auftaucht wirkt es wie eine nachgeschobene Erklärung, warum die Frau die Aussichtslosigkeit seiner Lage einschätzen kann und teilen kann. Die Frau vom Rob Hall konnte, da war das Telefonat in eine Handlung eingebettet. Hier müsstest du es hinkriegen, wie die Frau sich aus seinem Verhalten, aus anderen Infos, von denen ich jetzt nicht weiß, welche das sein sollten, sich die Aussichtslosigkeit, seinen sicheren Tod erschließt.
Hier knallst du das so einfach hin, davon mal abgesehen frage ich mich, warum er nicht beides tun können sollte, also um Hilfe bitten und sie anrufen. Wieso oder woher nimmst du diese Ausschließlichkeit. Wenn ich als Leser das nicht erklärt kriege, zucke ich mit den Schulter und sag mir, das ist einfach unglaubwürdig. Da konstruiert der Autor was.

Die Idee
Die Idee finde ich gut. Du wandelst diese letztes Telefongespräch ja ab und mir gefällt dabei sehr sehr gut, dass du die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Geschehen und der Reaktion der beiden aufs Korn nimmst. Die vesuchen ja so zu tun, als käme er die nächste Woche wieder zu ihrem Jahrestag. Beide tun so, als passiere nichts Unnormales. Reden darüber, dass sie noch immer nicht tanzen kann und so. Gefällt mir wie gesagt, aber du müsstest schon dafür sorgen, dass es in einen realistischen und logischen Zusammenhang eingebettet ist.
Noch was, bist du dir sicher, dass man auf einem untergehenden, zerbrechenden Segelboot noch das Satellitentelefon benutzen und ruhig sprechen kann? Auch das kommt mir nicht ganz realistisch vor. Aber da müssten die Segler unter uns ran.

Die Protagonistin
Mir ist die Geschichte insgesamt zu kurz, um mich, auch wenn ich mich auf eine Szene beschränke, mit der Protagonistin vertraut zu machen. Sie äußert ihre Gefühle. Aber sehr allgemein. Aber insgesamt sind das zu wenig spezielle individuelle Erinnerungen oder Gefühle einer ganz besondere Person, die sie einem Leser nahebringen könnten. Mit dem Tanzen hast du das angefangen, das fand ich auch sehr schön. Aber da solltest du ruhig noch näher ran an sie. Es ist manchmal ganz ganz gut, wenn man sich diese Person mit ihren Eigenarten und Vorlieben vorstellt. Davon muss dann gar nicht viel in so eine Erzählung rein, aber es nützt einem als Autor, um die Situation zu beleuchten, in der diese eine ganz besondere Frau steckt.
Also ganz kurz dazwischen, wir kennen uns ja nicht, da weiß ich natürlich auch nicht, was du schon über das Schreiben weißt oder gelesen hast. Also wenn ich da was schreib, was du schon kennst, naja, das passiert halt mal in so einem Forum, dass man offene Türen einrennt.

Stil
Also ganz allgemein flutscht man gut durch deinen Text, kannst flüssig und angenehm schreib, da holpert nicht groß was. Du variierst Satzlängen, beginnst Sätze nicht immer gleich und wechselst Satzarten ab. Das finde ich angenehm, weil es abwechslungsreich ist.
Und jetzt kommt das große Aber. Im Unterschied zu einigen finde ich schon, dass du ganz ordentlich in das Kitschnäpfchen getreten bist. Jetzt geh bitte nicht in die Luft, ich weiß selbst, wie schwer einen so ein Vorwurf treffen kann, und klar, es gibt natürlich den berühmten Unterschied im Geschmack, aber schau dir deinen ersten Absatz trotzdem nochmal an. Ich geh mal im Detail auf die ersten Sätze ein.

"Bist du noch da?"
Ihre Stimme klang rau, wackelig, zitterte.
Find ich gut. Direkter Einstieg mit einer Frage. Man denkt sich, das ist ein Telefongespräch.

Man hörte die Tränen, die über ihre Wangen liefen, man hörte das gebrochene Herz.
Wer ist man? Der Text ist aus ihrer Sicht geschrieben. Der ist stellenweise innerer Monolog. Also wirklich unendlich nah bei ihr. Wer soll dann das "man" sein. Du führst hier auf einmal einen unsichtbaren Beobachter ein. Der hat in der Erzählung, so, wie du sie angelegt hast, nichts zu suchen. Wenn du mit man meinst, sie befürchtet, er könnte ihre Tränen merken, dann musst du das auch als ihren Gedankengang beschreiben. Sonst springst du aus der Perspektive.
Dann frage ich mich wie man Tränen hören soll. Das ist eine Flüssigkeit. Vielleicht meinst du ihr Schluchzen. Tränen kann man nicht hören. Genausowenig wie ein gebrochenes Herz. Herzen geben auch keine Töne von sich. Ich weiß zwar genau, was du meinst, aber so, wie du es schreibst, klingt es leider unfreiwillig komisch.
Ich würde solche gängigen Formulierungen wie gebrochenes Herz soweiso unbedingt vermeiden. Das ist schon viel zu abgegriffen, zu allgemein, im besten Fall überlesen die Leute es, im schlechten schreien sie Kitsch. Versuch lieber, das Gefühl, das man hat, wenn es einem so schlecht geht, wie ihr da gerade, zu beschreiben. Die Klammer um die Brust, dass sie nicht mehr schlucken kann, dass die Stimme versagt. Sind jetzt alles nur Beispiele, und wahrscheinlich keine besonders geglückten, aber vielleicht kannst du dir dadurch trotzdem ein bisschen besser vorstellen, worauf ich rauswill. Du vermeidest dadurch diese sterotypen Bilder, die allzunah am Kitsch sind und du bringst den Leser näher an die Protagonistin.
Sie konnte nichts tun, bloß tatenlos herumsitzen, meilenweit entfernt.
Es knisterte in der Leitung und für einen schrecklichen Moment dachte sie, es wäre bereits geschehen, doch dann...
„Ich bin noch hier.“
Auch gut.

Seine Stimme klang gefasster als ihre, doch sie kannte ihn. Sie wusste, wie er sich anhörte, wenn er Angst hatte, wenn er sich sorgte und in der verdammenden Hoffnungslosigkeit zu versinken drohte.
Der Anfang ist okay, aber ich würde mir da schon überlegen, wie er sich denn anhört, wenn er so richtig Angst hat. Kippt seine Stimme? Fängt er an besonders oft zu schlucken? Spricht er viel ruhiger als normal? Woran erkennt sie das denn. Wie klingt er denn konkret? Man kann sowas auch lösen über eine Situation mit ihm, an die sie sich ausgelöst durch die Stimme erinnert . Wie auch immer du das löst, aber geh rein in die Situation und ran an Frau und Mann.
- sorgte: Das finde ich fast ein bisschen schwach, erst hast du "Angst hatte" , dann "sorgte" sich, dann "verdammende Hoffnungslosigkeit". Das ist keine gelungene Steigerung. Erst baust du mit der Angst was auf, dann nimmst du das mit der Sorge wieder ein Stück zurück, denn sich sorgen ist nun mal schwächer, als Angst haben. Und dann donnerst du verdammende Hoffnungslosigkeit drauf, in der er auch noch versinkt.
- Das kommt jetzt für den Leser einfach sehr heavy. Ohne jede Vorbereitung gleich verdammende Hoffnungslosigkeit und vesinken. Da fehlt jetzt für mich danach oder so ein wenig Erklärung, weshalb das alles so hoffnungslos sein soll. Davon ab ist Hoffnungslosigkeit und dann auch noch eine verdammende, in der man versinkt, alles zusammen schon wieder eine sehr überladene, schwere, aber dabei total gängige Formulierung, die den Nachteil hat, dass sie sehr allgemein einen Gefühlzustand beschreibt, stereotyp ist, und eben leider nichts ins Konkrete geht.

So, jetzt hör ich aber auf, bevor du nie wieder einen Kommentar von mir lesen willst.
Ich wollt dir einfach zwei stilistische Tipps geben.

1. dass du dich traust, sehr, sehr konkret zu werden. Bei jeder Formulierung dich fragst, ob sie nicht vielleicht zu allgemein ist, es sich zu leicht macht. Hilfreich ist da oft, sich zu überlegen, was man in einer Situation spürt, was man an körperlichen Reaktionen bemerkt. Wie etwas riecht oder sich anfühlt, wenn man es anfasst. All so ein Zeugs halt. Aber wirklich aufmerksam wirst für diese gängigen Redewendungen.

2. Ich könnte mir vorstellen, deine Geschichte, die ja schon sehr dramtisch zum Teil ist, würde sehr davon profitieren, wenn die Reaktionen der Protagonistin sehr verhalten und zurückhaltend beschreiben wären.
Ich mein damit nicht, dass du die Geschichte so umschreiben solltest, sondern einfach das als Möglichkeit mal im Kopf behältst. Und vielleicht sogar mal nur zu Übungszwecken eine kleine Stelle nimmst und die so umschreibst. Würd mich mal interessieren, wie du dann die Wirkung empfindest. Das geht jetzt klar in Richtung Geschmackssache, logo, aber ich finde es oft ganz hilfreich, mit unterschiedlichen Erzählstimmen zu experimentieren.

So jetzt hab ich genug geredet. Jetzt muss ich kochen.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo, Novak

keine Sorge, du hast mich nicht verschreckt. Auch wenn Lob gut tut, habe ich mich doch hauptsächlich hier angemeldet, weil diese Seite den Ruf von harscher, aber konstruktiver und fairer Kritik hat.
Vielen Dank also, dass du dir die Mühe gemacht, so detailliert auf meine Geschichte einzugehen!

Deine Kritikpunkte sind mir alle schlüssig und ich werde versuchen, meinen Text dahingehend zu überarbeiten - u.a. diesen möchte ich nämlich für meine Bewerbung an der Uni benutzen (da sind mir im Übrigen keine wirklichen Grenzen gesetzt, es hieß nur, ich solle bis zu 10 Seiten Prosa einschicken). Ich denke, vieles davon kann man darauf zurückführen, dass ich noch nie einen professionellen Kurs oder ähnliches im Kreativen Schreiben belegt habe. Alles, was ich weiß bzw mir angeeignet habe, stammt vom vielen Lesen und in Teilen aus meinem Deutschkurs, wo wir aber höchstens formale Dinge bearbeiten bzw interpretieren. Im Nachhinein, vor allem mit deiner Kritik, meine ich zu erkennen, dass viele meiner verbesserungswürdigen Stellen daherrühren, dass ich praktisch ohne wirklichen Plan oder - besser gesagt - ohne Basiswissen schreibe. Ich mache einfach so, wie ich es denke und für gut beachte. So ein bisschen nach Schnauze, wenn man so will, ohne irgendwelche grundlegenden "Regeln" zu beachten, die ich sowieso nicht kenne.

Von dem Film habe ich übrigens gehört, ich glaube, ich habe mal den Trailer dazu gesehen (allerdings lange nachdem ich diese Story geschrieben habe). Ich werde mir wohl mal die Bücher besorgen :)

Ich freu mich jetzt richtig meinen Text zu überarbeiten! Ich werd versuchen, den Kitsch ein wenig zu entkitschen und am Anfang mehr Information einfließen zu lassen. Danke für die Hinweise und Tipps diesbezüglich.
Ich schätze mit dem Schreiben ist es wie in der Kunst: Völlig egal, ob du denkst, dein Bild ist fertig, es ist niemals fertig :D

Danke noch einmal für deine Mühe und Zeit. Na dann wünsche ich guten Appetit!
LG Krizzle

 

Hallo, Maria,

ein großes Dankeschön für dein Review :)
Freut mich, dass mein Text dir grundlegend gefällt!

Oh, haha, das mit Namen hat dann bestimmt genervt, sorry :D Mir ist klar, dass die Spitznamen nicht direkt in meine - eindeutig auf Deutsch verfasste :lol: - Geschichte passen, aber wie ich oben schon beschrieben habe, kann ich mit deutschen Kosenamen nicht allzu viel anfangen und, um ehrlich zu sein, habe ich die Story geistig sozusagen auch auf Englisch verfasst.

Dass meine Charaktere hier recht blass und allgemein sind, hat auch schon jemand erwähnt und wenn ich die Geschichte überarbeite, werd ich versuchen, ein paar mehr Information (vermutlich als Erinnerungsfetzen oder so, vielleicht lasse ich auch einen der beiden davon sprechen) einfließen zu lassen, sodass meine Protagonisten mehr Individualität und im Endeffekt auch mehr gemeinsame Geschichte kriegen. Danke für den Hinweis!

Wow, danke, das macht mir echt Mut weiterzumachen und an mir zu arbeiten :herz:

LG Krizzle

 

Hallo nochmal an alle,

ich weiß nicht, ob das jemand sieht, aber ich habe die Geschichte mittlerweile editiert.
Ich habe versucht, eure Anregungen und Kritiken umzusetzen, weiß aber nicht, ob ich da allzu viel Erfolg hatte, weil ich bisher noch nie wirklich mit Erst- und Zweitfassungen ect. gearbeitet habe.

Danke vielmals nochmal an alle, die es gelesen und sich die Mühe gemacht haben, mir ihre Meinung mitzuteilen :)

Schöne Feiertage noch!
LG Krizzle

 

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